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Schadensbegriff bezieht sich auf alle unmittelbaren Vermögenseinbußen, die aufgrund des Verhaltens des handelnden Organs eingetreten sind. Als »tatsächlich«
gilt ein Schaden, wenn er bereits eingetreten ist.1121 Die Einbeziehung unmittelbar
bevorstehender Schäden ist im Bereich der Rechtmäßigkeitshaftung allerdings
nicht geboten, da diese Haftungsform aus Billigkeitsgründen nur bereits eingetretene Sonderbelastungen ausgleichen kann.1122 Eine Ausdehnung auf andere als
bereits eingetretene Schäden ist zu weitgehend und würde der betont restriktiven
Handhabung zum Schutze der Funktionsfähigkeit der EG/EU-Organe zuwider
laufen. In der Rs. Dorsch Consult lehnte das EuG das Vorliegen eines tatsächlichen und sicheren Schadens ab, da die Forderungen, die das Unternehmen gegen
das irakische Ministerium geltend machte nicht endgültig, sondern nur vorübergehend uneinbringbar waren.1123 Problematisch ist in diesem Zusammenhang
auch die Einbeziehung von entgangenem Gewinn. Dieser dürfte unter eigentumsrechtlichen Gesichtspunkten schon schwerlich vom Schadensbegriff erfasst sein,
da das Eigentumsgrundrecht nur den Bestand des Vermögens, nicht jedoch Erwerbschancen schützt.1124 So hat auch das EuG in der Rs. FIAMM u.a. entschieden, als es den Schaden auf die nachgewiesenermaßen erlittenen wirtschaftlichen
Einbußen beschränkte.1125 Der Betroffene muss seinen Schaden durch genaue Angaben, beispielsweise mittels exakter Zahlenangaben, dartun.1126
V. Kausalität
Ein Kausalitätszusammenhang i.S.v. Art. 288 Abs. 2 EG liegt grundsätzlich vor,
wenn ein unmittelbarer ursächlicher Zusammenhang zwischen der fehlerhaften
Handlung des Organs der Gemeinschaft und dem geltend gemachten Schaden besteht.1127 Eine Korrektur erfährt der Kausalzusammenhang im Verhältnis zu
Durchführungsakten der Mitgliedstaaten über die wertende Verantwortungszurechung des Verursachungsbeitrages. Es kommt demnach nicht entscheidend darauf
an, wer den letzten Beitrag zur Schadensverursachung geleistet hat, sondern,
wem der Schaden zuzurechnen ist. Die Verantwortung der Europäischen Gemeinschaft entfällt danach, wenn die Mitgliedstaaten einen eigenen, von der Schadensanlage des Gemeinschaftsaktes unabhängigen Beitrag zur Schadensverursachung
1121 Gellermann, in: Streinz, Art. 288, Rn. 26.
1122 Haack, EuR 2006, S. 696, 701.
1123 EuG, Urteil v. 28.4.1998, Rs. T-184/95, Dorsch Consult, EuR 1998, S. 542, 533 ff., Rn.
61 ff.
1124 Vgl. dazu oben: Erster Teil III. 4. d).
1125 EuG, Urteil v. 14.12.2005, Rs. T-69/00; FIAMM u.a., EuR 2006, S. 675, 692, Rn. 168.
1126 Gellermann, in: Streinz, Art. 288, Rn. 26.
1127 Vgl.: EuGH, Urteil v. 30.1.1992, Rs. C-363/88 u. C-364/88, Finsider u.a., Slg. 1992, S. I-
359, 417, Rn. 25; EuGH, Urteil v. 18.5.1993, Rs. C-220/91 P, Stahlwerke Peine-Salzgitter,
Slg. 1993, S. I-2393, 2444, Rn. 23 f.; EuG, Urteil v. 18.9.1995, Rs. T-168/94, Blackspur
u.a., Slg. 1995, S. II-2627, 2644, Rn. 40.
