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Einleitung
Seit den Anschlägen vom 11. September 2001 in den Vereinigten Staaten von Amerika sieht sich die Welt mit einer terroristischen Bedrohung konfrontiert, die vor
nationalen Grenzen keinen Halt macht und die, wie die Anschläge von Madrid,
London und die in Köln vereitelten Bombenanschläge auf Regionalzüge der Deutschen Bahn zeigen, längst auch Europa als Ziel auserkoren hat. Unter dem Eindruck
dieser neuen Bedrohungslage hat auch die Bundesrepublik Deutschland legislativ
reagiert und eine Reihe von Maßnahmen zur Terrorismusbekämpfung erlassen.1 Zu
nennen sind in diesem Zusammenhang neben dem ersten Sicherheitspaket2 insbesondere das zweite Sicherheitspaket in Gestalt des Terrorismusbekämpfungsgesetzes
vom 9.1.20023, das unter anderem zu einer Erweiterung der Aufgabenfelder und
Befugnisse der Sicherheitsbehörden und zu Erleichterungen beim Datenaustausch
zwischen diesen führte. Im Übrigen traf es Änderungen im Bereich des Ausländerrechts, bei der Sicherheitsüberprüfung von Beschäftigten in lebens- oder verteidigungswichtigen Einrichtungen und erlaubte die Aufnahme von biometrischen
Merkmalen in Ausweispapieren. Das zunächst auf fünf Jahre befristete Gesetzespaket wurde unlängst durch das „Gesetz zur Ergänzung des Terrorismusbekämpfungsgesetzes (Terrorismusbekämpfungsergänzungsgesetz)“ (TBEG) vom 5.1.20074 nicht
nur zeitlich um weitere fünf Jahre verlängert, sondern auch inhaltlich zum Teil weiter verschärft.
Kern dieser jüngsten Antiterrormaßnahmen ist insofern vor allem die Ausweitung
informationeller Befugnisse und die Erweiterung der Zusammenarbeit der Sicherheitsbehörden auf informationellem Gebiet sowie die damit einhergehende zunehmende Einschränkung bürgerlicher Freiheitsrechte zur Befriedigung wachsender
Sicherheitsbedürfnisse. Die legislativen Vorhaben waren von einer starken politischen und fachwissenschaftlichen Kontroverse begleitet. Schlagworte wie „Datenschutz gleich Tatenschutz“ und „Vom Rechtsstaat zum Präventionsstaat“ verdeutlichen die Bandbreite des Meinungsspektrums.5 Während vor allem die sicherheitsbe-
1 Siehe zu diesem Thema auch die Darstellungen bei Nolte, DVBl. 2002, 573; Horn, in: FS f.
Schmitt Glaeser, S. 435, Fn. 10; Lepsius, Leviathan 2004, 64 (68ff); Bizer, DuD 2002, 741; v.
Bubnoff, NJW 2002, 2672 (2675f.); speziell zum Terrorismusbekämpfungsgesetz Rublack,
DuD 2002, 4; Baldus, ZRP 2002, 400; Hetzer, ThürVBl. 2002, 251.
2 Dieses schaffte mit dem Ersten Gesetz zur Änderung des Vereinsgesetzes vom 4.12.2001
(BGBl. 2001/I, S. 3319) das Religionsprivileg im Vereinsgesetz ab und dehnte durch Einführung des § 129 b StGB durch das Strafrechtsänderungsesetz vom 22.8.2002 (BGBl. 2002/I, S.
3390) die Strafbarkeit auf extraterritorial organisierte terroristische Vereinigungen aus.
3 BGBl. 2002/I, S. 361, ber. S. 3142.
4 BGBl. 2007/I, S. 2.
5 S. hierzu näher Simitis, NJW 1997, 1902; Denninger, KJ 21 (1988), 1.
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hördliche Praxis die Neuerungen forderte und insofern durchweg begrüßte, bemängeln insbesondere Datenschützer den Verlust grundrechtlicher Freiheit.
