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Zuständigkeit der Polizei dort nicht eröffnen können, wo die Aufgaben der Nachrichtendienste berührt sind.133 Eine gefahren- und verdachtsunabhängige Tätigkeit
der Polizei, die gänzlich Unverdächtige polizeilichen Informationsmaßnahmen unterwirft, ist demnach auf den Gebieten des Staats- und Verfassungsschutzes, einschließlich des internationalen Terrorismus, aber auch der organisierten Kriminalität
nicht nur im Hinblick auf die grundrechtlichen Beschränkungen, sondern auch im
Lichte des Trennungsgebotes grundsätzlich verfassungsrechtlich verboten. Der Frage, ob eine Durchbrechung des Trennungsgebots zum Schutz hochrangiger Rechtsgüter in Betracht kommt, soll hier nicht näher nachgegangen werden. Überraschend
ist allerdings, dass das Trennungsgebot soweit ersichtlich bislang im Rahmen der
verfassungsgerichtlichen Überprüfung dieser Vorfeldmaßnahmen nicht problematisiert wurde.
II. Die Beschränkung hinsichtlich der Befugnisse
Aus dem Trennungsgebot folgen des Weiteren Konsequenzen für die den Sicherheitsbehörden zustehenden Befugnisse. Denn in der Wahrung der rechtlichen Grenzen von Aufgaben und Kompetenzen der Behörden liegt gerade der rechtsstaatliche
Sinn des Trennungsgebotes.134 Aus dem Rechtsstaatsprinzip und Art. 73 Abs. 1
Nr. 10, 87 Abs. 1 Satz 2 GG folgt, wie oben aufgezeigt, demnach eine befugnisrechtliche Trennung dergestalt, dass das herkömmlich den Nachrichtendiensten
vorbehaltene Gefahrenvorfeld von polizeilichen Zwangsbefugnissen freigehalten
wird. Die genauen Vorgaben des Trennungsgebotes hinsichtlich der Befugnisverteilung sind indessen umstritten.
1. Der Ausschluss der Nachrichtendienste von polizeilichen Zwangsbefugnissen
Einigkeit herrscht insoweit, als den Nachrichtendiensten der Einsatz polizeilicher
Befugnisse versagt ist.135 Dies folgt verfassungsrechtlich aus Art. 73 Abs. 1 Nr. 10,
87 Abs. 1 Satz 2, 20 Abs. 3 GG.136 Konkretisiert wird diese kompetenzrechtliche
Beschränkung einfachgesetzlich in den jeweiligen Fachgesetzen (vgl. § 8 Abs. 3
BVerfSchG, § 2 Abs. 3 BNDG, § 4 Abs. 2 MADG und die jeweiligen Verfassungsschutzgesetze der Länder). Diese befugnisrechtliche Begrenzung hat unlängst auch
das BVerfG in seiner Entscheidung zu § 3 G 10 in der Fassung des Verbrechens-
133 In diesem Sinne auch Albert, ZRP 1995, 105 (106), wenngleich er dem Trennungsgebot
keinen Verfassungsrang zuerkennt.
134 Gusy, DV 24 (1991), 467 (485).
135 Gusy, DV 24 (1991), 467 (485ff.); ders., DVBl. 1991, 1288 (1290); Zöller, Informationssysteme, S. 328; Möstl, Öffentliche Sicherheit und Ordnung, S. 410; Baumann, DVBl. 2005, 798
(800); Ruhmannseder, StraFo 2007, 184 (184f.).
136 Vgl. B., II., 2. und 3., III.
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bekämpfungsgesetzes137 betont. Die aus Erwägungen betreffend die Gesetzgebungskompetenz des Bundes abgeleitete Folgerung, den Nachrichtendiensten dürften
keine Befugnisse eingeräumt werden, die auf die Verhütung, Verhinderung oder
Verfolgung von Straftaten als solche gerichtet sind, konkretisiert, wie von Möstl
zutreffend herausgearbeitet, inzident zugleich die aus dem Trennungsgebot fließende
befugnisrechtliche Beschränkung der Nachrichtendienste.138
Den Nachrichtendiensten ist demnach der Einsatz solcher polizeilicher Befugnisse verwehrt, die sich unter Einsatz rechtlichen oder faktischen Zwangs vollziehen.
