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der gemeinsamen Datei verfolgten Zwecke eine abschließende Prognose und Benennung der erforderlichen Daten zum Zeitpunkt des Inkrafttreten des Gesetzes
nicht möglich ist. Welche Informationen für die sachgerechte Zweckverfolgung
geeignet und notwendig sind, lässt sich oft erst nach Inbetriebnahme der Datei endgültig beurteilen. Ferner lassen sich nicht alle zur Zweckerreichung erforderlichen
Daten standardisiert erfassen. Der Verwaltung zuzumuten, auf nicht standardisierungsfähige Daten generell verzichten zu müssen, trägt wiederum dem Gebot der
effektiven Aufgabenerfüllung nicht hinreichend Rechnung. Gesetzgebung und Verwaltung ist daher grundsätzlich die Möglichkeit einzuräumen, auf bestimmte Sachverhalte flexibel und individuell reagieren zu können. Aus Gründen der Datensparsamkeit und Transparenz der Datenverarbeitungsvorgänge für den Betroffenen sind
Freitextfelder allerdings durch den Gesetzgeber so zu gestalten, dass die Bindung an
die Erforderlichkeit der Daten zur Zweckerreichung nicht umgangen werden kann.
Das Gesetz zur Verbunddatei selbst muss daher die Voraussetzungen und den Rahmen, in dem die Verwaltung ihrem Ermessen nach weitere Daten einspeichern kann,
konkret und überprüfbar festlegen. Raum für die Eingabe von bloßen Vermutungen
und Spekulationen der beteiligten Behörden ohne einen objektiven, nachprüfbaren
Kern darf das Freitextfeld nicht eröffnen. Auch ist dafür Sorge zu tragen, dass nicht
etwa ganze Akteninhalte Aufnahme in die Verbunddatei finden.
Aufgrund der Beschränkung der Anzahl der an der Verbunddatei beteiligten Stellen auf das zur Erreichung des Zwecks erforderliche Maß, sind Verbunddateien, die
einer Vielzahl staatlicher Stellen Zugriff auf die erfassten Daten gewähren, kritisch
zu sehen und unterliegen einem erhöhten Rechtfertigungsbedarf. Die Beteiligung
jeder einzelnen konkreten Behörde muss zur Zweckerreichung notwendig sein. Ferner muss das Gesetz zur Verbunddatei dafür Sorge tragen, dass der Zugriff auf die
Datei auch innerhalb der beteiligten Behörden auf einen eng umgrenzten Personenkreis beschränkt ist.
Schließlich muss der Gesetzgeber Fristen normieren, nach denen die Erforderlichkeit der einzelnen Daten zu überprüfen ist, und entsprechende Löschungsverpflichtungen statuieren. Unter dem Aspekt der Datenvermeidung und Datensparsamkeit kann auch eine gänzliche Überprüfung der Erforderlichkeit der Verbunddatei angebracht erscheinen. Regelungen, nach denen das Gesetz zur Verbunddatei zu
evaluieren ist, sind insofern verfassungsrechtlich wünschenswert.
III. Zusammenfassung und Ergebnis
Mit den Geboten der Datenvermeidung und Datensparsamkeit sind Verbunddateien
nur zur Erfüllung gewichtiger Ziele vereinbar. Dem Grad der Sensibilität der erfassten Daten hat das Gesetz zur Verbunddatei mit entsprechenden Erforderlichkeitsvorbehalten Rechnung zu tragen. Freitextfelder sind zulässig, solange das Gesetz zur
Verbunddatei selbst die Voraussetzungen und den Rahmen, in dem die Verwaltung
ihrem Ermessen nach weitere Daten einspeichern kann, konkret und überprüfbar
festlegt, der Bezug zur Zweckerreichung gewahrt ist und Raum für die Aufnahme
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bloßer Vermutungen der beteiligten Behörden ohne nachprüfbaren Kern nicht besteht. Der Kreis der beteiligten Stellen und der behördenintern zugriffsermächtigten
Personen ist auf das zur Zweckerreichung erforderliche Maß zu beschränken. Prüfund Löschungspflichten sind verfassungsrechtlich geboten, Evaluierungspflichten
wünschenswert.
