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hat sich infolgedessen anhand konkreter Tatbestandsmerkmale zu entscheiden, inwieweit er dem Ausschließlichkeitsrecht des Urhebers Grenzen setzen will.
Liegen die von dem Gesetzgeber präferierten Gemeinwohlbelange in diesem Zusammenhang auch weitgehend in dessen politischen Gestaltungsspielraum und sind
daher nur eingeschränkt überprüfbar, ist er dennoch Mindestgrenzen unterworfen.
So können fiskalische Interessen keinesfalls unter den Begriff des Allgemeinwohls
gefasst werden.79 Aus diesem Grund liegt es beispielsweise auch nicht mehr in dem
verfassungsrechtlich abgedeckten Handlungsspielraum des Gesetzgebers, wenn er
dort, wo die öffentliche Hand die Vergütung der Urheber aus dem allgemeinen
Steueraufkommen bestreiten muss, aus Sparmaßnahmen diese den Geistesschaffenden per Gesetz entziehen würde.80 Gleiches gilt, wenn die Vergütung allein aus fiskalischen Interessen zwar nicht ganz entzogen, aber verringert würde. Bei der Prüfung der bildungsrelevanten urheberrechtlichen Schranken sollte man auf diese verfassungsrechtliche Grenze ein besonderes Auge haben, da im Rahmen der Nutzung
zu diesem Zwecke nicht selten die öffentliche Hand die Kostenlast trägt und sie
möglicherweise versucht sein könnte, sich dieser weitgehend zu entledigen.
IV. Bedeutung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes und des Vertrauensschutzes
Der Inhalt und Schranken bestimmende Gesetzgeber genießt auch innerhalb der
Ausgestaltung der von ihm präferierten Gemeinwohlwohlbelange keine unbeschränkte Gestaltungsfreiheit; vielmehr hat er sich innerhalb der Grenze, die ihm bei
Eingriffen in den Schutzbereich von Grundrechten durch das Rechtsstaatsprinzip
auferlegt ist, zu bewegen.81 Der Gesetzgeber hat die schutzwürdigen (gegenläufigen)
Interessen aller Beteiligten in einen gerechten Ausgleich und in ein ausgewogenes
Verhältnis zu bringen.82 Die gesetzgeberische Grenze bei der Ausgestaltung der Inhalts- und Schrankenbestimmungen wird damit insbesondere maßgeblich geprägt
von den aus dem Rechtsstaatsprinzip allgemein resultierenden Schranken bei Ein-
79 BVerfG, Beschluss v. 12.11.1974 – 1 BvR 32/68, BVerfGE 38, S. 175, 180; Depenheuer, in:
v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 14, Rn. 424; Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 14, Rn.
80; Leinemann, Die Sozialbindung, S. 69, 75; Reischl, in: UFITA 45 (1965), S. 1, 3 f.
80 Die öffentliche Hand trägt insbesondere in den Bereichen Kultur, Erziehung und soziale Fürsorge eine nicht unerhebliche Kostenlast. Vgl. dazu auch Kreile, der auf die Tendenz hinweist, dass gerade in den Bereichen, wo die öffentliche Hand die Vergütung aus dem allgemeinen Steueraufkommen bestreiten muss, ein erleichterter Zugriff auf die urheberrechtlich
geschützten Werke in den §§ 44 a UrhG zu verzeichnen ist, in: FS für Peter Lerche, S. 251,
263; ders. in: GEMA-Jahrbuch 1992, S. 48, 61.
81 BVerfG, Urteil v. 23.11.1999 – 1 BvF 1/94, BVerfGE 101, S. 239, 259; vgl. auch: Berger/Degenhart, in: AfP 2002, S. 557, 560; Söllner, in : FS für Fritz Traub, S. 367, 370.
82 BVerfG, Beschluss v. 12.06.1979 – 1 BvL 19/76, BVerfGE 52, S. 1, 29; Beschluss v.
07.07.1971 – 1 BvR 765/66, BVerfGE 31, S. 229, 242 – Kirchen- und Schulgebrauch; zum
Abwägungsmodell ausführlich: Berkemann, in: Umbach/Clemens, GG, Art. 14, Rn. 303 ff.
