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schließlichkeitsrechte in eng umgrenzten Fällen mit der Folge durchbrochen hat,
dass sie als Ausnahmen verstanden werden könnten. Die Ausschließlichkeitsrechte
und die urheberrechtlichen Schranken weisen aber ein hierarchisches Verhältnis
nach hiesiger Auffassung nicht auf. Folgerichtig stehen die Schrankenregelungen
daher nicht als Ausnahmen den Ausschließlichkeitsrechten der Urheber gegenüber,
wenngleich diese Annahme seit langer Zeit die herrschende Meinung in der einschlägigen Literatur ist.248 Der Inhalt des Urheberrechts als geistiges Eigentum wird
durch seine Schranken erst bestimmt. Die Ausschließlichkeitsrechte werden aufgrund der dem (geistigen) Eigentum innewohnenden Sozialbindung nur innerhalb
der dadurch gesetzten Schranken gewährt. Schon in der Regierungsbegründung des
UrhG 1965 wurde auf den Grundsatz verwiesen, dass der Urheber insbesondere dort
im Interesse der Allgemeinheit freien Zugang zu seinen Werken gewähren muss, wo
es unmittelbar der Förderung der geistigen und kulturellen Werte dient. Diese seien
schließlich auch die Grundlage für sein Werkschaffen gewesen.249 Für ein Regel-
Ausnahmeverhältnis ist somit kein Raum.250 Die Vorschriften der §§ 44 a UrhG sind
keine Ausnahmen im normativen Sinne, so dass von dieser Seite zu empfehlen ist,
auf die entsprechende Terminologie zu verzichten.
C) Konsequenzen aus dem Verhältnis für die Anwendung der §§ 44 a ff. UrhG –
Auslegungsgrundsätze
I. Zum Streitpunkt – restriktive oder weite Auslegung
Um einen bestimmten Einzelfall unter einen Tatbestand einer gesetzlichen Norm
subsumieren zu können, ist eine Auslegung dieser zumeist unerlässlich. Hier kommen die klassischen Auslegungsgrundsätze wie die systematisch-teleologische, die
verfassungskonforme, die europarechts- und völkerrechtskonforme sowie die historische Auslegung zur Anwendung.251 Das BVerfG führte als Grenze der Auslegung
einer Gesetzesvorschrift dabei an, dass das Auslegungsergebnis nicht erkennbar mit
dem in dieser zum Ausdruck kommenden Willen des Gesetzgebers in Widerspruch
treten darf.252 Inwieweit tatsächliche Veränderungen im Vergleich zu jener Sachlage, die dem Gesetzgeber im Zeitpunkt des Gesetzgebungsverfahrens zur Regelung
248 Vgl. nur: v. Gamm, UrhG, § 45, Rn. 4; oder auch aus der aktuelleren Literatur: Dreier, in:
Dreier/Schulze, UrhG, Vor §§ 44 a ff., Rn. 7; Gounalakis, in: NJW 2007, S. 36, 37; Lüft, in:
Wandtke/Bullinger, UrhR, Vor. 44 a ff., Rn. 1; Melichar, in: Schricker, UrhR, Vor §§ 44 a ff.,
Rn. 1; Movessian/Seifert, Einführung in das Urheberrecht der Musik, S. 183; Schulze, in: FS
für Willi Erdmann, S. 173, 179.
249 Amtliche Begründung, BT-Drs. IV/270, S. 63; abgedruckt in: UFITA 45 (1965), S. 240, 278;
Schulze, Materialien zum UrhG, Bd. 1, S. 349, 474.
250 Ebenso Löffler, in: NJW 1980, S. 201, 204.
251 Zu den Grundsätzen der Auslegung, vgl. die umfassende Darstellung von: Findeisen, Die
Auslegung urheberrechtlicher Schrankenbestimmungen, S. 57 ff.
252 BVerfG, Beschluss v. 24.05.1995 – 2 BvF 1/92, BVerfGE 93, S. 37, 81.
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vorlag, Beachtung im Rahmen der Auslegungsgrundsätze finden dürfen, ist dabei
von entscheidender Bedeutung und wird im Rahmen der Anwendung der urheberrechtlichen Schranken nicht einheitlich beurteilt.
