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fen durch rechtmäßiges hoheitliches Handeln grundsätzlich auch im Rahmen des
Primärrechtsschutzes auseinandersetzen wird.
2. Konsequenzen aus der Rechtsprechung zu der Rechtsache T. Port für die
Haftungserweiterung
Die Rechtsprechung aus der Rs. T. Port lässt sich nur auf die Konstellationen
übertragen, in denen bereits eine Härtefallregelung in dem Rechtsakt enthalten,
aber nicht angewendet worden ist. Damit unterscheidet sich diese Fallgestaltung
von derjenigen, die dieser Arbeit zugrunde liegt. Denn die Haftungserweiterung
für rechtmäßige Rechtsetzungsakte der Gemeinschaft soll gerade die Fälle abdecken, in denen eine solche Härtefallregelung nicht vorliegt. Auf die Frage der Untätigkeit hinsichtlich der Anwendung dieser Regelung kommt es gar nicht an.
Hinzu kommt, dass der Tenor der Nichtigkeits- oder Untätigkeitsklage dem rechtlichen Begehren des Betroffen nicht entspricht. Die Erklärung liegt schlicht darin,
dass bereits die Klagegegenstände von Nichtigkeits- und Untätigkeitsklagen sowie sekundärrechtlichen Haftungsinstituten verschieden sind.
Die Nichtigkeitsklage erfasst als Institut primären Rechtschutzes vornehmlich die
Fälle, in denen der Rechtssuchende den fraglichen Hoheitsakt insgesamt für nichtig erklären lassen will. Die hier vorliegende Fallkonstellation, in der der Betroffene Ausgleich für eine erlittene Vermögenseinbuße im Rahmen eines rechtmä-
ßigen Eigentumseingriffs erlangen möchte, wird nicht typischerweise von dieser
Klageart erfasst. Die Nichtigkeitsklage ist vom Rechtsschutzziel her nicht ursprünglich auf die Linderung der Rechtsfolgen eines Hoheitsaktes ausgerichtet.
Im Rahmen des Rechtsschutzes gegenüber rechtmäßigem Handeln wird das Nichtigkeitsurteil dazu führen, dass der Bescheid, mit dem der Erlass der Ausgleichsregelung abgelehnt worden ist, für nichtig erklärt und aufgehoben wird, vgl. Art.
231 Abs. 1 EG.546 Damit ist dem Betroffenen jedoch nicht ausreichend geholfen.
Sein Interesse geht gerade dahin, angemessenen Ausgleich zu erhalten, welcher
aber nicht unmittelbar aus der Aufhebung des Bescheides erfolgt. Die Aufhebung
infolge der Nichtigkeitsklage stellt damit nur den ersten Schritt dar. Gemäß Art.
233 Abs. 1 EG hat das beklagte Organ die sich aus dem Urteil ergebenden Maßnahmen zu ergreifen. Zwar hat das Organ innerhalb einer angemessenen Zeit auf
das Urteil zu reagieren; kommt es dieser Verpflichtung indes nicht nach, so muss
der Betroffene erneut Klage erheben. Insoweit kommt entweder die Untätigkeitsklage gem. Art. 232 Abs. 3 EG oder sekundärer Rechtsschutz nach Art. 288 Abs.
2 EG in Betracht.
546 Koenig/Sander, Einführung in das EG-Prozeßrecht, Rn. 327.
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Die Untätigkeitsklage kommt dem Begehren des Rechtssuchenden im Rahmen
des primärrechtlichen Rechtsschutzes gegen rechtmäßiges Handeln noch eher
nach als die Nichtigkeitsklage. Doch auch bei der Untätigkeitsklage ist zu berücksichtigen, dass der Kläger in erster Linie Ersatz für seine Vermögenseinbußen haben möchte. In der Regel wird es um existenzielle Einschnitte gehen, die möglichst schnell aus der Welt geschafft werden müssen. Allein das Erfordernis des
Vorverfahrens bei der Untätigkeitsklage nimmt viel Zeit in Anspruch. Bleibt das
Organ nach zwei Monaten immer noch untätig, kann erst dann Klage erhoben
werden. Das Klageverfahren an sich nimmt weitere Zeit in Anspruch. Es ist daher
in jedem Fall günstiger, wenn der Betroffene sofort zur Haftungsklage übergeht
und damit sein eigentliches Ziel direkt und ohne jegliche Umwege verfolgt.
Letztlich kann auch nicht übersehen werden, dass selbst bei einer erfolgreichen
Klage nach Art. 230 Abs. 4, 232 Abs. 3 EG ein Schaden bestehen bleiben kann,
der allein über ein sekundärrechtliches Haftungsinstitut und nicht über den Primärrechtsschutz ausgeglichen werden kann.
3. Fazit
Es besteht eine Lücke im Primärrechtsschutz des europäischen Gemeinschaftsrechts. Ein Rechtsfortbildungsbedürfnis für die Haftungserweiterung wird nicht
durch bestehende, gleichermaßen effektive primärrechtliche Rechtsschutzinstitute auf Gemeinschaftsebene ausgeschlossen.547 Ein möglicher Primärrechtsschutz ist – wenn überhaupt – nur im Rahmen der Schadensminderungspflicht des
Betroffenen zu berücksichtigen. Daher haben die Betroffenen zunächst von den
ihnen zumutbaren Möglichkeiten des Primärrechtsschutzes Gebrauch zu machen,
die eine Schadensabwehr oder zumindest eine Verringerung bewirken können.
Lassen sie diese unberücksichtigt, kann sich der Schadensersatzanspruch mindern oder sogar ganz entfallen.548
547 Die gerichtliche Durchsetzung von Haftungsansprüchen gegen die Gemeinschaft wird
nicht ohne Grund von vielen als Kompensation für die enge Auslegung der Voraussetzungen der Nichtigkeitsklage angesehen, vgl.: Nicolaysen, Europarecht, Bd. I, § 13 II, Rn. 5;
Gündisch, Rechtsschutz in der Europäischen Gemeinschaft, S. 118; Säuberlich, Die außervertragliche Haftung im Gemeinschaftsrecht, S. 202. Kritisch im Hinblick auf die gezwungenermaßen vorhergehend hinzunehmende Schadenszufügung durch Ausschluss der
Nichtigkeitsklage: Allkemper, Der Rechtsschutz des einzelnen nach dem EG-Vertrag,
S. 129.
548 So auch: Held, Die Haftung der EG für die Verletzung von WTO-Recht, S. 157 f.
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References
Zusammenfassung
Die Studie begründet, weshalb die Haftung der Europäischen Gemeinschaft für rechtmäßige Rechtsetzungsakte keinen Verstoß gegen Grundsätze des Gemeinschaftsrechts darstellt. Im Gegenteil: Diese Haftung für Sonderopfer ist gemeinschaftsrechtskonform und liefert zugleich einen Beitrag zur grundrechtlichen Anerkennung der Entschädigungspflicht für eigentumsentziehende oder -entwertende Maßnahmen. Mittels einer detaillierten rechtsvergleichenden Untersuchung zur Entschädigungspflicht bei Eigentumsentzugsmaßnahmen und zur gemeinschaftsrechtlichen Grundlage der europäischen Sonderopferhaftung stellt die Bearbeitung einen alternativen Ansatzpunkt für die Sonderopferhaftung bereit und liefert einen neuen Diskussionspunkt zu einer aktuellen Rechtsprechung.