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(„Zwei-Plus-Vier-Vertrag“) vom 12.9.199038 sind „Polizeibrief“ und Genehmigungsschreiben als Besatzungsrecht allerdings erloschen.39 Entstehungsgeschichtlich
haben sie dennoch die Art. 73 Abs. 1 Nr. 10, 87 Abs. 1 Satz 2 GG und somit die
Struktur der Sicherheitsbehörden der Bundesrepublik Deutschland wesentlich geprägt.40 Einfachgesetzlich ist das Trennungsgebot gegenwärtig in den jeweiligen
Fachgesetzen der Nachrichtendienste statuiert (vgl. §§ 2 Abs. 1 Satz 3, 8 Abs. 3
BVerfSchG §§ 1 Abs. 1 Satz 2, 2 Abs. 3 BNDG, §§ 1 Abs. 4, 4 Abs. 2 MADG und
die jeweiligen Verfassungsschutzgesetze der Länder). Explizit in die Verfassung
aufgenommen haben das Gebot der organisatorischen und funktionellen Trennung
die Bundesländer Sachsen41 und Brandenburg42, die damit die Konsequenzen aus
ihren Erfahrungen mit dem Staatssicherheitsdienst der DDR gezogen haben.43
B. Die Frage nach dem Verfassungsrang des Trennungsgebots
Als verfassungsrechtliche Grenze von sicherheitsbehördlichen Verbunddateien wie
der Antiterrordatei kann das Trennungsgebot allerdings nur dann herangezogen
werden, wenn diesem Gebot tatsächlich Verfassungsrang zukommt. Denn nur wenn
der Verfassungsrang bejaht werden kann, ist der einfache Gesetzgeber an die Vorgaben dieses Gebotes gebunden und muss, um eine Änderung der bestehenden Sachund Rechtslage zu erreichen, den formalen und materiellen Anforderungen, die Art.
79 GG an eine Verfassungsänderung stellt, Rechnung tragen.44 Sollte es dagegen
lediglich den Rang eines einfachen Gesetzes haben, so liegt es grundsätzlich im
Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers dieses Gebot durch nachfolgende Gesetze
aufzuheben oder einzuschränken. Die Frage nach dem Verfassungsrang des Trennungsgebotes ist demnach nicht durch die Aufnahme des Trennungsgebotes in die
Nachrichtendienstgesetze des Bundes und der Länder obsolet geworden.45 Darüber
hinaus hat die Diskussion auch jüngst insofern wieder an Aktualität gewonnen, als
im Zuge der Terrorismusbekämpfung zur effektiven Gewährleistung der inneren
Sicherheit eine intensivierte Zusammenarbeit zwischen den Sicherheitsbehörden
gefordert und in diesem Rahmen für eine Einschränkung oder gar Abschaffung des
38 BGBl. 1990/II, S. 1317.
39 Roewer, DVBl. 1986, 205 (206); Gusy, ZRP 1987, 45 (46); Schafranek, Kompetenzverteilung, S. 167; Nehm, NJW 2004, 3289 (3290); Baumann, DVBl. 2005, 798 (799); Mehde, JZ
2005, 815 (818).
40 Heintzen, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG II, Art. 73 Nr. 10, Rdnr. 88; Burgi, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG III, Art. 87 Abs. 1, Rdnr. 43; Lerche in: Maunz/Dürig, Komm. z. GG,
Art. 87, Rdnr. 29.
41 Art. 83 Abs. 3 Satz 1 SächsVerf.
42 Art. 11 Abs. 3 BbgVerf.
43 So SächsVerfGH NVwZ 2005, 1310 (1311) für Art. 83 Abs. 3 Satz 1 SächsVerf.
44 Zöller, Informationssysteme, S. 312.
45 So aber Gusy, DV 24 (1991), 467 (467); Riegel, ZRP 1999, 216.
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Trennungsgebotes plädiert wird.46 Im Hinblick auf ihr Ziel, nämlich der Erweiterung
der sicherheitsbehördlichen Zusammenarbeit, sollte die neue fachwissenschaftliche
Literatur und Praxis gesehen werden, die vermehrt den Verfassungsrang des Trennungsgebotes verneinen möchte.