1. Chronologie einer langsamen Abkehr von der Grundregel der engen Auslegung
a) Zur Grundregel der engen Auslegung
Der lange vorherrschenden Auffassung entsprechend sind die urheberrechtlichen
Schranken, ihrem Charakter als Ausnahmen folgend, stets eng auszulegen.253 Die
Vorschriften der §§ 44 a ff. UrhG wären als Ausnahmen abschließend im UrhG geregelt. Sie seien infolgedessen weder erweiterungsfähig noch einer Analogie zugänglich.254 Die enge Auslegung würde bereits dem Wesen der Ausnahmevorschrift
im Vergleich zur Regel, dass die ausschließlichen Befugnisse des Urhebers weitgehend gesichert werden, immanent sein.255 Ein allgemeiner Rechtgrundsatz, dass
Ausnahmen gegenüber ihrer Regel immer restriktiv auszulegen und einer Analogie
stets unzugänglich seien, ist der zivilrechtlichen Methodenlehre hingegen unbekannt.256 Canaris konkretisierte diesen weit verbreiteten Grundsatz von einer engen
Auslegung von Ausnahmebestimmungen zutreffend dahingehend, dass zwar vermieden werden müsse, die Regelungsabsicht des Gesetzgebers hinsichtlich der Ausnahmen durch eine allzu weite Auslegung oder durch eine analoge Anwendung in
ihr Gegenteil zu verkehren, was jedoch im Ergebnis keinesfalls verlange, dass die
Ausnahme so eng wie möglich auszulegen sei oder einer Analogie nicht zugänglich
wäre.257 Auch Ausnahmevorschriften können daher im Rahmen ihres gesetzlichen
Zweckes ausdehnend ausgelegt werden.258 Wenn sich auch grundsätzlich aus einer
Ausnahmenorm ergibt, dass der Gesetzgeber eine Rechtsfolge eben nur ausnahmsweise anordnen wollte, und damit ein Argument für eine einschränkende Auslegung
253 Vgl. BGH, Urteil v. 10.03.1972 – I ZR 30/70, BGHZ 58, S. 262, 265 – Landesversicherungsanstalt; Urteil v. 03.04.1968 – I ZR 83/66, BGHZ 50, S. 147, 154 f. – Kandinsky I; v. Gamm,
UrhG, § 45, Rn. 4; Geerlings, in: GRUR 2004, S. 207, 208; Melichar, in: Schricker, UrhR,
Vor §§ 44 a ff., Rn. 15; Nicolini, in: Möhring/Nicolini/Ahlberg, UrhG, § 45, Rn. 2; Nordemann, in: Fromm/Nordemann, UrhR, vor §§ 45, Rn. 3; Schack, in: FS für Gerhard Schricker,
S. 511, 515; Schulze, in FS für Willi Erdmann, S. 173, 180; dens., in: ZUM 2002, S. 432, 449
f.
254 Neumann, Urheberrecht und Schulgebrauch, S. 43.
255 Frühzeitig, RG, Urteil, v. 05.11.1930 – I 150/30, RGZ 130, 196, 206 – Codex aureus.
256 Vgl. dazu Canaris, in: Larenz/Canaris; Methodenlehre, S. 175 f.; dens., Die Feststellung von
Lücken im Gesetz, S. 181; Lüft, in: Wandtke/Bullinger, UrhR, Vor. 44 a ff., Rn. 1; Poeppel,
Die Neuordnung der urheberrechtlichen Schranken, S. 43.
257 Canaris, in: Larenz/Canaris, Methodenlehre, S. 177.
258 Pawlowski, Methodenlehre, S. 219, Rn. 489 a; vgl. auch: Pahud, der gleichfalls darauf eingeht, dass auch bei Ausnahmebestimmungen der wahre Sinn des Gesetzgebers zu ermitteln
sei, was nicht nach einer formalistischen Auslegungsregel erfolgen kann. Die Sozialbindung
des Urheberrechts, S. 111.
