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C) Verfassungsrechtliche Vorgaben bei der Ausgestaltung der urheberrechtlichen
Schranken
Die Ausschließlichkeit der urheberrechtlichen Verwertungsrechte sieht sich Schranken gegenüber, mittels derer die gesetzliche Verpflichtung des Urhebers festgeschrieben ist, ob er sein Werk der Allgemeinheit zustimmungsfrei oder – erschwerend – vergütungsfrei zur Verfügung stellen muss. Der Urheber muss jedoch nur innerhalb des verfassungsrechtlich abgesteckten Rahmens Beschränkungen seiner ausschließlichen Rechte hinnehmen. Die Leitlinien der verfassungsrechtlichen Vorgaben sollen nachfolgend im Einzelnen erläutert werden.
I. Betroffenheit der verschiedenen grundrechtlich geschützten Positionen des
Urhebers durch die urheberrechtlichen Schranken
Die urheberrechtlichen Verwertungsrechte der §§ 15 ff. UrhG dienen vorwiegend
dem wirtschaftlichen Interesse der Urheber und damit der Sicherstellung der finanziellen Beteiligung der Urheber an der Verwertung ihrer Werke.56 Gleichzeitig darf
aber in diesem Zusammenhang die Bedeutung des den Verwertungsrechten innewohnenden Verbotsrechts für die ideellen Interessen des Urhebers nicht unterschätzt
werden. Die Verwertungsrechte sind auch ein Instrument des Urhebers zur Kontrolle
der Darstellung seiner Person, das er im Wege einer entsprechenden Lizenzierung
durchsetzen kann.57 Dabei ist die Frage, ob die Nutzung selbst vom Urheber untersagt werden kann, wohl in erster Linie eine Frage mit persönlichkeitsrechtlichem
Bezug, während die Frage nach der Vergütung von eigentumsrechtlicher Relevanz
ist.58 Der Entzug des ausschließlichen Verbotsrechts kann indes gleichfalls nicht
unerhebliche Auswirkungen auf die Verhandlungsposition im Hinblick auf die Vergütung haben. Ein Vergütungsanspruch, über dem das „Damoklesschwert“ eines
möglichen Verbots schwebt, hat unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten zumeist einen höheren Stellenwert als ein vom Verbotsrecht entkleideter Vergütungsanspruch.59 Entscheidende verfassungsrechtliche Vorgaben bei der Ausgestaltung der
urheberrechtlichen Schranken werden sich demzufolge aus den Vorgaben für die
56 Poeppel, Die Neuordnung der urheberrechtlichen Schranken, S. 145.
57 Poeppel, Die Neuordnung der urheberrechtlichen Schranken, S. 145.
58 Fechner, Geistiges Eigentum und Verfassung, S. 238, der explizit auf die Möglichkeit hinweist, dass die Entscheidungsmacht über die erste Nutzung durch den Urheber zumindest
dann vermögensrechtlichen Bezug aufweist, wenn faktisch eine Vergütung für weitere Nutzungen nicht zu erwarten ist, da in derartigen Fällen die Nutzung ohne Einwilligung einer
unentgeltlichen Nutzung gleichkomme.
59 Kreile, in: FS für Peter Lerche, S. 251, 263; vgl. auch Leinemann, der darauf hinweist, dass
der wirtschaftliche Wert der geschützten Leistung zumindest dann als beeinträchtigt anzusehen ist, wenn die Möglichkeit einer individuellen Honorarvereinbarung nicht durch einen gesetzlichen Vergütungsanspruch ersetzt wird, Die Sozialbindung, S. 71. Vgl. auch die Ausführungen zur Vergütung im 5. Kapitel, unter C, S. 210 ff.
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Einschränkung des geistigen Eigentums aus Art. 14 GG ergeben. Insbesondere ist
festzuhalten, dass die Eingriffe in die wirtschaftlichen Partizipations- und Kontrollbelange der Urheber, die durch die Aufhebung der Ausschließlichkeitsbefugnis zugleich einen Eingriff in die ideellen Urheberinteressen darstellen, weitestgehend
gleichen Prüfungsvoraussetzungen unterliegen.