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griffen in den Schutzbereich von Grundrechten. Namentlich spielen hier der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz und das Vertrauensschutzprinzip eine zentrale Rolle.83
1. Verhältnismäßigkeitsgrundsatz
a) Allgemeine Vorgaben des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes
Eine urheberrechtliche Schranke als inhaltsbestimmende Regelung genügt dem Gebot der Verhältnismäßigkeit dann, wenn die von ihr vorgesehene Rechtsfolge ein zur
Erreichung des legitimen Gesetzeszwecks geeignetes und erforderliches Mittel ist
und bei Abwägung der betroffenen Interessengruppen auch zumutbar erscheint.84
Um der Pflicht einer verfassungskonformen Ausgestaltung zu genügen, muss der
Gesetzgeber die gesetzlichen Regelungen derart ausgestalten, dass eine Ausgewogenheit zwischen den widerstreitenden Interessen garantiert wird. Im Abwägungsvorgang und -ergebnis des Gesetzgebers müssen alle maßgebenden Interessen ausreichend Beachtung finden. Vor diesem Hintergrund darf er in Bezug auf das geistige Eigentum weder die Eigentumsfreiheit unverhältnismäßig verkürzen noch die
Sozialbindung mehr als verhältnismäßig vernachlässigen.85 Der Gesetzgeber ist dazu
angehalten, auf die Eigenart des jeweiligen Gutes und dessen Bedeutung für den Eigentümer Rücksicht zu nehmen.86 Je stärker eine gesetzliche Vorschrift den grundrechtlich geschützten Bereich berührt, umso gewichtiger müssen die Gründe sein,
welche die Beschränkung rechtfertigen sollen. Diese Abstufung der Intensität der
Eingriffe verlangt selbstverständlich auch nach einer Abstufung der Rechtfertigungsgründe, so dass von einem abgestuften Grundrechtsschutz gesprochen werden
muss. Für die Eigentumsfreiheit kann man festhalten, dass der durch Art. 14 GG
gewährte Schutz umso ausgeprägter ist, je mehr die betroffene Eigentümerposition
Ausdruck der von Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG gewährten Freiheit individueller Lebensgestaltung ist.87
83 Fechner, Geistiges Eigentum, S. 229; Schack, in: FS für Gerhard Schricker, S.511, 513; Söllner, in: FS für Fritz Traub, S. 367, 372.
84 BVerfG, Beschluss v. 08.10.1985 – 1 BvL 17,19/83, BVerfGE 70, S. 278, 286; Fechner,
Geistiges Eigentum und Verfassung, S. 229.
85 Fechner, Geistiges Eigentum und Verfassung, S. 240.
86 Berger/Degenhart, in: AfP 2002, S. 557, 560.
87 Gounalakis, Elektronische Kopien für Unterricht und Forschung, S.16; Papier, in:
Maunz/Dürig/Herzog, GG, Art. 14, Rn. 311.
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b) Die drei Eingriffsarten in die Ausschließlichkeitsrechte und ihre Intensität
aa) Zustimmungs- und Vergütungsfreiheit
Die gesetzlich geregelte Zustimmungs- und Vergütungsfreiheit bedeutet zugleich für
den Urheber die vollständige Aufhebung seiner Verwertungsrechte. Es handelt sich
hierbei um den stärksten Eingriff in das Ausschließlichkeitsrecht des Urhebers, der
folglich nur als ultima ratio unter den Eingriffsarten zulässig sein kann.88
bb) Gesetzliche Lizenz
Im deutschen UrhG hat die Ausgestaltung der Beschränkungen der urheberrechtlichen Ausschließlichkeitsrechte regelmäßig in der Form Gestalt angenommen, dass
der Verbotsanspruch des Urhebers zu einem bloßen Vergütungsanspruch abgeschwächt wird.89 Diese gesetzliche Erlaubnis zur Benutzung des Werkes ohne Zustimmung des Urhebers unter gleichzeitiger Vergütungspflicht wird als gesetzliche
Lizenz bezeichnet.90 Die gesetzliche Lizenz stellt damit eine Modifikation des Verwertungsrechts und damit auch einen Eingriff in die Eigentumsfreiheit des Urhebers
dar. Der gesetzlichen Lizenz wohnt aus der Sicht der Rechteinhaber insbesondere
das Problem inne, dass diesen das „Damoklesschwert eines möglichen Verbots“ genommen wird und damit das Druckmittel eines üblichen einzelfallbezogenen Aushandelns über die Höhe seiner Vergütung.91 Insofern ist eine Einschränkung der finanziellen Verwertungsrechte nahe liegend, wenn der Urheber keinen Einfluss auf
die Höhe der Vergütung hat.92 Die Verhandlungsposition erscheint erheblich
schlechter, wenn der potentielle Nutzer des Werkes bereits kraft Gesetzes zur Nutzung des Werkes berechtigt ist.93 Infolge dieser Schlechterstellung darf das Verbotsrecht den Rechteinhabern auch nicht durch jegliches Allgemeininteresse entzogen
werden. Die gesetzliche Lizenz kann nur dann verfassungsgemäß sein, wenn ein besonderes öffentliches Interesse den Ausschließlichkeitsrechten entgegenwirkt. Im