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nicht geleugnet werden kann, sollte für die Auslegung von Ausnahmebestimmungen
der gleiche Maßstab wie bei anderen Normen angesetzt werden. Die Qualifikation
der Schrankenbestimmungen als Ausnahmen würde danach einer zeitgemäßen Auslegung auch nicht entgegenstehen.259
Es wurde weiter damit argumentiert, dass auch die RBÜ oder das TRIPs-
Abkommen eine enge Auslegung vorgeben würden, denn in deren Rahmen können
die ausschließlichen Rechte nur ausnahmsweise eingeschränkt werden.260 Raue
spricht hinsichtlich des Gebots von der engen Auslegung von Schrankenbestimmungen und das damit einhergehenden Verbots der Schrankenanalogie sogar von einem
„Dogma des Urheberrechts“.261 Die Auslegung der als Ausnahmeregelungen verstandenen Schranken dürfe im Rahmen einer engen Auslegung nicht über ihren Sinn
erstreckt werden. Auslegungsansatz sei allein der im Zeitpunkt ihres Erlasses durch
den Gesetzgeber vorgefundene Sinn und Zweck der Schrankenregelung. Der BGH
entschied dazu zur Rechtslage des LUG im Jahre 1955, dass der mit einer Ausnahmeregelung verfolgte Zweck „nur aus der tatsächlichen und rechtlichen Lage, die
der Gesetzgeber bei Erlass dieser Vorschrift vorfand, entnommen werden kann“.262
Die urheberrechtlichen Schranken waren damit über einen langen Zeitraum rein statische Normen und in ihrem Anwendungsbereich keiner Anpassung an die tatsächlichen Gegebenheiten zugänglich. Eine Interessenabwägung zwischen den Ausschließlichkeitsrechten und den Belangen der Allgemeinheit, wie es das UrhG zu
regeln sucht, hatte nur vom Gesetzgeber selbst anhand von Tatsächlichkeiten zu erfolgen und sollte keinen Raum für eine Anpassung an zeitliche Veränderungen bieten. Eine Prüfung, ob die vom Gesetzgeber vorgenommene Interessenabwägung auf
neue, veränderte Sachverhalte angewendet werden kann und dies unter Umständen
geboten ist, durfte hiernach nicht erfolgen.
b) Weichenstellungen für eine moderne Auslegung
aa) Rechtsprechung
Die Rechtsprechung wandte sich schrittweise von der Grundregel einer stetig engen
Auslegung ab. Die höchstrichterliche Rechtsprechung ließ bereits im Jahre 1983 ein
Abrücken von dem Grundsatz einer zwingend engen Auslegung erkennen. Der BGH
stellte in seiner Entscheidung „Zoll- und Finanzschulen“ im Rahmen der Prüfung
des Anwendungsbereiches der Schranke des § 52 Abs. 1 S. 1 UrhG auf Sinn und
259 Hilty, in: FS für Gerhard Schricker, S. 325, 327.
260 Vgl. im Einzelnen, Rehbinder, in: Die Berner Übereinkunft und die Schweiz, S. 357, 358 ff.;
Zur RBÜ im Einzelnen, vgl. die Ausführungen im 2. Kapitel, unter A) I., S. 45 ff.; zum
TRIPs - Abkommen, vgl. die Ausführungen im 2. Kapitel, unter A) II., S. 49 f.
