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Erster Teil:
Eigentumsschutz im Völker- und Gemeinschaftsrecht
I. Einleitende Gedanken zur Prüfung des Eigentumsschutz im Völker- und
Gemeinschaftsrecht
Die Untersuchung des Eigentumsschutzes im Völker- und Gemeinschaftsrecht
dient der Beantwortung der Frage, ob auf Gemeinschaftsebene überhaupt die Entschädigung für Enteignungen oder einer Enteignung gleichkommenden Maßnahme grundrechtlich vorgesehen ist. Reichte der Eigentumsgrundrechtsschutz
nicht so weit, dass in der Enteignung oder in der Beeinträchtigung gleich einer
Enteignung ohne (angemessene) Entschädigung ein Verstoß läge, bräuchte über
eine Erweiterung der Haftung der Europäischen Gemeinschaft im Bereich der au-
ßervertraglichen Haftung nach Art. 288 Abs. 2 EG nicht nachgedacht zu werden.19 Denn wenn schon der Enteignungsakt an sich keine Entschädigungspflicht
nach sich ziehen würde, käme erst recht keine etwaige Entschädigungspflicht für
Eigentumsbeeinträchtigungen in Betracht, die zwar keine technische Enteignung
darstellen, aber durch ihre Sonderopfer begründende Lage enteignungsgleich
wirken. Der Frage der gemeinschaftsrechtlichen Entschädigung für Eigentumseingriffe geht notwendigerweise die Darstellung voraus, ob und in welcher
Weite das Eigentumsgrundrecht auf relevanter völkerrechtlicher und gemeinschaftsrechtlicher Ebene geschützt wird und welche Entschädigungsregelungen
für den Entzug einer Eigentumsposition vorgesehen sind. Untersucht werden soll
zugleich, ob Entschädigungen für entzugsgleiche Maßnahmen unter Zugrundelegung des Grundrechtsschutzes gewährt werden können.
Auf gemeinschaftsrechtlicher und völkerrechtlicher Ebene erfährt das Eigentumsrecht Schutz durch Art. 1 des Ersten Zusatzprotokolls der Europäischen
19 An dieser Stelle sei zur Verdeutlichung folgendes angemerkt: Dogmatische Grundlage für
die aus dem Aufopferungsgedanken resultierende Sonderopferhaftung im deutschen Recht
ist das Prinzip der Lastengleichheit, welches einen besonderen Ausfluss des allgemeinen
Gleichheitssatzes darstellt. Sollte sich im Verlauf der Bearbeitung das Lastengleichheitsprinzip als Basis für die Rechtmäßigkeitshaftung der Gemeinschaft herausstellen, so macht
es die Darstellung des gemeinschaftlichen Eigentumsschutzes nicht obsolet, da die Entschädigung für Eigentumseingriffe die Kompensation eines Eingriffs in die garantierte
Eigentumsgewährleistung und damit eine vorgesehene Wiedergutmachung, darstellt. Die
Eigentumsgarantie schlägt um zur Eigentumswertgarantie. Denn eines wird nach wie vor
feststehen: Es handelt sich um eine Beeinträchtigung des Eigentums. Das Sonderopfer
wird nach Enteignungsgrundsätzen entschädigt werden müssen, da die Entschädigungsregelung wiederum eine besondere Ausprägung des Aufopferungsgedanken darstellt. Vgl.
zur deutschen Rechtslage: Maurer, Allg. VerwR, § 26, Rn. 20, 24, insb. 68; § 27, Rn. 2.
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Menschenrechtskonvention, durch das richterrechtlich anerkannte Eigentumsrecht des EuGH und durch Art. 17 der Europäischen Grundrechte Charta.