Ergebnis müssen die Rechteinhaber die Herabsetzung ihrer Verhandlungsposition
88 Vgl. beispielsweise die Vorschrift des § 52 Abs. 1 S. 2 UrhG.
89 Vgl. folgende Vorschriften des UrhG, § 45 a (Behinderte Menschen), § 46 (Sammlungen für
Kirchen-, Schul- oder Unterrichtsgebrauch, § 47 Abs. 2 (Aufnahmen von Schulfunksendungen, die am Ende des Schuljahres nicht gelöscht werden); § 49 Abs. 1 (Nachdruck und öffentliche Wiedergabe von Rundfunkkommentaren und Artikeln; Pressespiegel); § 52 (öffentliche
Wiedergaben unter bestimmten Voraussetzungen); § 52 a (öffentliche Zugänglichmachung
für Unterricht und Forschung); §§ 53, 54 ff. (Vervielfältigungen zu bestimmten Zwecken).
90 Herter, Geistiges Eigentum und gesetzliche Lizenz, Einführung, S. 1.
91 Kreile, in: FS für Peter Lerche, S. 251, 263; Nordemann, in: Fromm/Nordemann, UrhG, Vor
§ 45, Rn. 7
92 Leinemann, Die Sozialbindung, S. 69; Zur Wahrnehmungspraxis bei den gesetzlichen Lizenzen vgl. die Ausführungen im 5. Kapitel unter C) II., S. 211 f.
93 Nordemann, in: GRUR 1979, S. 280, 282.
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also dann hinnehmen, wenn diese aufgrund gesteigerter öffentlicher Interessen gerechtfertigt ist. An dieser Stelle soll nochmals klargestellt werden, dass ein gesteigertes öffentliches Interesse in diesem Sinne keinesfalls mit einem fiskalischen
Interesse des Staates gleichgesetzt werden darf.
Die gesetzliche Lizenz muss aus praktischer Sicht jedoch nicht zwingend ein
Nachteil für die Rechteinhaber sein. Sie bedeutet zwar grundsätzlich eine Herabsetzung ihrer Rechte. Die gesetzliche Lizenz tritt aber oft dort in Erscheinung, wo aufgrund der Massenhaftigkeit urheberrechtsrelevanter Nutzungen bzw. der unüberschaubaren Anzahl der Nutzer eine Individualkontrolle letztlich nicht realistisch
ist.94 Die Durchsetzbarkeit eines individuellen Verbotsrechts erscheint daher teilweise unmöglich. Die Aufhebung des Verbotsrechts kann folglich im Einzelfall durchaus auch im Sinne des Rechteinhabers liegen. Bei diesem Ansatzpunkt darf aber
auch nicht außer Acht gelassen werden, dass die massenweise Inanspruchnahme von
Nutzungsrechten zumeist über die Verwertungsgesellschaften wahrgenommen wird.
Insofern ist durch § 11 UrhWG ein entsprechender Abschlusszwang geregelt, d.h.
die Verwertungsgesellschaften sind aufgrund der von ihnen wahrgenommenen
Rechte verpflichtet, jedermann auf Verlangen zu angemessenen Bedingungen Nutzungsrechte einzuräumen. Die Problematik der Individualkontrolle kann daher eine
großzügigere Zulässigkeitsgrenze nicht begründen.
cc) Zwangslizenz
Im Unterschied zur gesetzlichen Lizenz ist bei der Zwangslizenz die Nutzung nicht
erlaubnisfrei. Es besteht die Verpflichtung, die Einwilligung für die Nutzungshandlung im Voraus einzuholen, den Urheber trifft jedoch umgekehrt ein Kontrahierungszwang, einen entsprechenden Nutzungsvertrag auch abzuschließen.95 Die
Zwangslizenz räumt dem Werknutzer daher einen originären Anspruch auf Abschluss eines Lizenzvertrages ein.
