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1. Kapitel: Das Trennungsgebot als Maßstab der verfassungsrechtlichen
Zulässigkeit von Verbunddateien zum Zwecke der Terrorismusbekämpfung
Um die Bedenken, die gegen gemeinsame Dateien der Sicherheitsbehörden wie der
Antiterrordatei im Hinblick auf ihre Vereinbarkeit mit dem Trennungsgebot bestehen, zu erfassen, muss man sich zunächst die Landschaft der deutschen Sicherheitsbehörden vor Augen führen. Vergegenwärtigt man sich die Struktur der Behörden
auf dem Gebiet der inneren und äußeren Sicherheit, so lässt sich ein zweigliedriges
System von Polizei- und Strafverfolgungsbehörden einerseits und Nachrichtendienstbehörden (zu diesen zählen das Bundes- und die Landesämter für Verfassungsschutz, der Bundesnachrichtendienst, sowie der Militärische Abschirmdienst)
andererseits erkennen, das grundgesetzlich in den Normen der Art. 73 Abs. 1 Nr. 9a
und 10, 74 Abs. 1 Nr. 1 und 87 Abs. 1 Satz 2 GG niedergelegt ist. Herkömmlich
unterscheiden sich diese Behörden bei ihrer Aufgabenwahrnehmung sowohl hinsichtlich ihrer Tätigkeitsbereiche als auch hinsichtlich der Eingriffsschwellen und
der ihnen gesetzlich zur Verfügung stehenden Mittel.24 Während die Polizeivollzugsbehörden in der Regel präventiv erst zur Abwehr einer konkreten Gefahr oder
zusammen mit der Staatsanwaltschaft repressiv bei Bestehen eines Tatverdachts
tätig werden, liegt der Aufgabenbereich der Nachrichtendienste im Schutz der Verfassung und dem Schutz gegen Bestrebungen, die durch Anwendung von Gewalt
oder darauf gerichteter Vorbereitungshandlungen auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährden. Wesentliches Element der Tätigkeit der Nachrichtendienste ist die Beschaffung und Auswertung von Informationen25 und ist ihre Arbeit
insofern weit in das Vorfeld konkreter Gefahren- oder Verdachtssituationen vorgelagert.
Soweit zum einen den Polizeivollzugsbehörden insbesondere im Rahmen der Bekämpfung der organisierten Kriminalität und des internationalen Terrorismus heimliche und damit spezifisch nachrichtendienstliche Ermittlungsbefugnisse zur Gefahrenvorsorge bzw. Verdachtsgewinnung26 eingeräumt werden, zum anderen den
Nachrichtendiensten teilweise Aufgaben der allgemeinen Verbrechensbekämpfung
übertragen werden, und zudem der Informationsaustausch zwischen den Sicherheitsbehörden intensiviert wird, gerät die herkömmliche Struktur der Sicherheitsbe-
24 SächsVerfGH NVwZ 2005, 1310, (1312).
25 Vgl. § 3 Abs. 1 BVerfSchG, § 1 Abs. 2 Satz 1 BNDG, § 1 Abs. 1 MADG und Lerche in:
Maunz/Dürig, Komm. z. GG, Art. 87, Rdnr. 143.
26 Zum Begriff der Gefahrenvorsorge und Verdachtsgewinnung, s. Riegel, Datenschutz, S. 197;
Aulehner, Gefahren- und Informationsvorsorge, S. 47ff.; Sokol, in: Polizei und Datenschutz,
S. 191f. m.w.N.; Gusy, KritV 85 (2002), 474 (483); vgl. auch die Ausführungen unter C., I.,
2., b.
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hörden ins Wanken.27 Die einst klare Aufgabenverteilung erfährt im Bereich der
Vorfeldmaßnahmen und bei bestimmten Erscheinungen von Kriminalität Überschneidungen, die ursprüngliche Trennung hinsichtlich Organisation und Befugnisse
der Sicherheitsbehörden wird bei einer Zusammenarbeit auf informationellem Gebiet relativiert.
