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III. Einschränkbarkeit des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung und
Schranken-Schranken
Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung ist nicht schrankenlos gewährleistet. Da es dogmatisch als eine Ausprägung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts
konzipiert ist, gilt auch für das Recht auf informationelle Selbstbestimmung grundsätzlich die Schrankentrias des Art. 2 Abs. 1 GG.230 Besondere Bedeutung erlangt in
erster Linie die Schranke der verfassungsmäßigen Ordnung als die Gesamtheit der
Normen, die formell und materiell mit der Verfassung in Einklang stehen.231 Das
Recht auf informationelle Selbstbestimmung unterliegt insofern einem einfachen
Gesetzesvorbehalt. Dem Einzelnen steht die Herrschaft über seine Daten demnach in
der Regel nicht absolut und uneinschränkbar zu, er ist vielmehr eine sich innerhalb
der sozialen Gemeinschaft entfaltende, auf Kommunikation angewiesene Persönlichkeit.232 Aufgrund dieser Gemeinschaftsbezogenheit muss er Einschränkungen
seines Grundrechts im überwiegenden Allgemeininteresse hinnehmen.233 Daneben
ist allerdings bei besonders schwerwiegenden Eingriffen in das Grundrecht auch der
dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung nach Art. 1 Abs. 1 GG zuzuschreibende Menschenwürdegehalt zu beachten, der staatlichem Handeln im Einzelfall eine absolute Grenze setzen kann.
Ferner hat das BVerfG klare Anforderungen für die Beschränkung des Rechts auf
informationelle Selbstbestimmung entwickelt, an denen jeder Eingriff zu messen ist.
So bedarf jede Einschränkung einer verfassungsgemäßen bereichsspezifischen gesetzlichen Grundlage, die dem Gebot der Normenklarheit und dem Prinzip der Verhältnismäßigkeit entsprechen muss.234 Ein Zwang zur Preisgabe personenbezogener
Daten setzt insofern voraus, dass der Gesetzgeber den Verwendungszweck bereichsspezifisch und präzise bestimmt hat und ein amtshilfefester Schutz gegen Zweckentfremdung durch Weitergabe- und Verwertungsverbote besteht.235 Des Weiteren
muss die Datenverarbeitung zur Erreichung dieses Zwecks geeignet und erforderlich
sein. Eingriffe in Rechte Unverdächtiger sind in besonderer Weise rechtfertigungsbedürftig.236 Der Aspekt der Normenklarheit verlangt eine Regelung, die den gesamten Prozess der Datenerhebung und -verarbeitung für den Betroffenen transparent
macht.237 Der Gefahr einer Verletzung des Persönlichkeitsrechts ist des Weiteren
durch organisatorische und verfahrensrechtliche Vorkehrungen entgegenzuwirken.