c) Grundrecht auf Informations- und Wissenschaftsfreiheit vs. Ausschließlichkeit
Wie bereits mehrfach angesprochen, stellt die Ausgewogenheit der beteiligten Interessen für den Gesetzgeber das Fundament dar, das UrhG auszugestalten. Zwischen
den vorstehend erläuterten Möglichkeiten der Eingriffsarten im Rahmen der urheberrechtlichen Schranken hat der Gesetzgeber infolge der unterschiedlichen Intensität derselben keine freie Entscheidungswahl hinsichtlich der Privilegierungsart der
94 Dreier, in: Dreier/Schulze, UrhG, Vor. §§ 44 a, Rn. 14; Leinemann, Die Sozialbindung, S. 76.
95 Bullinger, in: Wandtke/Bullinger, UrhR, § 42 a UrhG, Rn. 12; Fechner, Geistiges Eigentum
und Verfassung, S. 239; Schack, Urheber- und Urhebervertragsrecht, Rn. 435; eingehend zur
Schrankenqualität der Zwangslizenz: Kraft, Zwangslizenz, S. 41 ff.
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von ihm präferierten Gemeinwohlbelange. Vielmehr muss er im Rahmen der Abwägung zwischen den gegenläufigen Interessen eine für alle Beteiligten tragbare Lösung finden, die jeweils an dem Gewicht der einzelnen Interessen Orientierung finden muss. Die Regierungsbegründung des UrhG 1965 stellte dabei bereits klar, dass
die Aufgaben der Allgemeinheit, die keinen engeren Bezug zur Leistung des Urhebers haben, keine urheberrechtliche Beschränkung rechtfertigen können.96 Als Beispiele wurden dahingehend die Sozialfürsorge, Jugendpflege und Wohltätigkeit angeführt. Vor diesem Hintergrund legte der Gesetzgeber bereits zu diesem Zeitpunkt
seiner Tätigkeit zutreffend zugrunde, dass nicht alle Aufgaben der Allgemeinheit
eine Einschränkung des Urheberrechts zu rechtfertigen vermögen, und eröffnete innerhalb der von ihm präferierten Gemeinwohlbelange zudem den Weg für eine Abwägung im konkreten Einzelfall.
Es stellt sich dabei vor allem die Frage, wohin die Interessen der Allgemeinheit
gehen. Bereits eingangs der Untersuchung wurde das Interesse der Allgemeinheit
angesprochen, einen möglichst ungehinderten Zugang zu den Werken des schöpferischen Geistes zu haben, wobei dieses weiterhin dahin geht, keine Gegenleistung für
die Nutzung erbringen zu müssen bzw. diese so gering wie möglich zu halten.97 So
kann allein das Interesse an einem weitestgehend ungehinderten Zugang zu geistigem Eigentum aber keine urheberrechtlichen Beschränkungen in Form der gesetzlichen Lizenz oder der Zwangslizenz rechtfertigen.98 Jenes Interesse wird auch dann
nicht als ausreichend anerkannt, wenn es um die Bildung der Allgemeinheit geht.99
Richtig ist aber sicherlich, dass in den Bereichen Bildung und Wissenschaft ein Bedürfnis nach weit reichender Zugangsmöglichkeit zu vorhandenem Wissen besteht.
In diesem Kontext können dann auch dringende gesellschaftliche Bedürfnisse zu
verzeichnen sein.100 Eine Auseinandersetzung mit bestehendem Wissen ist die
unumgängliche Voraussetzung für eine Weiterentwicklung in den Bereichen der
Wissenschaft, Kunst und Kultur. Den Nutzern urheberrechtlich geschützter Werke
steht dabei insbesondere das Grundrecht der Informationsfreiheit aus Art. 5 Abs. 1
S. 1, 2.Halbs. GG zur Seite. Es gewährleistet das Recht eines jeden Bürgers, sich aus
veröffentlichten Quellen unabhängig von seiner sozialen Stellung und ungehindert
Informationen zu beschaffen.101 Das Individualrecht, sein vorhandenes Wissen zu
96 Zum Folgenden: Amtliche Begründung, BT-Drs. IV/270, S. 63; abgedruckt in: UFITA 45
(1965), S. 240, 278; Schulze, Materialien zum UrhG, Bd. 1, S. 349, 474.
97 Fechner, Geistiges Eigentum und Verfassung, S. 242.
98 Badura, Der Eigentumsschutz S. 14; Gounalakis, Elektronische Kopien für Unterricht und
Forschung, S. 16.