Verbunddateien als zentrale Datensammlungen, in die sowohl Polizeivollzugsbehörden als auch Nachrichtendienstbehörden die ihnen im Rahmen ihrer jeweiligen
Aufgaben und Befugnisse zur Kenntnis gelangten Daten einspeichern und den übrigen beteiligten Behörden zur Verfügung stellen, berühren demnach die herkömmliche Trennung von Polizei und Nachrichtendiensten in besonderem Maße und könnten daher unter dem Aspekt des Trennungsgebots verfassungsrechtlich zu beanstanden sein. Im Folgenden sei daher ein Überblick über die normativen Grundlagen und
wesentlichen Aussagen des Trennungsgebots, die bei einer Zusammenarbeit der
Sicherheitsbehörden zu beachten sind, gegeben.
A. Historische Herleitung und Rechtsgrundlagen des Trennungsgebots
Entstehungsgeschichtlich ist das Trennungsgebot erstmals dem „Polizeibrief“ der
alliierten Militärgouverneure vom 14.4.194928 zu entnehmen. In diesem Brief an den
27 S. dazu Gröpl, Nachrichtendienste, S. 303ff. und 310ff.
28 Der „Polizeibrief“ vom 14.4.1949 lautet nach Gusy, ZRP 1987, 45 (45, Fn. 6) wie folgt: „Wie
wir Ihnen in unserem ,Aide Mémoire´ vom 22.11.1948 mitgeteilt haben, sollen die Befugnisse der Bundesregierung auf dem Gebiet der Polizei auf die von den Militärgouverneuren während der Zeit der Besatzung ausdrücklich genehmigten und nach diesem Zeitpunkt auf die
durch internationale Vereinbarung bestimmten Befugnisse beschränkt sein.
Die Militärgouverneure sind nun wie folgt übereingekommen:
1. Der Bundesregierung ist es gestattet, unverzüglich Bundesorgane zur Verfolgung von
Gesetzesübertretungen und Bundespolizeibehörden auf folgenden Gebieten zu errichten:
a) Überwachung des Personen- und Güterverkehrs bei der Überschreitung der Bundesgrenzen;
b) Sammlung und Verbreitung von polizeilichen Auskünften und Statistiken;
c) Koordinierung bei der Untersuchung von Verletzungen der Bundesgesetze und die Erfüllung internationaler Verpflichtungen hinsichtlich der Rauschgiftkontrolle, des internationalen Reiseverkehrs und von Staatsverträgen über Verbrechensverfolgung.
2. Der Bundesregierung wird es ebenfalls gestattet, eine Stelle zur Sammlung und Verbreitung von Auskünften über umstürzlerische, gegen die Bundesregierung gerichtete Tätigkeiten
einzurichten. Diese Stelle soll keine Polizeibefugnisse haben.
3. Die Befugnisse, Zuständigkeiten und Aufgaben des Bundesorgans zur Verfolgung von
Gesetzesübertretungen oder jeder Bundespolizeibehörde sind durch ein der Ablehnung durch
die Militärgouverneure unterliegendes Bundesgesetz zu bestimmen. Keine Bundespolizeibehörde darf Befehlsgewalt über Landes- oder Ortspolizeibehörden besitzen.
4. Jede Bundespolizeibehörde unterliegt, insbesondere hinsichtlich ihrer Kopfstärke, Bestimmungen, soweit sie anwendbar sind, die die Militärregierung aufgrund der den Besatzungsbehörden nach dem Besatzungsstatut vorbehaltenen Befugnissen erlassen.
