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II. Öffentlichkeitsbegriff
1. Legaldefinition des § 15 Abs. 3 S. 2 UrhG
a) Europäische Vorgaben für die Öffentlichkeit
Aus dem Erwägungsgrund 23 der Harmonisierungsrichtlinie geht hervor, dass das
für die öffentliche Wiedergabe geltende Urheberrecht weiter harmonisiert werden
sollte. Daneben heißt es im Erwägungsgrund 23 wörtlich:
„Dieses Recht sollte im weiten Sinne verstanden werden, nämlich dahingehend, dass es jegliche Wiedergabe an die Öffentlichkeit umfasst, die an dem Ort, an dem die Wiedergabe ihren
Ursprung nimmt, nicht anwesend ist. Dieses Recht sollte jegliche entsprechende drahtgebundene oder drahtlose öffentliche Übertragung oder Weiterverbreitung eines Werks, einschließlich der Rundfunkübertragung, umfassen.“
Der Richtliniengeber gibt daher nur vor, dass auch die sukzessive Öffentlichkeit erfasst wird und es jedenfalls für das Vorliegen einer Öffentlichkeit nicht darauf ankommt, ob das Publikum an einem Ort versammelt ist. Während des Richtliniengebungsverfahrens wurde im Weiteren nur klargestellt, dass bei einer Nutzung im Familienkreis keine Öffentlichkeit vorliege, bei zwei Personen im Einzelfall Öffentlichkeit hingegen vorliegen kann.301 Auf eine Legaldefinition verzichtete der Richtliniengeber aber. Wann außerhalb des Familienkreises noch von Nichtöffentlichkeit
gesprochen werden kann, bleibt den Mitgliedstaaten überlassen. Dem nationalen
Gesetzgeber bleibt damit ein weitgehender Spielraum für den Umgang mit der Öffentlichkeit.302 Im Ergebnis ist es vor dem Hintergrund der weitreichenden Bedeutung des Öffentlichkeitsbegriffes zu bedauern, dass in der Harmonisierungsrichtlinie
die Vorgaben für das Verständnis der Öffentlichkeit im urheberrechtlichen Sinne nur
im Ansatz angesprochen worden sind und weitere Präzisierungen außen vor blieben.303
b) Recht der öffentlichen Wiedergabe
Wie vorstehend bereits erwähnt, obliegt dem Urheber von Gesetzes wegen das ausschließliche Recht, sein Werk in unkörperlicher Form öffentlich wiederzugeben.
301 Legislative Entschließung des Europäischen Parlaments in erster Lesung mit etlichen Abänderungsvorschlägen v. 10.02.1999, ABlEG Nr. C 150/ 170, 174.; vgl. zum Verständnis des
Öffentlichkeitsbegriffs in der Harmonisierungsrichtlinie auch: Schippan, Die Harmonisierung
des Urheberrechts in Europa, S. 148.
302 Vgl. dazu im Einzelnen: Walter, Europäisches Urheberrecht, III. Kapitel, Rn. 86.
303 Auch in den zuvor erlassenen Richtlinien der EG oder in den internationalen Übereinkommen
findet sich keine nähere Definition des Öffentlichkeitsbegriffs. Vgl. v. Ungern-Sternberg, in:
Schricker, UrhR, § 15, Rn. 61 und für die Datenbankrichtlinie (96/9/EG) vom 11.03.1996,
Gaster, Der Rechtsschutz von Datenbanken, Rn. 321 ff.; dens., in: ZUM 1995, S. 740, 748.
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Nach § 15 Abs. 3 S. 1 UrhG ist eine Wiedergabe dann öffentlich, wenn sie für eine
Mehrzahl von Mitgliedern der Öffentlichkeit bestimmt ist. Welche Personen zur Öffentlichkeit gehören, regelt im unmittelbaren Anschluss daran § 15 Abs. 3 S. 2
UrhG. Danach gehört in negativer Abgrenzung jeder der Öffentlichkeit an, der nicht
mit demjenigen, der das Werk verwertet, oder mit den anderen Personen, denen das
Werk in unkörperlicher Form wahrnehmbar oder zugänglich gemacht wird, durch
persönliche Beziehungen verbunden ist. Die öffentliche Werkwiedergabe enthält
damit ein quantitatives und ein qualitatives Merkmal.304 Die Wiedergabe muss zum
einen an eine Mehrzahl von Personen gerichtet sein. Diese Personen müssen zum
anderen der Öffentlichkeit angehören, die wiederum durch ihre fehlenden persönlichen Beziehungen zu dem Werkverwerter oder zu den anderen Personen, die gleichfalls Empfänger der unkörperlichen Werkwiedergabe sind, charakterisiert ist.
aa) Zum quantitativen Merkmal
aaa) Mehrzahl von Personen
Im Interesse des Urhebers werden zur Verneinung der Öffentlichkeit grundsätzlich
hohe Anforderungen zu stellen sein, damit es diesem nicht in einem größeren Umfang, als es der Interessenausgleich zwischen ihm und der Allgemeinheit gebietet,
verwehrt ist, über die unkörperliche Verwertung seines Werkes zu bestimmen.305
Für die Annahme einer Mehrzahl von Personen reichen daher prinzipiell bereits
zwei Personen aus.306 Dabei ist der Aufenthalt dieser zwei Personen in einem öffentlichen Raum nicht zwingend erforderlich. Öffentlichkeit kann im Einzelfall deshalb
auch dadurch begründet werden, dass zwei Personen ohne persönliche Beziehung
zueinander in einem privaten Raum verweilen, selbst wenn diese Vorstellung sachlich betrachtet eher theoretischer Natur ist.
304 Zum Folgenden: Dreier, in: Dreier/Schulze, UrhG, § 15, Rn. 39.
305 Hoeren, in: Loewenheim, Hdb. des UrhR, § 21, Rn. 7; v. Ungern-Sternberg, in: Schricker,
UrhG, § 15, Rn. 67 m.w.N.
306 BGH, Urteil v. 11.07.1996 – I ZR 22/94, in: GRUR 1996, S. 875, 876 – Zweibettzimmer im
Krankenhaus; der BGH hat zwar mangels Entscheidungserheblichkeit dazu keine abschlie-
ßende Stellung genommen, dass die erforderliche Mehrzahl von Personen bei einer Anzahl
von nur zwei Personen als gegeben erachtet werden kann, jedoch dies seiner revisionsrechtlichen Beurteilung zugrunde gelegt; AG Nürnberg, Urteil v. 17.01.1996 – 32 C 10234/95, in:
NJW-RR 1996, S. 683 – Musiksendung beim Zahnarzt. Auch die herrschende Auffassung in
der Literatur lässt zwei Personen für die Öffentlichkeit genügen, vgl. nur: Dreier, in:
Dreier/Schulze, UrhG, § 15, Rn. 40; Heerma, in: Wandtke/Bullinger, UrhR, § 15, Rn. 15;
oder bereits zur alten Fassung, Haberstumpf, Hdb. UrhR, Rn. 242; Nordemann, in:
Fromm/Nordemann, UrhG, § 15, Rn. 4.
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bbb) Gleichzeitigkeit und Ortsgebundenheit
Für das Vorliegen einer Öffentlichkeit ist es insbesondere nicht erforderlich, dass die
Werkwiedergabe die Personen an einem Ort zur gleichen Zeit erreicht. Diese Frage
wurde unter Geltung des § 15 Abs. 3 UrhG vor der Umsetzung der Harmonisierungsrichtlinie innerhalb des Geltungsbereiches des nationalen Rechts intensiv diskutiert. Nach einer weitverbreiteten Ansicht zu jener Rechtslage sollte eine Werkwiedergabe nur dann öffentlich sein, wenn ein Werk gegenüber einer Mehrzahl von
Personen gleichzeitig wiedergegeben wird.307 Der Gesetzgeber hat den Wortlaut
diesbezüglich trotz des bekannten Streits unverändert gelassen, da dieser sowohl die
gleichzeitige als auch die sukzessive Öffentlichkeit erfasse.308 Eine weitergehende
Klarstellung war aus seiner Sicht daher nicht notwendig. Vielmehr ist die gleichzeitige Wahrnehmung des wiedergegebenen Werkes als ungeschriebenes Merkmal in
das Gesetz von den Vertretern der anderen Auffassung hineininterpretiert worden.
Für den Begriff der Öffentlichkeit kann es nicht erheblich sein, ob die Wahrnehmung des Werkes zeitversetzt erfolgt. Das Merkmal der Gleichzeitigkeit ist nur eine
Frage der Wiedergabeart im Einzelnen. Mit der Einführung des § 19 a UrhG, der
öffentlichen Wiedergabe in Form der öffentlichen Zugänglichmachung, ist dem
Streit um das Erfordernis der gleichzeitigen Wahrnehmung nun endgültig die
Grundlage entzogen. Die öffentliche Zugänglichmachung ist gemäß § 15 Abs. 2
UrhG ein Unterfall der öffentlichen Wiedergabe und nicht an einen Ort bzw. die
Gleichzeitigkeit der tatsächlichen Kenntnisnahme gebunden. Die Definition der Öffentlichkeit ist auf jegliche Art der öffentlichen Wiedergabe bezogen, so dass ein
zeitversetztes Wahrnehmen des Werkes der Annahme der Öffentlichkeit nicht mehr
ernsthaft, zumindest nicht ohne eine systemwidrige Anwendung des Gesetzes und
eine europarechtswidrige Auslegung zu begründen, entgegenstehen kann.