99 Badura, Der Eigentumsschutz, S. 14; Fechner, Geistiges Eigentum und Verfassung, S. 242.
100 Vgl. Cohen Jehoram, der diese als Voraussetzung jeder urheberrechtlichen Beschränkung
verlangt, in: GRUR Int. 2004, S. 96, 97.
101 Dieses Recht auf einen ungehinderten Zugang zu den Informationsquellen ist weiterhin in der
Universalen Erklärung der Menschenrechte, dort Art. 19, in der Europäischen Menschenrechtskonvention, dort Art. 10, sowie in der Charta der Grundrechte der Europäischen Union,
dort Art. 11, verankert.
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erweitern und damit seine Persönlichkeit zu entfalten, ist gleichermaßen eine zentrale Voraussetzung für eine freie und möglichst gut informierte demokratische Öffentlichkeit.102 Die Informationsfreiheit kann guten Gewissens als die Basis jeglicher
Freiheit zur Kommunikation bezeichnet werden.103 Aus dieser Informationsfreiheit
entsteht neues Wissen und damit die Basis neuer Werke. Die Informationsfreiheit
beinhaltet damit auch für den Urheber geistigen Eigentums das Recht, sich das für
seine Tätigkeit erforderliche Wissen aus bereits vorhandenen Materialien zu beschaffen. Eine generelle Vorrangstellung der Informationsfreiheit des Art. 5 Abs. 1
S. 1 Halbs. 2 GG gegenüber der Eigentumsfreiheit des Art. 14 Abs. 1 GG ist jedoch
aus verfassungsrechtlicher Sicht im Hinblick auf das Zugangsbedürfnis der Allgemeinheit auf Werke geistigen Eigentums nicht zu rechtfertigen.104 Die grundrechtlich geschützte Informationsfreiheit ihrerseits unterliegt dem Schrankenvorbehalt
aus Art. 5 Abs. 2 GG. Insofern sind auch die eigentumsausgestaltenden Regelungen
des UrhG als allgemeine Gesetze Schranken in diesem Sinne.105 Die grundrechtlich
geschützte Informationsfreiheit kann daher sowohl mittels einer gesetzlichen Lizenz
als auch im Rahmen einer Zustimmungspflichtigkeit und vertraglichen Lizenzierung
aufgrund allgemeiner Gesetze ausgestaltet werden.106
Schließlich sollte in diesem Zusammenhang ein ganz entscheidender Aspekt nicht
unerwähnt bleiben: Schutzgegenstand des Urheberrechts ist nicht die Information
selbst, sondern vielmehr das durch geistige Leistung geschaffene Werk, also nur die
Darstellung der Information. Keinesfalls darf daher die Information mit dem Werk,
das sie enthält, gleichgesetzt werden.107 Der Durchsetzung des Informationsanspruchs sind demzufolge Grenzen durch den Gegenstand der erstrebten Information
gesetzt.108 Vor diesem Hintergrund ist zwingend zwischen der Möglichkeit, sich Zugang zu Informationen in fremden Werken zu verschaffen, und der Verwertung
fremder Werke zu unterscheiden. Eine unentgeltliche Nutzungsmöglichkeit urheberrechtlich geschützter Werke kann aus der Informationsfreiheit in der Regel nicht
hergeleitet werden. Der Zugang zu dem Geisteswerk verlangt zumeist kein kostenloses Bereitstellen. Das bloße Interesse der Allgemeinheit an einer kostenlosen Nutzung kann gegenüber dem verfassungsrechtlich geschützten Vergütungsanspruch
des Urhebers nicht vorrangig sein.109 Eine Verletzung der Informationsfreiheit wäre
102 BVerfG, Beschluss v. 03.10.1969 – BvR 46/65, BVerfGE 27, S. 71, 81f.; Schulze-Fielitz, in:
Dreier, GG, Bd. 1, Art. 5, Rn. 76.
103 Fechner, Geistiges Eigentum und Verfassung, S. 348.
104 Fechner, Geistiges Eigentum und Verfassung, S. 350; hinsichtlich des Zusammenwirkens der
Urheberrechts und der Informationsfreiheit, vgl. Löffler, in: NJW 1980, S. 201 ff.
105 Poeppel, Die Neuordnung der urheberrechtlichen Schranken, S. 149; Hüsken, Informationsfreiheit und urheberrechtlicher Schutz des geistigen Eigentums, S. 177 ff., 185.
