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wertung im Sinne einer Gefährdungseinschätzung“20 zulassen, bei der ersten Abfrage nicht sichtbar sind. Insoweit enthält die Antiterrordatei lediglich Indeces, bei
welcher Behörde weitere Informationen eingeholt werden können. Diese werden der
abfragenden Stelle erst auf Nachfrage bei der speichernden Behörde (§ 5 Abs. 1 Satz
3 und 4 ATDG) oder im Eilfall zur Abwehr einer gegenwärtigen Gefahr für bestimmte Rechtsgüter (§ 5 Abs. 2 ATDG) angezeigt.
Die Antiterrordatei ist demnach eine übergreifende Datensammlung von Polizei
und Nachrichtendiensten, die einen weitumfassenden automatischen Informationsaustausch zwischen den Sicherheitsbehörden auf dem Gebiet der Terrorismusbekämpfung ermöglicht. In ihrer Eigenschaft als Verbunddatei schafft sie keine neuen
Datenerhebungs- und -übermittlungsbefugnisse, sondern lediglich die institutionellen Voraussetzungen für einen vereinfachten Informationsaustausch zwischen den
beteiligten Stellen, indem sie die bei den einzelnen Behörden vorhandenen Datenbestände in eine Zentraldatei zusammenführt und den beteiligten Polizeien und Nachrichtendiensten den Zugriff ermöglicht. Die Neuerungen bei der Antiterrordatei
liegen nicht in der Schaffung eines automatischen Datenverbundes. Derartige Verbunddateien gibt es, wie eingangs bereits erwähnt, mit den Systemen INPOL, IN-
ZOLL und NADIS, um nur die bekanntesten zu nennen, seit langem, allerdings
getrennt für Polizei- bzw. Zollbehörden einerseits und Nachrichtendienstbehörden
andererseits. Auch liegt nichts Neues darin, dass Polizei und Nachrichtendienste
Informationen austauschen. Derartige Datenübermittlungsbefugnisse sind in den
jeweiligen Fachgesetzen seit langer Zeit vorgesehen (vgl. z.B. die §§ 17ff.
BVerfSchG). Bislang allerdings handelte es sich bei dem Informationsaustausch um
eine auf ein Ersuchen der anfragenden Behörde ergehende, an bestimmte Voraussetzungen gebundene Übermittlung von Daten im konkreten Einzelfall. Die Besonderheit der Antiterrordatei besteht darin, dass sie einen elektronischen Datenpool
schafft, auf den erstmalig sowohl Polizeibehörden als auch Nachrichtendienste ohne
vorherige einzelfallbezogene Anfrage zugreifen können, und sie so einen automatischen Informationsaustausch zwischen diesen zwei Behördenzweigen schafft. In
dieser Eigenschaft berührt sie nachhaltig das Gebot der Trennung von Polizei und
Nachrichtendiensten, nach dem die Sicherheitsbehörden hinsichtlich Organisation,
Aufgaben und Befugnissen nicht miteinander vermengt werden dürfen, sowie das
Recht auf informationelle Selbstbestimmung der von der Speicherung betroffenen
Bürger und Vereinigungen21.
B. Überblick über Gegenstand und Gang der Untersuchung
Gegenüber herkömmlichen Informationsvorgängen und –systemen bergen Verbunddateien durch die Möglichkeit des Online-Abrufs der personenbezogenen Daten
20 So ausdrücklich die amtliche Begründung zum GDG, BT-Dr. 16/2950, S. 17.
21 Zur Grundrechtsträgerschaft von Personenvereinigungen hinsichtlich des Grundrechts auf
informationelle Selbstbestimmung s. die Ausführungen im 3. Kap., B., I., 3.