261 Raue, in: FS für Wilhelm Nordemann, S. 327.
262 BGH, Urteil v. 18.05.1955 – I ZR 8/54, BGHZ 17, S. 266 – Grundig-Reporter (zum LUG).
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Zweck der Regelung ab.263 Dabei ging der BGH erstmals nicht allein vom Regelungszweck zum Zeitpunkt der Regelung aus. Der BGH stellte explizit klar, dass es
entscheidend darauf ankommt, ob im Einzelfall Gründe des Gemeinwohls vorliegen,
denen bei Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes der Vorrang vor den urheberrechtlichen Interessen gebührt. Im Jahre 1991 ging der BGH in seiner Entscheidung „Liedersammlung“ überraschenderweise wieder einen Schritt zurück und
gab zu erkennen, dass „alle auf der Sozialbindung des Urheberrechts als geistigen
Eigentums beruhenden gesetzlichen Schranken der §§ 44 a ff. UrhG eng auszulegen
sind“.264 Letztlich relativierte der BGH seine strenge Ansicht wieder und sprach davon, dass besondere Umstände durchaus dazu führen können, „dass eine enge, am
Gesetzeswortlaut orientierte Auslegung einer großzügigeren, dem Informations- und
Nutzungsinteresse der Allgemeinheit Rechnung tragenden Interpretation weichen
muss“.265 Auch in der neueren Instanzrechtsprechung wird die Zulässigkeit einer
weiten Auslegung nicht mehr in Abrede gestellt.266
bb) Stimmen aus der Literatur
Mit dem wachsenden Einfluss der neuen technischen Möglichkeiten hinsichtlich der
Verwertungsmethoden verstärkten sich auch die Stimmen in der Literatur, die den
Weg einer weiten Auslegung grundsätzlich für zulässig erachten und im Einzelfall
als angemessen werten möchten.267 Vereinzelt wagt man sich in der Literatur noch
263 BGH, Urteil v. 17.03.1983 – I ZR 186/80, GRUR 1983, S. 562, 564 – Zoll- und Finanzschulen.
264 BGH, Urteil v. 06.06.1991 – I ZR 26/90, BGHZ 114, S. 368, 371 – Liedersammlung.
265 BGH, Urteil v. 20.03.2003 – I ZR 117/00, BGHZ 154, S. 260, 265 = GRUR 2003, S. 956,
957 – Gies-Adler; vgl. auch das Urteil v. 24.01.2002 – I ZR 102/99, BGHZ 150, S. 6, 8 =
GRUR 2002. S. 605 – Verhüllter Reichstag, in dem der BGH sich zwar für eine grundsätzlich
enge Auslegung der urheberrechtlichen Schrankenbestimmungen ausspricht, aber einen großzügigeren Maßstab in den Fällen eines besonderen schützenswerten Interesses des Verwerters
nicht für ausgeschlossen hält. Vgl. auch die Urteile v. 25.02.1999 – I ZR 118/96, in: GRUR
1999, S. 707 ff. – Kopienversanddienst sowie vom 27.01.2005 – I ZR 119/02, in: GRUR
2005, S. 670 ff. – WirtschaftsWoche.
266 LG München I, Urteil v. 19.01.2005 – 21 O 312/05, in: ZUM 2005, S. 407, 410.
267 Bornkamm, in: FS für Henning Piper, S. 641, 650 ff.; Dreier, in: Dreier/Schulze, UrhG, vor
§§ 44 a ff, Rn. 7; Hilty, in: FS für Gerhard Schricker, S. 325, 327 f.; Hoeren, in: Möhring/Nicolini/Ahlberg, UrhG, § 69 d, Rn. 2; ders., in: FS für Otto Sandrock, S. 357, 369; Kröger, in: MMR 2002, S. 18 ff., Löffler, in: NJW 1980, S. 201, 204 f.; Raue, in: FS für Wilhelm
Nordemann, S. 327 ff.; Schack, in: 50 Jahre Bundesgerichtshof, S. 677, 689; Schricker, in:
Schricker, UrhR, Vor §§ 44 a ff., Rn. 15 a, § 51, Rn. 8; zurückhaltend: Lüft, in: Wandtke/Bullinger, Vor §§ 44 a ff., Rn. 1, der sich zwar im Grundsatz unter Rückgriff auf den
Richtsatz, dass der Urheber an der wirtschaftlichen Nutzung seiner Werke angemessen zu beteiligen ist und die ihm zustehenden Ausschließlichkeitsrechte nicht übermäßig beschränkt
werden dürfen, für eine enge Auslegung ausspricht, jedoch auch anerkennt, dass im Einzelfall, eine am Wortlaut orientierte Auslegung einer großzügigeren, dem Informations- und
Nutzungsinteresse der Allgemeinheit Rechnung tragenden Interpretation weichen muss.