Als solche kommen insbesondere Aufklärungs-, Auskunfts- und Löschungspflichten
sowie die Beteiligung unabhängiger Datenschutzbeauftragter in Betracht.238
230 Zöller, Informationssysteme, S. 40.
231 BVerfGE 6, 32 (38ff.).
232 Heußner, BB 1990, 1281 (1282).
233 BVerfGE 65, 1 (44).
234 BVerfGE 65, 1 (44ff.).
235 BVerfGE 65, 1 (46).
236 BVerfG, 2 BvR 1027/02 vom 12.4.2005, Absatz-Nr. 112.
237 BVerfGE 65, 1 (44); König, Trennung und Zusammenarbeit, S. 204.
238 BVerfGE 65, 1 (46, 49).
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IV. Neue Konzeptionen des verfassungsrechtlichen Datenschutzes
Unter Betonung des kommunikationsrechtlichen Charakters des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung wird im jüngeren Schrifttum vermehrt eine inhaltliche
Neukonzeption des verfassungsrechtlichen Datenschutzes erörtert. Informationelle
Selbstbestimmung erfordere in einer funktionierenden Kommunikationsgesellschaft
nicht nur Schutz vor der Kommunikation, sondern vor allem Schutz in der Kommunikation. Die technischen Errungenschaften von Internet und Multimedia würden die
personale Integrität des Grundrechtsträgers nicht mehr nur bedrohen, sondern stellten zugleich eine Chance zur Teilhabe und Mitgestaltung durch Informationsnutzung dar. Insofern müsse das Recht auf informationelle Selbstbestimmung über
seinen ursprünglich abwehrenden Gehalt hinaus, die rechtlichen Rahmenbedingungen kommunikativer Entfaltung der Menschen gewährleisten.239 Dieser Ansatz soll
hier nicht Gegenstand näherer Untersuchung sein. Denn der Aspekt der Informationsfreiheit setzt die Freiheit der Information denknotwendig voraus, kommt letztlich
also nur dort zu tragen, wo die Grundrechtsträger ihre persönlichen Daten freiwillig
preisgeben.240 Bei Informationseingriffen durch den Staat infolge zwangsweiser
Datenerhebung und -verarbeitung muss es dagegen bei den herkömmlichen Verbürgungen des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung in seinem typisch abwehrenden Gehalt bleiben. Für die nachfolgende Untersuchung der verfassungsrechtlichen Zulässigkeit von staatlichen Verbunddateien darf die jüngere Diskussion um
den Gehalt des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung daher ausgespart bleiben.
Nichts desto trotz stellen die technischen Möglichkeiten und der qualitative Wandel der Daten241 den verfassungsrechtlichen Datenschutz vor neue Herausforderungen.242 In der jüngsten Gesetzgebungsgeschichte finden sich zahlreiche Gesetzesvorhaben, die insbesondere für Zwecke der Gewährleistung der inneren Sicherheit
zum Teil tiefgehende Eingriffe in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung
vorsehen.243 Während daher zum Teil von einem Tiefpunkt des Schutzes persönlicher Daten im öffentlichen Bereich gesprochen wird, sehen andere dagegen im verfassungsrechtlichen Datenschutz und seinen einfachgesetzlichen Ausprägungen ein
Mittel zum Täterschutz, das zum Zwecke der Sicherheitsgewährleistung großzügig
eingeschränkt werden sollte.244 Bevor den aufkommenden Forderungen nach einer
Neugestaltung des verfassungsrechtlichen Datenschutzes in die eine oder andere
Richtung nachgekommen wird, genügt für den bei Verbunddateien tangierten Bereich der öffentlichen Eingriffsverwaltung zu Sicherheitszwecken dagegen oftmals
239 Gallwas, NJW 1992, 2785; Hoffmann-Riem, AöR 123 (1998), 513.
240 Gusy, KritV 83 (2000), 52 (57ff.); Zöller, Informationssystem, S. 52.
241 Vgl. nur die neue Qualität bei der Speicherung von genetischen Daten.
242 Dazu Simitis, NJW 1998, 2473 (2477ff.).
243 S. dazu die Übersicht bei Gola, NJW 2005, 2434 (2434f.) und Hofmann, in: Schmidt-
Bleibtreu/Klein, GG, Art. 2, Rdnr. 29.
244 Zum Streitstand siehe Simitis, NJW 1997, 1902; Bull, ZRP 1998, 310.
Chapter Preview
References
Zusammenfassung
Gemeinsame Verbunddateien der Sicherheitsbehörden auf dem Prüfstand: Kurz nach Inkrafttreten des in Politik und Rechtswissenschaft stark umstrittenen Antiterrordateigesetzes (ATDG) liefert das Werk eine wissenschaftlich fundierte Stellungnahme zur Verfassungsmäßigkeit der informationellen Zusammenarbeit der Sicherheitsbehörden im Allgemeinen und der Antiterrordatei im Besonderen. Am Beispiel der Antiterrordatei zeigt die Arbeit die verfassungsrechtlichen Grenzen auf, die das Trennungsgebot und das Recht auf informationelle Selbstbestimmung gemeinsamen Verbunddateien von Polizei und Nachrichtendiensten setzen. Eingebettet werden die Erkenntnisse in die verfassungsrechtliche Diskussion um die Grenzen staatlicher Sicherheitsgewährleistung. Mit ihren Ausführungen zum Spannungsverhältnis von Freiheit und Sicherheit bezieht die Arbeit Position zur jüngsten Antiterrorgesetzgebung insgesamt.