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selbst bestimmendes Subjekt der Datenverarbeitung bleibe. Diese Betrachtungsweise geht letztlich fehl und wird dem Menschenwürdegehalt des Grundrechts nicht
gerecht. Denn für die Frage, ob die Erstellung eines Teilabbildes den unantastbaren
Kernbereich des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung berührt, kann es nicht
darauf ankommen, ob der Betroffene im Übrigen Herr seiner Daten bleibt. Vielmehr
ist allein maßgeblich, ob er in dem vom Teilabbild berührten Lebensbereich zum
bloßen Datenobjekt herabgewürdigt wird. Dies ist aber aus den gleichen Gründen
denkbar, wie bei der Erstellung eines totalen Persönlichkeitsbildes. Denn die Gründe, aus denen letztlich die vollständige Abbildung der Persönlichkeit zwingend
unterbleiben muss, bestehen für den vom Teilabbild betroffenen Lebensbereich im
gleichen Maße. Nicht allein das Ausmaß, in dem die Persönlichkeit des Einzelnen
abgebildet wird, ist maßgeblich, sondern die Wirkung des Persönlichkeitsprofils für
die Persönlichkeitsentfaltung des Einzelnen. Kann dieser, weil seine Persönlichkeit
ganz oder teilweise verzerrt und unumkehrbar festgeschrieben wird, sich nicht mehr
frei entwickeln, sieht er sich vielmehr als ein der Fremdbestimmung anheim gegebenes Datenobjekt, so verstößt dies gegen die Menschenwürde.
Auch die bloße Teilabbildung der Persönlichkeit ist damit nicht von vornherein
aus dem absoluten Schutzgehalt des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung
auszunehmen. Die Frage, ob eine solche dem unantastbaren Kernbereich zuzuordnen
ist, ist vielmehr ebenfalls je nach Einzelfall aufgrund einer Gesamtschau der oben
herausgearbeiteten Kriterien zu beantworten.
II. Die Ermöglichung von Persönlichkeitsprofilen bei den verschiedenen Varianten
von Verbunddateien
Ob Verbunddateien den absolut geschützten Kernbereich des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung berühren, ist nach obigen Befunden stets aus einer Gesamtschau der Anzahl und Art der Daten, der Art der Datenverarbeitung, der Anzahl und
Art der beteiligten Behörden und des Zwecks der staatlichen Befassung mit der
Persönlichkeit im Einzelfall zu beurteilen. Hinsichtlich der verschiedenen Varianten
von Verbunddateien lassen sich demnach folgende Schlussfolgerungen ziehen.361
1. Die reine Indexdatei
Reine Indexdateien bilden die in die Datei gestellten Informationen nicht in ihrem
vollen Text ab, machen sie also nicht für die beteiligten Behörden ihrem Inhalt nach
sichtbar. Bei einem Zugriff auf die Datei werden der anfragenden Stelle folglich
gerade nicht die gespeicherten Daten selbst angezeigt. Vielmehr kann diese nach
361 S. zur Diskussion um die verschiedenen Varianten bei der Antiterrordatei Plenarprotokoll
15/157, S. 14690ff.
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entsprechender Recherche aus der Datei lediglich ersehen, welche andere staatliche
Stelle weitere Informationen über den Betroffenen hat. Um an diese Daten zu gelangen, muss sich die anfragende Behörde gemäß den sonst üblichen Übermittlungsvorschriften an die andere Stelle wenden und um entsprechende Übermittlung der
Daten ersuchen. Diese kann nach Prüfung ihrer Rechtmäßigkeit durch die übermittelnde Stelle im Einzelfall online durch Freischaltung der gewünschten Datensätze
oder durch konventionelle Übermittlung geschehen. Die Indexdatei liefert jedenfalls
die Daten nicht unmittelbar selbst, sondern gibt lediglich Hinweise, wo weitere
Informationen eingeholt werden können. Als derartige Indices zum Auffinden der
begehrten Daten werden bei einer Recherche der anfragenden Stelle in der Regel die
speichernde Behörde, das Akten- bzw. Geschäftszeichen sowie der Verschlusssachengrad angezeigt.362
Die reine Indexdatei dient damit letztlich dem Auffinden bereits anderweitig erhobener Daten, erweitert selbst aber noch nicht den Kreis der staatlichen Stellen, die
Kenntnis von diesen Informationen haben. Sie selbst erhöht damit auch nicht die
Anzahl oder die Vielfalt der den einzelnen Behörden zur Verfügung stehenden Daten. Durch die reine Indexdatei findet unmittelbar kein Datenaustausch statt, dieser
richtet sich allein nach den herkömmlichen Übermittlungsvorschriften der allgemeinen oder speziellen Datenschutzgesetze. Obwohl es sich also um automatische Datenverarbeitung handelt, führt die Indexdatei selbst nicht zu einer Informationsverdichtung, begründet dementsprechend auch nicht die Gefahr der Erstellung vollständiger oder teilweiser Persönlichkeitsabbilder des Betroffenen. Etwas anderes ist
