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mationsverhalten, das sich eingehend mit der Persönlichkeit des Menschen befasst,
verstößt gegen die Menschenwürde, auch nicht wenn die dabei gewonnenen Daten
gespeichert und zu weitgehend vollständigen Persönlichkeitsprofilen zusammengefügt werden können.345 Die Menschenwürde ist nämlich erst tangiert, wenn der Betroffene zum bloßen Informationsobjekt denaturiert wird, seine Subjektqualität
grundsätzlich in Frage gestellt wird.346 In den Fällen, in denen die Bildung von Persönlichkeitsprofilen gerade dazu dient, den Einzelnen in seiner Eigenartigkeit als
Subjekt zu würdigen und zu behandeln, wie etwa im Bereich der Leistungsverwaltung oder im Rahmen der Würdigung der Persönlichkeit des Angeklagten im Strafprozess, liegt keine Degradierung zum Datenobjekt vor.347 Der unantastbare Kernbereich des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung ist auf der Ebene der Datenverarbeitung demnach erst dann berührt, wenn kumulativ aus Informationen über
den einzelnen Bürger ein vollständiges oder nahezu vollständiges Persönlichkeitsprofil rekonstruiert werden kann348 und er dadurch zum bloßen Informationsobjekt
herabgewürdigt zu werden droht.
Der Menschenwürdegehalt des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung
zieht staatlichem Informationsverhalten demnach zwei absolute Grenzen. Zum einen
verbietet er die Erhebung zur Intimsphäre gehörender Daten unter Zugriff auf den
höchstpersönlichen Charakter der Grundrechtsausübung, zum anderen untersagt er
die Erhebung und Verarbeitung personenbezogener Daten zu einem die Subjektsqualität des Betroffenen in Frage stellenden Persönlichkeitsabbild.349
B. Berührung des unantastbaren Kernbereichs durch Verbunddateien
Sofern Verbunddateien bereits erhobene Daten zusammenführen und verarbeiten,
betreffen sie nicht die Ebene der Datenerhebung, sondern maßgeblich die der Datenverarbeitung. Für die Frage, ob diese in den unantastbaren Kernbereich des
Rechts auf informationelle Selbstbestimmung eingreifen, ist daher nach den obigen
Ausführungen entscheidend, ob durch die Verbunddatei die Subjektsqualität des
Betroffenen in Frage stellende Persönlichkeitsprofile hergestellt oder ermöglicht
werden.
345 So auch Schmitt Glaeser, in: HdbStR VI, § 129, Rdnr. 101.
346 BVerfG NJW 2004, 999 (1001f.).
347 Schmitt Glaeser, in: HdbStR VI, § 129, Rdnr. 101; Ernst, Verarbeitung und Zweckbindung,
S. 112.
348 Kunig, Jura 1993, 595 (603); kritisch Vogelgesang, Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung?, S. 165ff.; Trute, in: Roßnagel (Hrsg.), Handbuch Datenschutzrecht, 2.5., Rdnr.
26.
349 So auch Starck, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG I, Art. 1 Abs. 1, Rdnr. 87.
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I. Die Menschenwürde tangierendes Persönlichkeitsprofil
In diesem Zusammenhang ist zunächst zu klären, wann ein solches die Menschenwürde tangierendes Persönlichkeitsprofil überhaupt vorliegt. Dazu ist vorab der
Begriff des Persönlichkeitsprofils zu klären. Sodann ist zu untersuchen, welche
Kriterien erfüllt sein müssen, damit man von einer den Menschen herabsetzenden
Profilerstellung ausgehen kann. Insofern ist relevant, ob schon die Teilabbildung der
Persönlichkeit die Menschenwürde verletzt oder erst die Erstellung eines vollständigen Persönlichkeitsbildes.
1. Begriff und Kriterien des die Menschenwürde tangierenden Persönlichkeitsprofils
Eine Definition des Persönlichkeitsprofils ist bislang nur vereinzelt versucht worden.350 Sachgerecht muss sie beim Kern des Persönlichkeitsrechts und der ihm drohenden Gefahren ansetzen. Als Kern der Persönlichkeit sind vor allem die personale
und soziale Identität des Einzelnen, das „Person-Sein“ als solches, das jedem Menschen zukommt, verbürgt.351 Ein Persönlichkeitsprofil ist danach die vollständige
oder teilweise Abbildung der Persönlichkeit eines Menschen durch die Zusammenstellung von Daten aus einzelnen oder verschiedenen Lebensbereichen, die den
Schluss auf die personale oder soziale Identität des Betroffenen als prägende Elemente seiner Persönlichkeit zulassen. Für die Frage, ob im Einzelfall die Erstellung
eines Persönlichkeitsprofils zu befürchten ist und ob dieses den Betroffenen in seiner Menschenwürde tangiert, sind damit mehrere Aspekte maßgeblich.