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einen Schritt weiter und erachtet eine weite Auslegung der urheberrechtlichen
Schranken nicht nur für möglich, sondern in einigen Fällen schlichtweg für geboten.268 So spricht Hilty sogar davon, dass die statisch enge Auslegung der Schrankenbestimmungen ein nunmehr „entlarvtes Ammenmärchen“ sei.269 Hoeren sieht in
dieser Grundregel nicht zuletzt auch ein gesellschaftspolitisches Problem, da die
Schranken auf diese Weise einen historischen Moment in einem Gesetzgebungsverfahren fixieren würden, in welchem sich bestimmte gesellschaftliche Gruppierungen
mehr oder weniger mit ihrem Wunsch nach einem Zugang zu urheberrechtlich geschützten Werken durchgesetzt hätten.270
2. Einzelfallorientierung an der Ratio der Norm
Anerkannt ist, dass die urheberrechtlichen Schranken abschließender Natur sind.
Unzulässig wäre es daher, bei der Anwendung der urheberrechtlichen Schranken
anstelle des Gesetzgebers eine neue, eigene Interessenabwägung vorzunehmen. Die
urheberrechtlichen Schranken aber stets einer engen Auslegung zuzuführen, erscheint bedenklich. Dabei ist das Argument der anders lautenden Auffassung, es sei
dem Wesen einer Ausnahmevorschrift immanent, sie stets eng auszulegen – wobei
zur zweifelhaften Tragfähigkeit dieses Arguments vorstehend bereits Stellung bezogen wurde – entkräftet, da die urheberrechtlichen Schranken den Charakter einer
Ausnahmevorschrift nach diesseits vertretener Ansicht gerade nicht aufweisen. In
den Schrankenregelungen ist das Ergebnis des Gesetzgebungsauftrages zu finden,
die Interessen der Allgemeinheit mit denen der Urheber bzw. derivativen Rechteinhaber auszubalancieren.271 Der einmal erzielte Kompromiss zwischen den Beteiligten würde bei einer statischen Anwendung dauerhaft gesetzlich fixiert, was schwerlich an einen Interessenausgleich glauben lässt, wenn man die rasante technologische Entwicklung und das damit unweigerlich verbundene Eintreten des Alterungsprozesses des UrhG bereits kurze Zeit nach jedweder Reform bedenkt. Eine unabhängig vom Einzelfall vorzunehmende enge Auslegung würde dazu führen, dass
auch neue technische Möglichkeiten, die zum Zeitpunkt der Regelung noch unbekannt waren, nicht zu einer Ausweitung der Schrankenbestimmungen führen könnten. Bei der Anwendung der Schrankenregelungen darf lediglich der beabsichtigte
Sinn und Zweck des Gesetzgebers nicht ausgehebelt werden, da eine neue Interessenabwägung gerade nicht stattfinden darf. Dieser Grundsatz hindert jedoch nicht
daran, eine Schrankenregelung entsprechend ihrer Ratio auszulegen.272
268 Vgl. Hoeren, in: Möhring/Nicolini/Ahlberg, UrhG, § 69 d, Rn. 2; dens., in: MMR 2000, S. 4
f.; Raue, in: FS für Wilhelm Nordemann, S. 327, 339.
269 Hilty, in: GRUR 2005, S. 819, 823.
270 Hoeren, in: MMR 2000, S. 3, 4.
271 Amtliche Begründung, BT-Drs. IV/ 270, S. 62; abgedruckt in: UFITA 45 (1965), 240, 243,
Schulze, Materialien zum UrhG, Bd. 1, S. 349, 402.
272 Hilty, in: GRUR 2005, S. 819, 823; Raue, in: FS für Wilhelm Nordemann, S. 327, 339.
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Auch das BVerfG hat eigens unlängst im Zusammenhang mit der Kunstfreiheit
formuliert, dass die Schrankenbestimmungen des Urheberrechts in den §§ 44 a ff.