Festzuhalten ist zunächst, dass jedenfalls auf Bundesebene die Trennung zwischen Polizei und Nachrichtendiensten ausdrücklich allein in einfachen Gesetzen
statuiert ist. Das Grundgesetz deutet zwar, wenn es in den Art. 73 Abs. 1 Nr. 10, 87
Abs. 1 Satz 2 GG zwischen Verfassungsschutz und Polizei unterscheidet, an, dass es
sich funktionell um verschiedene Behörden handelt, sagt aber expressis verbis nichts
darüber aus, ob Verfassungsschutz und Polizei notwendig hinsichtlich Organisation
und Kompetenzen getrennt sein müssen. Ob dem Trennungsgebot Verfassungsrang
zukommt, ist insofern umstritten und bislang nicht abschließend geklärt.47 Das Bundesverfassungsgericht hat die Frage bislang offen gelassen.48 Denkbare Ansätze zur
Begründung des Verfassungsrangs seien im Folgenden dargestellt und erörtert.
I. Verfassungsrang aufgrund Besatzungsrecht
Vereinzelt wird dem Trennungsgebot Verfassungsrang in direkter Anknüpfung an
den „Polizeibrief“ von 1949 zugeschrieben. Indem die Militärgouverneure in ihrem
Genehmigungsschreiben zum Grundgesetz vom 12.5.1949 auf diesen Bezug nahmen, hätten sie ein überkonstitutionelles Besatzungsrecht geschaffen.49 Der „Polizeibrief“ stelle demnach eine Rechtsquelle mit verfassungsrechtlicher Bindungswirkung dar.50 Dem wird entgegengehalten, dass das Besatzungsrecht mit der Wiedererlangung der Souveränität der Bundesrepublik Deutschland mit Inkrafttreten des
Deutschlandvertrages 1955 bzw. mit der Drei-Mächte-Erklärung vom 27.5.1968,
46 König, Trennung und Zusammenarbeit, S. 119 m.w.N.
47 Verfassungsrang bejahend: Denninger, ZRP 1981, 231; Lisken, NJW 1982, 1481; ders. ZRP
1994, 144 (146); Kutscha, ZRP 1986, 194; Gusy, ZRP 1987, 45; Weßlau, Vorfeldermittlungen, S. 223; Götz, in: HdbStR IV, § 85, Rdnr. 39; Schaefer, NJW 1999, 2572; Zöller, Informationssysteme, S. 318; ders., JZ 2007, 763 (767); Sachs, in: ders., GG, Art. 87, Rdnr. 45;
Möstl, Öffentliche Sicherheit und Ordnung, S. 408ff; zu dieser Auffassung tendierend wohl
auch Lerche, in: Maunz/Dürig, Komm. z. GG, Art. 87, Rdnr. 142.
Verfassungsrang verneinend: Roewer, DVBl. 1986, 205; ders., DVBl. 1988, 666; Brenner,
Bundesnachrichtendienst, S. 53; Werthebach/Droste-Lehnen, ZRP 1994, 57 (63); Baumann,
in: FS f. Posser, S. 299ff.; Pieroth, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 87, Rdnr. 7; Nehm, NJW 2004,
3289; Baumann, DVBl. 2005, 798; König, Trennung und Zusammenarbeit, S. 151ff.; Albert,
ZRP 1995, 105 allerdings etwas unscharf, wenn er das Trennungsgebot „nicht zu den durch
Art. 20 GG verbürgten Grundlagen eines demokratischen Rechtsstaates“ zählt, die Aufgabe
des Trennungsgebots insofern für mit der Verfassung vereinbar hält, darin dann aber den Verlust einer wichtigen rechtsstaatlichen Errungenschaft“ sieht (109).
48 BVerfGE 97, 198 (217); BVerfG NJW 2000, 55 (60); eine ausführliche Darstellung der
Rechtsprechung unter dem Aspekt des Trennungsgebotes findet sich bei König, Trennung
und Zusammenarbeit, S. 123ff.