5. Falls der Parlamentarische Rat oder die Bundesregierung Bundesorgane zur Verfolgung
von Gesetzesübertretungen oder Bundespolizeibehörden auf anderen Gebieten in Vorschlag
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Präsidenten des Parlamentarischen Rates gestatteten die alliierten Militärgouverneure der Bundesregierung zwar, neben den Bundespolizeibehörden auch „eine Stelle
zur Sammlung und Verbreitung von Auskünften über umstürzlerische, gegen die
Bundesregierung gerichtete Tätigkeiten einzurichten“, diese solle aber „keine Polizeibefugnisse haben“.29 In Nummer 3 des Genehmigungsschreibens der Militärgouverneure zum Grundgesetz vom 12.5.194930 wurde auf diesen „Polizeibrief“ noch
einmal ausdrücklich Bezug genommen und die Ausübung polizeilicher Funktionen
unter das Postulat der Einhaltung dieser Vorgaben gestellt.31 Insoweit stellten die
alliierten Vorbehaltsrechte ein das Grundgesetz überlagerndes Besatzungsrecht
dar.32
Die Gründe für die Trennung von Polizei und Nachrichtendiensten wurzeln zum
einen in den Erfahrungen mit der Geheimen Staatspolizei im Dritten Reich, die als
zentralistisch organisierte Sicherheitsbehörde nachrichtendienstliche Ermittlungsmöglichkeiten mit exekutiven Eingriffsbefugnissen und Weisungsrechten gegenüber
anderen Polizeibehörden in sich vereinigte.33 Zum anderen wird vereinzelt vorgebracht, die Alliierten bezweckten - unabhängig von den historischen Erfahrungen mit der Trennung lediglich, eine von den Besatzungsmächten nur schwer zu kontrollierende, starke Zentralgewalt auf dem Sicherheitssektor zu verhindern.34 Wohl
beide Motive liegen der Anordnung der westalliierten Siegermächte zugrunde, die
durch genanntes Besatzungsrecht festlegten, wie Polizei und Nachrichtendienste zu
organisieren seien und welche Aufgaben und Befugnisse ihnen zukommen sollten.35
Diesem Besatzungsrecht entsprechend räumt das Grundgesetz dem Bund in Art.
73 Abs. 1 Nr. 10 GG die ausschließliche Gesetzgebungskompetenz über die Zusammenarbeit des Bundes und der Länder in kriminalpolizeilichen und verfassungsschutzrechtlichen Angelegenheiten, sowie in Art. 87 Abs. 1 Satz 2 GG die Möglichkeit, Zentralstellen für das polizeiliche Auskunfts- und Nachrichtenwesen, für die
Kriminalpolizei und zur Sammlung von Unterlagen für Zwecke des Verfassungsschutzes zu errichten, ein. Mit der Wiedererlangung der Souveränität der Bundesrepublik Deutschland mit Inkrafttreten des Deutschlandvertrages36 1955, bzw. mit der
Drei-Mächte-Erklärung vom 27.5.196837, spätestens mit dem im Zuge der Wiedervereinigung Deutschlands zwischen Deutschland und den Besatzungsmächten abgeschlossenen Vertrag über die abschließende Regelung in Bezug auf Deutschland
bringen sollte, so sind, vorbehaltlich der Bestimmungen in den Absätzen 3 und 4, Vorschläge
dieser Art den Militärgouverneuren zur Genehmigung vorzulegen.“.
29 Ziffer 2 des „Polizeibriefs“, Fn. 25.
30 Abgedr. bei Gusy, ZRP 1987, 45 (46, Fn.8).
31 Albert, ZRP 1995, 105 (106).
32 Roewer, DVBl. 1986, 205 (206); ders., DVBl. 1988, 666 (667); Baumann, DVBl. 2005, 798
(799).
