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Die Entscheidung zwischen beiden Ansätzen ist schwierig.524 Für eine Rechtmä-
ßigkeitsbeurteilung, die sich an den Verhaltensnormen und damit am Handlungsunrecht orientiert, spricht, dass die gegenwärtigen Rechtsordnungen ausdifferenzierte Sozialordnungen darstellen, die versuchen, den vielfältigen Interessensund Handlungsverflechtungen nachzukommen.525 Gleichzeitig spricht aber die
Unmöglichkeit gegen diesen Ansatz, auch bei sorgfältigster ex ante-Betrachtung
jedwede Beeinträchtigung bereits gesetzlich vorherzusehen. Sicherlich ist es hier
angebracht, darauf hinzuweisen, dass kein Gesetzgeber diesem Anspruch gerecht
werden kann. Deshalb stehen ihm auch Mittel und Wege zur Verfügung, diesem
Defizit weitestgehend zu begegnen. Entweder kann er auf unbestimmte Rechtsbegriffe im Tatbestand der Norm zurückgreifen oder der zuständigen hoheitlichen
Gewalt ein Ermessen einräumen, um so einen flexiblen Gesetzestext zu gestalten,
der eben auf diese Ausnahmesituationen anzupassen ist. Zudem gibt es die Möglichkeit zur Einfügung von Härtefallklauseln.
Es sprechen aber auch nicht nur Gründe für die Befolgung des Ansatzes, der auf
das Erfolgsunrecht abstellen will. Denn führte jede zu missbilligende Folge hoheitlichen Handelns letztlich zu einer Haftung, liefe damit die Gefahr der Lähmung der öffentlichen Gewalt einher.526 Die Einordnung muss als Konsequenz
aus dem vorher Festgestellten eine Kompromisslösung darstellen: zum einen sollen die Individualrechte nach dem Gebot des effektiven Rechtsschutzes geschützt
werden; zum anderen darf die hoheitliche Tätigkeit nicht zu sehr durch Individualrechtsschutz beeinträchtigt werden.
3. Orientierung an den Rechtsschutzmöglichkeiten gegen rechtmäßige und
rechtswidrige Hoheitsakte
Schröder527 schlägt in diesem Zusammenhang vor, die Lösung des Konflikts in
der Analyse der Rechtsschutzmöglichkeiten gegen rechtmäßige und rechtswidrige Hoheitsakte zu suchen. Anhand dieser Analyse lasse sich bestimmen, welche
rechtliche Einordnung zu einem optimalen Ausgleich der gegenseitigen Interessen führe.528
524 Ausdrücklich offen lassend: Haack, Die außervertragliche Haftung der Europäischen
Gemeinschaften für rechtmäßiges Verhalten ihrer Organe, S. 85, da die Verletzung des Lastengleichheitssatzes in jedem Fall nach einem finanziellen Ausgleich verlange.
525 Schröder, Rechtsschutz gegenüber rechtmäßigem Handeln der EU, S. 36.
526 Luhmann, Öffentlich-rechtliche Entschädigung, S. 134. Auf diesen Aspekt wird weiter
unten noch genauer einzugehen sein, vgl.: Vierter Teil III.
