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nisse des Urhebers so umfassend zu gestalten, dass möglichst jede Art der Verwertung seiner Kontrolle unterliegt.33 Übertragen die Urheber, wie es der Regelfall ist,
ihre Rechte durch Vertrag Dritten, den Verwertern, erwerben diese dadurch ihrerseits die verfassungsrechtlich geschützten Rechte und damit auch grundrechtlich geschütztes Eigentum.34
II. Verfassungsrechtliche Grenzen des Eigentumsgebrauchs
Mit der Ausschließlichkeit des Urheberrechts als geistiges Eigentum untrennbar
verbunden ist aus verfassungsrechtlicher Sicht auch, dass alle Eigentumsrechte bestimmten Grenzen unterliegen. Mit Art. 14 Abs. 2 GG stellt die Verfassung der Gewährleistung des Eigentums die „Grundrechtserwartung eines gemeinschaftsverträglichen Eigentumsgebrauchs“ an die Seite, indem festgeschrieben wird, dass Eigentum verpflichtet und dem Wohl der Allgemeinheit dienen soll.35
1. Erscheinungsformen der staatlichen Eingriffsformen
Verfassungsrechtlich gerechtfertigte Grenzen der Eigentumsfreiheit sind zum einen
in Form von Inhalts- und Schrankenbestimmungen nach Art. 14 Abs. 1 S. 2 GG
denkbar und zum anderen im Wege der Enteignung nach Art. 14 Abs. 3 GG möglich. Diese jeweils als eigenständige Rechtsinstitute anzusehenden Grenzen der Eigentumsfreiheit unterscheiden sich in Voraussetzungen und Anforderungen an ihre
materielle Ausgestaltung grundlegend voneinander.36 Die Enteignung stellt im Verhältnis zur Inhalts- und Schrankenbestimmung keine Steigerung des staatlichen Eigentumsbegriffes dar, sondern vielmehr ein aliud.37 Die Prüfung der verfassungsrechtlichen Rechtfertigung eines Eingriffs in den Schutzbereich des Art. 14 Abs. 1
GG erfordert daher als ersten Schritt die Einordnung desselben in die Schrankensystematik dieses Grundrechts.
Das BVerfG nimmt die dogmatische Abstufung und Abgrenzung der Inhalts- und
Schrankenbestimmung sowie der Enteignung seit seinem „Nassauskiessungsbeschluss“ vom 15.07.1981 nach formalen Kriterien vor.38 Es hat dabei eine handlungsbezogene und keine folgenorientierte Abgrenzung zu erfolgen. Unter Enteig-