Vorstehendes gilt auch für das zu jener Rechtslage vor der Umsetzung der Harmonisierungsrichtlinie des Jahres 2003 ebenso umstrittene – ungeschriebene – Tatbestandsmerkmal der räumlichen Verbundenheit der Adressaten der Werkwiedergabe. Dieser Punkt ist zunächst entscheidend für die betreffende Art der Wiedergabe
nach § 15 Abs. 2 UrhG. So ist insbesondere bei den Rechten nach § 21 (Recht der
Wiedergabe durch Bild- oder Tonträger) und § 22 (Recht der Wiedergabe von Funksendungen und von öffentlicher Zugänglichmachung) auf das individuelle Wiedergabegerät abzustellen. Dies führt dazu, dass die Wiedergabe in diesen Fällen nur
dann öffentlich ist, wenn der Empfängerkreis an einem Ort versammelt und die
Wiedergabe für ihn gemeinsam wahrnehmbar ist.309 Die gleichzeitige Anwesenheit
in einem Raum ist für die Rechte der § 19 a (Recht der öffentlichen Zugänglich-
307 Vgl. dazu insbesondere: BGH, Urteil v. 13.12.1990 – I ZR 21/89, in: BGHZ 113, S. 159, 161
– Einzelangebot – obiter dictum; Hoeren, in: CR 1996, S. 517, 518; v. Ungern-Sternberg, in:
Schricker, UrhR, § 15, Rn. 59.
308 Amtliche Begründung, BT-Drs., 15/38, S. 17.
309 Heerma, in: Wandtke/Bullinger, UrhR, § 15, Rn. 17.
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machung) und § 20 (Senderecht) dagegen nicht erforderlich. Für die Frage nach der
Öffentlichkeit ist es in diesen Fällen unerheblich, ob die Personen bei der Werkwiedergabe an einem Ort verweilen. Öffentlich kann eine Wiedergabe bei diesen Verwertungsarten auch dann sein, wenn die Mehrzahl von Personen das Werk räumlich
getrennt voneinander wahrnimmt, wie es beispielsweise bei einer Wiedergabe über
das Internet regelmäßig der Fall ist.
Die Wiedergabe muss insbesondere auch für die Öffentlichkeit bestimmt sein. Eine „zufällige Öffentlichkeit“ in diesem Sinne gibt es daher nicht.310 Entscheidend ist
die objektive Bestimmung für eine Mehrzahl von Mitgliedern der Öffentlichkeit,
nicht hingegen der subjektive Wille des Verwerters. Es wird nicht auf die Personen
abgestellt, die das Werk tatsächlich wahrnehmen, sondern auf all diejenigen, an die
sich die Wiedergabe richtet.311
bb) Zum qualitativen Merkmal
Die die Öffentlichkeit ausschließende, durch persönliche Beziehungen geprägte
Verbundenheit zu dem Werkverwerter bzw. der Personen untereinander, denen das
Werk wahrnehmbar oder zugänglich gemacht wird, soll nach verbreiteter Auffassung sowohl von der Zahl der Personen als auch von der Art ihrer durch die jeweiligen Umstände geprägten Beziehung abhängen.312 Wie Dreier zutreffend dazu ausführt, mag der Größe des Personenkreises eine gewisse Indizwirkung zukommen,
zahlenmäßig starre Grenzen gibt es hier jedoch nicht.313 So kann die Wiedergabe vor
zwei Personen öffentlich sein und die vor einer aus hundert Personen bestehenden
Gesellschaft nichtöffentlich.314 Die konkrete Art der zwischen den Personen zu verzeichnenden Beziehungen ist das eigentliche Entscheidungskriterium. Der Gesetzgeber hat in seiner amtlichen Begründung lediglich zu verstehen gegeben, dass Beziehungen, die im Wesentlichen nur in einer technischen Verbindung zu einer
Werknutzung liegen, beispielsweise im Rahmen so genannter File-Sharing-Systeme,
keine persönliche Verbindung begründen könnten.315 Eine weitere Leitlinie zum
310 Amtliche Begründung, BT-Drs. 15/38, S. 17.
311 LG Frankfurt a.M., Urteil v. 26.01.2005- 2- 06 S 5/04, in: ZUM-RD 2005, S. 242, 243 - Musikwiedergabe im Optikergeschäft; AG Kassel, Urteil v. 14.10.1999 – 432 C 152/99, in:
NJW-RR 2000, S. 493 – Musikwiedergabe in Arbeitsräumen eines Blumenladens; Hoeren,
in: Loewenheim, Hdb. des UrhR, § 21, Rn. 11; v. Ungern-Sternberg, in: Schricker, UrhG, §
15, Rn. 68.
312 BGH, Urteil v. 11.07.1996 – I ZR 22/94, in: GRUR 1996, 875, 876– Zweibettzimmer im
Krankenhaus; Heerma, in: Wandtke/Bullinger, UrhR, § 15, Rn.18; v. Ungern-Sternberg, in:
Schricker, UrhR, § 15, Rn.77.
313 Dreier, in: Dreier/Schulze, UrhG, § 15, Rn. 43.
314 Schack, Urheber- und Urhebervertragsrecht, Rn. 400.
315 Amtliche Begründung, BT-Drs. 15/38, S. 17.
88
Verständnis der Verbundenheit durch persönliche Beziehungen gibt er hingegen
nicht.
aaa) Durch Rechtsprechung und Literatur entwickelte Grundsätze zur
Verbundenheit durch persönliche Beziehungen
(?) Allgemeines
Die persönliche Verbundenheit wird nicht nur im Sinne freundschaftlicher oder familiärer Beziehungen zu verstehen sein. Eine rein private Beziehung sei nicht erforderlich, da der Begriff der Öffentlichkeit nicht nur den privaten Gebrauch freistellen soll.316 Die Verbundenheit durch persönliche Beziehungen erfordere somit
nicht einen vertrauten persönlichen Kontakt oder ein inneres persönliches Band.317
Eine persönliche Beziehung bestehe daher zwischen Familienmitgliedern und
Freunden, ohne dass es von Bedeutung sei, ob es sich um persönliche Freunde, Vereinsfreunde o.ä. handelt.318 Auch unter Arbeitskollegen sei eine persönliche Beziehung denkbar, sofern die Arbeit gemeinsam verrichtet werde. Maßgeblich sei demgemäß, ob ein enger Kontakt in der Weise besteht, dass bei den Beteiligten das Bewusstsein hervorgerufen wird, persönlich untereinander verbunden zu sein.319 Dieser
notwendige engere persönliche Kontakt setze voraus, dass es sich um einen überschaubaren Personenkreis handelt, dessen Mitglieder sich auch persönlich kennen.320
Eine vertragliche Beziehung soll für die Annahme einer persönlichen Verbundenheit
jedenfalls nicht ausreichen.321 Ebenso reiche die Zuordnung der Personen zu einer
bestimmten Personengruppe nicht aus.322
Im Ergebnis sei die Frage nach der persönlichen Verbundenheit eine Einzelfallentscheidung. Bei Veranstaltungen komme es letztlich darauf an, ob es sich im Gesamtbild um eine private Veranstaltung handelt, bei der der Zutritt nur einem abgegrenzten Personenkreis zusteht oder ob der Eintritt, gegebenenfalls nach dem Er-
316 V. Ungern-Sternberg, in: Schricker, UrhR, § 15, Rn. 74; Vogtmeier, Elektronischer Pressespiegel, S. 63.
317 V. Ungern-Sternberg, in: Schricker, UrhR, § 15, Rn. 75.
318 Zum Folgenden: Haupt, in: KUR 2004, S. 65, 66.
319 BGH, Urteil v. 11.07.1996 – I ZR 22/94, in: GRUR 1996, S. 875, 876; BGH, Urteil v.
12.07.1974 – I ZR 68/73– Alters-Wohnheim, in: GRUR 1975, S. 33, 34.
320 BGH, Urteil v. 12.07.1974 – I ZR 68/73– Alters-Wohnheim, in: GRUR 1975, S. 33, 34.
321 OLG Frankfurt, Urteil v. 20.03.1986 – 6 U 43/85, in: NJW-RR 1986, S. 1056, 1057 – Tanzkurs III.
322 Aus diesem Grund ist beispielsweise eine Wiedergabe in der Justizvollzugsanstalt als öffentlich zu beurteilen, vgl. BGH, Urteil v. 07.06.1984 – I ZR 57/82, in: GRUR 1984, S. 734 ff. –
Vollzugsanstalten.
