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Der Verfassungsrang des Trennungsgebotes lässt sich demnach mit teleologischen Erwägungen, die ergänzend zu systematischen Aspekten herangezogen werden, begründen.
III. Ausfluss des Trennungsgebots aus Rechtstaats- und Bundesstaatsprinzip
Im Schrifttum wird der Verfassungsrang des Trennungsgebots zum Teil auch unter
Rückgriff auf das Rechtsstaats-78 und das Bundesstaatsprinzip79 bejaht. Der Ausschluss polizeilicher Befugnisse im Tätigkeitsfeld der Nachrichtendienste gewährleiste die Gewaltenkontrolle durch Binnendifferenzierung der Exekutive, das Trennungsgebot sei letztlich als institutionalisierte Umsetzung des Verhältnismäßigkeitsprinzips zu sehen.80 Gegenüber der sich oftmals richterlicher Kontrolle
entziehenden, heimlichen Tätigkeit der Nachrichtendienste sei das Trennungsgebot
zur Gewährleistung eines effektiven Rechtsschutzes in einem demokratischen
Rechtsstaat geboten.81 Das BVerfG verschließt sich dieser Auffassung grundsätzlich
nicht. Vielmehr zieht es ausdrücklich in Erwägung, dass das Rechtsstaats- und das
Bundesstaatsprinzip es verbieten könnten, „bestimmte Behörden miteinander zu
verschmelzen oder sie mit Aufgaben zu befassen, die mit ihrer verfassungsrechtlichen Aufgabenstellung nicht vereinbar sind. So werden die Zentralstellen für Zwecke des Verfassungsschutzes oder des Nachrichtendienstes - angesichts deren andersartiger Aufgaben und Befugnisse - nicht mit einer Vollzugspolizei zusammengelegt werden dürfen.“82 Zu einer abschließenden Entscheidung dieser Frage konnte
sich das Gericht indessen bislang nicht durchringen.
Der Ansicht, die das Trennungsgebot als rechtsstaatlich gebotenes Mittel zum effektiven Rechtsschutz ansieht, wird entgegengehalten, dass Art. 19 Abs. 4 GG als
Ausfluss des Rechtsstaatsgebots lediglich gebiete, dass überhaupt ein geeigneter
Rechtsschutz gegen sicherheitsbehördliche Maßnahmen bestehe, eine Trennung der
Sicherheitsbehörden aber nicht zwingend erfordere.83 Im Übrigen wird der vorgenannten Ansicht mit Blick auf die kompetenzrechtliche Ausgestaltung der Sicherheitsbehörden anderer anerkannter demokratischer Rechtsstaaten widersprochen.
78 Denninger, ZRP 1981, 231 (232); Götz, in: HdbStR IV, § 85, Rdnr. 39; Lisken/Denninger, in:
HdbPolR, C, Rdnr. 114; in diese Richtung tendierend auch Möstl, Öffentliche Sicherheit und
Ordnung, S. 411.
79 Pfaeffgen/Gärditz, KritV 83 (2000), 65ff.; a.A. König, Trennung und Zusammenarbeit, S.
191ff.
80 Gusy, DV 24 (1991), 467 (468ff.).
81 Denninger, ZRP 1981, 231 (232).
82 BVerfGE 97, 198 (217); s. auch BVerfG NJW 2000, 55 (60).
83 Schafranek, Kompetenzverteilung, S. 170; König, Trennung und Zusammenarbeit, S. 183ff.
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Diese würden die Vermengung von polizeilichen und nachrichtendienstlichen Befugnissen in einer Behörde nicht ausschließen.84
Diese Kritik greift letztlich zu kurz. Das Gebot der Rechtsstaatlichkeit des Art. 20
Abs. 3 GG ergänzt durch das Homogenitätsprinzip in Art. 28 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3
GG bindet die Ausübung staatlicher Macht an Recht und Gesetz. Es ist das grundlegende Ordnungsprinzip, das dem Grundgesetz zugrunde liegt, und enthält die Gebote der Voraussehbarkeit, Rechtssicherheit, Verhältnismäßigkeit und der rechtlichen
Überprüfbarkeit.85 Zwar ist zutreffend, dass die Trennung der Sicherheitsbehörden
zur Gewährleistung eines effektiven Rechtsschutzes gemäß Art. 19 Abs. 4 GG nicht
unbedingt erforderlich ist, dieser vielmehr auch auf andere Weise wirksam ausgestaltet werden kann. Der Ausschluss polizeilicher Befugnisse aus dem den Nachrichtendiensten zugewiesenen Tätigkeitsbereich des Gefahrenvorfeldes ist aber ein wesentliches Mittel zur Begrenzung staatlicher Machtausübung, indem es die von den
Nachrichtendiensten zu erwartenden und von den Bürgern hinzunehmenden Eingriffe für diese voraussehbar macht und dem Übermaßverbot Rechnung trägt. Dem kann
nicht durch einen Vergleich mit der Sicherheitsstruktur ausländischer Rechtsstaaten
entgegengetreten werden. Denn die Ausformung des Rechtsstaatsgebotes wird im
Wesentlichen auch durch die Entstehungsgeschichte der verfassungsrechtlichen
Normen in den einzelnen Ländern und deren historischen Erfahrungen bestimmt.86
Demnach sind bei der Frage, ob das Rechtsstaatsprinzip des Grundgesetzes eine
Trennung von Polizei und Nachrichtendiensten gebietet, die die Schaffung des
Grundgesetzes wesentlich beeinflussenden Erfahrungen mit dem Unrechtsstaat der
Nationalsozialisten zu berücksichtigen. Entscheidendes Merkmal dieses Willkürstaates war unter Vielem die Existenz der Gestapo als ein allmächtiger, zentralistisch
organisierter Sicherheitsapparat mit sowohl nachrichtendienstlichen als auch polizeilichen Eingriffsbefugnissen. Daher liegt dem Rechtsstaatsprinzip des Grundgesetzes
auch das Bestreben zugrunde, das erneute Aufleben einer derartig unkontrollierbaren
Konzentration staatlicher Macht für den Geltungszeitraum des Grundgesetzes auszuschließen. Die organisatorische und befugnisrechtliche Trennung der Sicherheitsbehörden ist daher als Ausfluss des Rechtsstaatsprinzips zu sehen. Dies verdeutlicht
auch der Kern des Trennungsgebotes. Das Motto, „Wer alles weiß, soll nicht alles
dürfen, und wer alles darf, soll nicht alles wissen“87 ist letztlich die Umsetzung des
aus dem Rechtsstaatsprinzip fließenden Übermaßverbotes.
