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Unter dem Aspekt der Datensparsamkeit ist nicht nur eine Begrenzung der Anzahl der erhobenen Daten, sondern auch eine Beschränkung der Anzahl der mit den
personenbezogenen Daten befassten staatlichen Stellen geboten. Auch für die personenbezogene Informationen verarbeitenden Stellen gilt, dass die Erhebung und Verarbeitung der Daten durch die konkrete Stelle für die Aufgabenwahrnehmung erforderlich sein muss. Dies gilt ferner für die innerhalb einer staatlichen Stelle mit den
Informationen befassten Beschäftigten.462 Die Zahl derer, die Kenntnis von personenbezogenen Daten erlangen, muss sich auf das zur sachgerechten Aufgabenwahrnehmung erforderliche Maß beschränken.
II. Datensparsamkeit im Rahmen von Verbunddateien
Verbunddateien sind ihrem Wesen nach auf die Erfassung möglichst vieler Daten
ausgerichtet. Als übergreifende Datensammlungen führen sie in ihrem Anwendungsbereich die Datenbestände aller an der gemeinsamen Datei beteiligten Stellen
zusammen. Grenze muss aber auch hier gemäß dem Gebot der Datensparsamkeit
stets die Erforderlichkeit der Daten zur spezifischen Zweckerreichung bleiben. Verbunddateien sind daher nur zur Wahrnehmung hinreichend gewichtiger Aufgaben
und Ziele zulässig. Ferner dürfen in Verbunddateien nicht sämtliche bei einer Behörde vorhandenen Informationen, die einen Bezug zum Zweck der gemeinsamen
Datei aufweisen, aufgenommen werden. Vielmehr hat der Gesetzgeber der Verbunddatei selbst die konkreten Datenbestände zu normieren, die er zur Erreichung
des Dateizwecks für erforderlich hält. Da der Beurteilung der Erforderlichkeit stets
eine Prognose zugrunde liegt, ist dem Gesetzgeber dabei grundsätzlich ein gewisser
Beurteilungsspielraum zuzubilligen. Mit dem Grad der Sensibilität der Daten steigen
allerdings auch die Anforderungen an die Erforderlichkeit gerade dieses Datums.
Dem hat das der Verbunddatei zugrunde liegende Gesetz etwa mit der Aufnahme
von Erforderlichkeitsvorbehalten bei bestimmten Daten, insbesondere bei Angaben
aus dem Mentalbereich, Rechnung zu tragen.
Als besonders problematisch erscheint in diesem Zusammenhang die Aufnahme
eines so genannten Freitextfeldes. Ein Freitextfeld ist ein Eingabefeld, über das nicht
näher spezifizierte Informationen, ergänzende Hinweise und Bemerkungen nach
Ermessen der beteiligten Behörden in die Datei aufgenommen werden können. Die
Gefahr eines solchen Feldes liegt in der Ausweitung der vom Gesetzgeber benannten und für die Zweckerreichung für erforderlich erachteten Daten. Letztlich kann
über das Freitextfeld die Exekutive den Erforderlichkeitsbefund des Gesetzgebers
umgehen und Informationen in die gemeinsame Datei einstellen, die den Geboten
der Datensparsamkeit nicht ausreichend Rechnung tragen. Andererseits können
Freitextfelder für eine flexible und sachgerechte Anwendung der Datei durchaus
notwendig sein. So etwa, wenn dem Gesetzgeber angesichts der Komplexität der mit
462 So auch Di Fabio, in: Maunz/Dürig, Komm. z. GG, Art. 2 Abs. 1, Rdnr. 184.
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der gemeinsamen Datei verfolgten Zwecke eine abschließende Prognose und Benennung der erforderlichen Daten zum Zeitpunkt des Inkrafttreten des Gesetzes
nicht möglich ist. Welche Informationen für die sachgerechte Zweckverfolgung
geeignet und notwendig sind, lässt sich oft erst nach Inbetriebnahme der Datei endgültig beurteilen. Ferner lassen sich nicht alle zur Zweckerreichung erforderlichen
Daten standardisiert erfassen. Der Verwaltung zuzumuten, auf nicht standardisierungsfähige Daten generell verzichten zu müssen, trägt wiederum dem Gebot der
effektiven Aufgabenerfüllung nicht hinreichend Rechnung. Gesetzgebung und Verwaltung ist daher grundsätzlich die Möglichkeit einzuräumen, auf bestimmte Sachverhalte flexibel und individuell reagieren zu können. Aus Gründen der Datensparsamkeit und Transparenz der Datenverarbeitungsvorgänge für den Betroffenen sind
Freitextfelder allerdings durch den Gesetzgeber so zu gestalten, dass die Bindung an
die Erforderlichkeit der Daten zur Zweckerreichung nicht umgangen werden kann.