Zunächst kommt der Anzahl der erhobenen Daten eine gewisse, wenn auch nicht
allein ausschlaggebende Bedeutung zu.352 Denn die Erhebung nur einzelner weniger
Daten vermag noch keine Rückschlüsse auf die Persönlichkeit des Betroffenen im
Ganzen zulassen. In diesem Zusammenhang ist auch die Art der Daten maßgeblich.
Je sensibler sie sind, desto mehr sagen sie in der Regel über den inneren Gefühlszustand, die Lebenssituation und das Verhalten des Einzelnen aus. So werden die einfachen Identitätsmerkmale wie Name, Geburtsdatum und Anschrift noch keine maßgeblichen Rückschlüsse auf die Persönlichkeit des Betroffenen erlauben, dagegen
kommen den qualifizierenden Identitätsmerkmalen, wie den Daten über gesundheitliche und wirtschaftliche Lebensverhältnisse, oder Angaben aus dem Mentalbereich
besonderes Gewicht bei der Erfassung der Persönlichkeit zu. Die Anzahl und die Art
der Daten stehen für die Frage nach der Profilerstellung dabei in einem untrennbaren
Zusammenhang. So werden auch noch so sensible Daten, wie etwa die Religionszugehörigkeit, allein die Persönlichkeit des Betroffenen aufgrund seiner Komplexität
nicht fassen können. Dagegen können eher unbedeutende Daten wie etwa Reiseziele
und Aufenthaltsorte, wenn sie in einer Vielzahl erfasst werden, die Erstellung von
350 S. z.B. die Definition bei AK-GG-Podlech, Art. 2 Abs. 1, Rdnr. 79.
351 Jarass, NJW 1989, 857 (859).
352 So auch BVerfG NJW 2006, 1939 (1943).
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Bewegungsmuster ermöglichen und damit Lebensgewohnheiten des Betroffenen
offenbaren. Die Anzahl der Daten und der Grad ihrer Sensibilität sind daher stets
kumulativ zu betrachten.
Ferner spielt auch die Art der Datenverarbeitung (manuell oder automatisiert) eine wesentliche Rolle. Denn im Bereich der automatischen Datenverarbeitung ist die
Gefahr, dass der Einzelne zu einem bloßen Datenobjekt wird, besonders groß. Zum
einen wird die Erstellung von Persönlichkeitsprofilen durch die jederzeitige Möglichkeit der Zusammenführung verschiedener Datenbestände und dem damit einhergehenden Zugang zu einer Vielzahl, aus verschiedenen Lebensbereichen des Betroffenen herrührenden Daten gravierend erleichtert. Zum anderen besteht bei automatisch erstellten Persönlichkeitsbildern die Gefahr einer Verkürzung und Verzerrung
der Persönlichkeit des Betroffenen im besonderen Maße.353
Des Weiteren sind Anzahl und Art der an einem Datenverbund beteiligten Behörden zu berücksichtigen. Denn mit der Anzahl der an einer zentralen Datei angeschlossenen Behörden steigt in der Regel auch die Anzahl der zur Verfügung stehenden Daten. Die Vielfalt der beteiligten Behörden, die Zugriff auf die Datensammlung haben, beeinflusst wiederum die Art und Vielfalt der personenbezogenen
Informationen. So sind Datenverbunde, in die Behörden aus verschiedenen Bereichen der Eingriffs- und Leistungsverwaltung die ihnen jeweils bekannten Daten
einspeisen, in weit höherem Maße geeignet, ein lückenloses Persönlichkeitsabbild
des Einzelnen zu zeichnen, ihn gleichsam zum „gläsernen“ Menschen zu machen,
als Datenverbünde, die nur einen bestimmten Lebensbereich des Betroffenen berühren, wie etwa ein zentrales Gesundheitsregister.
Schließlich kann auch der Zweck, für den sich der Staat mit der Persönlichkeit des
Einzelnen befasst, bei der Frage, wann ein die Menschenwürde tangierendes Persönlichkeitsbild vorliegt, nicht ausgespart bleiben. Denn, wie zuvor ausgeführt, ist der
unantastbare Kernbereich des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung aufgrund seiner Herleitung aus dem Menschenwürdegehalt des Grundrechts eng zu
fassen, und kann daher nicht jegliche Befassung des Staates mit der Persönlichkeit
des Betroffenen die Menschenwürde verletzen und absolut ausgeschlossen sein.