UrhG ihrerseits im Lichte der Kunstfreiheit auszulegen seien und einen Ausgleich
zwischen den verschiedenen – auch verfassungsrechtlich – geschützten Interessen
schaffen müssen.273 Dem Interesse der Rechteinhaber vor Ausbeutung ihrer Werke
ohne Genehmigung zu fremden kommerziellen Zwecken stehe gerade das Interesse
anderer Künstler gegenüber, ohne die Gefahr von Eingriffen finanzieller oder inhaltlicher Art in einen künstlerischen Dialog und Schaffensprozess zu vorhandenen
Werken treten zu können. Das BVerfG führte weiter aus, dass bei Vorliegen eines
geringfügigen Eingriffs in die Urheberrechte die Verwerterinteressen der Rechteinhaber im Vergleich zu den Nutzungsinteressen für eine künstlerische Auseinandersetzung zurückzutreten haben, wobei es in diesem Zusammenhang auf die fehlende
Gefahr spürbarer wirtschaftlicher Nachteile für die Urheber bzw. derivativen Rechteinhaber abstellte.274
In konsequenter Anwendung der zivilrechtlichen Methodenlehre kommt man
schließlich zu dem Ergebnis, wie jüngst auch Poeppel in seiner Untersuchung275,
dass weder eine stetig enge noch eine weite Auslegung als Grundregel Geltung beanspruchen kann. Vielmehr müssen jedenfalls die Abwägungsvorgaben des Gesetzgebers beim Gesetzgebungsverfahren in den Auslegungsvorgang einbezogen werden. Den widerstreitenden Interessen stehen jeweils Grundrechte zur Seite, die bei
der Gesetzesanwendung Beachtung finden müssen. Eine verfassungskonforme Auslegung verlangt nach der Berücksichtigung beider grundrechtsgeschützten Interessenrichtungen entsprechend ihres Gewichtes.276 Vor diesem Hintergrund kann das
Ergebnis der Schrankenauslegung dabei sowohl eine Reduzierung einer zu weitgehenden Nutzungsmöglichkeit sein als auch die Erweiterung der Schrankenregelungen nach sich ziehen.277
Bei der Reduzierung einer scheinbar zu weit gehenden Nutzung im Wege der
Auslegung ist jedoch unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten erhöhte Vorsicht geboten. Die Verletzung fremder Urheberrechte und verwandter Schutzrechte
ist nach § 106 ff. UrhG strafrechtlich sanktioniert. Insbesondere ist nach § 106 UrhG
das Vervielfältigen, das Verbreiten oder die öffentliche Wiedergabe eines Werkes in
anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen ohne Einwilligung mit Strafe be-
273 BVerfG, Beschluss v. 29.06.2000 – 1 BvR 825/98, in: GRUR 2001, S. 150, 151– Germania 3.
274 Schack glaubt in dieser Entscheidung des BVerfG die Gefahr zu erblicken, dass die grundrechtlichen Vorgaben dazu benutzt werden, die vom Gesetzgeber im UrhG normierten
Schrankenbestimmungen zu überspielen, in: AfP 2003, S. 1, 5.
275 Poeppel, Die Neuordnung der urheberrechtlichen Schranken, S. 44.
276 Vgl. BGH, Urteil v. 27.01.2005 – I ZR 119/02, in: GRUR 2005, S. 670, 671- WirtschaftsWoche; Urteil v. 20.03.2003 – I ZR 117/00, BGHZ 154, S. 260, 265.
277 Dreier, in: Schricker, Urheberrecht auf dem Weg zur Informationsgesellschaft, S. 178 ff.;
Grzeszick, in: ZUM 2007, S. 344; Kröger, in: MMR 2002, S. 18, 20; Heinz, Urheberrechtliche Gleichbehandlung, S. 209 ff.