106 Schack, in: AfP 2003, S. 1, 5.
107 Berger, in: ZUM 2004, S. 257, 264; Schack, Urheber- und Urhebervertragsrecht, Rn. 166;
Cohen Jehoram, in: GRUR Int. 2004, S. 96, 98; Schulze, in: FS für Willi Erdmann, S. 173,
184.
108 Delp, Das Recht des geistigen Schaffens, III. 7., Rn. 72.
109 Gettke, Das Fotokopierrecht, S. 93; Fechner, Geistiges Eigentum und Verfassung, S. 243.
41
in diesem Zusammenhang beispielsweise dann denkbar, wenn durch eine unverhältnismäßig hohe Entgeltforderung der Zugang schlichtweg unmöglich gemacht würde.110 Zweifelhaft erscheint jedoch, daraus den Anspruch auf unentgeltliche Verwertung herzuleiten.111 Dies würde im Ergebnis wohl nur eine Herabsetzung der unverhältnismäßigen Entgeltforderung bis zur Grenze der Verhältnismäßigkeit zur Folge
haben können. Aus Art. 5 Abs. 1 GG kann somit keinesfalls ein Anspruch auf eine
kostenlose Unterrichtung aus den Informationsquellen hergeleitet werden.112
Im Übrigen kann auch die durch Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG grundrechtlich geschützte
Wissenschaftsfreiheit Beschränkungen der Eigentumsfreiheit rechtfertigen. Die
Wissenschaftsfreiheit des Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG enthält neben einem Freiheitsrecht
„eine objektive, das Verhältnis von Wissenschaft, Forschung und Lehre zum Staat
regelnde wertentscheidende Grundsatznorm“.113 Der Gesichtspunkt, dass Gedanken,
die in urheberrechtlich geschützten Werken enthalten sind, der Nachwelt zur Anregung einer Weiterentwicklung oder Vertiefung zur Verfügung stehen sollen, gilt erst
recht für den Wissenschaftsbereich.114
Da augenscheinlich die Interessen, die einen ungehinderten Zugang zu dem urheberrechtlich geschützten Werk rechtfertigen können, nicht zwingend gleichermaßen
auch die Einschränkung des Vergütungsanspruches rechtfertigen, stellte das BVerfG
in diesem Kontext folgenden Grundsatz auf: „Eingriffe in das Verfügungsrecht sind
eher mit Gemeinwohlgründen zu rechtfertigen als eine Beschränkung des Verwertungsrechts“.115 Der Eingriff in das Verwertungsrecht sei als Eingriff von höherer
Intensität zu qualifizieren und daher nur mit einem gesteigerten öffentlichen Interesse zu rechtfertigen. Diese Unterscheidung darf aber nicht dazu führen, dass das Gemeinwohl stets einen Eingriff in das Verfügungsrecht des Urhebers rechtfertigt.116
Wie vorstehend bereits eingehend erläutert, muss vielmehr hinzukommen, dass der
Weg zu einem Nutzungsrecht unerträglich schwer erscheint und der gesellschaftli-
110 Poeppel, Die Neuordnung der urheberrechtlichen Schranken, S. 147.
111 So aber Fechner, der eine Anwendung der Informationsfreiheit im Interesse kostenloser Informationserlangung dann in Betracht ziehen will, wenn Informationen unter Ausnutzung einer Monopolstellung zu unverhältnismäßigen Preisen angeboten werden können, Geistiges
Eigentum und Verfassung, S. 349.
112 Vgl. auch: Berger, in: ZUM 2004, S. 257, S. 264.
113 BVerfG, Beschluss v. 26.10.2004 – 1 BvR 911, 927, 928/00, BVerfGE 111, 333, 353; vgl.
auch den Beschluss v. 03.03.1993 – 1 BvR 757, 1551/88, BVerfGE 88, S. 129, 136.
114 LG München I, Urteil v. 19.01.2005 – 21 O 312/05, in: ZUM 2005, S. 407, 410 unter Rückgriff der Leitgedanken des BVerfG zur Kunstfreiheit in seinem Beschluss v. 29.06.2000 – 1
BvR 825/98, in: ZUM 2000, S. 867 ff. – Germania 3.