II. Eigentumsschutz nach der Europäischen Menschenrechtskonvention
1. Historische Entwicklung
Das Eigentumsrecht ist in der Europäischen Menschenrechtskonvention in Art. 1
des 1. Zusatzprotokolls geregelt. Diese dezentrale Stellung in der Konvention
zeugt davon, dass das Eigentumsrecht vielerlei Fragen aufwirft. Bereits als es um
die Aufnahme des Eigentumsrechts in den Text der EMRK ging, kam es zu fundamentalen Meinungsverschiedenheiten zwischen den Repräsentanten der Gründungsstaaten. Die Erarbeitung einer Vorschrift zum Schutz des Eigentums nahm
mehr Zeit in Anspruch als die Beschlussfassung über Normen in den anderen geregelten Schutzbereichen.20 Als im September 1949 bezüglich des Großteils der
Fragen einer europäischen Konvention Einigkeit bestand und sich die Beratende
Versammlung des Europarates für die Annahme der Konvention aussprach, bestand im Rechtsausschuss weitergehende Unklarheit über den Inhalt einer Norm
zum Schutz des Eigentums.21 Anfänglich wurde eingebracht, die Norm solle sich
an Art. 17 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte orientieren. Dieser
Vorschlag stieß aber nicht auf fruchtbaren Boden, da Art. 17 der Allgemeinen Erklärung als zu grobmaschig empfunden wurde.22 Auch wurde vorgeschlagen, dass
das materielle Eigentumsrecht je nach den besonderen politischen, wirtschaftlichen und sozialen Verhältnissen jeweils in einem Lande zu bestimmen sei und es
deshalb auch verfahrensrechtlich nicht als besonders wünschenswert erscheine,
eine internationale Instanz zur Kontrolle der nationalen Ausformung des Eigentumsrechts zu erschaffen. Ebenso wurde gegen die Aufnahme einer eigentumsschützenden Norm angeführt, dass es nicht gerechtfertigt sei, nur das Eigentum,
nicht aber auch andere soziale und wirtschaftliche Rechte zu garantieren. Da ein
Schutz letzterer in der Konvention direkt nicht vorgesehen sei, solle man auch auf
die Aufnahme des Eigentumsrechts verzichten.23 Gegen einen Eigentumsschutz
sprachen sich insbesondere schwedische und britische Abgeordnete aus. In politischer Hinsicht wurde vorgetragen, dass je nach der Wirtschaftspolitik eines Landes unterschiedliche politische Auffassungen über die Eigentumsgrenzen bestünden, so dass es nicht möglich erscheine, überhaupt eine allgemein annehmbare
Definition von Eigentum auszuarbeiten.24 Insbesondere die britischen Vertreter
20 Dolzer, Eigentum, Enteignung und Entschädigung im geltenden Völkerrecht, S. 94;
Gelinsky, Der Schutz des Eigentums, S. 17; Peukert, EuGRZ 1981, S. 97.
21 Dolzer, Eigentum, Enteignung und Entschädigung im geltenden Völkerrecht, S. 95.
22 Dolzer, Eigentum, Enteignung und Entschädigung im geltenden Völkerrecht, S. 95.
23 Peukert, EuGRZ 1981, S. 97, 98; Brandt, Eigentumsschutz in europäischen Völkerrechtsvereinbarungen, S. 54.
24 Peukert, EuGRZ 1981, S. 97, 98.
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References
Zusammenfassung
Die Studie begründet, weshalb die Haftung der Europäischen Gemeinschaft für rechtmäßige Rechtsetzungsakte keinen Verstoß gegen Grundsätze des Gemeinschaftsrechts darstellt. Im Gegenteil: Diese Haftung für Sonderopfer ist gemeinschaftsrechtskonform und liefert zugleich einen Beitrag zur grundrechtlichen Anerkennung der Entschädigungspflicht für eigentumsentziehende oder -entwertende Maßnahmen. Mittels einer detaillierten rechtsvergleichenden Untersuchung zur Entschädigungspflicht bei Eigentumsentzugsmaßnahmen und zur gemeinschaftsrechtlichen Grundlage der europäischen Sonderopferhaftung stellt die Bearbeitung einen alternativen Ansatzpunkt für die Sonderopferhaftung bereit und liefert einen neuen Diskussionspunkt zu einer aktuellen Rechtsprechung.