Dagegen dürfte das Bundesstaatsprinzip allein zu wenig Anhaltspunkte für ein
föderalistisches Trennungsgebot bieten. Im Übrigen wird das allgemeine Bundesstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 1 GG dort verdrängt, wo es spezielle Ausprägungen
im Grundgesetz erfahren hat, so etwa in den kompetenzrechtlichen Vorschriften der
84 Albert, ZRP 1995, 105 (108); Zöller, Informationssysteme, S. 316; Brenner, Bundesnachrichtendienst, S. 50f., der aus dem Rechtsstaatsprinzip lediglich einen Gesetzesvorbehalt für das
Nachrichtendienstrecht ableitet.
85 Zöller, Informationssysteme, S. 316.
86 So auch Nehm, NJW 2004, 3289 (3291).
87 Zöller, Informationssysteme, S. 319.
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Art. 70ff. und 83ff. GG.88 Art. 87 Abs. 1 Satz 2 GG, dem i.V.m. Art. 73 Abs. 1 Nr.
10 GG ein verfassungsrechtliches Trennungsgebot zu entnehmen ist, geht demnach
dem allgemeinen Bundesstaatsprinzip als lex specialis vor.
IV. Zusammenfassung und Ergebnis
Das Trennungsgebot folgt aus Art. 73 Abs. 1 Nr. 10, 87 Abs. 1 Satz 2 GG und dem
Rechtsstaatsprinzip. Aus letzterem folgt insbesondere über das Homogenitätsprinzip
des Art. 28 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 GG dessen verfassungsrechtliche Verbindlichkeit
auch für die Bundesländer, soweit diese das Trennungsgebot nicht in ihren Landesverfassungen ausdrücklich statuiert haben. Aufgrund seines Verfassungsrangs sind
die Vorgaben, die das Trennungsgebot für die Zusammenarbeit der Sicherheitsbehörden setzt, demnach grundsätzlich auch bei Verbunddateien wie der Antiterrordatei zu beachten.
C. Inhalt und Reichweite des Trennungsgebots
Die rechtsstaatliche Bedeutung des Trennungsgebots liegt in der notwendigen Verhinderung eines umfassenden politischen Überwachungsstaates.89 In seiner Reichweite erfasst es nach herkömmlicher Auffassung, wie oben bereits angeklungen,
organisatorische, funktionelle und kompetenzrechtliche Aspekte. Ob dem Trennungsgebot auch eine Aussage auf informationellem Gebiet zukommt, bedarf dagegen näherer Erörterung. Die verfassungsrechtlich gebotene Trennung von Polizei
und Nachrichtendiensten darf durch eine wie auch immer geartete Zusammenarbeit
der Sicherheitsbehörden nicht gänzlich aufgehoben werden. Daher seien im Folgenden zunächst die aus dem Trennungsgebot fließenden inhaltlichen Vorgaben hinsichtlich Aufgabenzuweisung, Befugnissen, Organisation und Informationsbestand,
die bei einer Zusammenarbeit von Polizei und Nachrichtendiensten gewahrt bleiben
müssen, kurz abgesteckt.
I. Die funktionelle Begrenzung auf bestimmte Aufgaben
Das Trennungsgebot statuiert gemäß der in Art. 73 Abs. 1 Nr. 10, 87 Abs. 1 Satz 2
GG niedergelegten Struktur der deutschen Sicherheitsbehörden zunächst eine funktionelle Trennung von Polizei und Nachrichtendiensten.
88 König, Trennung und Zusammenarbeit, S. 192.
89 Baumann, in: FS f. Posser, S. 299 (302).
Chapter Preview
References
Zusammenfassung
Gemeinsame Verbunddateien der Sicherheitsbehörden auf dem Prüfstand: Kurz nach Inkrafttreten des in Politik und Rechtswissenschaft stark umstrittenen Antiterrordateigesetzes (ATDG) liefert das Werk eine wissenschaftlich fundierte Stellungnahme zur Verfassungsmäßigkeit der informationellen Zusammenarbeit der Sicherheitsbehörden im Allgemeinen und der Antiterrordatei im Besonderen. Am Beispiel der Antiterrordatei zeigt die Arbeit die verfassungsrechtlichen Grenzen auf, die das Trennungsgebot und das Recht auf informationelle Selbstbestimmung gemeinsamen Verbunddateien von Polizei und Nachrichtendiensten setzen. Eingebettet werden die Erkenntnisse in die verfassungsrechtliche Diskussion um die Grenzen staatlicher Sicherheitsgewährleistung. Mit ihren Ausführungen zum Spannungsverhältnis von Freiheit und Sicherheit bezieht die Arbeit Position zur jüngsten Antiterrorgesetzgebung insgesamt.