A. Die Antiterrordatei – Ziel, Wesen und maßgeblicher Inhalt des ATDG
In diesem Lichte ist auch das vom Deutschen Bundestag am 1.12.2006 gegen das
Votum der Oppositonsfraktionen beschlossene und am 23.12.2006 in Kraft getretene
„Gesetz zur Errichtung gemeinsamer Dateien von Polizeibehörden und Nachrichtendiensten des Bundes und der Länder (Gemeinsame-Dateien-Gesetz)“ (GDG)6 zu
sehen. Es sieht neben der Einrichtung gemeinsamer Projektdateien von Polizei und
Nachrichtendiensten die Errichtung einer gemeinsamen standardisierten zentralen
Antiterrordatei vor.7
Entstehungsgeschichtlich wurde das Gesetzesvorhaben zur Antiterrordatei zum
einen durch Europäische Verordnungen8 sowie das UN-Übereinkommen gegen die
Finanzierung des Terrorismus9 angestoßen, zum anderen fußt es auf einem Gesetzesentwurf des Deutschen Bundesrates10 aus dem Jahre 2004, der auf einen Vorschlag des Landes Niedersachsen zurückging und eine gemeinsame umfassende
Datei vorsah. Er wurde am 30.6.2005 vom Deutschen Bundestag wegen verfassungsrechtlicher Bedenken abgelehnt.11 Mit dem Referentenentwurf des Bundesministeriums des Inneren (BMI) vom 14.6.2006 und dem Rahmenbeschluss der Konferenz der Innenminister von Bund und Ländern vom 4.9.2006 wurde das Vorhaben
wieder aufgenommen. Der daraufhin von der Bundesregierung vorgelegte Gesetzesentwurf zur Antiterrordatei12 stieß sowohl in der politischen als auch rechtswissenschaftlichen Debatte auf große Bedenken hinsichtlich seiner Vereinbarkeit mit der
Verfassung.13 Insbesondere die am 6.11.2006 vom Innenausschuss des Bundestages
durchgeführte Sachverständigenanhörung warf Fragen des Datenschutzes und der
Grenzen der informationellen Zusammenarbeit von Polizei und Nachrichtendiensten
auf14, die aber weitgehend unberücksichtigt blieben.
6 BGBl. 2006/I, S. 3409.
7 Art. 1 GDG: „Gesetz zur Errichtung einer standardisierten zentralen Antiterrordatei von
Polizeibehörden und Nachrichtendiensten von Bund und Ländern (Antiterrordateigesetz-
ATDG)“.
8 Maßnahmen zur Bekämpfung der Finanzierung des internationalen Terrorismus: Verordnungen (EG) Nr. 2580/2001 des Rates vom 27. Dezember 2001 (ABl. EG Nr. L 344, 28.12.2001,
S. 70) und (EG) Nr. 881/2002 vom 27. Mai 2002 (ABl. EG Nr. L 139, 29.05.2002, S. 9).
9 International Convention for the Suppression of the Financing of Terrorism, United Nations
1999 (von Deutschland unterzeichnet am 22. Juli 2000).
10 BT-Dr. 15/4413.
11 Plenarprotokoll 15/184, S. 17361.
12 BT-Dr. 16/2950.
13 Siehe zur politischen Diskussion die Plenarprotokolle 16/45, S. 4451-4472; 16/51, S. 5006-
5014; 16/58, S. 5706-5720; 16/67, S. 6656-6676; 16/71, S. 7091-7112.
14 Protokoll Nr. 16/24.
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Ziel und Wesen des ATDG ist es, angesichts der Bedrohungen durch den internationalen Terrorismus den Informationsaustausch zwischen Polizei und Nachrichtendiensten durch die Nutzung moderner Informationstechnologien zur Gewinnung und
zum Austausch von Erkenntnissen zu verbessern.15 Bislang regelten die Fachgesetze
betreffend die Tätigkeit der Sicherheitsbehörden (BKAG, BPolG, BVerfSchG,
MADG, BNDG, G 10, ZFdG, sowie die jeweiligen Rechtsgrundlagen auf Länderebene) die Voraussetzungen, unter denen personenbezogene Daten an andere Behörden übermittelt werden durften. Ihnen waren auch Regelungen für die jeweiligen
Verbunddateien der Polizei- und Nachrichtendienstbehörden von Bund und Ländern
zu entnehmen.