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droht. Grundgesetzlich abgesichert ist mit Art. 103 Abs. 2 GG, dass eine Tat nur bestraft werden kann, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat
begangen wurde. Darin ist ein an die Rechtsprechung gerichtetes Verbot enthalten,
eine Strafnorm über ihren für den durchschnittlichen Adressaten erkennbaren Inhalt
hinaus anzuwenden.278 Wenngleich die urheberrechtlichen Schrankenbestimmungen
nicht selbst den Charakter einer Strafnorm aufweisen, so wirkt sich ihre Anwendung
doch direkt auf die Strafbarkeit nach § 106 UrhG aus.279 Nach allgemeiner Auffassung sind mit dem Verweis auf die „gesetzlich zugelassenen Fälle“ jene Fälle der
§§ 44 a ff. UrhG und somit die urheberrechtlichen Schranken gemeint.280 Die urheberrechtlichen Schrankenbestimmungen lassen dabei nach der weit überwiegenden
Auffassung bereits die Tatbestandmäßigkeit und nicht erst die Rechtswidrigkeit entfallen.281 Daher müssen bei der Anwendung der urheberrechtlichen Schranken wie
bei allen auf die Strafbarkeit Einfluss nehmenden Tatbestandsmerkmalen die Grenzen des Art. 103 Abs. 2 GG beachtet werden. Neben der Tatbestandsergänzung setzt
Art. 103 Abs. 2 GG dabei auch der tatbestandsausweitenden Interpretation Grenzen.282 Eine zu enge Auslegung der Tatbestandsmerkmale der urheberrechtlichen
Schrankenbestimmungen und damit eine Tatbestandsausweitung des strafbaren
Handelns verbietet sich vor diesem Hintergrund, wobei der Interpretationsansatz aus
Sicht der Werknutzenden zu erfolgen hat.283
II. Analogiefähigkeit
Die abschließende Natur der urheberrechtlichen Schranken steht auch einer analogen
Anwendung auf neue Nutzungsvorgänge im Einzelfall nicht entgegen.284 An dieser
Stelle soll festgehalten werden, dass ein generelles Analogieverbot nur dort zum
Tragen kommt, wo der Gesetzgeber seinen abschließenden Willen innerhalb der getroffenen gesetzlichen Regelungen eindeutig kundgetan hat.285 Weder aber weisen
die Schranken nach hiesiger Auffassung normativen Ausnahmecharakter auf noch
278 BVerfG, Beschluss v. 10.01.1995 – 1 BvR 718 u.a./89, BVerfGE 92, S. 1, 12; Beschluss v.
26.06.1990 – 1 BvR 776/84, BVerfGE 82, S. 236, 269; Beschluss v. 23.10.1985 – 1 BvR
1053/82, BVerfGE 71, S. 108, 114 ff.
279 Hoffmann, in: WRP 2006, S. 55, 56, explizit zu § 53 Abs. 1 UrhG.
280 Vgl. nur: Dreier, in: Dreier/Schulze, UrhG, § 106, Rn. 6; Hildebrandt, in Wandtke/Bullinger,
UrhR, § 106, Rn. 21; Spautz, in: Möhring/Nicolini, UrhG, § 106, Rn. 4.
281 Dreier, in: Dreier/Schulze, UrhG, § 106, Rn. 6; Flechsig, in: Loewenheim, Hdb. des UrhR, §
90, Rn. 23; ausführlich, Haß, in: FS für Rainer Klaka, S. 127 ff.
282 BVerfG, Beschluss v. 10.01.1995 – 1 BvR 718 u.a./89, BVerfGE 92, S. 1, 16.
283 Vgl. Hoffmann, in: WRP 2006, S. 55, 56.
284 Durch einen nicht unerheblichen Teil der Literatur wird die Analogiefähigkeit hingegen negiert. Vgl.; Melichar, in: Schricker, UrhR, Vor. §§ 44 a, Rn. 16; Nicolini, in: Möhring/Nicolini/Ahlberg, UrhG, § 45, Rn. 2; Nordemann, in: Fromm/Nordemann, UrhG, Vor §
45, Rn. 3.
285 Vgl. grundsätzlich zu den Voraussetzungen einer Analogieoffenheit Canaris, Die Feststellung
von Lücken im Gesetz, S. 184 ff.
Chapter Preview
References
Zusammenfassung
In Bildung und Wissenschaft ist der Einsatz vielfältiger Medien, insbesondere auch unter Rückgriff auf modernste Techniken, unentbehrlich. In diesen Bereichen treffen die widerstreitenden Interessen von Nutzern und Rechteinhabern vor allem unter fiskalischen Gesichtspunkten in sensiblem Maße aufeinander. Dem Gesetzgeber obliegt es, mittels der urheberrechtlichen Schranken zwischen ihnen eine ausgewogene Balance zu schaffen. Die Autorin zeigt auf der Basis einer eingehenden Interessenanalyse unter Berücksichtigung von Rechtsprechung und Literatur die geltende Rechtslage auf, würdigt sie kritisch und entwickelt Reformansätze, besonders auch im Hinblick auf das urheberrechtliche Öffentlichkeitsverständnis.