527 Schröder, Rechtsschutz gegenüber rechtmäßigem Handeln der EU, S. 22 ff.
528 Schröder, Rechtsschutz gegenüber rechtmäßigem Handeln der EU, S. 22.
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In der Konstellation, dass an sich rechtmäßiges Handeln einen rechtlich missbilligenswerten Erfolg herbeiführt, scheidet in der Regel529 Primärrechtsschutz
aus.530 Würde diese Fallkonstellation dennoch den gesamten grundrechtlichen
Abwehrmechanismus aktivieren, schwebte über jeder verwaltungstechnischen
Maßnahme das Damoklesschwert der durch unvorhersehbare Konsequenzen ausgelösten Rechtswidrigkeit und Aufhebbarkeit.531 Das kann aus Sicht der Verwaltung nicht gewollt sein. Ebenso geht es dem Betroffenen auch nicht darum, den
Rechtsakt zu beseitigen. Vielmehr will er Kompensation seiner Vermögenseinbu-
ßen erlangen. Es ist vielmehr sinnvoll, dem Rechtssuchenden sekundären Rechtsschutz zu gewähren, der auf den Schadensausgleich gerichtet ist. Dieser Ansatz
ist vielversprechend, da er den rechtmäßigen Rechtsakt bestehen lässt. Der Hoheitsträger ist also nicht erneut zum Tätigwerden verpflichtet und der Betroffene
kann gleichzeitig Ersatz seiner Vermögenseinbuße verlangen weil der Hoheitsträger ihm gegenüber haftet. Beurteilte man nach diesem Ansatz den Rechtsakt insgesamt als rechtmäßig, würde man den widerstreitenden Interessen über die Einräumung von Sekundärrechtsschutz gerecht werden. Dieser Weg erinnert an die
Theorie des Handlungsunrechts.
Von Bogdandy regt im Zusammenhang mit dem Rechtschutz im Gemeinschaftsrecht an, das hoheitliche Handeln in zwei Teilakte aufzuspalten. Der erste Teilakt
erfasse das rechtmäßige Handeln an sich, der andere Teil beziehe sich auf das
rechtswidrige Unterlassen einer Bestimmung, die den unzumutbaren Erfolg abwende oder kompensiere.532 Dass die Folge der Schädigung dem Betroffenen
nicht als rechtmäßiger Erfolg verbleibe, rechtfertige die Entschädigungsvornahme, für die anderenfalls kein Rechtfertigungsgrund bestünde.533 In der Tat
bleibt auch bei dieser Herangehensweise der rechtmäßige Teilakt infolge seiner
Unanfechtbarkeit bestehen, und der Betroffene ist angehalten, entweder im Wege
des Primärrechtsschutzes den Hoheitsträger aufzufordern, eine Ausgleichsregelung zu erlassen oder bei Verweigerung dessen, Sekundärrechtsschutz einzuholen.
4. Fazit
Im Ergebnis führen beide angesprochenen Wege zu einer Einordnung des hoheitlichen Handelns im Bereich der Rechtmäßigkeit. Über beide Wege wird der streitige Rechtsakt aus dem Rechtswidrigkeitsurteil herausgenommen und dem Betroffenen dennoch ausreichender Rechtsschutz in Form der Wertverlust-Kompen-
529 Vgl. aber die Auseinandersetzung mit der Rechtsprechung des EuGH in der Rs. T-Port:
Zweiter Teil II. 1.
530 Jaschinski, Der Fortbestand des Anspruchs aus enteignendem Eingriff, S. 238.
531 Jaschinski, Der Fortbestand des Anspruchs aus enteignendem Eingriff, S. 239.
532 v. Bogdandy, in: Grabitz/Hilf, Art. 288, Rn. 95 a.E.
533 Ossenbühl, Staatshaftungsrecht, S. 273.
Chapter Preview
References
Zusammenfassung
Die Studie begründet, weshalb die Haftung der Europäischen Gemeinschaft für rechtmäßige Rechtsetzungsakte keinen Verstoß gegen Grundsätze des Gemeinschaftsrechts darstellt. Im Gegenteil: Diese Haftung für Sonderopfer ist gemeinschaftsrechtskonform und liefert zugleich einen Beitrag zur grundrechtlichen Anerkennung der Entschädigungspflicht für eigentumsentziehende oder -entwertende Maßnahmen. Mittels einer detaillierten rechtsvergleichenden Untersuchung zur Entschädigungspflicht bei Eigentumsentzugsmaßnahmen und zur gemeinschaftsrechtlichen Grundlage der europäischen Sonderopferhaftung stellt die Bearbeitung einen alternativen Ansatzpunkt für die Sonderopferhaftung bereit und liefert einen neuen Diskussionspunkt zu einer aktuellen Rechtsprechung.