115 BVerfG, Beschluss v. 11.10.1988 – 1 BvR 743/86 und 1 BvL 80/86, BVerfGE 79, S. 29, 41 =
ZUM 1989, S. 190 ff. = GRUR 1989, 193 ff. - Vollzugsanstalten; grundlegend zu den erhöhten Anforderungen eines Vergütungsausschlusses, bereits: Beschluss v. 07.07.1971 – 1 BvR
765/66, BVerfGE 31, S. 229, 243 – Kirchen- und Schulgebrauch; Beschluss v. 25.10.1978 –
1 BvR 352/71, BVerfGE 49, S. 382, 400 – Kirchenmusik.
116 Kreile, in: FS für Peter Lerche, S. 251, 263; Leinemann, Die Sozialbindung, S. 71.
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che und kulturelle Gehalt des geistigen Eigentums anderenfalls der Gefahr ausgesetzt wäre, verloren zu gehen. Die Aussage des BVerfG lässt den Gedanken aufkommen, dass es zu übereilt einen Eingriff in das Verfügungsrecht des Rechteinhabers als verfassungsrechtlich gerechtfertigt einstuft.117 Ein zu großzügiger Maßstab
bei der Prüfung, wann im Einzelnen ein gesteigertes öffentliches Interesse in diesem
Sinne zu verzeichnen ist, würde eine Verfehlung des angestrebten Ausgleichsverhältnisses zwischen den widerstreitenden Interessen nach sich ziehen.118 Bei der Prüfung der Beachtlichkeit der öffentlichen Interessen im Falle eines Eingriffs in das
Verfügungsrecht sind Pauschalitäten zu vermeiden. Vielmehr ist stets die spezifische
Intensität des Eingriffs gewichtig, die insbesondere davon abhängt, welche Absatzmärkte den Urhebern respektive Rechteinhabern unter ihrer Verfügungsmacht verbleiben.119 Ein Eingriff in den Primärmarkt entfaltet dabei arteigen stets intensivere
Wirkung als einer in den Zweitverwertungsmarkt. Zutreffend betonte Fechner in
diesem Kontext abermals, dass ein gesetzlich festgelegter nachträglicher Vergütungsanspruch stets nur einen Ersatz darstellen kann.120
2. Vertrauensschutzprinzip
Der Vertrauensschutz kommt bei der Beschränkung bereits bestehender Rechte zur
Anwendung. Das Vertrauen des Einzelnen in eine bestehende gesetzliche Regelung
ist grundsätzlich dann geschützt, wenn der Betroffene mit einem entwertenden Eingriff nicht zu rechnen brauchte.121 Vor diesem Hintergrund darf der Rechteinhaber
auf den Fortbestand bestehender Rechte vertrauen, jedoch nicht auch darauf, dass
sich die zugrunde liegenden Gesetze nicht ändern.122 Ausnahmsweise kann die Abwägung der widerstreitenden Interessen dennoch ergeben, dass dem Vertrauen auf
die Fortgeltung der bestehenden gesetzlichen Lage der Vorrang einzuräumen ist.123
Höchst selten kann das Vertrauensschutzprinzip daher auch im Rahmen der Ände-
117 Melichar, in: Josef Kohler und der Schutz des geistigen Eigentums, S. 101, 103 f.
118 Melichar verweist in diesem Zusammenhang auf den Beschluss des BVerfG v. 11.10.1988 –
1 BvR 743/86 u.a., BVerfGE 79, S. 29, 41 = ZUM 1989, S. 190, 193. = GRUR 1989, 193, 19
– Vollzugsanstalten, in: Josef Kohler und der Schutz des geistigen Eigentums, S. 101, 104.
Das Gericht begründet die Verfassungsmäßigkeit der freien, d.h. vergütungsfreien Wiedergabe von Musikwerken in Vollzugsanstalten gemäß § 52 Abs. 1 S. 3 UrhG damit, „dass der Eigentümer auf den bedürftigen Rechtsgenossen, hier auf die Gefangenen, Rücksicht zu nehmen
hat. Diese Gemeinschaftsbezogenheit hat der Urheber in der Gestalt eines ’Solidaropfers’
hinzunehmen, solange sein Verwertungsrecht dadurch nicht unzumutbar entwertet wird.“
Melichar kritisiert in diesem Zusammenhang zu Recht die Einschränkung des Urheberrechts
aufgrund von Partikularinteressen, die grundsätzlich nicht gleichzusetzen seien mit einem gesteigerten öffentlichen Interesse.
119 Gounalakis, Elektronische Kopien für Unterricht und Forschung, S. 26 f.
120 Fechner, Geistiges Eigentum und Verfassung, S. 165.
121 Söllner, in: FS: für Fritz Traub, S. 367, 374.
122 Vgl. Arnold, Amtliche Werke im Urheberrecht, S. 45.
123 Vgl. Söllner, in: FS für Fritz Traub, S. 367, 374.
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rung urheberrechtlicher Schranken zur Anwendung gelangen und sollte bei der hiesigen Untersuchung im Auge bleiben.