89
werb einer Eintrittskarte, jedermann offensteht.323 Unter der Geltung des LUG vertrat der BGH noch die Auffassung, dass das ursprünglich vorhandene Band einer
persönlichen Verbundenheit bei einer Veranstaltung durch die Zulassung Außenstehender durchbrochen wird, selbst wenn es sich lediglich um die Zulassung von
Freunden und Verwandten der Beteiligten handelt.324 Dagegen wird nunmehr eingewandt, dass die Verbundenheit durch persönliche Beziehungen nicht jeweils unmittelbar bestehen müsse, da sie auch durch Beteiligte vermittelt werden könne.325
() Auswirkungen auf Unterrichtseinheiten und sonstige Veranstaltungen in Bildungseinrichtungen
Unter dem Vorzeichen der vorstehenden Ansätze wurden Wiedergaben innerhalb
des gewöhnlichen Schulunterrichts seit jeher als nichtöffentlich angesehen.326 Der
Rechtsausschuss des Deutschen Bundestages betonte im Zuge der Gesetzesnovelle
von 1985 explizit, dass Wiedergaben von Aufzeichnungen urheberrechtlich geschützter Werke im Schulunterricht keine öffentliche Wiedergabe seien.327 Neumann
erklärte hierzu, dass diese Aussage des Rechtsausschusses etwas irreführend sei. Der
Kern dieser Aussage beziehe sich nämlich nicht nur auf Wiedergaben von Aufzeichnungen, sondern auf alle Wiedergaben von Werken, die im Schulunterricht als
nichtöffentlich anzusehen sind.328 Die Schüler und Lehrer würde jedenfalls eine
weitgehend vertraute Beziehung zueinander verbinden, wenngleich diese bekanntlich nicht immer harmonisch sei. Sie würden sich mit Namen und ihren Eigenarten
kennen und fühlten sich über den Zusammenschluss des Klassenverbandes zueinander persönlich verbunden.329
323 Heerma, in: Wandtke/Bullinger, UrhR, § 15, Rn.18; vgl. auch: Bender, in: RdJB 1985, S.
486, 488 f.
324 BGH, Urteil v. 24.06.1955 – I ZR 178/53, in: GRUR 1955, S. 549, 551 – Betriebsfeiern.
325 Heerma, in: Wandtke/Bullinger, UrhR, § 15, Rn. 19; v. Ungern-Sternberg, in: Schricker,
UrhR, § 15, Rn. 76.
326 Vgl. nur: LG München I, Beschluss v. 30.03.2004 – 21 O 4799/04, in: InstGE 4, S. 283, 286;
Bender, in: RdJB 1985, S. 486, 489; Neumann, Urheberrecht und Schulgebrauch, S. 93; v.
Ungern-Sternberg, in: Schricker, UrhR, § 15, Rn. 72. Auch die GEMA hat ihre ursprünglich
entgegengesetzte Auffassung geändert und erkennt nunmehr die Nichtöffentlichkeit des
Schulunterrichts an, vgl. dazu: Weinberger, Musiknutzung an Schulen, in: Musik & Bildung
spezial „Wert der Kreativität“, S. 12.
327 Rechtsausschuss des Deutschen Bundestages, BT-Drs. 10/3360, S. 19.
328 Neumann, Urheberrecht und Schulgebrauch, S. 93. Die Wiedergabe von Aufzeichnungen ist
aber in der Praxis von fast ausschließlicher Bedeutung, weswegen der Rechtsausschuss seine
Aussage daraufhin etwas irreführend beschränkte. Die urheberrechtliche Irrelevanz der Wiedergabe des Werkes sagt aber nichts über die Legitimation der Herstellung von Aufzeichnungen des betreffenden Werkes aus.
329 Bender, in: RdJB 1985, S. 486, 489.
90
Im Gegensatz zum Schulunterricht wird die Werkwiedergabe anlässlich einer
Hochschulvorlesung nach der Rechtsprechung und einem überwiegenden Teil der
Literatur als öffentlich qualifiziert.330 Dabei wird nochmals ausdrücklich klargestellt,
dass nicht erst ein eventueller Zutritt Außenstehender eine Veranstaltung öffentlich
werden lässt, sondern die persönliche Bindung der Beteiligten untereinander entsprechend „eng genug“ sein muss. Die Teilnehmeranzahl an Hochschulvorlesungen
sei von einem breiten Publikum geprägt, wobei zum Teil sowohl fächerübergreifend
gelehrt wird als auch kurzfristige Wechsel der Teilnehmer regelmäßig einzuplanen
sind. Ein engerer persönlicher Kontakt zwischen allen Beteiligten sei vor diesem
Hintergrund meist auszuschließen. Der Hochschulbetrieb weise durchweg einen erheblichen Grad an Anonymität auf, so dass diesbezüglich allenfalls ein „oberflächliches Kennen“ angenommen werden könne.331 Trotz des wohl unstreitig erhöhten
Grades an Anonymität bei universitären Vorlesungen sieht Rehbinder durch den
Zweck des Vorlesungsbesuches und die Einordnung in den Studienbetrieb eine nach
dem UrhG ausreichende Verbundenheit als gegeben an.332 Im Vergleich dazu wird
die Seminarveranstaltung an der Hochschule ohne weitläufige Begründungen als
nichtöffentliche Veranstaltung eingestuft.333
Gleichermaßen sei es eine nichtöffentliche Veranstaltung, wenn im Rahmen eines
Elternabends die Schüler eine Werkwiedergabe präsentieren. Die einzelnen Eltern
kennen zwar zum Teil nicht den Namen aller Schüler und Eltern, die entscheidende
Verbundenheit liege hier aber zwischen den Eltern und dem Lehrer. Die gemeinsame Erziehungsaufgabe der Eltern und des Lehrers, die nach der Rechtsprechung des
BVerfG nicht in Teilbereiche aufgegliedert werden kann, bilde hier das entscheidende Bindeglied.334
bbb) Kritische Würdigung und Lösungsvorschlag
Als Grundsatz sei vorangestellt, dass der erforderliche Grad der persönlichen Beziehungen, der zu jener Verbundenheit führt, dass im Ergebnis von einer Nichtöffent-
330 OLG Koblenz, Urteil v. 07.08.1986 – 6 U 606/83, in: NJW-RR 1987, S. 699, 700; Dreier, in:
Dreier/Schulze, UrhG; § 15, Rn. 44; Heerma, in: Wandtke/Bullinger, UrhR, § 15, Rn. 20;
Schack, Urheber- und Urhebervertragsrecht, Rn. 400; v. Ungern-Sternberg, in: Schricker,
UrhR, § 15, Rn. 81.
331 OLG Koblenz, Urteil v. 07.08.1986 – 6 U 606/83, in: NJW-RR 1987, S. 699, 700.
332 Rehbinder, UrhR, Rn. 316.
333 Sieber, Memorandum, in: Hochschulrektorenkonferenz 2/2005, S. 47, 74; Aktionsbündnis
„Urheberrecht für Bildung und Wissenschaft“, Stellungnahme vom 26.11.2004 zum Referentenentwurf für ein Zweites Gesetz zur Regelung des Urheberrechts in der Informationsgesellschaft vom 27.09.2004, S. 13, abrufbar unter: www.urheberrecht.org; vgl. aber Lorenz, der
lediglich die Möglichkeit dessen in Aussicht stellt, in: RdJB 2005, S. 43, 44.
334 Vgl. dazu: BVerfG, Urteil v. 06.12.1972 – 1 BvR 230/70 und 95/71, BVerfGE 34, S. 165,
183– Förderstufenurteil; Bender, in: RdJB 1985, S. 486, 490.
91
lichkeit im urheberrechtlichen Sinne gesprochen werden kann, einer Entscheidung
des Einzelfalls vorbehalten bleiben muss. Die entwickelten Ansätze für die Beantwortung im Einzelfall sollten jedoch nach der hier vertretenen Ansicht in einigen
Punkten korrigiert werden.
(?) Zur Verbundenheit durch persönliche Beziehungen
Zugestimmt wird der allgemeinen Meinung, dass für eine persönliche Beziehung
nach der geltenden Rechtslage nicht nur rein private Verbindungen maßgebend sind.
Der Wortlaut des § 15 Abs. 3 S. 2 UrhG lässt insoweit auch persönliche Beziehungen außerhalb eines privaten Kreises zu. Zu eruieren ist in diesem Zusammenhang
aber die wesentliche Frage, wann überhaupt eine persönliche Beziehung außerhalb
eines privaten Kreises denkbar ist. Unter Umständen ist dies tatsächlich bei Arbeitskollegen anzunehmen, die in einem engen Verhältnis gemeinsam ihre Arbeit verrichten. Im Rahmen eines weitergehenden Kollegiums können hingegen bereits Bedenken laut werden, ob persönliche Beziehungen zwischen den einzelnen Personen
tatsächlich bestehen. Ist es heutzutage innerhalb eines größeren Kollegiums doch
eher die Regel (wobei an dieser Stelle bewusst auf eine Zahlenangabe verzichtet
werden soll), dass oftmals wenig mehr als ein oberflächlicher „Smalltalk“ in zeitlich
äußert begrenzten Zusammentreffen stattfindet. Persönliche Beziehungen sind hier
meist nicht anzutreffen.