II. Grenze der Institutsgarantie
Als Ausprägung der Eigentumsgarantie ist die Institutsgarantie eine zwingende
Grenze bei der Ausgestaltung der urheberrechtlichen Schranken als inhaltsbestimmende Regelungen des geistigen Eigentums.60 Nach Aussagen des BVerfG gewährleistet die Institutsgarantie einen Grundbestand von Normen, der gegeben sein muss,
um das Recht als „Privateigentum“ bezeichnen zu können.61 Sie bewahrt insbesondere den Einzelnen vor ungerechtfertigten Eingriffen durch die öffentliche Gewalt in
den durch Arbeit und Leistung erworbenen Bestand an vermögenswerten Gütern, so
dass sich die gesetzlichen Regelungen, die auf die wirtschaftliche Verwertung der
Leistung des Urhebers Einfluss haben, folglich auch an der Institutsgarantie messen
zu lassen haben.62 Diese Garantie führt zwar im Ergebnis nicht dazu, dass der Gesetzgeber dem Urheber jede erdenkliche Verwertungsmöglichkeit zuweisen muss,
die grundsätzliche Zuordnung des Vermögenswertes der schöpferischen Leistung ist
jedoch unabdingbar. Dies stellt den „grundgesetzlich geschützten Kern des Urheberrechts“ dar.63 Mit der Institutsgarantie unvereinbar wäre vor diesem Hintergrund
die Ausgestaltung des UrhG derart, wenn von Gesetzes wegen die Ausschließlichkeitsrechte durch die generelle Gewährung von gesetzlichen Vergütungsansprüchen
völlig ersetzt werden würden.64
Gleichermaßen ergibt sich für den Gesetzgeber aus der Institutsgarantie eine Regelungspflicht, wenn beispielsweise die bestehende Ausgestaltung der urheberrechtlichen Schranken in den „grundgesetzlich geschützten Kern des Urheberrechts“ dadurch eingreift, dass die bestehende Rechtslage infolge der technischen Weiterentwicklung und eines daraus resultierenden veränderten Nutzerverhaltens für die Ur-
60 Badura, in: FS für Theodor Maunz, S. 1, 9; ders. in: ZUM 2004, S. 552, 556; Poeppel, Die
Neuordnung der urheberrechtlichen Schranken, S. 136.
61 BVerfG, Beschluss v. 07.07.1971 – 1 BvR 765/66, BVerfGE 31, S. 229, 241 – Kirchen- und
Schulgebrauch.
62 BVerfG, Beschluss v. 07.07.1971 – 1 BvR 765/66, BVerfGE 31, S. 229, 239 f. - Kirchenund Schulgebrauch; vgl. auch den Beschluss v. 25.10.1978 – 1 BvR 352/71, BVerfGE 49, S.
382, 403 – Kirchenmusik.
63 BVerfG, Beschluss v. 07.07.1971 – 1 BvR 765/66, BVerfGE 31, S. 229, 240 f. – Kirchenund Schulgebrauch; vgl. auch den Beschluss v. 25.10.1978 – 1 BvR 352/71, BVerfGE 49, S.
382, 394 – Kirchenmusik.
64 Poeppel, Die Neuordnung der urheberrechtlichen Schranken, S. 137; Schack, Urheber- und
Urhebervertragsrecht, Rn. 84.
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Zusammenfassung
In Bildung und Wissenschaft ist der Einsatz vielfältiger Medien, insbesondere auch unter Rückgriff auf modernste Techniken, unentbehrlich. In diesen Bereichen treffen die widerstreitenden Interessen von Nutzern und Rechteinhabern vor allem unter fiskalischen Gesichtspunkten in sensiblem Maße aufeinander. Dem Gesetzgeber obliegt es, mittels der urheberrechtlichen Schranken zwischen ihnen eine ausgewogene Balance zu schaffen. Die Autorin zeigt auf der Basis einer eingehenden Interessenanalyse unter Berücksichtigung von Rechtsprechung und Literatur die geltende Rechtslage auf, würdigt sie kritisch und entwickelt Reformansätze, besonders auch im Hinblick auf das urheberrechtliche Öffentlichkeitsverständnis.