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leisten. Die Rechtmäßigkeit der hoheitlichen Maßnahme führt dabei nicht zu einer unterschiedlichen Behandlung des Kausalitätsgeflechtes.1128
Nach ständiger Rechtsprechung kann keine Verpflichtung der Europäischen Gemeinschaft angenommen werden, »Schadensersatz für jede noch so entfernte
nachteilige Folge des Verhaltens ihrer Organe zu leisten«1129. Das Unmittelbarkeitskriterium schließt zum einen eine Haftung für bloß mittelbare Schäden
aus.1130 Des Weiteren muss bei mehreren schadensauslösenden Ursachen das Verhältnis und die Auswirkungen von Zweitursachen, sog. Reserveursachen, geklärt
werden.1131 Die Gemeinschaft haftet demnach nicht mehr für Fernwirkungen auf
betroffene Wirtschaftsunternehmen, die durch ihr rechtmäßiges oder rechtswidriges Verhalten nicht mehr bedingt sind. In der Rs. Dumontier Frères war das z.B.
der Fall, da die wirtschaftlichen Schwierigkeiten des Unternehmens auf veralteten Produktionsanlagen beruhten. Dasselbe gilt für Leistungs- und Finanzierungsprobleme.1132 In der Rs. FIAMM u.a. dagegen war das EuG sehr großzügig
mit der Auslegung von Fernwirkungen, als es die Erhebung von Strafzöllen auf
Akkumulatoren als eine Folge ansah, »die sich nach dem gewöhnlichen und vorhersehbaren Geschehensablauf im Rahmen des von der Gemeinschaft akzeptierten Streitbeilegungssystems der WTO objektiv aus der Beibehaltung einer mit
den WTO-Übereinkünften unvereinbaren Einfuhrregelung für Bananen durch die
beklagten Organe ergab«1133.
Liegt die Sachlage so, dass der Geschädigte selbst einen ursächlichen Beitrag
zum Schadenseintritt geleistet hat, unterbricht dieser die Kausalkette. Bringt sich
der Betroffene durch seine eigene Handlung in eine Lage, in der ihm der Schaden
auch ohne die streitgegenständliche Handlung oder Maßnahme widerfahren wäre,
ist dieser Schaden nicht unmittelbar auf die Gemeinschaft zurückzuführen und
damit dieser im Rahmen überholender Kausalität nicht zurechenbar.1134 Dieser
Schadensbeitrag ist im Übrigen auch im Bereich des Mitverschuldens zu berück-
1128 Siehe oben unter: Fünfter Teil III. 1.
1129 Vgl.: EuG, Urteil v. 14.12.2005, Rs. T-69/00, FIAMM u.a., EuR 2006, S. 675, 693, Rn.
177 ff.; EuGH, Urteil v. 30.1.1992, Rs. C-363/88 u. C-364/88, Finsider u.a., Slg. 1992,
S. I-359, 417, Rn. 25.
1130 Kritisch zum Unmittelbarkeitskriterium: Schmitz, Die Haftung der EWG für Verordnungsunrecht, S. 114 ff.
1131 Vgl. dazu die Prüfung bei: GA Stix-Hackl, Schlussanträge v. 28.11.2002, Rs. C-472/00 P,
Fresh Marine Company SA, Slg. 2003, S. I-7544, 7558 ff., Rn. 48-65.
1132 EuGH, Urteil v. 4.10.1979, verb. Rs. 64 u. 113/76, 167 u. 239/78, 27, 28 u. 45/79, Dumontier Frères, Slg. 1979, S. 3091, 3117, Rn. 21.
1133 EuG, Urteil v. 14.12.2005, Rs. T-69/00, FIAMM u.a., EuR 2006, S. 675, 693 f., Rn. 183.
1134 GA Van Greven, Schlussanträge v. 28.1.1992, Rs. C-104/89 u. 37/90, Mulder, Slg. 1992,
S. I-3094, 3113; GA Stix-Hackl, Schlussanträge v. 20.11.2003, Rs. C-164/01 P, van den
Berg, Slg. 2004, S. I-10227, 10246, Rn. 58; Gromitsaris, Rechtsgrund und Haftungsauslösung im Staatshaftungsrecht, S. 194 f.; Allkemper, Rechtsschutz des einzelnen nach dem
EG-Vertrag, S. 138.
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sichtigen und kann je nach Intensität des Verursachungsbeitrages entweder den
Kompensationsanspruch mindern oder die Haftung gänzlich aufheben.
