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IV. Vereinbarkeit mit Art. 7 Richtlinie 2001/77/EG
Art. 7 Abs. 1 S. 1 Richtlinie 2001/77/EG verpflichtet die Mitgliedstaaten, „die notwendigen Maßnahmen“ zu ergreifen, „um sicherzustellen, dass die Betreiber der
Übertragungs- und Verteilungsnetze in ihrem Hoheitsgebiet die Übertragung und
Verteilung von Strom aus erneuerbaren Energiequellen gewährleisten.“ Dies wird
unter den „klassischen“ Vorbehalt der Aufrechterhaltung der Zuverlässigkeit und
Sicherheit des Netzes gestellt. Sinn der Regelung ist es, zu statuieren, dass Strom
aus erneuerbaren Energiequellen immer dann verwendet werden kann, wenn er
verfügbar ist.606 Die Richtlinie fordert in Art. 7 Abs. 1 S. 3 ferner für den Bereich
der Übertragungsnetze einen vorrangigen Netzzugang für Strom aus erneuerbaren
Energiequellen, „soweit es der Betrieb des nationalen Elektrizitätssystems zulässt“.
Der ursprüngliche Entwurf der Kommission ging noch darüber hinaus und zielte auf
die Statuierung eines generellen vorrangigen Netzzugangs für Strom aus erneuerbaren Energiequellen ab. Die Kommission konnte sich jedoch auch hier im Gesetzgebungsverfahren nicht vollständig gegen den Rat durchsetzen, so dass es in Bezug auf
die Ebene der Verteilernetze bei der bereits in Art. 11 Abs. 3 Richtlinie 96/92/EG
geregelten Möglichkeit der Mitgliedstaaten blieb, für Strom aus erneuerbaren Energiequellen einen Vorrang gegenüber Strom aus fossilen Energiequellen607 vorzusehen.608 Eine europaweit einheitliche Regelung hinsichtlich der Kostentragung für
den Netzanschluss enthält die Richtlinie nicht. Die Mitgliedstaaten sind insoweit nur
an die einheitlichen Kriterien der Abs. 2 bis 6 des Art. 7 Richtlinie 2001/77/EG
gebunden. In diesen Vorschriften geht die Richtlinie implizit davon aus, dass der
Anlagenbetreiber die Kosten für den Anschluss und die Netzverstärkung grundsätzlich selbst trägt. Eine Abweichung hiervon zu Lasten des Netzbetreibers ist aber
unproblematisch möglich.609 Die Abs. 2 bis 5 der Vorschrift verpflichten die Mitgliedstaaten jedoch, von den Netzbetreibern die Aufstellung und Veröffentlichung
einheitlicher Grundregeln für die Anlastung und Aufteilung der Kosten des Netzanschlusses und der Netzverstärkung zu verlangen oder einen entsprechenden Rechtsrahmen selbst einzuführen sowie die Vorlage umfassender und detaillierter Kostenvoranschläge für den Netzanschluss durch die Netzbetreiber vorzusehen.610
Nach Abs. 6 muss zudem sichergestellt werden, dass Strom aus erneuerbaren Energiequellen bei der Berechnung der Übertragungs- und Verteilungsgebühren nicht
benachteiligt wird und dass die Netznutzungsentgelte den Kostenvorteilen aus dem
Anschluss der Anlage an das Netz Rechnung tragen.611
Angesichts des weiten Umsetzungsspielraums der Mitgliedstaaten im Bereich der
Regelung eines Vorrangs von Strom aus erneuerbaren Energiequellen hat Italien
606 Vgl. Oschmann, Strom aus erneuerbaren Energien im Europarecht, S. 97.
607 Diese Möglichkeit wurde danach auch in Art. 14 Abs. 4 Richtlinie 2003/54/EG bestätigt.
608 Lauber, in: Reiche, Handbook of Renewable Energies in the European Union, 39, 49.
609 Vgl. Oschmann, RdE 2002, 131, 136 und 140.
610 Ebenda, 135 f.
611 Oschmann, Strom aus erneuerbaren Energien im Europarecht, S. 100.
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also durch Art. 14 Abs. 2 D. lgs. 387/2003 und Art. 14.4 Beschluss Nr. 281/05 seine
Umsetzungspflichten erfüllt.