33 Badura, in: FS für Theodor Maunz, S. 1, 2; ders. in: ZUM 1984, S. 552, 553.
34 Berger/Degenhart, in: AfP 2002, S. 557, 559; Gounalakis, Elektronische Kopien für Unterricht und Forschung, S. 9.
35 Depenheuer, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Bd. 1, Art. 14, Rn. 199.
36 BVerfG, Beschluss v. 14.07.1981 – 1 BvL 24/78; BVerfGE 58, S. 137, 145 – Pflichtexemplar.
37 Depenheuer, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Bd. 1, Art. 14, Rn. 204.
38 BVerfG, Beschluss v. 15.07.1981 – 1 BvL 77/78, BVerfGE 58, S. 300 ff.
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nung ist nach dem BVerfG der vollständige oder teilweise Entzug der durch Art. 14
Abs. 1 GG gewährleisteten Rechtspositionen zu verstehen.39 Damit ist der Enteignungsbegriff das Korrelat zum Eigentumsbegriff.40 Eine Inhalts- und Schrankenbestimmung ist hingegen im eigentlichen Sinne keine echte Beeinträchtigung des Eigentums.41 Vielmehr handelt es sich um eine in die Zukunft gerichtete, generelle und
abstrakte Festlegung von Rechten und Pflichten durch den Gesetzgeber hinsichtlich
des Eigentums im Rahmen der verfassungsrechtlichen Vorgaben. Hierin liegt letztlich die Absage an eine Eigentumsordnung, in der das Individualinteresse den unbedingten Vorrang vor den Interessen der Gemeinschaft hat.42
2. Einordnung der urheberrechtlichen Schranken zugunsten der Bildung und
Wissenschaft in die Schrankensystematik des Art. 14 GG
Die Abgrenzung zwischen Enteignung sowie Inhalts- und Schrankenbestimmung
kann sich im Einzelfall trotz der scheinbar eindeutigen Definitionen und Trennungsansätze des BVerfG als äußerst schwierig erweisen. Da im Einklang mit dem
BVerfG zur Enteignung neben der vollständigen Entziehung einer Eigentumsposition auch die teilweise Entziehung einzelner Verfügungs-, Nutzungs- und Abwehrrechte zählt und schließlich eine Legalenteignung gemäß Art. 14 Abs. 3 S. 2 GG
auch als abstrakt-generelle Regelung zu qualifizieren ist, führt die rein formale Abgrenzungsmethode nicht in jedem Fall zu einem eindeutigen Ergebnis. Die Besonderheit der Legalenteignung im Vergleich zur Administrativenteignung besteht dabei darin, dass einem bestimmten oder bestimmbaren Personenkreis konkrete Eigentumsrechte unmittelbar durch das Gesetz ohne weiteren Vollzugsakt entzogen werden.43 Infolgedessen können sich Abgrenzungsschwierigkeiten zu der Inhalts- und
Schrankenbestimmung ergeben. Vor diesem Hintergrund ist es durchaus denkbar,
im Bereich der urheberrechtlichen Schrankenbestimmungen zugunsten der Bildung
und Wissenschaft in Richtung Enteignung zu argumentieren, da in besonderer Weise
Autoren und Verlage von Werken für Unterricht und Wissenschaft betroffen seien.44
In der juristischen Literatur findet man dementsprechend auch Ansätze dahingehend,
dass eine zulässig gestellte Nutzung des urheberrechtlich geschützten Werkes ohne
39 BVerfG, Urteil v. 28.12.1968 – 1 BvR 638, 73/64 und 200, 238, 249/65, BVerfGE 24, S. 367,
394; st. Rspr., neuerdings etwa: BVerfG, Beschluss v. 22.05.2001 – 1 BvR 1512, 1677/97,
BVerfGE 104, S. 1, 9; Beschluss v. 16.02.2000 – 1 BvR 242/91, 315/99, BVerfGE 102, S. 1,
15 f.; Urteil v. 23.11.1999 – 1 BvF 1/94, BVerfGE 101, S. 239, 259.
40 Wieland, in: Dreier, GG, Bd. 1, Art. 14, Rn. 77.
41 Zum Folgenden: Wieland, in: Dreier, GG, Bd. 1, Art. 14, Rn. 74.
42 BVerfG, Beschluss v. 16.02.2000 – 1 BvR 242/91, 315/99, BVerfGE 102, S. 1, 15.
43 BVerfG, Beschluss v. 15.07.1981 – 1 BvL 77/78, BVerfGE 58, 300, 330 f.; Beschluss v.
12.06.1979 – 1 BvL 19/76, BVerfGE 52, S. 1, 27; Beschluss v. 10.05.1977 – 1 BvR 514/68
und 323/69, BVerfGE 45, S. 297, 325f.; vgl. auch: Gounalakis, Elektronische Kopien für Unterricht und Forschung, S. 14.