Das Gesetz zur Verbunddatei selbst muss daher die Voraussetzungen und den Rahmen, in dem die Verwaltung ihrem Ermessen nach weitere Daten einspeichern kann,
konkret und überprüfbar festlegen. Raum für die Eingabe von bloßen Vermutungen
und Spekulationen der beteiligten Behörden ohne einen objektiven, nachprüfbaren
Kern darf das Freitextfeld nicht eröffnen. Auch ist dafür Sorge zu tragen, dass nicht
etwa ganze Akteninhalte Aufnahme in die Verbunddatei finden.
Aufgrund der Beschränkung der Anzahl der an der Verbunddatei beteiligten Stellen auf das zur Erreichung des Zwecks erforderliche Maß, sind Verbunddateien, die
einer Vielzahl staatlicher Stellen Zugriff auf die erfassten Daten gewähren, kritisch
zu sehen und unterliegen einem erhöhten Rechtfertigungsbedarf. Die Beteiligung
jeder einzelnen konkreten Behörde muss zur Zweckerreichung notwendig sein. Ferner muss das Gesetz zur Verbunddatei dafür Sorge tragen, dass der Zugriff auf die
Datei auch innerhalb der beteiligten Behörden auf einen eng umgrenzten Personenkreis beschränkt ist.
Schließlich muss der Gesetzgeber Fristen normieren, nach denen die Erforderlichkeit der einzelnen Daten zu überprüfen ist, und entsprechende Löschungsverpflichtungen statuieren. Unter dem Aspekt der Datenvermeidung und Datensparsamkeit kann auch eine gänzliche Überprüfung der Erforderlichkeit der Verbunddatei angebracht erscheinen. Regelungen, nach denen das Gesetz zur Verbunddatei zu
evaluieren ist, sind insofern verfassungsrechtlich wünschenswert.
III. Zusammenfassung und Ergebnis
Mit den Geboten der Datenvermeidung und Datensparsamkeit sind Verbunddateien
nur zur Erfüllung gewichtiger Ziele vereinbar. Dem Grad der Sensibilität der erfassten Daten hat das Gesetz zur Verbunddatei mit entsprechenden Erforderlichkeitsvorbehalten Rechnung zu tragen. Freitextfelder sind zulässig, solange das Gesetz zur
Verbunddatei selbst die Voraussetzungen und den Rahmen, in dem die Verwaltung
ihrem Ermessen nach weitere Daten einspeichern kann, konkret und überprüfbar
festlegt, der Bezug zur Zweckerreichung gewahrt ist und Raum für die Aufnahme
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References
Zusammenfassung
Gemeinsame Verbunddateien der Sicherheitsbehörden auf dem Prüfstand: Kurz nach Inkrafttreten des in Politik und Rechtswissenschaft stark umstrittenen Antiterrordateigesetzes (ATDG) liefert das Werk eine wissenschaftlich fundierte Stellungnahme zur Verfassungsmäßigkeit der informationellen Zusammenarbeit der Sicherheitsbehörden im Allgemeinen und der Antiterrordatei im Besonderen. Am Beispiel der Antiterrordatei zeigt die Arbeit die verfassungsrechtlichen Grenzen auf, die das Trennungsgebot und das Recht auf informationelle Selbstbestimmung gemeinsamen Verbunddateien von Polizei und Nachrichtendiensten setzen. Eingebettet werden die Erkenntnisse in die verfassungsrechtliche Diskussion um die Grenzen staatlicher Sicherheitsgewährleistung. Mit ihren Ausführungen zum Spannungsverhältnis von Freiheit und Sicherheit bezieht die Arbeit Position zur jüngsten Antiterrorgesetzgebung insgesamt.