Dieser Kompetenzen dürfen sie sich auch nicht unter Umwegen bedienen. Weisungsrechte gegenüber der Polizei oder deren Inanspruchnahme im Wege der Amtshilfe sind deshalb ausgeschlossen.139
2. Der Ausschluss der Polizei von nachrichtendienstlichen Befugnissen?
Umstritten ist hingegen die Bedeutung des kompetenzrechtlichen Aspekts des Trennungsgebotes für die Polizei. Nach der wohl überwiegenden Meinung im Schrifttum
verbiete es das Trennungsgebot nur, den Nachrichtendiensten polizeiliche Befugnisse einzuräumen, nicht umgekehrt der Polizei spezifisch nachrichtendienstliche
Kompetenzen insbesondere der heimlichen Informationsbeschaffung140 an die Hand
zu geben.141 Insoweit wird von einer „Semipermeabilität der Trennwand zwischen
Polizei und Nachrichtendiensten“142 gesprochen. Die Gegenansicht geht dagegen
von einer beiderseitigen Befugnisbegrenzung aus, da andernfalls das Trennungsgebot seines entscheidenden grundrechtssichernden Sinnes entbehre.143 Die Befugnisbegrenzung solle zugleich die Einhaltung des nachrichtendienstlichen und polizeilichen Aufgabenspektrums garantieren.144
137 BVerfG NJW 2000, 55 (60).
138 Möstl, Öffentliche Sicherheit und Ordnung, S. 410; s. auch die Ausführungen unter 1.Kap.,
C., I., 2., a.
139 Lisken, ZRP 1984, 144 (145); Gusy, ZRP 1987, 45 (49); ders., DV 24 (1991), 467 (486).
140 S. etwa die Befugnisse der Polizei zu heimlichen Informationseingriffen sowohl im repressiven als auch im präventiven Bereich: Einsatz verdeckter Ermittler z.B. § 110a StPO, Art. 33
Abs. 1 Nr. 3 BayPAG, Überwachung der Telekommunikation z.B. § 100a StPO, Art. 34a
BayPAG und privater Wohnräume z.B. § 100c StPO, Art. 34 BayPAG, Rasterfahndung z.B.
§§ 98a, 98b StPO, Art. 44 BayPAG.
141 Gusy, DV 24 (1991), 467 (485); Zöller, Informationssysteme, S. 328; Pfaeffgen/Gärditz,
KritV 83 (2000), 65 (66).
142 Pfaeffgen/Gärditz, KritV 83 (2000), 65 (66).
143 Albert, ZRP 1995, 105 (106); Baumann, DVBl. 2005, 798 (800), die insoweit die Übertragung spezifisch nachrichtendienstlicher Befugnisse auf die Polizei für mit dem Trennungsgebot nicht vereinbar halten; einschränkend Schafranek, Kompetenzverteilung, S. 180ff., der einen Ausschluss nachrichtendienstlicher Befugnisse der Polizei nur für den Bereich des Staatsund Verfassungsschutzes postuliert.