Maßgeblich ist stets, dass der Bürger durch die aufgrund der insbesondere automatischen Datenverarbeitung drohende Fremdbestimmung aus der Rolle des mitwirkenden Staatsbürgers verdrängt und zum bloßen Datenobjekt gemacht wird.354 Dient die
Erstellung des Persönlichkeitsprofils Zwecken, die gerade die Subjektstellung des
Betroffenen betonen und ihr Rechnung tragen sollen, wie etwa die im Rahmen der
Strafzumessung erfolgende Erstellung von Persönlichkeitsprofilen des Angeklagten
im Strafprozess, kann darin keine Verachtung des Werts des Menschen, der ihm
kraft seines Personenseins zukommt, gesehen werden.355
353 Denninger, KJ 18 (1985), 215 (236); Bäumler, in: HdbPolR, 3. Aufl., J, Rdnr. 44.
354 Simon/Taeger, JZ 1982, 140 (143); Heußner, BB 1990, 1281 (1285).
355 So auch Schmitt Glaeser, in: HdbStR VI, § 129, 101; Ernst, Verarbeitung und Zweckbindung,
S. 112.
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Ob Verbunddateien den absolut geschützten Kernbereich des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung berühren, ist demnach aus einer Gesamtschau der Anzahl
und Art der Daten, der Art der Datenverarbeitung, der Anzahl und Art der beteiligten Behörden und des Zwecks der staatlichen Befassung mit der Persönlichkeit im
Einzelfall zu beurteilen.
2. Totales und partielles Persönlichkeitsprofil
Eine Totalerfassung des Einzelnen ist aufgrund der verschiedenen, organisatorisch
getrennten Verwaltungsbereiche, die in erster Linie lediglich die zur Wahrnehmung
ihrer Aufgaben erforderlichen Daten erheben, bislang noch äußerst selten zu befürchten. Sie droht erst bei einer nahezu vollständigen Vernetzung der Verwaltung.
Die Gefahr partieller Persönlichkeitsbilder besteht aber bereits im Rahmen der einzelnen Verwaltungsbereiche. Daher ist zu klären, ob allein die Erstellung eines totalen Persönlichkeitsprofils die Menschenwürde tangiert, oder schon partielle Persönlichkeitsabbilder den unantastbaren Kernbereich des Rechts auf informationelle
Selbstbestimmung berühren können.
Ein vollständiges Abbild liegt vor, wenn möglichst zahlreiche Daten des Bürgers
aus seinen verschiedenen Lebensbereichen zu einem Profil zusammengefasst werden; dagegen erfasst ein partielles Persönlichkeitsbild lediglich einen zeitlich, räumlich und/oder sachlich abgegrenzten Lebensausschnitt.356 Die Erstellung eines totalen Persönlichkeitsbildes verstößt grundsätzlich gegen das aus der Menschenwürde
folgende Verbot der Katalogisierung und Schematisierung des Menschen und reduziert den Bürger auf ein bloßes Datenobjekt. Da die erhobenen Einzeldaten verobjektiviert, isoliert ausgewählt, mit anderen Daten zusammengeführt und in einen
beliebigen Kontext gestellt werden können, der nicht unbedingt dem ursprünglichen
Sinn wiedergibt, verzerrt ein totales Persönlichkeitsbild notwendig den wahren Kern
der Persönlichkeit des Betroffenen.357 Zudem schreibt es die im Zeitpunkt der Profilerstellung vermeintliche Persönlichkeit auf unbestimmte Dauer fest und gewährt
dem Betroffenen damit keine Chance zur Selbstkorrektur.358 Es nimmt damit letztlich dem Einzelnen jegliche Möglichkeit der Selbstbestimmung.