Der scheinbar im deutschem (Urheber-) Rechtsverständnis fest verankerte Grundsatz, dass Werkwiedergaben im Schulunterricht ausnahmslos nichtöffentlicher Natur
sind, ist aus hiesiger Sicht zu überdenken. In diesem Zusammenhang sei beispielsweise das Kurssystem in den Gymnasien angeführt. Eine persönliche Verbundenheit
und Vertrautheit im Rahmen des Kurssystems eines Gymnasiums in den oberen
Klassenstufen unter allen Schülern wird regelmäßig nicht angenommen werden
können. Die Schüler sehen sich nur gelegentlich über die einzelnen Unterrichtseinheiten. Die Schüler untereinander als auch die Lehrer kennen zum Teil kaum mehr
als den Namen der einzelnen Schüler. Der allgemeine Sprachgebrauch würde unter
einer Verbundenheit durch persönliche Beziehungen und Vertrautheit von Personen
untereinander unzweifelhaft mehr verstehen. Zwar könnte über die mittelbare Verbundenheit aller Schüler zum Lehrer, gestützt auf dessen Erziehungsauftrag, die
Nichtöffentlichkeit bejaht werden. Ein derartiger Umweg dürfte indes zu weit in das
urheberrechtliche Bestimmungsrecht eingreifen, welches bei Annahme der Nichtöffentlichkeit in diesen Fällen nicht zur Anwendung kommen würde. Der Gesetzgeber
hatte die heutigen Kurssysteme im Rahmen seiner amtlichen Begründung aus dem
Jahre 1985 jedenfalls nicht vor Augen. Mit der Klarstellung der Nichtöffentlichkeit
des Schulunterrichts knüpfte der Rechtssausschuss des Deutschen Bundestages naturgemäß auf die Unterrichtsgestaltung zu jener Zeit an.
92
Bei Seminarveranstaltungen an Hochschulen wird eine Verbundenheit durch persönliche Beziehungen der Teilnehmer regelmäßig ebenso nicht angenommen werden können. Denkt man beispielsweise an die Seminare des rechtswissenschaftlichen Studiengangs, kann dabei im Allgemeinen nur schwerlich eine persönliche Beziehung der teilnehmenden Personen untereinander oder zum Leiter des Seminars
festgestellt werden.
Unbefriedigend, nicht zuletzt aus Gründen der Rechtssicherheit, erscheint es in
diesem Zusammenhang jedoch, unterschiedliche Beurteilungen in Fällen der Unterrichtung an Schulen innerhalb des Klassenverbandes oder außerhalb dessen, beispielsweise in einer Kursstufe, vorzunehmen. Gleichermaßen kann dies auf Seminarveranstaltungen an den Hochschulen übertragen werden. Insbesondere ist es aus
hiesiger Sicht auch nur schwer nachvollziehbar, mit welcher tragenden Begründung
die Werkwiedergaben im Schulunterricht als urheberrechtlich irrelevant zu qualifizieren sein sollen. Dieser Nutzungsbereich wäre insofern einem Abwägungsvorgang
zwischen den widerstreitenden Interessen abgeschnitten, was die Gefahr eines nicht
interessengerechten Ergebnisses nach sich ziehen würde. Die konsequentere Lösung
wäre aus diesem Grund vielmehr, Unterrichtseinheiten in sämtlichen Bildungseinrichtungen von Gesetzes wegen als öffentlich im Sinne des Urheberrechts zu qualifizieren und die entsprechende Korrektur, die die schützenswerten Interessen der
Allgemeinheit unstreitig fordern, über die Schranken des urheberrechtlichen Ausschließlichkeitsrechts zu lösen.335 Beide Interessengruppen könnten auf diese Art
gegenübergestellt werden, wobei der Weg für eine ausgewogene Balance mittels einer Abwägung für konkrete Nutzungsvorgänge offenstehen würde. Auch dem allgemeinen, im Urheberrecht fest verankerten Grundsatz, nach welchem dem Urheber
grundsätzlich ein Beteiligungsrecht an jeder Verwertung seines Werkes zustehen
soll, die über einen häuslichen Gebrauch hinausgeht, würde bei einer derartigen Systematik entsprochen werden, da die Nutzung urheberrechtlich geschützter Werke in
den Bildungseinrichtungen nicht ernsthaft zum häuslichen Gebrauch gezählt werden
kann.336
335 Auch Sieber übt Kritik an der möglichen unterschiedlichen Beurteilung verschiedener Unterrichtseinheiten in diesem Zusammenhang. Er verweist in diesem Zusammenhang auf das
schweizerische Urheberrechtsgesetz, nach welchem jegliche Wiedergabe Urheberrechtsrelevanz aufweist und das notwendige Korrelat in einer Schrankenregelung zugunsten der Werknutzungen in der Privatsphäre und von Lehrpersonen für den Unterricht (Art.19) vornimmt,
in: Hochschullehrerkonferenz 2/2005, S. 47, 76. Eine derart tief greifende Abkehr von dem
nationalen Grundsatz, dass die unkörperlichen Verwertungsrechte auf die öffentliche Wiedergabe beschränkt sind, ist jedoch weder realistisch noch notwendig.
336 Vgl. zu diesem Grundsatz: Knap, in: UFITA 92 (1982), S. 21, 34.
93
() Zur Unmittelbarkeit der persönlichen Beziehungen
Eine unmittelbare persönliche Beziehung zwischen allen Beteiligten ist nach der geltenden Rechtslage nicht erforderlich. Die Auslegung des Wortlautes des § 15 Abs. 3
S. 2 UrhG stützt die einschränkende Auffassung, dass die Zulassung Außenstehender das urheberrechtlich relevante Band der persönlichen Verbundenheit stets
durchbricht, nicht. In positiver Abgrenzung ist danach nur derjenige der Öffentlichkeit zuzuordnen, der nicht mit dem Verwerter des Werkes und auch nicht mit den
anderen Adressaten der Werkwiedergabe persönlich verbunden ist. Die Zulassung
von Freunden oder Verwandten nur einzelner Adressaten der Werkwiedergabe entscheidet daher nicht über das Tatbestandsmerkmal der Öffentlichkeit. Es wird von
Gesetzes wegen nicht verlangt, dass ein Beteiligter mit allen anderen Personen persönlich verbunden sein muss, denen das Werk in unkörperlicher Form wahrnehmbar
oder zugänglich gemacht wird. Eine derart strenge Tatbestandvoraussetzung gibt der
Wortlaut des Gesetzes nicht her. Heerma wendet daher zu Recht ein, dass eine dahingehende Auslegung zu eng sein dürfte.337 Etwas anderes wäre auch praktisch
kaum vorstellbar. Man stelle sich als Beispiel den Polterabend eines nicht prominenten Paares vor.338 Bei dieser Veranstaltung kommen teilweise viele Freunde des zukünftigen Brautpaares, die unter Umständen ihre Lebenspartner mitbringen, die
wiederum nicht zwingend ein freundschaftliches oder anderes persönliches Verhältnis zu den Gastgebern aufweisen. Von einer öffentlichen Veranstaltung, auch im urheberrechtlichen Sinne, vermag man bei einem derartigen Ereignis unter Berücksichtigung der Gesamtumstände dennoch nicht ausgehen zu können. Es wäre im
Übrigen auch mit dem Gebot der Rechtssicherheit nur schwer zu vereinbaren, wenn
allein der Faktor Zufall entscheiden könnte, ob alle Gäste ein persönliches Verhältnis zu den Gastgebern oder allen Gästen haben oder ob ein solches nur mittelbar
über einen Gast begründet ist. Maßgebend ist hier, dass nur ein abgegrenzter Personkreis Zutritt zu jener Veranstaltung hat. Im Ergebnis wird stets das Gesamtbild
des Einzelfalls über die Öffentlichkeit oder Nichtöffentlichkeit entscheiden müssen.
2. Reichweite der Definition des § 15 Abs. 3 S. 2 UrhG
Das Gesetz liefert mit § 15 Abs. 3 S. 2 UrhG nunmehr scheinbar eine allgemein anzuwendende Definition der Öffentlichkeit, d.h. nicht spezifisch auf die Werkwiedergabe ausgerichtet. Den Wortlaut des § 15 Abs. 3 UrhG hat der Gesetzgeber im Zuge
der Umsetzung der Harmonisierungsrichtlinie in seiner Grundsystematik geändert.