44 Gounalakis, Elektronische Kopien für Unterricht und Forschung, S. 14.
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Einwilligungserfordernis durch den Berechtigten als Fall der Enteignung anzusprechen wäre.45 Im Rahmen dessen würde dem Berechtigten nämlich eine konkrete
subjektive Rechtsposition teilweise entzogen.46
Für die Annahme einer (Teil-) Enteignung fehlt es jedoch richtigerweise an der
erforderlichen rechtlichen Abtrennbarkeit des entzogenen Teils des Eigentums.47 Sofern die ausschließlichen Verwertungsrechte im Hinblick auf Werkteile beschränkt
werden, kann eine Verselbständigung jedenfalls nicht überzeugend begründet werden.48 Im Übrigen wird die grundsätzliche Zuordnung der vermögenswerten Seite
des Urheberrechts an den Urheber nicht die verfassungsrechtliche Sicherung jeder
erdenklichen Verwertungsmöglichkeit nach sich ziehen können. Die eigentumsrechtliche Befugnis des Urhebers steht diesem von Anfang an nur innerhalb der
durch die Sozialbindung gezogenen Grenzen zu. Mit dem BVerfG sind die urheberrechtlichen Schranken daher sämtlich den Inhalts- und Schrankenbestimmungen zuzuordnen.49 Dagegen spricht auch nicht, dass die Verwertungsrechte in § 15 UrhG
zunächst umfassend formuliert werden und anschließend die urheberrechtlichen
Schranken in den §§ 44 a ff. UrhG normiert sind. Das BVerfG sieht darin zutreffend
lediglich eine zulässige Ausgestaltung der Gesetzestechnik.50 Die Verfassungsmä-
ßigkeit der einzelnen Schrankenbestimmungen hinsichtlich des geistigen Eigentums
ist nach alledem an den für Inhalts- und Schrankenbestimmungen geltenden Vorgaben zu messen.
B) Berührung weiterer grundrechtlich geschützter Rechtspositionen des geistigen
Eigentümers
I. Urheberpersönlichkeitsrecht
Das Urheberrecht wird elementar neben der Eigentumsgarantie durch das auf der
Menschenwürde beruhende, unveräußerliche und unverzichtbare Persönlichkeits-
45 Fechner, Geistiges Eigentum und Verfassung, S. 239, ebenso für die ersatzlose Aufhebung
des Nutzungsrechts, derzufolge das Werk sowohl zustimmungs- und vergütungsfrei genutzt
werden dürfte.
46 Fechner, Geistiges Eigentum und Verfassung, S. 239.
47 Wieland, in: Dreier, GG, Bd. 1, Art. 14, Rn. 79.
48 Gounalakis, Elektronische Kopien für Unterricht und Forschung, S. 15.
49 BVerfG, Beschluss v. 25.10.1978 – 1 BvR 352/71, BVerfGE 49, S. 382, 384 f. – Kirchenmusik; Beschluss v. 07.07.1971 – 1 BvR 765/66, BVerfGE 31, S. 229, 242, – Kirchen- und
Schulgebrauch.
50 BVerfG, Beschluss v. 25.10.1978 – 1 BvR 352/71, BVerfGE 49, S. 382, 394 f. – Kirchenmusik; vgl. auch Melichar, in: Schricker, UrhR, vor §§ 44 a, Rn. 8. Nach Badura beruht die
Schrankensystematik des Gesetzes hingegen nicht nur auf Gesetzestechnik, sondern insbesondere auch auf dem urheberrechtlichen Schutzprinzip, mithin auf einer grundsätzlichen
Sachentscheidung, in: FS für Theodor Maunz, S. 1, 7; ders. in: ZUM 1984, S. 552, 555.
Chapter Preview
References
Zusammenfassung
In Bildung und Wissenschaft ist der Einsatz vielfältiger Medien, insbesondere auch unter Rückgriff auf modernste Techniken, unentbehrlich. In diesen Bereichen treffen die widerstreitenden Interessen von Nutzern und Rechteinhabern vor allem unter fiskalischen Gesichtspunkten in sensiblem Maße aufeinander. Dem Gesetzgeber obliegt es, mittels der urheberrechtlichen Schranken zwischen ihnen eine ausgewogene Balance zu schaffen. Die Autorin zeigt auf der Basis einer eingehenden Interessenanalyse unter Berücksichtigung von Rechtsprechung und Literatur die geltende Rechtslage auf, würdigt sie kritisch und entwickelt Reformansätze, besonders auch im Hinblick auf das urheberrechtliche Öffentlichkeitsverständnis.