D. Das Erfordernis organisatorischer und verfahrensrechtlicher Vorkehrungen
Damit die Grundrechte ihre Funktion in der sozialen Wirklichkeit erfüllen können,
bedarf es nach gefestigter Rechtsprechung nicht nur materiellrechtlicher Normierungen, sondern auch einer angemessenen Verfahrensgestaltung, die einen wirksamen
Grundrechtsschutz gewährleistet.463 Grundrechte beeinflussen demnach nicht nur
das gesamte materielle Recht, sondern enthalten auch Garantien für ein die Grundrechte wahrendes Verwaltungsverfahren.464 Sowohl der subjektive als auch der objektive Gehalt der Freiheitsgrundrechte erfordern eine Ausgestaltung des Verfahrens, die es dem Grundrechtsinhaber ermöglicht, sich gegenüber einer drohenden
Grundrechtsverletzung zur Wehr zu setzten.465 Die Grundrechte werden insoweit zu
Leistungsrechten466, die Grundrechtsgewährleistung wird durch entsprechende
Schutzpflichten abgesichert.467
Verfahrensrechtliche Vorkehrungen sind darüber hinaus unter dem Aspekt der
Gewährleistung eines effektiven Rechtsschutzes geboten, da sie, wie etwa Auskunftsrechte oder Benachrichtigungspflichten, wesentliche Voraussetzung dafür
sind, dass der Betroffene sich gegen das staatliche Handeln überhaupt zur Wehr
setzen kann. Die Möglichkeit der Inanspruchnahme gerichtlichen Rechtsschutzes
beeinflusst dagegen wiederum das Maß des prozeduralen Grundrechtsschutzes.468
Das Erfordernis eines Grundrechtsschutzes durch Verfahren und das Gebot der Gewährleistung eines effektiven Rechtsschutzes hängen demnach derart eng zusammen, dass das BVerfG bestimmte Verfahrensrechte des Grundrechtsträgers weitestgehend undifferenziert aus dem betroffenen Grundrecht „in Verbindung mit dem
Erfordernis eines effektiven gerichtlichen Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG)“
ableitet.469
Das Ausmaß verfahrensrechtlicher Garantien richtet sich nach der Art und Intensität des Grundrechtseingriffs, und sind umso höhere Anforderungen an diese zu
stellen, je geringer der nachträgliche Rechtsschutz durch die Gerichte gewährleistet
463 BVerfGE 53, 30 (65); 63, 131 (143); 65, 1 (44); 69, 315 (355); 73, 280 (296); 82, 209 (227);
BVerfG, 2 BvR 1027/02 vom 12.4.2005, Absatz-Nr. 122.
464 BVerfGE 53, 30 (65); 69, 315 (355).
465 Schenke, DVBl. 1996, 1393 (1394); Zöllner, Der Datenschutzbeauftragte, S. 232f. m.w.N.
466 Trute, in: Handbuch Datenschutz, 2.5., Rdnr. 34.
467 Vogelgesang, Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung?, S. 78.
468 BVerfGE 65, 1 (46); BVerfGE 84, 34 (46).
469 Vgl. etwa BVerfG NJW 2004, 999 (1015) zum Anspruch des Betroffenen auf Kenntnis von
den belastenden Maßnahmen.
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References
Zusammenfassung
Gemeinsame Verbunddateien der Sicherheitsbehörden auf dem Prüfstand: Kurz nach Inkrafttreten des in Politik und Rechtswissenschaft stark umstrittenen Antiterrordateigesetzes (ATDG) liefert das Werk eine wissenschaftlich fundierte Stellungnahme zur Verfassungsmäßigkeit der informationellen Zusammenarbeit der Sicherheitsbehörden im Allgemeinen und der Antiterrordatei im Besonderen. Am Beispiel der Antiterrordatei zeigt die Arbeit die verfassungsrechtlichen Grenzen auf, die das Trennungsgebot und das Recht auf informationelle Selbstbestimmung gemeinsamen Verbunddateien von Polizei und Nachrichtendiensten setzen. Eingebettet werden die Erkenntnisse in die verfassungsrechtliche Diskussion um die Grenzen staatlicher Sicherheitsgewährleistung. Mit ihren Ausführungen zum Spannungsverhältnis von Freiheit und Sicherheit bezieht die Arbeit Position zur jüngsten Antiterrorgesetzgebung insgesamt.