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Fazit der Untersuchung
Die Untersuchung ließ deutlich erkennen, welchen hohen Anforderungen sich der
Gesetzgeber bei der Ausgestaltung des UrhG im Bildungs- und Wissenschaftsbereich ausgesetzt sieht. Es erscheint nicht übertrieben, ihn als Schlichtungsorgan der
widerstreitenden Interessen zu bezeichnen, die jeweils an einer entgegengesetzten
Seite des „Gesetzgebungsstranges“ ziehen. Vonseiten der Lobbyisten der Nutzer
wird dabei teilweise versucht, die Sozialpflichtigkeit des geistigen Eigentums zu benutzen und in einer bis an die Grenzen der Unerträglichkeit reichenden Art und Weise in ihrer Geltung auszuweiten, um einen Anspruch auf Information darzutun und
das eigentlich bezweckte „Sparanliegen“ dabei nicht allzu auffällig erscheinen zu
lassen. Aus der Stellungnahme der Kultusministerkonferenz zu dem Referentenentwurf des Zweiten Gesetzes zur Regelung des Urheberrechts in der Informationsgesellschaft vom 27.09.2004 wird das eigentliche Begehren aus Nutzersicht deutlich,
wenn es dort heißt, dass angesichts der anhaltenden schlechten Haushaltslage darauf
zu achten ist, dass mit dieser Urheberrechtsnovelle keine neuen Belastungen auf die
Länder und die kommunalen Schulträger zukommen.835
Vordergründig ist offensichtlich die finanzielle Schonung der Haushaltskassen
angestrebt, was selten in dieser Deutlichkeit offenbart wird. Die vermeintlich
schlechten Bedingungen für die Gewährleistung einer zeitgemäßen (Aus-) Bildung
und Wissenschaft infolge der Ausgestaltung der urheberrechtlichen Regelungen erscheinen damit teilweise als vorgeschobener Grund, die urheberrechtlichen Schranken weiter auszuweiten. Alternativen zu den meist als gesetzliche Lizenz ausgestalteten urheberrechtlichen Schranken zugunsten der unbestrittenen Bedürfnisse von
Bildung und Wissenschaft an umfangreichen Nutzungsmöglichkeiten urheberrechtlich geschützter Werke zu angemessenen Bedingungen werden von dem Gesetzgeber nur spärlich in Erwägung gezogen. Beispielsweise wird die Funktionsfähigkeit
von Online-Lizenzmodellen – legen die Lobbyisten aus den Nutzerkreisen doch so
erheblichen Wert auf die Verwendung der neuen Technologien – in diesem Zusammenhang kaum erörtert. Der Gesetzgeber steigt daher häufig gar nicht erst in den
nicht überprüfbaren Beurteilungsspielraum ein.
835 Stellungnahme der Kultusministerkonferenz vom 11.11.2004 zum Referentenentwurf eines
Zweiten Gesetzes zur Regelung des Urheberrechts in der Informationsgesellschaft vom
27.09.2004, S. 2, abrufbar unter: www.urheberrecht.org. Einen interessanten Ansatz bringt
dabei Hansen, in: GRUR Int. 2005, S. 378, 379: „Auch sollten die Resultate öffentlich finanzierter Forschung nach Ansicht des Verfassers stärker öffentlich zugänglich sein. Die enorme
Verteuerung wissenschaftlicher Zeitschriftenabonnements in Zeiten leerer öffentlicher Kassen
(sog. ‚Journal Crisis’) schließlich ist Anlass genug, sich Gedanken zu machen, welche neuen
Wege beim wissenschaftlichen Publizieren – nicht gegen Wissenschaftsverlage, sondern für
die Wissenschaftler – beschritten werden können.“
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Im Ergebnis sollten zwei Grundgedanken hinsichtlich des Status quo der urheberrechtlichen Schranken für Bildung und Wissenschaft festgehalten werden. Zum einen lässt die Ausgestaltung des geltenden UrhG in diesen Bereichen eine ausgewogene Balance zwischen den widerstreitenden Interessen vielfach vermissen. Unter
Berücksichtigung der konventions- und europarechtlichen sowie der verfassungsrechtlichen Vorgaben erscheinen Korrekturen teilweise zwingend geboten. Zum anderen hat die Fülle der dargestellten Streitigkeiten über die Reichweite der Anwendungsbereiche der einzelnen urheberrechtlichen Schranken die fehlende Transparenz
derselben gezeigt. Derzeit ist die Reichweite der lizenzfreien Nutzungsmöglichkeiten weitläufig kaum mit juristischem Wissen zu begreifen. Wie aber ist es unter diesen Bedingungen den juristischen Laien zumutbar, den Anwendungsbereich zu erfassen und rechtstreu zu handeln? Weitergehende Klarstellungen wären mehr als nur
wünschenswert.