21
ohne vorherige Prüfung der Rechtmäßigkeit der Übermittlung im Einzelfall besondere verfassungsrechtliche, insbesondere datenschutzspezifische Probleme. An die
Stelle der einzelfallbezogenen informationellen Zusammenarbeit verschiedener
Behörden durch Übermittlungsersuchen und daraufhin erfolgender Weitergabe der
relevanten Informationen tritt die institutionalisierte Zusammenarbeit staatlicher
Stellen mit unterschiedlichen Aufgaben und Befugnissen. Im Rahmen dieser informationellen Vorkehrung drohen die Trennung der unterschiedlichen Verwaltungsbereiche und die Zuweisung spezifischer Aufgaben und Befugnisse der einzelnen Stellen daher faktisch aufgehoben zu werden. Neben die Speicherung der Informationen
in der Datei treten bei Verbunddateien Maßnahmen des Datenabrufs, der Weitergabe
sowie der weiteren Verwendung personenbezogener Daten. Sie sind demnach von
der Kumulation unterschiedlicher Datenverarbeitungsvorgänge geprägt. Intensive
Grundrechtseingriffe und Zweckentfremdungen sind insofern vorgezeichnet. Durch
die Zusammenführung der verschiedenen Informationen und der Möglichkeit des
jederzeitigen Zugriffs der beteiligten Stellen steigt die Gefahr der Erstellung von
Persönlichkeitsbildern. Verbunddateien berühren daher mehr als andere Datenverarbeitungsvorgänge das Recht auf informationelle Selbstbestimmung.
Trotz der herausragenden Bedeutung, die Verbunddateien in der heutigen Informationsgesellschaft bei der staatlichen Aufgabenerfüllung aufgrund der mit ihnen
einhergehenden Verfahrensvereinfachung zukommt, waren die spezifischen Probleme von Verbunddateien im Hinblick auf ihren Einklang mit dem Grundgesetz, soweit ersichtlich, bislang nur vereinzelt im Rahmen allgemeiner Ausführungen zur
staatlichen Informationstätigkeit Gegenstand verfassungsrechtlicher Untersuchung.22
Die Einrichtung der Antiterrordatei wird insofern zum Anlass genommen, die besonderen Problembereiche von Verbunddateien gezielt herauszuarbeiten und allgemeingültige verfassungsrechtliche Vorgaben für Verbunddateien zu entwickeln, an
denen bestehende Dateien zu überprüfen und zukünftige Vorhaben zu messen sind.
Die Erörterung bezieht sich dabei allein auf Verbunddateien von öffentlichen Stellen. Angesichts des aktuellen politischen Hintergrunds und der besonderen Eingriffsintensität, die informationellen Vorkehrungen im Bereich der inneren Sicherheit zukommt, richtet sich die Untersuchung vornehmlich auf Verbunddateien von
Sicherheitsbehörden. Die Grenzen, die das Recht auf informationelle Selbstbestimmung Verbunddateien zieht, sind aber vorbehaltlich etwaiger aus Gründen der Verhältnismäßigkeit gebotener Modifikationen für Verbunddateien in anderen Verwaltungsbereichen verallgemeinerungsfähig.
Die Arbeit macht es sich insofern zur Aufgabe, das Trennungsgebot und das
Recht auf informationelle Selbstbestimmung am Beispiel der Antiterrordatei auf ihre
Aussagen in Bezug auf Verbunddateien im Allgemeinen zu untersuchen. Dafür
sollen aus dem Trennungsgebot und dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung zunächst abstrakt verfassungsrechtliche Vorgaben für Verbunddateien heraus-
22 S. etwa Denninger, KJ 18 (1985), 215 (234ff.); Scholz/Pitschas, Informationsverantwortung,
S. 157ff.; Zöller, Informationssysteme, S. 135ff., 240ff., 295ff.; Gusy, DV 24 (1991), 467
(487ff.).
22
gearbeitet werden. Zuletzt soll zur praktischen Verdeutlichung das ATDG als jüngstes und bisher am weitest gehendes Beispiel einer gemeinsamen Datei staatlicher
Stellen daraufhin überprüft werden, ob der Gesetzgeber der Antiterrordatei die zuvor
herausgearbeiteten verfassungsrechtlichen Anforderungen gewahrt hat.
Hinsichtlich des Trennungsgebotes wird zunächst die Frage nach seinem Verfassungsrang geklärt und sodann die allgemeinen Vorgaben, die das Trennungsgebot
für die Aufgabenverteilung, Befugniszuweisung und Behördenorganisation im Bereich der inneren Sicherheit bereithält, abgesteckt. In diesem Zusammenhang wird
auch danach gefragt, ob dem Trennungsgebot neben seinen organisatorischen, funktionellen und kompetenzrechtlichen23 Aussagen ein informationeller Aspekt entnommen werden kann, der einer Zusammenarbeit von Nachrichtendiensten und
Polizeibehörden auf informationeller Ebene entgegenstehen würde (Kapitel 1). Diese Vorgaben aufgreifend wird sodann untersucht, inwieweit die aus dem Trennungsgebot fließenden Grenzen bei Verbunddateien als Form der informationellen Zusammenarbeit der Sicherheitsbehörden gewahrt sind (Kapitel 2).