Anders stellt sich die Rechtslage jedoch hinsichtlich der Kostentragungsregelungen für den Anschluss von Anlagen an Mittel- und Hochspannungsnetze dar. Die
Umsetzungsfrist der Richtlinie ist bereits zum 27. Oktober 2003 abgelaufen. Die
Regelungen des Ende Januar 2004 in Kraft getretenen Art. 14 D. lgs. 387/2003 können lediglich als eine unzureichende formale Umsetzung angesehen werden, da
diese nur eine Ermächtigung der AEEG zum Erlass von materiellen Regelungen
enthielten, nicht jedoch selbst die italienische Rechtslage im Sinne der Richtlinie
2001/77/EG angepasst haben. Der Beschluss Nr. 281/05 erfüllt dann zwar in formaler Hinsicht die Anforderungen des Art. 249 Abs. 3 EG an eine hinreichend bestimmte, klare und transparente Umsetzung von Richtlinien,612 zumal Beschlüsse der
AEEG außenverbindliche Rechtssätze und keine bloßen internen Verwaltungsvorschriften sind, allerdings erfüllen sie inhaltlich nicht die Anforderungen der Richtlinie 2001/77/EG. Denn die Regelung des Art. 13.4 Beschluss Nr. 281/05 berücksichtigt gerade nicht – wie von Art. 7 Abs. 6 Richtlinie 2001/77/EG gefordert – die sich
aus dem Anschluss einer Anlagen ergebenden tatsächlichen Vor- und Nachteile für
das Netz. Aus diesem Grund wurde die Vorschrift auch für rechtswidrig erklärt.613
Zwar ergibt sich hieraus nicht die Nichtigkeit der Vorschrift, gleichwohl ist in der
Abwesenheit neuer Regelungen keine Abhilfe geschaffen worden.
Die derzeit geltenden italienischen Vorschriften hinsichtlich der Kostentragung
im Fall des Anschlusses einer Anlage zur Stromerzeugung aus erneuerbaren Energiequellen an die Mittel- und Hochspannungsnetze verstoßen damit gegen Art. 249
Abs. 3 EG i. V. m. Art. 7 Abs. 6 Richtlinie 2001/77/EG.
D. Die Abnahme- und Vergütungspflicht für Strom aus erneuerbaren
Energiequellen
Abnahme- und Vergütungspflichten für Strom aus erneuerbaren Energiequellen
werden allgemein als typische Bestandteile eines Einspeisevergütungsmodells betrachtet.614 Doch auch im italienischen Recht, das als zentrales Fördersystem ein
Quotenmodell enthält, finden sich Abnahme- und Vergütungspflichten hinsichtlich
des aus erneuerbaren Energiequellen erzeugten Stroms. Da für bestimmte Anlagen
sogar eine Mindestvergütungspflicht vorgesehen ist, kann man diese Regelungen
auch als versteckte „Einspeisetarife“ bezeichnen. Im Folgenden werden die Abnahmepflichten (I), die Vergütungspflichten (II) und deren Finanzierung (III) dargestellt.
612 Vgl. Nettesheim, in: Grabitz/Hilf, Das Recht der europäischen Union, Art. 249 EGV, Rn. 140
m. w. N.
613 Siehe oben S. 118 f.
614 Lienert/Wissen, ZfE 2006, 133.
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References
Zusammenfassung
Die Steigerung des Anteils der erneuerbaren Energien an der Stromerzeugung spielt für die Verbesserung der Versorgungssicherheit und die Erreichung der Klimaschutzziele der Europäischen Union eine herausragende Rolle. Den hierfür maßgeblichen Rechtsnormen der einzelnen Mitgliedstaaten kommt deshalb besondere Bedeutung zu.
Der Autor analysiert detailliert die Vorschriften der Republik Italien. Die Darstellung der energiewirtschaftlichen Grundlagen und der energierechtlichen Rahmenbedingungen bildet den Ausgangspunkt für die anschließende Untersuchung der Förderregelungen. Im Mittelpunkt der Betrachtung stehen das Zertifikatesystem und die verschiedenen Einspeisetarifsysteme für Kleinanlagen und den Bereich der Fotovoltaik. Die eingehende Prüfung der Vereinbarkeit der italienischen Regelungen mit dem Europarecht und ein partieller Vergleich mit dem EEG schließen die Darstellung ab.