auch nicht im Hinblick auf die bei einer Recherche in der Datei angezeigten Hinweise und deren Aussagegehalt zu befürchten. Da die der anfragenden Stelle angezeigten Indices (z.B. speichernde Stelle, Aktenzeichen, Verschlusssachegrad) in der
Regel lediglich Auskunft über die Stelle geben, die über die begehrten Informationen verfügt, diesen selbst aber gerade keine, bzw. allenfalls eine ganz geringe Aussagekraft über den Inhalt der gesuchten Daten zukommt, findet eine Informationsverdichtung, die die Erstellung eines die Menschenwürde tangierenden Persönlichkeitsprofils befürchten ließe und insofern im Hinblick auf den unantastbaren
Kernbereich des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung bedenklich erschiene,
allein aufgrund der Anzeige der Indices nicht statt. Die Indexdatei ist umgekehrt
vielmehr Mittel zur Vermeidung weiterer Datenerhebungseingriffe, indem sie
gleichsam die Datenerhebung unmittelbar beim Betroffenen ersetzt. Indem sie nämlich anzeigt, welche staatliche Stelle die benötigten Informationen bereits durch
entsprechende Eingriffe beim Betroffenen erhoben hat, und wo diese eingeholt werden können, wird verhindert, dass eine andere staatliche Stelle zur Gewinnung derselben Daten erneut in die Grundrechte des Betroffenen eingreift. Die Indexdatei ist
362 So etwa im Fall der Antiterrordatei, s. hierzu amtliche Begründung zum GDG, BT-Dr.
16/2950, S. 22.
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demnach ein Mittel zur Vermeidung additiver Datenerhebungseingriffe und trägt
insofern zum Grundrechtsschutz bei.363
Reine Indexdateien berühren unmittelbar daher nicht den unantastbaren Kernbereich des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung. Ob die anschließende Übermittlung der aufgrund der Indexdatei aufgefundenen Daten gegebenenfalls zu
einer im Hinblick auf den Menschenwürdegehalt bedenklich erscheinenden Informationsverdichtung bei der ersuchenden Stelle führen kann, obliegt dagegen der Beurteilung im Einzelfall anhand der oben herausgebildeten Kriterien. Je nach gefundenem Ergebnis müsste gegebenenfalls von einer solchen Übermittlung abgesehen
werden.364
2. Die Volltextdatei
Als Gegenbegriff zur reinen Indexdatei stellt sich die Volltextdatei dar. Sie zeigt die
in der Verbunddatei gespeicherten Daten jeder an der Datensammlung beteiligten
Behörde im Volltext, das heißt ihren ganzem Inhalt nach unmittelbar an. Sie ersetzt
somit herkömmliche Vorschriften, die die Übermittlung von Informationen im Einzelfall regeln, durch ein direktes Abrufrecht der an der Verbunddatei beteiligten
staatlichen Stellen. Die Volltextdatei gewährt diesen Stellen ohne weitere Prüfung
der Rechtmäßigkeit der Datenweitergabe durch die übermittelnde Stelle einen Direktzugriff auf alle in der Datei gespeicherten Daten im automatischen Verfahren
(online).
Damit erhöht sie unmittelbar Anzahl und Vielfalt der den staatlichen Stellen zur
Verfügung stehenden Daten und erweitert den Kreis der Stellen, die Kenntnis von
personenbezogenen Informationen des Bürgers haben. Die Volltextdatei führt in
ihrem Anwendungsbereich zu einer gravierenden Informationsverdichtung, indem
sie die bei den beteiligten Behörden vorhandenen Daten automatisch zusammenführt, in einen neuen Kontext stellt und durch die Verknüpfung der Informationen
neue Erkenntnisse gewinnt.365 In ihrem Anwendungsbereich kann sie daher je nach
Umfang der gesammelten Daten und Vielfalt der beteiligten Behörden die Herstellung von Persönlichkeitsprofilen des Einzelnen ermöglichen. Ein Volltextverbund
von Sicherheitsbehörden, Finanz-, Sozial-, Gesundheits-, und/oder Kultusverwaltung kann den Bürger letztlich „gläsern“ machen und zum bloßen Datenobjekt degradieren.366 Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung setzt daher je nach
Einzelfall Volltextdateien eine absolute Grenze.
363 Zum Gebot der Vermeidung additiver Grundrechtseingriffe durch entsprechende Informationsvernetzung der staatlichen Stellen s. BVerfG NJW 2005, 1338 (1341).
364 So auch Ernst, Verarbeitung und Zweckbindung, S. 151f.
365 So auch Geiger, Stellungnahme zum ATDG-Entwurf, S. 16; ders., Innenausschuss-Protokoll
Nr. 16/24, S. 62, Hilbrans, Innenausschuss-Protokoll Nr. 16/24, 66.