144 Baumann, DVBl. 2005, 798 (805).
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Ein wesentlicher Widerspruch zwischen beiden Auffassungen besteht indessen
nicht. Beide Ansichten stimmen nämlich insofern überein, als der rechtliche Sinn
des Trennungsgebotes darin gesehen wird, das herkömmlich den Nachrichtendiensten vorbehaltene Vorfeld der Informationsbeschaffung von exekutiven Zwangsbefugnissen freizuhalten. Polizeiliche Zwangsbefugnisse und nachrichtendienstliche
Erhebungsmöglichkeiten sollen nicht in einer Hand vereint sein.145 Dazu ist ein
gänzlicher Ausschluss der Polizei von spezifisch nachrichtendienstlichen Kompetenzen nicht erforderlich. Auch dort, wo sich die Tätigkeit von Polizei und Nachrichtendiensten im Bereich der Staatsschutzdelikte und der Gefahrenvorsorge und
Verdachtsgewinnung überschneidet, kann das Trennungsgebot gewahrt bleiben,
solange man die der Polizei eingeräumten herkömmlich nachrichtendienstlichen
Befugnisse insbesondere der heimlichen Informationsbeschaffung an das Vorliegen
bestimmter gefahr- bzw. verdachtsbegründender Tatsachen knüpft. Dann ist auch
der von Vertretern der beiderseitigen Befugnisbegrenzung geforderte Zusammenhang von Funktion und Kompetenz gewahrt. Das Trennungsgebot verbietet demnach nicht, der Polizei spezifisch nachrichtendienstliche Befugnisse einzuräumen,
solange die Ausübung dieser Kompetenzen vom Vorliegen bestimmter gefahr- bzw.
verdachtsbegründender Tatsachen abhängig gemacht wird.
III. Die organisatorische Trennung von Polizei und Nachrichtendienst
Aus der funktionellen und kompetenzrechtlichen Trennung von Polizei und Nachrichtendienst folgt schließlich eine organisatorische Trennung der Sicherheitsbehörden. Andernfalls kann der rechtsstaatliche Sinn des Trennungsgebotes, das Einsickern polizeilicher Zwangsbefugnisse in das nachrichtendienstliche Vorfeld der
Informationsbeschaffung zu verhindern, nicht gewährleistet werden. Denn bei einer
organisatorischen Vermengung oder gar Zusammenlegung der Behörden wäre die
Trennung der polizeirechtlichen und nachrichtendienstlichen Aufgaben und Befugnisse kaum aufrechtzuerhalten. Einfachgesetzlich ist die verfassungsrechtlich gebotene organisatorische Trennung in den jeweiligen Fachgesetzen näher konkretisiert
(vgl. § 2 Abs. 1 Satz 3 BVerfSchG, § 1 Abs. 1 Satz 2 BNDG, § 1 Abs. 4 MADG und
die jeweiligen Verfassungsschutzgesetze der Länder). Nach dem Trennungsgebot
dürfen die Nachrichtendienstbehörden demnach keiner polizeilichen Dienststelle
angegliedert werden. Umgekehrt darf keine Polizeidienststelle einer Nachrichtendienstbehörde nachgeordnet sein. Dies folgt aus dem Ausschluss des Weisungsrechts der Nachrichtendienste gegenüber Polizeibehörden.146
Eine Zusammenarbeit der Sicherheitsbehörden schließt das Trennungsgebot freilich nicht aus, solange die Grenzen der organisatorischen Eigenständigkeit beider
Behörden gewahrt bleiben. Konkret bedeutet dies, dass personelle Verflechtungen
dergestalt, dass polizeiliche und nachrichtendienstliche Tätigkeit in Personalunion
145 Albert, ZRP 1995, 105 (106).
146 Gusy, DV 24 (1991), 467 (483).
Chapter Preview
References
Zusammenfassung
Gemeinsame Verbunddateien der Sicherheitsbehörden auf dem Prüfstand: Kurz nach Inkrafttreten des in Politik und Rechtswissenschaft stark umstrittenen Antiterrordateigesetzes (ATDG) liefert das Werk eine wissenschaftlich fundierte Stellungnahme zur Verfassungsmäßigkeit der informationellen Zusammenarbeit der Sicherheitsbehörden im Allgemeinen und der Antiterrordatei im Besonderen. Am Beispiel der Antiterrordatei zeigt die Arbeit die verfassungsrechtlichen Grenzen auf, die das Trennungsgebot und das Recht auf informationelle Selbstbestimmung gemeinsamen Verbunddateien von Polizei und Nachrichtendiensten setzen. Eingebettet werden die Erkenntnisse in die verfassungsrechtliche Diskussion um die Grenzen staatlicher Sicherheitsgewährleistung. Mit ihren Ausführungen zum Spannungsverhältnis von Freiheit und Sicherheit bezieht die Arbeit Position zur jüngsten Antiterrorgesetzgebung insgesamt.