V. Vorgaben des Gleichheitsgrundsatzes nach Art. 3 Abs. 1 GG
Auch der verfassungsrechtliche Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 Abs. GG liefert
Vorgaben für den Gesetzgeber bei der Ausgestaltung der urheberrechtlichen Schranken. Der Gleichheitsgrundsatz gebietet insbesondere die gleiche Behandlung von
wesentlich Gleichem.124 Für seine Anwendung muss demgemäß ein Bezugspunkt
gefunden werden, der dabei als gemeinsamer Oberbegriff des Vergleichbaren bestimmt wird. Die Anwendbarkeit des Gleichheitsgrundsatzes in der urheberrechtlichen Sphäre ist vor diesem Hintergrund in mehrere Richtungen denkbar.
1. Bezugspunkt Eigentum
Als ein entsprechender Bezugspunkt kann das Eigentum als solches angesehen werden. Hinsichtlich der urheberrechtlichen Schranken ist jedenfalls eine Ungleichbehandlung zwischen Sacheigentum und geistigem Eigentum zu verzeichnen, müssen
die Urheber als geistige Eigentümer doch Einschnitte in ihre Ausschließlichkeitsrechte im Rahmen der urheberrechtlichen Schranken hinnehmen, die bei Lieferanten
von Sachen oder Dienstleistungen undenkbar sind. Das BVerfG hat hierzu, speziell
zur Vorschrift des § 52 Abs. 1 S. 3 UrhG, Stellung insofern genommen, als dass die
tatsächlichen Verschiedenheiten beider Eigentumserscheinungsformen eine unterschiedliche Behandlung rechtfertigen würden.125 Wörtlich führte das BVerfG zur
Begründung aus:
„Bei der Lieferung von Sachen und der Erbringung von Dienstleistungen ist die unmittelbare
Zuordnung von Gebendem und Nehmendem schon durch den Lebensvorgang vorgegeben. Eine Pflicht zur unentgeltlichen Leistungserbringung wäre in der Sache ein unmittelbarer Zugriff
des Staates auf das Eigentum Privater und zielte somit auf die vollständige und teilweise Entziehung einer bereits vorhandenen Rechtsposition. Sie wäre daher nur unter den Voraussetzungen des Art. 14 Abs. 3 GG zulässig.“
In der Literatur werden dessen ungeachtet dennoch, gegebenenfalls als „Aufruf zum
Umdenken“, entsprechende Vergleiche vorgenommen und einer kritischen Beurteilung unterzogen. Teilweise wird dieses Thema im Zusammenhang mit der grundrechtlich geschützten Informationsfreiheit der Allgemeinheit aus Art. 5 Abs. 1 S. 1
GG angesprochen. Namentlich wird von Berger angeführt, dass unter Rückgriff auf
die Informationsfreiheit noch niemand ernsthaft die Ordnung des Sacheigentums
124 BVerfG, Beschluss v. 09.08.1978 – 2 BvR 831/76, BVerfGE 49, S. 148, 165.
125 BVerfG, Beschluss v. 11.10.1988 – 1 BvR 743/86, BVerfGE 79, S. 29, 41 = ZUM 1989, S.
190, 193 = GRUR 1989, S. 193, 196 – Vollzugsanstalten, wobei das BVerfG nicht explizit
auf Art. 3 GG eingeht, sondern die Beurteilung allein anhand von Art. 14 GG vornimmt.
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References
Zusammenfassung
In Bildung und Wissenschaft ist der Einsatz vielfältiger Medien, insbesondere auch unter Rückgriff auf modernste Techniken, unentbehrlich. In diesen Bereichen treffen die widerstreitenden Interessen von Nutzern und Rechteinhabern vor allem unter fiskalischen Gesichtspunkten in sensiblem Maße aufeinander. Dem Gesetzgeber obliegt es, mittels der urheberrechtlichen Schranken zwischen ihnen eine ausgewogene Balance zu schaffen. Die Autorin zeigt auf der Basis einer eingehenden Interessenanalyse unter Berücksichtigung von Rechtsprechung und Literatur die geltende Rechtslage auf, würdigt sie kritisch und entwickelt Reformansätze, besonders auch im Hinblick auf das urheberrechtliche Öffentlichkeitsverständnis.