33 Baumann, in: FS f. Posser, S. 299 (302).
34 Roewer, DVBl. 1986, 205 (206); Baumann, DVBl. 2005, 798 (799).
35 Roewer, DVBl. 1988, 666 (666).
36 BGBl. 1955/II, S. 301.
37 BGBl. 1968/II, S. 570.
27
(„Zwei-Plus-Vier-Vertrag“) vom 12.9.199038 sind „Polizeibrief“ und Genehmigungsschreiben als Besatzungsrecht allerdings erloschen.39 Entstehungsgeschichtlich
haben sie dennoch die Art. 73 Abs. 1 Nr. 10, 87 Abs. 1 Satz 2 GG und somit die
Struktur der Sicherheitsbehörden der Bundesrepublik Deutschland wesentlich geprägt.40 Einfachgesetzlich ist das Trennungsgebot gegenwärtig in den jeweiligen
Fachgesetzen der Nachrichtendienste statuiert (vgl. §§ 2 Abs. 1 Satz 3, 8 Abs. 3
BVerfSchG §§ 1 Abs. 1 Satz 2, 2 Abs. 3 BNDG, §§ 1 Abs. 4, 4 Abs. 2 MADG und
die jeweiligen Verfassungsschutzgesetze der Länder). Explizit in die Verfassung
aufgenommen haben das Gebot der organisatorischen und funktionellen Trennung
die Bundesländer Sachsen41 und Brandenburg42, die damit die Konsequenzen aus
ihren Erfahrungen mit dem Staatssicherheitsdienst der DDR gezogen haben.43
B. Die Frage nach dem Verfassungsrang des Trennungsgebots
Als verfassungsrechtliche Grenze von sicherheitsbehördlichen Verbunddateien wie
der Antiterrordatei kann das Trennungsgebot allerdings nur dann herangezogen
werden, wenn diesem Gebot tatsächlich Verfassungsrang zukommt. Denn nur wenn
der Verfassungsrang bejaht werden kann, ist der einfache Gesetzgeber an die Vorgaben dieses Gebotes gebunden und muss, um eine Änderung der bestehenden Sachund Rechtslage zu erreichen, den formalen und materiellen Anforderungen, die Art.
79 GG an eine Verfassungsänderung stellt, Rechnung tragen.44 Sollte es dagegen
lediglich den Rang eines einfachen Gesetzes haben, so liegt es grundsätzlich im
Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers dieses Gebot durch nachfolgende Gesetze
aufzuheben oder einzuschränken. Die Frage nach dem Verfassungsrang des Trennungsgebotes ist demnach nicht durch die Aufnahme des Trennungsgebotes in die
Nachrichtendienstgesetze des Bundes und der Länder obsolet geworden.45 Darüber
hinaus hat die Diskussion auch jüngst insofern wieder an Aktualität gewonnen, als
im Zuge der Terrorismusbekämpfung zur effektiven Gewährleistung der inneren
Sicherheit eine intensivierte Zusammenarbeit zwischen den Sicherheitsbehörden
gefordert und in diesem Rahmen für eine Einschränkung oder gar Abschaffung des
38 BGBl. 1990/II, S. 1317.
39 Roewer, DVBl. 1986, 205 (206); Gusy, ZRP 1987, 45 (46); Schafranek, Kompetenzverteilung, S. 167; Nehm, NJW 2004, 3289 (3290); Baumann, DVBl. 2005, 798 (799); Mehde, JZ
2005, 815 (818).
40 Heintzen, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG II, Art. 73 Nr. 10, Rdnr. 88; Burgi, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG III, Art. 87 Abs. 1, Rdnr. 43; Lerche in: Maunz/Dürig, Komm. z. GG,
Art. 87, Rdnr. 29.
41 Art. 83 Abs. 3 Satz 1 SächsVerf.
42 Art. 11 Abs. 3 BbgVerf.
43 So SächsVerfGH NVwZ 2005, 1310 (1311) für Art. 83 Abs. 3 Satz 1 SächsVerf.
44 Zöller, Informationssysteme, S. 312.
45 So aber Gusy, DV 24 (1991), 467 (467); Riegel, ZRP 1999, 216.
Chapter Preview
References
Zusammenfassung
Gemeinsame Verbunddateien der Sicherheitsbehörden auf dem Prüfstand: Kurz nach Inkrafttreten des in Politik und Rechtswissenschaft stark umstrittenen Antiterrordateigesetzes (ATDG) liefert das Werk eine wissenschaftlich fundierte Stellungnahme zur Verfassungsmäßigkeit der informationellen Zusammenarbeit der Sicherheitsbehörden im Allgemeinen und der Antiterrordatei im Besonderen. Am Beispiel der Antiterrordatei zeigt die Arbeit die verfassungsrechtlichen Grenzen auf, die das Trennungsgebot und das Recht auf informationelle Selbstbestimmung gemeinsamen Verbunddateien von Polizei und Nachrichtendiensten setzen. Eingebettet werden die Erkenntnisse in die verfassungsrechtliche Diskussion um die Grenzen staatlicher Sicherheitsgewährleistung. Mit ihren Ausführungen zum Spannungsverhältnis von Freiheit und Sicherheit bezieht die Arbeit Position zur jüngsten Antiterrorgesetzgebung insgesamt.