Ob auch bloße Teilabbilder der Persönlichkeit dem unantastbaren Kernbereich
zuzuordnen sind, ist dagegen fraglich.359 Das BVerfG verschließt sich dieser Möglichkeit grundsätzlich nicht, wenn es ausführt, dass die gänzliche oder teilweise
Registrierung und Katalogisierung der Persönlichkeit als mit der Menschenwürde
unvereinbar sei.360 Dieser Ansicht kann auch nicht entgegengehalten werden, dass
der Betroffene jedenfalls im nicht von dem Teilabbild berührten Lebensbereich
356 Definitionen nach Denninger, KJ 18 (1985), 215 (235).
357 Gusy, CR 1989, 628 (632).
358 Denninger, KJ 18 (1985), 215 (236).
359 Eher ablehnend wohl Denninger, KJ 18 (1985), 215 (227).
360 BVerfGE 65, 1 (52); BVerfG NJW 2006, 1939 (1943).
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selbst bestimmendes Subjekt der Datenverarbeitung bleibe. Diese Betrachtungsweise geht letztlich fehl und wird dem Menschenwürdegehalt des Grundrechts nicht
gerecht. Denn für die Frage, ob die Erstellung eines Teilabbildes den unantastbaren
Kernbereich des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung berührt, kann es nicht
darauf ankommen, ob der Betroffene im Übrigen Herr seiner Daten bleibt. Vielmehr
ist allein maßgeblich, ob er in dem vom Teilabbild berührten Lebensbereich zum
bloßen Datenobjekt herabgewürdigt wird. Dies ist aber aus den gleichen Gründen
denkbar, wie bei der Erstellung eines totalen Persönlichkeitsbildes. Denn die Gründe, aus denen letztlich die vollständige Abbildung der Persönlichkeit zwingend
unterbleiben muss, bestehen für den vom Teilabbild betroffenen Lebensbereich im
gleichen Maße. Nicht allein das Ausmaß, in dem die Persönlichkeit des Einzelnen
abgebildet wird, ist maßgeblich, sondern die Wirkung des Persönlichkeitsprofils für
die Persönlichkeitsentfaltung des Einzelnen. Kann dieser, weil seine Persönlichkeit
ganz oder teilweise verzerrt und unumkehrbar festgeschrieben wird, sich nicht mehr
frei entwickeln, sieht er sich vielmehr als ein der Fremdbestimmung anheim gegebenes Datenobjekt, so verstößt dies gegen die Menschenwürde.
Auch die bloße Teilabbildung der Persönlichkeit ist damit nicht von vornherein
aus dem absoluten Schutzgehalt des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung
auszunehmen. Die Frage, ob eine solche dem unantastbaren Kernbereich zuzuordnen
ist, ist vielmehr ebenfalls je nach Einzelfall aufgrund einer Gesamtschau der oben
herausgearbeiteten Kriterien zu beantworten.
II. Die Ermöglichung von Persönlichkeitsprofilen bei den verschiedenen Varianten
von Verbunddateien
Ob Verbunddateien den absolut geschützten Kernbereich des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung berühren, ist nach obigen Befunden stets aus einer Gesamtschau der Anzahl und Art der Daten, der Art der Datenverarbeitung, der Anzahl und
Art der beteiligten Behörden und des Zwecks der staatlichen Befassung mit der
Persönlichkeit im Einzelfall zu beurteilen. Hinsichtlich der verschiedenen Varianten
von Verbunddateien lassen sich demnach folgende Schlussfolgerungen ziehen.361
1. Die reine Indexdatei
Reine Indexdateien bilden die in die Datei gestellten Informationen nicht in ihrem
vollen Text ab, machen sie also nicht für die beteiligten Behörden ihrem Inhalt nach
sichtbar. Bei einem Zugriff auf die Datei werden der anfragenden Stelle folglich
gerade nicht die gespeicherten Daten selbst angezeigt. Vielmehr kann diese nach
361 S. zur Diskussion um die verschiedenen Varianten bei der Antiterrordatei Plenarprotokoll
15/157, S. 14690ff.
Chapter Preview
References
Zusammenfassung
Gemeinsame Verbunddateien der Sicherheitsbehörden auf dem Prüfstand: Kurz nach Inkrafttreten des in Politik und Rechtswissenschaft stark umstrittenen Antiterrordateigesetzes (ATDG) liefert das Werk eine wissenschaftlich fundierte Stellungnahme zur Verfassungsmäßigkeit der informationellen Zusammenarbeit der Sicherheitsbehörden im Allgemeinen und der Antiterrordatei im Besonderen. Am Beispiel der Antiterrordatei zeigt die Arbeit die verfassungsrechtlichen Grenzen auf, die das Trennungsgebot und das Recht auf informationelle Selbstbestimmung gemeinsamen Verbunddateien von Polizei und Nachrichtendiensten setzen. Eingebettet werden die Erkenntnisse in die verfassungsrechtliche Diskussion um die Grenzen staatlicher Sicherheitsgewährleistung. Mit ihren Ausführungen zum Spannungsverhältnis von Freiheit und Sicherheit bezieht die Arbeit Position zur jüngsten Antiterrorgesetzgebung insgesamt.