Nach der Legaldefinition des § 15 Abs. 3 UrhG a.F. war die Wiedergabe eines Werkes dann öffentlich, wenn sie für eine Mehrzahl von Personen bestimmt ist, es sei
337 Heerma, in: Wandtke/Bullinger, UrhR, § 15, Rn. 19.
338 Im Falle des Polterabends eines prominenten Paares könnte die Sachlage gegebenenfalls anders zu beurteilen sein, wenn beispielsweise die Öffentlichkeit durch die Zulassung der Presse an der Veranstaltung teilhaben kann.
94
denn, dass der Kreis dieser Personen bestimmt abgegrenzt ist und sie durch gegenseitige Beziehungen oder durch Beziehungen zum Veranstalter persönlich untereinander verbunden sind. Nach eigenen Angaben strebte der Gesetzgeber mit der
Änderung des Wortlautes jedoch keine wesentlichen inhaltlichen Änderungen an.
Die Neufassung sollte lediglich klarstellende Wirkung mit sich bringen.339 Die zeitlich vor der Gesetzesänderung ergangene Rechtsprechung kann daher in Streitfällen
in diesem Zusammenhang weiterhin herangezogen werden.340 Welche Reichweite
weist aber die Definition der Öffentlichkeit tatsächlich auf?
Sie gilt zunächst für die ausschließlichen Verwertungsrechte aller Arten der unkörperlichen Werkwiedergabe gemäß § 15 Abs. 2 UrhG. Auch für die Verwertungshandlungen in körperlicher Form nach § 15 Abs. 1 UrhG kommt nach allgemeiner
Auffassung die Definition zur Anwendung, sofern es dabei auf eine an die Öffentlichkeit gerichtete Handlung ankommt, wie beispielsweise beim Verbreitungsrecht
nach §§ 15 Abs. 1 Nr. 2, 17 Abs. 1 UrhG.341 Heftig umstritten ist aber, ob die Definition des § 15 Abs. 3 S. 2 UrhG darüber hinaus im gesamten UrhG Anwendung
findet. Der Öffentlichkeitsbegriff ist vor allem auch im Zusammenhang mit der Ver-
öffentlichung eines Werkes nach § 6 Abs. 1 UrhG maßgebend.342 Im Unterschied zu
§ 15 UrhG verzichtete der Gesetzgeber auf eine nachfolgende Definition des Öffentlichkeitsbegriffs in § 6 UrhG. Ob der Begriff der Öffentlichkeit und der verwandten
Begriffe wie „Veröffentlichung“ oder „öffentlich“ innerhalb des UrhG einer einheitlichen Auslegung nach Maßgabe des § 15 Abs. 3 UrhG zuzuführen sind, gilt es
nachfolgend zu klären.
a) Meinungsstand
Die Diskussion über die Reichweite der Öffentlichkeitsdefinition gemäß § 15 Abs. 3
UrhG ist nicht erst mit deren Wortlautänderung im Jahre 2003 hervorgerufen worden. Die Öffentlichkeitsdefinition gab auch vorher schon reichlich Anlass für Diskussionen. Die rechtlichen Unstimmigkeiten finden ihren Ursprung hauptsächlich
darin, dass an das Bejahen der Öffentlichkeit für den Urheber bedeutende Folgen,
jeweils in ein unterschiedliches Ergebnis mündend, geknüpft sind. Liegt eine Veröffentlichung im Sinne von § 6 Abs. 1 UrhG vor, führt dies in der Konsequenz dazu,
339 Vgl. Amtliche Begründung, BT-Drs. 15/38, S. 17.
340 Dreier, in: Dreier/Schulze, UrhG, § 15, Rn. 37.
341 Amtliche Begründung, BT-Drs. 15/38, S. 17; Vgl. auch: BGH, Urteil v. 13.12.1990 – I ZR
21/89, BGHZ 113, S. 159, 161 = GRUR 1991, S. 316, 317– Einzelangebot; Urteil v.
03.07.1981 – I ZR 106/79, in: GRUR 1982, S. 102, 103 – Masterbänder; Dreier, in:
Dreier/Schulze, UrhG, § 15, Rn. 38; v. Ungern-Sternberg, in: Schricker, UrhR, § 15, Rn. 58;
§ 52 a, Rn. 3.
342 Zur Bedeutung und Reichweite der Veröffentlichung eines Werkes vgl. auch die Ausführungen unter B) I., S. 81 ff.
95
dass der Urheber sein Werk als fertig in die Öffentlichkeit entlässt.343 Mit der Veröffentlichung ändert sich der Status eines Werkes erheblich, denn der Urheber verliert
einen Teil der Herrschaft über das von ihm geschaffene Werk. Bei § 6 Abs. 1 UrhG
führt das Bejahen der Öffentlichkeit damit zur Verkürzung der urheberrechtlichen
Rechte, vgl. nur die angeknüpften Folgen einer Veröffentlichung gemäß den §§ 24;
46 Abs. 1; 49 Abs. 2; 51 Nr. 2; 52 Abs. 1; 52 a Abs. 1 UrhG. Im Rahmen des § 15
Abs. 3 UrhG führt das Vorliegen der Öffentlichkeit hingegen zu einer Ausdehnung
der Verwertungsrechte des Urhebers und mithin zu einer stärkeren Stellung des Urhebers. Aus diesen unterschiedlichen Konsequenzen entspringt die Quelle eines
Rechtsstreits über die Reichweite der Legaldefinition des § 15 Abs. 3 S. 2 UrhG.
aa) Differenzierendes Verständnis
Eine weitverbreitete Ansicht sieht in den unterschiedlichen Zielen und Konsequenzen, die an das Vorliegen der Öffentlichkeit geknüpft sind, einen wesentlichen
Grund dafür, dass der Öffentlichkeitsbegriff im UrhG nicht einheitlich zu verstehen
ist.344 Die Vertreter dieser Auffassung setzen für eine Veröffentlichung nach § 6
Abs. 1 UrhG und der damit erforderlichen Zugänglichmachung des Werkes an die
Öffentlichkeit einen strengeren Maßstab an das Vorliegen der Öffentlichkeit als bei
§ 15 Abs. 3 UrhG. Mit Vorliegen der Kriterien des § 15 Abs. 3 UrhG sei noch nicht
zwingend das Werk auch der Öffentlichkeit im Sinne des § 6 Abs. 1 UrhG zugänglich gemacht worden. Das Erfordernis einer differenzierenden Auslegung des Öffentlichkeitsbegriffs innerhalb des UrhG ergebe sich auch aus den verschiedenen
Regelungszwecken der Normen. Schack macht vor diesem Hintergrund auf die vermeintliche Notwendigkeit des unterschiedlichen Verständnisses dieses einen Begriffes aufmerksam.345 Man könne den Urheber vor frühzeitigem Rechteverlust nur
schützen, wenn man in § 6 Abs. 1 UrhG einen engeren Veröffentlichungsbegriff als
in § 15 Abs. 3 UrhG zugrunde legt.
Knap geht mit der Lehre von der unterschiedlichen Bedeutung der Begriffe im
UrhG zwar grundsätzlich konform, sieht die Begründung dagegen nicht in der unterschiedlichen Interessenlage des Urhebers, sondern vielmehr in der Funktion des Urheberrechts überhaupt.346 So liege im Falle der öffentlichen Wiedergabe eines Wer-
343 Zum Folgenden: Schack, Urheber- und Urhebervertragsrecht, Rn. 230.
344 Bueb, Der Veröffentlichungsbegriff, S. 8 ff.; Dreier, in: Dreier/Schulze, UrhG, § 6, Rn. 7;
Haberstumpf, Hdb. des UrhR, Rn. 207, 241; Katzenberger, in: Schricker, UrhR, § 6, Rn. 9; f.;
Krüger, Die Freiheit des Zitats im Multimedia-Zeitalter, S. 34; Loewenheim, Hdb. UrhR, §
21, Rn. 9; Nordemann, in: Fromm/Nordemann, UrhG, § 6, Rn. 1 (unter Aufgabe der Auffassung in der Vorauflage); Poeppel, Die Neuordnung der urheberrechtlichen Schranken, S. 86;
Schack, Urheber- und Urhebervertragsrecht, Rn. 231; Schiefler, in: UFITA 48 (1966), S. 81,
84 ff.; Ulmer, Urheber- und Verlagsrecht, § 32 I, S. 179 f.
345 Schack, Urheber- und Urhebervertragsrecht, Rn. 231.
346 Zum Folgenden: Knap, in: UFITA 92 (1982), S. 21, 32 ff.
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kes die Funktion des UrhG darin, für die unkörperliche Verwertung eines Werkes
den allgemeinen urheberrechtlichen Grundsatz zur Geltung zu bringen, nach welchem dem Urheber ein Beteiligungsrecht an jeder Verwertung seines Werkes zustehen soll, die über den häuslichen Gebrauch hinausgeht. Mit einem Öffentlichkeitsbegriff im Sinne des allgemeinen Sprachgebrauchs wäre dieses Recht des Urhebers
nicht ausreichend gedeckt. Im Vergleich dazu sei die Veröffentlichung „die erste
Etappe auf dem Weg des Werkes zur Gemeinfreiheit“, und gewichtige Interessen der
Allgemeinheit seien fortan mit den Interessen des Urhebers in einen gerechten Ausgleich zu bringen. Die Allgemeinheit hätte damit auch das Interesse der Rechtssicherheit inne, nur solche Werke in das Gemeingut aufzunehmen, die die Schwelle
in die Öffentlichkeit mit dem Willen des Urhebers überschritten hätten.