Nicht zuletzt aus Gründen der Transparenz wäre aus hiesiger Hinsicht auch ein
Umdenken von dem scheinbar im deutschen Urheberrecht verwurzelten Grundsatz,
der Schulunterricht sei ausnahmslos nichtöffentlicher Natur, zu begrüßen. Der
Schulunterricht heute ist nicht mehr mit jenem der 1980er Jahre zu vergleichen.
Vielmehr sind die Unterrichtseinheiten häufig von einer gewissen Anonymität geprägt. Unabhängig davon erscheint es für ein klareres Rechtsverständnis angebracht,
allein die Nutzungen innerhalb eines privaten Kreises urheberrechtsirrelevant zu belassen. Den berechtigten Interessen der Allgemeinheit könnte man anschließend
über entsprechende einheitliche Schrankenregelungen gerecht werden, wobei eine
klare Trennung zwischen den analogen und digitalen Nutzungen vorgenommen
werden sollte, um die jeweiligen Besonderheiten nicht zu vermischen. Niemand
wird ernsthaft leugnen wollen, dass digitale Techniken mittlerweile einen weitaus
intensiveren Einfluss auf die Ausschließlichkeitsrechte der Urheber haben. Aus urheberrechtlicher Sicht reicht die digitale Welt an eine virtuelle Welt unbegrenzter
Möglichkeiten mit großen realen Auswirkungen heran, die jedoch nicht unter Umgehung der ideellen und finanziellen Interessen der Urheber zugunsten der Nutzenden wirken dürfen, wenngleich den Bildungs- und Wissenschaftsbedürfnissen diese
Möglichkeiten zur Weiterentwicklung des geistigen und technischen Wissens unstreitig zu angemessenen Bedingungen zur Verfügung stehen müssen.
Der Maßstab für die Angemessenheit wird von jedem beteiligten Interessenkreis,
ohne pessimistisch erscheinen zu müssen, auch zukünftig an unterschiedlicher Stelle
angesiedelt werden. Umso wichtiger ist die Tätigkeit des Gesetzgebers, bei der er
sich seinem ihm obliegenden Beurteilungsspielraum nicht verschließen darf und
auch ein Versetzen der scheinbaren Grundmauern nicht außer Betracht lassen sollte.
Insofern darf mit Spannung bereits jetzt den Entwürfen eines Dritten Gesetzes zur
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Regelung des Urheberrechts in der Informationsgesellschaft entgegengesehen werden.836
836 Vgl. insofern den Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen anlässlich der
Arbeiten an dem Zweiten Gesetz zur Regelung des Urheberrechts in der Informationsgesellschaft, BT-Drs. 16/5939, S. 60, wonach für die Aufforderung des Bundestages gegenüber der
Bundesregierung plädiert wurde, dass diese zeitnah einen entsprechenden Gesetzesentwurf
vorzulegen habe. Vgl. insbesondere auch Becker, in: ZUM 2008, S. 361 ff., der die vom
Deutschen Bundestag ausgewählten Handlungsfelder für einen eventuellen Regelungsbedarf
nach dem 01.01.2008 darstellt.
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References
Zusammenfassung
In Bildung und Wissenschaft ist der Einsatz vielfältiger Medien, insbesondere auch unter Rückgriff auf modernste Techniken, unentbehrlich. In diesen Bereichen treffen die widerstreitenden Interessen von Nutzern und Rechteinhabern vor allem unter fiskalischen Gesichtspunkten in sensiblem Maße aufeinander. Dem Gesetzgeber obliegt es, mittels der urheberrechtlichen Schranken zwischen ihnen eine ausgewogene Balance zu schaffen. Die Autorin zeigt auf der Basis einer eingehenden Interessenanalyse unter Berücksichtigung von Rechtsprechung und Literatur die geltende Rechtslage auf, würdigt sie kritisch und entwickelt Reformansätze, besonders auch im Hinblick auf das urheberrechtliche Öffentlichkeitsverständnis.