Verbunddateien sind Datensammlungen, die die bei einzelnen Behörden vorhandenen Datenbestände zusammenführen, indem die beteiligten Behörden ihre Daten
unmittelbar in die Datei einspeichern und den anderen Behörden den unmittelbaren
Zugriff auf diese eröffnen. Verbunddateien sind demnach integrierte Informationssysteme. Sie vernetzen mehrere Datenbestände zu einem Datenverbund und ermöglichen im automatisierten Abrufverfahren (online) ohne Einschaltung Dritter den
jederzeitigen Abruf der Information.16
Die bislang bestehenden Verbunddateien im Sicherheitsbereich (das sind insbesondere INPOL17 für die Polizeien, INZOLL18 für das Zollkriminalamt und den
Zollfahndungsdienst und NADIS19 für die Nachrichtendienste) ermöglichten jedoch
nur eine informationelle Zusammenarbeit der verschiedenen Polizei- bzw. Zollbehörden untereinander einerseits und der verschiedenen Nachrichtendienste untereinander andererseits. Vorschriften über gemeinsame Dateien, an denen sowohl Polizeibehörden als auch Nachrichtendienste beteiligt sind, fehlten bislang. Diese Lücke
schließt das ATDG im Bereich der Terrorismusbekämpfung. Durch dieses werden
das Bundeskriminalamt (BKA), die Bundespolizeidirektion, die Landeskriminalämter, die Verfassungsschutzbehörden des Bundes und der Länder, der Militärische
Abschirmdienst (MAD), der Bundesnachrichtendienst (BND) sowie das Zollkriminalamt (ZKA) (§ 1 Abs. 1 ATDG) und gegebenenfalls weitere Polizeivollzugsbehörden (§ 1 Abs. 2 ATDG) verpflichtet, einzelne Erkenntnisse zu für die Terrorabwehr relevanten Personen und Objekten, über die eine beteiligte Behörde bereits
verfügt und die bei einer entsprechenden Verknüpfung mit den Erkenntnissen anderer beteiligter Behörden zur Terrorismusbekämpfung beitragen können, zu speichern
(§ 2 ATDG). Bei einem Datenabruf zeigt die Antiterrordatei die zur Identifizierung
einer bestimmten Person oder eines bestimmten Objektes notwendigen „Grunddaten“ (§ 3 Abs. 1 Nr. 1 a) ATDG) der abfragenden Stelle im Volltext an (§ 5 Abs. 1
Satz 2 ATDG), während die so genannten „erweiterten Grunddaten“ (§ 3 Abs. 1 Nr.
1 b) ATDG), die ihrer Art nach sensibler sind und in ihrer Gesamtheit eine „Erstbe-
15 Amtliche Begründung zum GDG, BT-Dr. 16/2950, S. 12ff.
16 Heußner, in: FS f. Simon, S. 232.
17 Zu INPOL s. Zöller, Informationssysteme, S. 139ff.; Sehr, in: FS f. Herold, S. 135ff.
18 Zu INZOLL s. Zöller, Informationssysteme, S. 241ff.
19 Zu NADIS s. Zöller, Informationssysteme, S. 295ff.
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wertung im Sinne einer Gefährdungseinschätzung“20 zulassen, bei der ersten Abfrage nicht sichtbar sind. Insoweit enthält die Antiterrordatei lediglich Indeces, bei
welcher Behörde weitere Informationen eingeholt werden können. Diese werden der
abfragenden Stelle erst auf Nachfrage bei der speichernden Behörde (§ 5 Abs. 1 Satz
3 und 4 ATDG) oder im Eilfall zur Abwehr einer gegenwärtigen Gefahr für bestimmte Rechtsgüter (§ 5 Abs. 2 ATDG) angezeigt.