Insbesondere müsse das Werk auch mehr als zwei Personen als Vertretern der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden, damit der Tatbestand der Veröffentlichung
nach § 6 Abs. 1 UrhG verwirklicht wird.347 Als entscheidendes Kriterium für die
Nichtöffentlichkeit gemäß § 6 Abs. 1 UrhG sehen die Anhänger der differenzierenden Auslegung über die Voraussetzungen des § 15 Abs. 3 S. 2 UrhG hinaus, ob der
Urheber auch in anderen als den Fällen der persönlichen Verbundenheit nach der Art
der Veranstaltung und der teilnehmenden Personen „nicht auf eine Veröffentlichungsreife bedacht zu sein braucht“.348 Unter anderem wird dieser Standpunkt damit bekräftigt, dass bei einem weiten Verständnis von der Öffentlichkeit nach dem
Vorbild des § 15 Abs. 3 UrhG dem Urheber die für ihn wichtige Möglichkeit entzogen würde, sein Werk vor der Veröffentlichungsreife vor einem ausgewählten, aber
nicht untereinander im Sinne des § 15 Abs. 3 UrhG persönlich verbundenen Personenkreis zur Diskussion zu stellen.349 Auch wird in diesem Zusammenhang die
Hochschulvorlesung als Beispiel angeführt, an der die Erforderlichkeit des unterschiedlichen Begriffsverständnisses von der Öffentlichkeit deutlich würde. Liest ein
Hochschulprofessor aus seinem bislang unveröffentlichten Manuskript seiner
neusten Forschungsergebnisse, fehle zwar die persönliche Verbundenheit der Studenten untereinander und zum Dozenten, weswegen Öffentlichkeit im Sinne von §
15 Abs. 3 UrhG anzunehmen ist, die Annahme einer Veröffentlichung im Sinne des
§ 6 Abs. 1 UrhG sei in dieser Fallgestaltung dennoch nicht tragfähig.350 Die Vorlesung dürfe nicht, wie gleichermaßen ein Kongressvortrag, zum Gegenstand einer
öffentlichen Inhaltsangabe gemacht werden.
347 Bueb, Der Veröffentlichungsbegriff, S. 33; Katzenberger, in: Schricker, UrhR, § 6, Rn. 11.
348 Katzenberger, in: Schricker, UrhR, § 6, Rn. 12; Ulmer, Urheber- und Verlagsrecht, § 32 I, S.
179.
349 Vgl. Katzenberger, in: Schricker, UrhG, § 6, Rn. 9; Ulmer, Urheber- und Verlagsrecht, § 32 I,
S. 179.
350 Katzenberger, in: Schricker, UrhR, § 6, Rn. 10 f.
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bb) Einheitliches Verständnis
Andere vertreten den Standpunkt, dass der Begriff der Öffentlichkeit im gesamten
UrhG einheitlich aufzufassen ist.351 Meist wird dabei ohne voluminöse Begründungsversuche davon ausgegangen, dass das Interesse der Gesetzesklarheit und Gesetzeseinheit ein einheitliches Verständnis von der Öffentlichkeit gebieten würde.
Die Gegenansicht würde zu widersprüchlichen und verwirrenden Lösungen führen.352 Im Übrigen bestehe auch keine Notwendigkeit einer unterschiedlichen Begriffsverwendung.353
b) Stellungnahme
Die Stimmen, die im Rahmen des § 6 Abs. 1 UrhG einen eigenen, weiten Öffentlichkeitsbegriff befürworten, begründen dies, wie vorab eingehend ausgeführt, vor
allem mit der unterschiedlichen Zielsetzung der den Öffentlichkeitsbegriff verwendenden Normen. Allein die unterschiedlichen Rechtsfolgen, die an das Vorliegen der
Öffentlichkeit geknüpft sind, vermögen jedoch nicht auch gleichzeitig ein unterschiedliches Verständnis des Öffentlichkeitsbegriffs rechtfertigen. Das unterschiedliche Verständnis des Öffentlichkeitsbegriffs innerhalb des UrhG rührt bei einem
Rückgriff dieses Argumentes offensichtlich von einem Wunschergebnis her. Allein
das – wenn auch im Grundsatz begrüßenswerte – Bestreben, den Belangen des Urhebers weitestgehend Rechnung zu tragen, rechtfertigt ein differenzierendes Verständnis jedoch nach diesseits vertretener Auffassung jedoch nicht.
Das vom gewünschten Ergebnis ausgehende, unterschiedliche Verständnis von
der Öffentlichkeit würde hier ein Ergebnis einseitig zu Lasten der Nutzenden mit
sich bringen. Das UrhG soll indes die widerstreitenden Interessen in ein ausgewogenes Verhältnis zueinander setzen. Zwingende bzw. tragende Gründe, warum der Urheber grundsätzlich sein Inhaltsmitteilungsrecht behalten können soll, wenn er sein
Werk vor einem nicht miteinander persönlich verbundenen Personenkreis vorstellt,
sind nicht ersichtlich. Ab diesem Zeitpunkt kann und sollte es der Allgemeinheit, für
den Urheber nach hier vertretener Auffassung auch ohne Weiteres zumutbar, möglich sein, sich mit dem vorgestellten Inhalt auseinanderzusetzen. Die berechtigten
Interessen der Allgemeinheit, denen letztlich auch der Grundrechtsschutz zur Seite
351 OLG Frankfurt, Urteil v. 28.02.1996 – 11 U 64/94, in: ZUM 1996, S. 697, 701 – Yellow
Submarine; KG, Urteil v. 21.04.1995 – 5 U 1007/95, in: NJW 1995, S. 3392, 3393 – Botho
Strauß; Ahlberg, in: Möhring/Nicolini/Ahlberg, UrhG, § 6, Rn. 11; vom Dorp, Die Zustimmung des Urhebers im Sinn des § 6 UrhG, S. 43; v. Gamm, UrhG, § 6, Rn.7; Goebel/Hackemann/Scheller, in: GRUR 1986, S. 355, 357; Greffenius UFITA 87 (1980), S. 97,
101 f.; Marquardt, in: Wandtke/Bullinger, UrhR, § 6, Rn. 6; Rehbinder, UrhR, Rn. 155;
Schulze, in: NJW 1967, S. 1012.
352 Vom Dorp, Die Zustimmung des Urhebers im Sinn des § 6 UrhG, S. 43.
353 Vgl. nur: Marquardt, in: Wandtke/Bullinger, UrhR, § 6, Rn. 6.
98
steht, gebieten es an dieser Stelle, dass die Veröffentlichung zeitlich nicht weiter
hinaus als für den Urheberrechtsschutz erforderlich verlagert wird. Die Abwägung
der widerstreitenden Interessen führt in diesem konkreten Fall dazu, den Interessen
der Allgemeinheit den Vorzug zu gewähren. Stellt der Urheber sein Werk vor
untereinander nicht persönlich verbundenen Personen, sei es auch ein ausgewähltes
Fachpublikum, zur Diskussion, ist ein schützenswertes Interesse, das Werk weiterhin in seiner Geheimsphäre zu belassen, nicht zu erkennen. Einer Auseinandersetzung mit dem vorgestellten Werk innerhalb der Grenzen der urheberrechtlichen
Schranken, die an eine Veröffentlichung anknüpfen, stehen keine ernsten Bedenken
gegenüber. Auch das von den Vertretern der differenzierenden Auslegung angeführte Beispiel des aus einem Manuskript lesenden Hochschulprofessors zwingt nicht zu
einer gegenteiligen Auffassung. Liest der Hochschulprofessor aus einem Manuskript, entspricht es doch gerade Sinn und Zweck, dass die Studenten sich mit dem
Inhalt des Gelesenen auseinandersetzen. Dazu ist es aber auch erforderlich, den Inhalt des Werkes mitzuteilen, damit im Rahmen einer Diskussion die Auseinandersetzung erfolgen kann.