366 So auch Simon/Taeger, JZ 1982, 140 (143).
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3. Die zweistufige Datei
Die zweistufige Verbunddatei ist eine Mischform aus Index- und Volltextdatei. Sie
ist auf der ersten Stufe eine Volltextdatei, indem sie den beteiligten staatlichen Stellen hinsichtlich eines Teils der gespeicherten Daten - dies werden in der Regel Angaben zur Identifizierung des Betroffenen sein - ein direktes Abrufrecht einräumt
und ihnen diese Daten ihren ganzem Inhalt nach offen anzeigt. Hinsichtlich der
übrigen, weitaus sensibleren Daten ist sie auf der zweiten Stufe als Indexdatei ausgestaltet und zeigt der anfragenden Behörde wiederum lediglich an, bei welcher
Stelle sie die weiteren Daten auf herkömmlichem Übermittlungsweg einholen kann.
Gemäß den Ausführungen zur reinen Index- und Volltextdatei besteht die Gefahr
einer die Menschenwürde tangierenden Profilerstellung bei der zweistufigen Datei
von vornherein nur hinsichtlich der ersten Stufe. Allerdings ist hier zu beachten,
dass die Daten, die dem Direktzugriff aller beteiligten staatlichen Stellen unterliegen, von begrenzter Anzahl sind und ihrer Art nach in der Regel nur einfache Identitätsmerkmale von geringer Sensibilität darstellen. Aus ihnen allein kann ein Persönlichkeitsabbild regelmäßig nicht erstellt werden, weil sie noch keine wesentlichen
Rückschlüsse auf die personale oder soziale Identität des Betroffenen zulassen. Die
Daten der zweiten Stufe, die einen solchen Rückschluss eventuell ermöglichen würden, stehen den staatlichen Stellen dagegen gerade nicht direkt zur Verfügung, für
sie gelten daher die Ausführungen zur reinen Indexdatei.
Der zweistufigen Verbunddatei ist demnach durch das Recht auf informationelle
Selbstbestimmung regelmäßig keine absolute Grenze gesetzt, ihre verfassungsrechtliche Würdigung vollzieht sich außerhalb des unantastbaren Kernbereichs unter
Beachtung des Verhältnismäßigkeitsprinzips.
C. Zusammenfassung und Ergebnis
Im Rahmen des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung ist unter Rekurs auf
den gemäß Art. 1 Abs. 1 i.V.m. Art. 79 Abs. 3 GG verbürgten Menschenwürdegehalt des Grundrechts ein absolut geschützter Kernbereich anzuerkennen, der dem
staatlichen Informationsverhalten zwei absolute Grenzen setzt. Zum einen verbietet
er die Erhebung zur Intimsphäre gehörender Daten unter Zugriff auf den höchstpersönlichen Charakter der Grundrechtsausübung, zum anderen untersagt er die Erhebung und Verarbeitung personenbezogener Daten zu einem die Subjektsqualität des
Betroffenen in Frage stellenden Persönlichkeitsabbild. Ob es sich um die Ermöglichung eines totalen oder nur partiellen Persönlichkeitsprofils handelt, ist dabei nicht
entscheidend.
Ob Verbunddateien aufgrund der von ihnen ausgehenden Gefahr einer die Menschenwürde tangierenden Profilerstellung den absolut geschützten Kernbereich des
Rechts auf informationelle Selbstbestimmung berühren, ist aus einer Gesamtschau
der Anzahl und Art der Daten, der Art der Datenverarbeitung, der Anzahl und Art
der beteiligten Behörden und des Zwecks der staatlichen Befassung mit der Persön-
Chapter Preview
References
Zusammenfassung
Gemeinsame Verbunddateien der Sicherheitsbehörden auf dem Prüfstand: Kurz nach Inkrafttreten des in Politik und Rechtswissenschaft stark umstrittenen Antiterrordateigesetzes (ATDG) liefert das Werk eine wissenschaftlich fundierte Stellungnahme zur Verfassungsmäßigkeit der informationellen Zusammenarbeit der Sicherheitsbehörden im Allgemeinen und der Antiterrordatei im Besonderen. Am Beispiel der Antiterrordatei zeigt die Arbeit die verfassungsrechtlichen Grenzen auf, die das Trennungsgebot und das Recht auf informationelle Selbstbestimmung gemeinsamen Verbunddateien von Polizei und Nachrichtendiensten setzen. Eingebettet werden die Erkenntnisse in die verfassungsrechtliche Diskussion um die Grenzen staatlicher Sicherheitsgewährleistung. Mit ihren Ausführungen zum Spannungsverhältnis von Freiheit und Sicherheit bezieht die Arbeit Position zur jüngsten Antiterrorgesetzgebung insgesamt.