Nach einer kurzen Einführung in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung
(Kapitel 3) wird daran anschließend herausgearbeitet, worin der Eingriff in das
Grundrecht bei Verbunddateien konkret liegt. Dabei wird auch die bislang nicht
abgeschlossene Diskussion um die Bestimmung des Informationseingriffs aufgegriffen. Aufgrund der Kumulation verschiedener Informationsakte und der damit einhergehenden Komplexität von Verbunddateien werden im Rahmen dieser Darstellung zur Veranschaulichung der sonst schwer fassbaren Materie die einzelnen Informationsakte anhand der entsprechenden Normen des ATDG erläuternd
dargestellt. Die einschlägigen Normen des ATDG werden insoweit ausnahmsweise
vorab gewürdigt (Kapitel 4). Aufgrund der im Rahmen der Informationszusammenführung bestehenden Gefahr der Erstellung von Persönlichkeitsbildern werden unter
Erörterung des unantastbaren Kernbereichs des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung sodann die absoluten Grenzen von Verbunddateien geklärt (Kapitel 5).
Daran anschließend wird untersucht, welche Grenzen das Grundrecht informationellen Vorkehrungen im Hinblick auf seine spezifischen Schrankenregelungen zieht.
Dazu werden jeweils vorab die dogmatischen Aussagen von Judikatur und Schrifttum zum Recht auf informationelle Selbstbestimmung dargestellt, um daran anschließend die jeweiligen Besonderheiten im Zusammenhang mit Verbunddateien
herauszuarbeiten (Kapitel 6). Im Rahmen der Frage nach der Verhältnismäßigkeit
von Verbunddateien als Instrument zur Gewährleistung der inneren Sicherheit soll
schließlich auf das letztlich jeder Terrorismusbekämpfungsmaßnahme innewohnende Problem der Abwägung von individuellen Freiheitsrechten mit kollektiven Sicherheitsbedürfnissen und die im Rahmen der Antiterrorgesetzgebung neu entflammte staatstheoretische Diskussion um das Verhältnis von Freiheit und Sicher-
23 Kompetenzrechtlich ist im Rahmen der folgenden Untersuchung im Sinne von befugnisrechtlich zu verstehen. Soweit die Arbeit mal von Kompetenzen, mal von Befugnissen spricht, geschieht dies aus stilistischen Gründen und soll beiden Begriffen in der Sache keine unterschiedliche Bedeutung zukommen.
23
heit eingegangen werden. Daher ist der Frage nach der Verhältnismäßigkeit im Übrigen, soweit deren spezifischen Ausprägungen nicht bereits im vorherigen Kapitel
untersucht wurden, ein eigenes Kapitel gewidmet (Kapitel 7).
Zuletzt wird das ATDG darauf hin überprüft, inwieweit es dem Gesetzgeber gelungen ist, die in den vorherigen Kapiteln der Arbeit aufgestellten verfassungsrechtlichen Anforderungen umzusetzen. Auf bestehenden Reformbedarf wird hingewiesen (Kapitel 8).
Chapter Preview
References
Zusammenfassung
Gemeinsame Verbunddateien der Sicherheitsbehörden auf dem Prüfstand: Kurz nach Inkrafttreten des in Politik und Rechtswissenschaft stark umstrittenen Antiterrordateigesetzes (ATDG) liefert das Werk eine wissenschaftlich fundierte Stellungnahme zur Verfassungsmäßigkeit der informationellen Zusammenarbeit der Sicherheitsbehörden im Allgemeinen und der Antiterrordatei im Besonderen. Am Beispiel der Antiterrordatei zeigt die Arbeit die verfassungsrechtlichen Grenzen auf, die das Trennungsgebot und das Recht auf informationelle Selbstbestimmung gemeinsamen Verbunddateien von Polizei und Nachrichtendiensten setzen. Eingebettet werden die Erkenntnisse in die verfassungsrechtliche Diskussion um die Grenzen staatlicher Sicherheitsgewährleistung. Mit ihren Ausführungen zum Spannungsverhältnis von Freiheit und Sicherheit bezieht die Arbeit Position zur jüngsten Antiterrorgesetzgebung insgesamt.