Zweifelhaft erscheint die Annahme einer allgemeingültigen Definition für das
UrhG auch aus gesetzessystematischen Gründen. Systematisch hätte man eine normenübergreifende Definition unmittelbar erwarten können, als der Begriff erstmals
im Gesetz verwendet wurde. Dennoch wird letztlich auch die Systematik des Gesetzes nicht zwingend gegen ein einheitliches Verständnis sprechen können. Ein in diese Richtung weisender Wille des Gesetzgebers ist nach der aktuellen Rechtslage
weder aus den Gesetzesbegründungen noch aus dem Gesetz selbst zu erkennen. Im
Gegenteil spricht die teilweise durch den Gesetzgeber vorgenommene Wortlautänderung eher für eine einheitliche Begriffsauslegung. So definierte die alte Fassung
des § 15 Abs. 3 UrhG ausweislich ihres Wortlautes ausschließlich die öffentliche
Wiedergabe. Auch zur Zeit jener Gesetzeslage stritt man in den einschlägigen Kreisen bereits über ein einheitliches oder differenzierendes Begriffsverständnis.354 Nach
der aktuellen Fassung zielt die Definition in § 15 Abs. 3 S. 2 UrhG auf den ersten
Blick auf die Öffentlichkeit im umfassenden Sinne ab. Die Systemänderung innerhalb des § 15 Abs. 3 UrhG könnte daher die Annahme rechtfertigen, dass der Gesetzgeber über diese Änderung des § 15 Abs. 3 S. 2 UrhG den Weg wählte, eine allgemein gültige Definition für das gesamte UrhG gesetzlich zu fixieren und damit der
Auffassung vom unterschiedlichen Verständnis eine Absage zu erteilen. Wenngleich
der Wortlaut nicht mehr explizit auf die öffentliche Wiedergabe beschränkt ist,
könnte auf einen zweiten Blick dennoch diese Beschränkung zu finden sein, da im
Rahmen der Bestimmung der Öffentlichkeit auf die Personen abgestellt wird, „denen das Werk in unkörperlicher Form wahrnehmbar oder zugänglich gemacht
wird“. Da die Öffentlichkeitsdefinition des § 15 Abs. 3 S. 2 UrhG offenbar doch auf
die Wiedergabe des Werkes in unkörperlicher Form begrenzt ist, erscheint es jeden-
354 Vgl. die Darstellung des Streits bei: Ahlberg, in: Möhring/Nicolini/Ahlberg, UrhG, § 6, Rn.
11.
99
falls nicht abwegig, dass der Gesetzgeber mit seiner Systemänderung nur die Öffentlichkeit im Rahmen der öffentlichen Wiedergabe zu definieren beabsichtigte. In der
Begründung zur Neufassung des § 15 Abs. 3 UrhG stellt der Gesetzgeber zudem
klar, dass mit der Neufassung keine wesentlichen inhaltlichen Änderungen angestrebt seien.355 Er gibt aber weiterhin in der amtlichen Begründung zur Kenntnis,
dass
„der Öffentlichkeitsbegriff schon bisher nach seinem Inhalt und nunmehr auch seinem Wortlaut nach nicht nur im Hinblick auf die Verwertungsart der öffentlichen Wiedergabe Geltung
besitzt.“356
Die amtliche Begründung stützt daher letztlich die Auffassung, dass der Gesetzgeber
eine für das gesamte UrhG geltende Öffentlichkeitsdefinition anstrebte. Gegen diese
Auslegung der Gesetzesbegründung wird von der Gegenauffassung nunmehr angeführt, dass der Gesetzgeber eine inhaltliche Änderung gerade nicht vornehmen wollte und in diesem Zusammenhang vielmehr auf die bis zur Gesetzesänderung angenommene analoge Anwendung auf die Werkverwertung in körperlicher Form Bezug
nahm.357 Diese Einschränkung ist der Gesetzesbegründung jedoch nicht zu entnehmen. Vielmehr ist der Hinweis darauf, dass die Wortlautänderung nicht als inhaltliche Änderung aufzufassen sei, nach hiesiger Auffassung dahingehend zu verstehen,
dass die bis zur Reform durch Rechtsprechung und Literatur vorgenommene Ausgestaltung der Definition des Öffentlichkeitsbegriffs weiterhin zu dessen Auslegung
herangezogen werden kann.
Auch im Lichte des verfassungsrechtlich verankerten Gebotes der Rechtssicherheit ist das einheitliche Verständnis eines Begriffes innerhalb eines Gesetzeswerkes
zu begrüßen. Gesetz und Gesetzgebung sind wesentliche Garantien der Verlässlichkeit und Verbindlichkeit der Rechtsordnung.358 Diese garantierte Verlässlichkeit
würde jedoch unterlaufen, wenn die Reichweite der Definition eines einheitlichen
Begriffs innerhalb eines Gesetzes allein vom gewünschten Ergebnis abhängig gemacht würde, zumal der Gesetzgeber einen dahingehenden Willen mitnichten geäu-
ßert hat. In der Folge gilt es, eine unzumutbare Unsicherheit bei den Gesetzesadressaten in Bezug auf das Verständnis des Gesetzes zu vermeiden. Unter Berücksichtigung der Rechtsfolgen eines Verstoßes gegen die ausschließlichen Verwertungsrechte – an dieser Stelle sei nur an die Straf- und Bußgeldvorschriften der §§ 106 ff.
UrhG gedacht – ist eine weitreichende Transparenz für die Normadressaten des
UrhG besonders bedeutend.
Das Bestreben, den Urhebern vor einer frühzeitigen Veröffentlichung mit den
daran anknüpfenden negativen Folgen Schutz zu gewähren, mag im Ansatz zweifellos begrüßenswert sein. Dies nicht zuletzt vor dem Hintergrund, dass das Erstveröf-
355 Amtliche Begründung, BT-Drs. 15/38, S. 17.
356 Amtliche Begründung, BT-Drs. 15/38, S. 17.
357 Vgl. nur Loewenheim, in: FS für Gerhard Schricker, S. 413, 415.
358 Röthel, Normkonkretisierung im Privatrecht, S. 91.
100
fentlichungsrecht Ausfluss des Urheberpersönlichkeitsrechts ist. Zugunsten des Urhebers sollte dieses ihm möglichst weit erhalten bleiben. Das Urheberpersönlichkeitsrecht schützt als besonderes Persönlichkeitsrecht die enge Beziehung zwischen
dem Urheber und seinem Werk. Das Recht der öffentlichen Wiedergabe hingegen ist
überwiegend dem materiellen Recht der Urheber zuzuordnen. Aber auch jenes ist
weitestgehend dem Urheber zuzugestehen, wenngleich hier Einschränkungen eher
zu rechtfertigen sind als beim Urheberpersönlichkeitsrecht. Weitestgehend bedeutet
aber zugleich, dass diese Rechte nur so weit reichen, bis überwiegende Interessen
der Allgemeinheit mit ihnen kollidieren und diesen im Einzelfall der Vorzug zu gewähren ist.
Solange der Gesetzgeber als alleinigen Anhaltspunkt für die Bestimmung der Öffentlichkeit die Definition des § 15 Abs. 3 S. 2 UrhG vorgegeben hat, erscheint es
nach der hier vertretenen Auffassung nicht zutreffend, den Begriff vom gewünschten
Ergebnis her der Auslegung zuzuführen. Die Auslegung führt zu dem Ergebnis,
nicht das Ergebnis zur Auslegung. Innerhalb einer Rangfolge werden das Urheberpersönlichkeitsrecht und damit Handlungen, die unmittelbar Auswirkungen auf dieses haben, vor den materiell geprägten Verwertungsrechten des Urhebers anzusiedeln sein. Das Urheberpersönlichkeitsrecht ist unverzichtbar und unübertragbar, was
letztlich bedeutet, der Urheber kann auf die Ausübung der aus dem Persönlichkeitsrecht erwachsenden einzelnen Rechte nicht mit dinglicher Wirkung verzichten.359
Der Grad der Bedeutung des Urheberpersönlichkeitsrechts und die bedeutsamen
Folgen einer Veröffentlichung verlangen bei der Gesetzesanwendung und der der
Auslegung zugänglichen Begrifflichkeiten, diese erhebliche Bedeutung zu berücksichtigen. Eine im Rahmen der Veröffentlichung vorzunehmende enge Auslegung
des Öffentlichkeitsbegriffes muss jedoch konsequenterweise dann dazu führen, dass
die Interessen des Urhebers etwas für ihn ungünstigere Folgen im Rahmen des Anwendungsbereiches des § 15 UrhG ergeben. Auch Katzenberger erkannte diesen
konsequenten Lösungsweg, tat ihn dann jedoch als „unerwünschte Rückwirkung“
ab.360
Bei einem einheitlichen Begriffsverständnis wird auch nicht die Erscheinung der
Relativität der Rechtsbegriffe verkannt.361 Dass eine unterschiedliche Auslegung eines Begriffes, der systematisch an verschiedenen Stellen eines Gesetzes zu finden
ist, teilweise geboten ist, wird diesseits nicht bestritten. Zum einen bedeutet Relativität der Rechtsbegriffe aber nicht, dass eine unterschiedliche Auslegung zwingend
erforderlich ist. Zum anderen kann schwerlich das angestrebte Auslegungsergebnis
den Weg für die Auslegung im Rückwärtsgang vorgeben. Der Gesetzgeber führte
insbesondere in seiner Begründung zur geltenden Fassung des § 15 Abs. 3 UrhG zu-
359 Bullinger, in: Wandtke/Bullinger, UrhR, Vor §§ 12 ff., Rn. 5 m.w.N.
360 Katzenberger, in: Schricker, UrhR, § 6, Rn. 9.
361 Dies wirft beispielsweise Ulmer den Befürwortern eines einheitlichen Verständnisses des Öffentlichkeitsbegriffs vor, Urheber- und Verlagsrecht, § 32 I, S. 180.
