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IV. Verfahrensleitende Rolle des französischen Insolvenzgerichts
Das Insolvenzgericht hat im französischen Insolvenzverfahren eine verfahrensleitende Rolle inne. Es entscheidet insbesondere, ob das Erhaltungs-, das Sanierungsverfahren oder die gerichtliche Abwicklung Anwendung findet. Im Erhaltungs- und Sanierungsverfahren bestimmt es überdies welche Verwaltungsform
dem Verwalter zukommt. Schließlich kann es jederzeit dessen Verwaltungsform
abändern.
Kommt es hingegen in Deutschland zur Verfahrenseröffnung, so ordnet das
Gericht grundsätzlich das Regelinsolvenzverfahren an. Entscheidet es sich für die
Anordnung der Eigenverwaltung, so kann es dieses nur mit Zustimmung desjenigen Gläubigers eröffnen, der die Verfahrenseröffnung beantragt hatte. Zudem
sind im deutschen Recht die Aufgaben des Insolvenzverwalters bzw. des Sachwalters sowohl im Regelinsolvenzverfahren als auch in der Eigenverwaltung
bereits gesetzlich festgelegt. Dem deutschen Insolvenzgericht steht daher insoweit keine Wahlmöglichkeit zu.
Die verfahrensleitende Rolle des französischen Insolvenzgerichts wird anhand
dessen weit reichenden Befugnissen deutlich. Damit kann das französische Insolvenzgericht in stärkerem Maße die Kompetenzverteilung zwischen Geschäftsführer und Verwalter beeinflussen als dies dem Insolvenzgericht im deutschen Recht
zusteht.
V. Fakultatives verwalterloses Verfahren versus obligatorische
Verwalterbestellung
Im französischen Insolvenzrecht finden bestimmte insolvenzrechtliche Bestimmungen auf kleine und mittlere Unternehmen keine Anwendung. Anhand von
Schwellenwerten ist zu ermitteln, ob ein solches kleines bzw. mittleres Unternehmen vorliegt, auf das dann lediglich eine reduzierte Anzahl insolvenzrechtlicher
Vorschriften Anwendung findet.983
Handelt es sich bei dem Schuldner um ein kleines oder mittleres Unternehmen,
besteht insbesondere keine Pflicht zur Bestellung eines Verwalters.984 Unterbleibt
die Bestellung eines Verwalters, werden diesem weder Kompetenzen zuteil, noch
kommt es zum Nebeneinander von Verwalter und Geschäftsführer. Daher sind im
verwalterlosen Verfahren Kompetenzen des Geschäftsführers nicht von denjenigen des Verwalters abzugrenzen. Folglich führen diese Schwellenwerte im französischen Recht dazu, dass sich die Frage der Kompetenzabgrenzung zwischen
Geschäftsführer und Verwalter in kleinen und mittleren Unternehmen nicht stellt,
vorausgesetzt dass eine fakultative Verwalterbestellung unterbleibt.
983 1. Kapitel § 2 II 3.
984 1. Kapitel § 2 II 4.
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References
Zusammenfassung
Deutschland und Frankreich stehen exemplarisch für eine bis heute sehr unterschiedliche Verfahrenspraxis im Insolvenzrecht. Ungleich gehandhabt wird insbesondere die Aufgabenverteilung zwischen Geschäftsführer und Insolvenzverwalter.
Die Aufgaben des Geschäftsführers einer GmbH bzw. einer Société à responsabilité limitée (SARL) richten sich grundsätzlich allein nach dem Gesellschaftsrecht. Dies ändert sich jedoch spätestens mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens. Dann findet das deutsche bzw. das im Jahre 2005 novellierte französische Insolvenzrecht auf den Geschäftsführer Anwendung und der Insolvenzverwalter bzw. Sachwalter tritt in das Leben der GmbH bzw. SARL ein. Auf dieser Schnittstelle von Insolvenz- und Gesellschaftsrecht kommt es damit sowohl im Regelinsolvenzverfahren bzw. in der Eigenverwaltung im deutschen Recht als auch im Erhaltungs- bzw. Sanierungsverfahren im französischen Recht zu einem Nebeneinander des gesellschaftsrechtlichen und des insolvenzrechtlichen Organs.
Dieses Nebeneinander macht eine Aufgabenverteilung notwendig, die jedoch in keinem der beiden Länder explizit geregelt ist. Auf Grundlage der dogmatischen Lösungsansätze werden die wesentlichen Aufgaben des Insolvenzverwalters und des Geschäftsführers einer GmbH bzw. SARL definiert und rechtsvergleichend untersucht.