Die Antiterrordatei ist demnach eine übergreifende Datensammlung von Polizei
und Nachrichtendiensten, die einen weitumfassenden automatischen Informationsaustausch zwischen den Sicherheitsbehörden auf dem Gebiet der Terrorismusbekämpfung ermöglicht. In ihrer Eigenschaft als Verbunddatei schafft sie keine neuen
Datenerhebungs- und -übermittlungsbefugnisse, sondern lediglich die institutionellen Voraussetzungen für einen vereinfachten Informationsaustausch zwischen den
beteiligten Stellen, indem sie die bei den einzelnen Behörden vorhandenen Datenbestände in eine Zentraldatei zusammenführt und den beteiligten Polizeien und Nachrichtendiensten den Zugriff ermöglicht. Die Neuerungen bei der Antiterrordatei
liegen nicht in der Schaffung eines automatischen Datenverbundes. Derartige Verbunddateien gibt es, wie eingangs bereits erwähnt, mit den Systemen INPOL, IN-
ZOLL und NADIS, um nur die bekanntesten zu nennen, seit langem, allerdings
getrennt für Polizei- bzw. Zollbehörden einerseits und Nachrichtendienstbehörden
andererseits. Auch liegt nichts Neues darin, dass Polizei und Nachrichtendienste
Informationen austauschen. Derartige Datenübermittlungsbefugnisse sind in den
jeweiligen Fachgesetzen seit langer Zeit vorgesehen (vgl. z.B. die §§ 17ff.
BVerfSchG). Bislang allerdings handelte es sich bei dem Informationsaustausch um
eine auf ein Ersuchen der anfragenden Behörde ergehende, an bestimmte Voraussetzungen gebundene Übermittlung von Daten im konkreten Einzelfall. Die Besonderheit der Antiterrordatei besteht darin, dass sie einen elektronischen Datenpool
schafft, auf den erstmalig sowohl Polizeibehörden als auch Nachrichtendienste ohne
vorherige einzelfallbezogene Anfrage zugreifen können, und sie so einen automatischen Informationsaustausch zwischen diesen zwei Behördenzweigen schafft. In
dieser Eigenschaft berührt sie nachhaltig das Gebot der Trennung von Polizei und
Nachrichtendiensten, nach dem die Sicherheitsbehörden hinsichtlich Organisation,
Aufgaben und Befugnissen nicht miteinander vermengt werden dürfen, sowie das
Recht auf informationelle Selbstbestimmung der von der Speicherung betroffenen
Bürger und Vereinigungen21.
B. Überblick über Gegenstand und Gang der Untersuchung
Gegenüber herkömmlichen Informationsvorgängen und –systemen bergen Verbunddateien durch die Möglichkeit des Online-Abrufs der personenbezogenen Daten
20 So ausdrücklich die amtliche Begründung zum GDG, BT-Dr. 16/2950, S. 17.
21 Zur Grundrechtsträgerschaft von Personenvereinigungen hinsichtlich des Grundrechts auf
informationelle Selbstbestimmung s. die Ausführungen im 3. Kap., B., I., 3.
Chapter Preview
References
Zusammenfassung
Gemeinsame Verbunddateien der Sicherheitsbehörden auf dem Prüfstand: Kurz nach Inkrafttreten des in Politik und Rechtswissenschaft stark umstrittenen Antiterrordateigesetzes (ATDG) liefert das Werk eine wissenschaftlich fundierte Stellungnahme zur Verfassungsmäßigkeit der informationellen Zusammenarbeit der Sicherheitsbehörden im Allgemeinen und der Antiterrordatei im Besonderen. Am Beispiel der Antiterrordatei zeigt die Arbeit die verfassungsrechtlichen Grenzen auf, die das Trennungsgebot und das Recht auf informationelle Selbstbestimmung gemeinsamen Verbunddateien von Polizei und Nachrichtendiensten setzen. Eingebettet werden die Erkenntnisse in die verfassungsrechtliche Diskussion um die Grenzen staatlicher Sicherheitsgewährleistung. Mit ihren Ausführungen zum Spannungsverhältnis von Freiheit und Sicherheit bezieht die Arbeit Position zur jüngsten Antiterrorgesetzgebung insgesamt.