VI. Haftungsauslösendes Sonderopfer
Das eigentliche Kernstück der Haftung für rechtmäßiges Handeln ist die Art und
die Qualität des Schadens. Der die Haftung auslösende Schaden muss sich als gegen den Lastengleichheitssatz verstoßendes Sonderopfer darstellen. Denn ein
Schaden, der gerade kein Sonderopfer darstellt, kann bei Rechtmäßigkeit des
Rechtsetzungsaktes die Haftung der Gemeinschaft nicht auslösen. Schließlich
handelt es sich bestimmungsgemäß um einen Ausnahmefall der Haftung.1135 Die
Folge wäre, dass zwar eine an sich entschädigungspflichtige, wesensgehaltsantastende Eigentumsbeeinträchtigung vorläge, diese aber alle Marktteilnehmer –
offenbar vom Willen des Gesetzgebers her – gleich träfe, so dass sie auch von dem
Einzelnen hinzunehmen ist. Nur die Sonderopferlage löst die Haftung für rechtmäßiges Handeln der Gemeinschaft nach Art. 288 Abs. 2 EG aus und wirkt daher
als Filter in der Menge der nach dem Enteignungsdogma an sich entschädigungspflichtigen Eingriffe. Der Auslöser der Haftung für rechtmäßiges Handeln liegt
in dem ausgleichspflichtigen Sonderopfer begründet, basierend auf dem Grundsatz der Lastengleichheit, der sich als gemeinschaftsrechtskonformer allgemeiner
Rechtsgrundsatz der Mitgliedstaaten herauskristallisiert hat. Das hat das EuG in
der Rs. Dorsch Consult ausdrücklich festgestellt1136 und in der Rs. FIAMM u.a.
bestätigt.1137
1. Zur Besonderheit des Schadens
Das Kriterium der Besonderheit kommt zum Tragen, wenn ein Einzelner oder
eine im Verhältnis zu den übrigen relevanten Marktteilnehmern relativ kleine
Gruppe einer speziellen Belastung ausgesetzt ist.1138
1135 Haack, EuR 2006, S. 696, 701.
1136 EuG, Urteil v. 28.4.1998, Rs. T-184/95, Dorsch Consult, EuR 1998, S. 542, 552, Rn. 59:
»Geht es in der vorliegenden Rechtssache um die Haftung der Gemeinschaft für rechtmä-
ßiges Handeln, so würde nach der einschlägigen Rechtsprechung, falls ein solcher Grundsatz im Gemeinschaftsrecht anerkannt wäre, die Auslösung einer solchen Haftung jedenfalls das Vorliegen eines ‚außergewöhnlichen‘ und ‚besonderen‘ Schadens voraussetzen.«
(Hervorhebung durch Verf.) Von dem »Auslöser für die Entschädigungspflicht« spricht
auch: Berg, in: Schwarze, Art. 288, Rn. 51.
1137 EuG, Urteil v. 14.12.2005, Rs. T-69/00, FIAMM u.a., EuR 2006, S. 675, 692, Rn. 160.
1138 Vgl. zuletzt: EuG, Urteil v. 14.12.2005, Rs. T-69/00, FIAMM u.a., EuR 2006, S. 675, 695,
Rn. 202; dahingehend bereits: EuGH, Urteil v. 13.6.1972, verb. Rs. 9 u. 11/71, Compagnie
d’approvisionnement, Slg. 1972, S. 391, 409, Rn. 46. Siehe auch: Berg, in: Schwarze, Art.
288, Rn. 53.
Chapter Preview
References
Zusammenfassung
Die Studie begründet, weshalb die Haftung der Europäischen Gemeinschaft für rechtmäßige Rechtsetzungsakte keinen Verstoß gegen Grundsätze des Gemeinschaftsrechts darstellt. Im Gegenteil: Diese Haftung für Sonderopfer ist gemeinschaftsrechtskonform und liefert zugleich einen Beitrag zur grundrechtlichen Anerkennung der Entschädigungspflicht für eigentumsentziehende oder -entwertende Maßnahmen. Mittels einer detaillierten rechtsvergleichenden Untersuchung zur Entschädigungspflicht bei Eigentumsentzugsmaßnahmen und zur gemeinschaftsrechtlichen Grundlage der europäischen Sonderopferhaftung stellt die Bearbeitung einen alternativen Ansatzpunkt für die Sonderopferhaftung bereit und liefert einen neuen Diskussionspunkt zu einer aktuellen Rechtsprechung.