49 Roewer, DVBl. 1986, 205 (206).
50 Kutscha, ZRP 1986, 194 (195).
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spätestens im Zuge der Wiedervereinigung Deutschlands 1990 erloschen sei und
demnach nicht mehr zur Begründung eines verfassungsrechtlichen Trennungsgebotes herangezogen werden könne.51 Dies wiederum wird vereinzelt mit dem Argument bestritten, weder die Besatzungsmächte, noch die deutschen staatlichen Organe
hätten je die Absicht geäußert, die Kompetenzbeschränkungen aufzuheben. Auch
nach Wiedererlangung der Souveränität Deutschlands würden die Vorgaben des
„Polizeibriefs“ als Elemente besatzungsrechtlicher Herkunft fortwirken. Denn
schließlich sei auch die Rechtsverbindlichkeit des Grundgesetzes, obwohl es unter
Beteiligung der westlichen Besatzungsmächte zustande gekommen sei, zu keiner
Zeit in Frage gestellt worden.52
Zutreffender Weise können weder der „Polizeibrief“ noch das Genehmigungsschreiben der Militärgouverneure zum Grundgesetz für die Frage nach dem Verfassungsrang des Trennungsgebotes unmittelbar herangezogen werden. Das Besatzungsrecht ist durch die Wiedererlangung der Souveränität der Bundesrepublik
Deutschland erloschen. Verfassungsrang kann dem Trennungsgebot insofern nur
noch durch eine entsprechende Anordnung im Grundgesetz selbst, die gegebenenfalls durch Auslegung der einschlägigen Bestimmungen unter Beachtung der Entstehungsgeschichte zu ermitteln ist, zukommen. Für eine unmittelbare Fortgeltung
der besatzungsrechtlichen Vorgaben besteht indessen kein Raum mehr. Die Argumentation, auch die Rechtsverbindlichkeit des Grundgesetzes werde durch das Erlöschen des Besatzungsrechtes nicht berührt, vermag nicht zu überzeugen. Denn insofern besteht ein wesentlicher Unterschied. Während „Polizeibrief“ und Genehmigungsschreiben als reines Besatzungsrecht den deutschen Organen von außen
aufoktroyiert wurden, entstand das Grundgesetz, wenn auch unter Beteiligung der
Westallierten, doch im Wesentlichen autonom. Es wurde von den Deutschen Verfassungsgebern nicht lediglich als etwas Vorgegebenes akzeptiert, sondern aus innerer
Überzeugung heraus im Namen des Deutschen Volkes selbst erklärt.53
II. Verfassungsrang aus Art. 87 Abs. 1 Satz 2, 73 Abs. 1 Nr. 10 GG
Vielfach, in jüngster Zeit allerdings vermehrt bestritten, wird die verfassungsrechtliche Qualität des Trennungsgebots aus Art. 87 Abs. 1 Satz 2 GG, gegebenenfalls in
Verbindung mit Art. 73 Abs. 1 Nr. 10 GG, hergeleitet.
51 Roewer, DVBl. 1986, 205 (207); Gusy, ZRP 1987, 45 (46); Schafranek, Kompetenzverteilung, S. 169; Nehm, NJW 2004, 3289 (3290); Mehde, JZ 2005, 815 (818); Baumann, DVBl.
2005, 798 (799); König, Trennung und Zusammenarbeit, S. 156.
52 Kutscha, ZRP 1986, 194 (195).
53 Siehe Präambel zum GG.
Chapter Preview
References
Zusammenfassung
Gemeinsame Verbunddateien der Sicherheitsbehörden auf dem Prüfstand: Kurz nach Inkrafttreten des in Politik und Rechtswissenschaft stark umstrittenen Antiterrordateigesetzes (ATDG) liefert das Werk eine wissenschaftlich fundierte Stellungnahme zur Verfassungsmäßigkeit der informationellen Zusammenarbeit der Sicherheitsbehörden im Allgemeinen und der Antiterrordatei im Besonderen. Am Beispiel der Antiterrordatei zeigt die Arbeit die verfassungsrechtlichen Grenzen auf, die das Trennungsgebot und das Recht auf informationelle Selbstbestimmung gemeinsamen Verbunddateien von Polizei und Nachrichtendiensten setzen. Eingebettet werden die Erkenntnisse in die verfassungsrechtliche Diskussion um die Grenzen staatlicher Sicherheitsgewährleistung. Mit ihren Ausführungen zum Spannungsverhältnis von Freiheit und Sicherheit bezieht die Arbeit Position zur jüngsten Antiterrorgesetzgebung insgesamt.