101
treffend aus, dass das Merkmal der Verbundenheit durch persönliche Beziehungen
der Rechtsanwendung genügend Flexibilität lasse, um angesichts des einerseits gebotenen Urheberrechtsschutzes und andererseits der berechtigten Interessen in der
Informationsgesellschaft zu sachgerechten Ergebnissen zu gelangen.362 Den vorstehenden Ausführungen entsprechend, wird hier von einem einheitlichen Begriffsverständnis im Rahmen der Öffentlichkeit ausgegangen.
c) Besonderheit der Öffentlichkeit bei § 52 a UrhG
Problematisch wirkt die Anwendung des (einheitlichen) Öffentlichkeitsbegriffes in
diesem Sinne bei § 52 a UrhG. In einigen seiner Regelungspunkte erscheint diese
urheberrechtliche Schranke daraufhin überflüssig. Die Zugänglichmachung in einer
herkömmlichen Schulklasse wird unter Bezugnahme auf die Ausführungen des
Rechtsausschusses des Deutschen Bundestages zu § 52 UrhG allgemein als nichtöffentlich angesehen.363 Insofern wäre die Zugänglichmachung von Werken ohnehin
urheberrechtlich irrelevant, so dass die Schranke nach § 52 a UrhG im Hinblick auf
den Schulunterricht wirkungslos sei.364 Daher überrascht die amtliche Begründung
zu § 52 a UrhG, nach der der Zweck dieser Schrankenregelung unter anderem darin
zu sehen ist, die Nutzung moderner Kommunikationsformen im Schulunterricht zu
ermöglichen.365 Der Gesetzgeber beabsichtigte nach eigenen Angaben eine Parallele
zum Kopierprivileg des § 53 Abs. 3 UrhG für die Netzwerknutzung im Unterricht zu
schaffen. Dabei verwische er aber die Grenzen zwischen körperlicher und unkörperlicher Verwertung. Die unkörperliche Verwertung ist im Vergleich zur körperlichen
Verwertung nur von urheberrechtlicher Relevanz, wenn sie öffentlicher Natur ist.
Ein Widerspruch ist nicht ernsthaft zu negieren, wenn einerseits allgemein von der
Nichtöffentlichkeit der Werkwiedergabe im Schulunterricht ausgegangen wird, andererseits die öffentliche Zugänglichmachung nach § 19 a UrhG als Teil des ausschließlichen Rechts der öffentlichen Wiedergabe über § 52 a UrhG für den nichtöffentlichen Unterricht eingeschränkt wird. Das LG München I sieht den Hintergrund
der Norm zur Rettung des Anwendungsbereiches nun darin, die Nutzung von Werken im Intranet von Schulen zu ermöglichen, da das Intranet der Schule nicht nur für
die einzelne Klasse zugänglich ist und somit öffentlicher Natur im Sinne des § 15
Abs. 3 UrhG ist.366 Hierbei übergeht das Gericht indes die weitere Voraussetzung
des § 52 a UrhG der öffentlichen Zugänglichmachung zur Veranschaulichung im
362 Amtliche Begründung, BT-Drs. 15/38, S. 17.
363 Vgl. im Einzelnen zur Nichtöffentlichkeit des Schulunterrichts, die Ausführungen unter 1. b)
bb) aaa) ), S. 89 f.
364 So auch: Lorenz, in: RdJB 2005, S. 43, 45. Von praktischer Relevanz ist in diesem Zusammenhang vor allem, dass dann nach § 52 a Abs. 4 UrhG keine Vergütung für die öffentliche
Zugänglichmachung innerhalb des Schulunterrichts zu zahlen wäre. Vgl. dazu die Ausführungen von Haupt, in: KUR 2004, S. 65, Fn. 4.
365 Zum Folgenden: Amtliche Begründung, BT-Drs. 15/38, S. 20.
366 LG München I, Beschluss v. 30.03.2004 – 21 O 4799/04, in: InstGE 4, S. 283, 286.
102
Unterricht für den bestimmt abgegrenzten Kreis von Unterrichtsteilnehmern, so dass
die weitergehende Nutzung über das Intranet, sofern auch andere Schüler auf die
entsprechenden Werke oder Werkteile zugreifen können, nicht von dem Regelungsgehalt der Schranke umfasst ist und daher auch nicht dessen Hintergrund sein
kann.367
Der Widerspruch bringt unweigerlich in der Praxis die Gefahr von Streitigkeiten
zwischen den Kultusministerien der Länder und den Verwertungsgesellschaften mit
sich. Die Kultusministerien werden sich gegenüber den Verwertungsgesellschaften
auf die allgemeine Ansicht, der gewöhnliche Schulunterricht sei nichtöffentlich, mithin die unkörperliche Werkverwertung nach § 19 a UrhG aus urheberrechtlicher
Sicht irrelevant, berufen. Gegen eine derartige kostenlose Nutzungsmöglichkeit
werden auch erhebliche verfassungsrechtliche Bedenken laut. Eine vergütungsfreie
Zugänglichmachung von Werken im Schulunterricht würde mit Art. 14 GG nicht im
Einklang stehen.368 Zur Begründung wird in diesem Zusammenhang unter anderem
angeführt, dass es der urheberrechtliche Beteiligungsgrundsatz gebiete, dem Urheber
für die Benutzung seiner geschützten Werke im Schulunterricht auch in den Fällen
eine Vergütung zukommen zu lassen, in denen die Nutzung durch eine Zugänglichmachung in einem Netzwerk erfolgt.369 Dieser Aussage ist jedenfalls insofern beizupflichten, als es der Kern des Urheberrechts verlangt, dass der Urheber weitestgehend an den finanziellen Früchten seines Werkes auch im Falle der Netzwerknutzung im Schulunterricht zu beteiligen ist. Folglich ist unter Beachtung dessen die
Annahme, dass eine öffentliche Zugänglichmachung im Unterricht keine urheberrechtliche Relevanz aufweist und mithin auch keine Vergütungspflicht bestehe,
schwer tragbar. Der Grundsatz der verfassungskonformen Auslegung gebietet daher,
die urheberrechtliche Relevanz trotz der aufgezeigten Widersprüchlichkeiten anzunehmen. Befriedigung verschafft diese Vorgehensweise nicht. Nach der hiesigen
Ansicht sollte der vorstehende Streit abermals Anlass genug für den Gesetzgeber
sein, den Unterricht in allen Bildungseinrichtungen als öffentlich im Sinne des UrhG
ausdrücklich zu fixieren und über die urheberrechtlichen Schranken eine einheitliche
Korrektur für die Nutzungen in allen Bildungseinrichtungen, unter Berücksichtigung
der jeweiligen Besonderheiten der analogen bzw. digitalen Nutzung, zu setzen.
Auch für Rechtsprechung und Literatur sollte diese Widersprüchlichkeit weiterer
Beweggrund dafür sein, von der starren Grundregel der Nichtöffentlichkeit des Unterrichts an Schulen abzuweichen.
Kapitelübergreifend kann bereits an dieser Stelle der Untersuchung festgehalten
werden, dass Ziel der nächsten Gesetzesreform zwingend eine erhöhte Transparenz
des UrhG sein sollte, damit in der Anwendungspraxis die überaus konvexe Unsi-
367 Zum Regelungsgehalt des § 52 a Abs. 1 Nr. 1 UrhG im Einzelnen im 5. Kapitel unter B) IV.
3., S. 186 ff.
368 Loewenheim, in: FS für Gerhard Schricker, S. 413, 421 f.
369 Loewenheim, in: FS für Gerhard Schricker, S. 413, 421.
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cherheit schwindet und der Anwendungsbereich der einzelnen Normen klarer umrissen ist.
Chapter Preview
References
Zusammenfassung
In Bildung und Wissenschaft ist der Einsatz vielfältiger Medien, insbesondere auch unter Rückgriff auf modernste Techniken, unentbehrlich. In diesen Bereichen treffen die widerstreitenden Interessen von Nutzern und Rechteinhabern vor allem unter fiskalischen Gesichtspunkten in sensiblem Maße aufeinander. Dem Gesetzgeber obliegt es, mittels der urheberrechtlichen Schranken zwischen ihnen eine ausgewogene Balance zu schaffen. Die Autorin zeigt auf der Basis einer eingehenden Interessenanalyse unter Berücksichtigung von Rechtsprechung und Literatur die geltende Rechtslage auf, würdigt sie kritisch und entwickelt Reformansätze, besonders auch im Hinblick auf das urheberrechtliche Öffentlichkeitsverständnis.