287
unterschiedliche XML-basierte Standards entwickelt wurden, die untereinander
inkompatibel sind, so dass Abstimmungen zwischen den beteiligten Wertschöpfungspartnern zwingend erforderlich sind.808
Die beschriebenen Standards des elektronischen Geschäftsdatenaustausches weisen
Verbindungen mit den in den nachfolgenden Abschnitten beschriebenen standardisierten Systemen auf. So werden Standards des EDI verwendet, um Daten zwischen
Systemen des Enterprise Resource Planning (ERP) und Advanced Planning (APS)
zu transferieren (vgl. Abschnitt 6.3.2). Des Weiteren werden Daten, die über automatische Identifikationssysteme – wie Barcode und Radio Frequency Identification
– erfasst werden, ebenfalls über den elektronischen Datenaustausch an die Anwendungssysteme übergeben.
6.3.2 Standardisierte Systeme für das Enterprise Resource und Advanced
Planning
6.3.2.1 Enterprise Resource Planning (ERP)
Als Systeme des Enterprise Resouce Planning (ERP-Systeme) werden integrierte
Pakete betriebswirtschaftlicher Standard-Anwendungssoftware bezeichnet. Diese
unterstützen integriert mehrere Aufgabenbereiche und Prozesse im Unternehmen.
Hierzu zählen sowohl die für die Logistik relevanten Funktionsbereiche der Beschaffung, Produktion und Vertrieb als auch die angrenzenden Funktionen des
Rechnungswesens sowie der Personalwirtschaft. Geschäftsprozesse werden über
Standorte, Abteilungen und Funktionen hinweg über eine zentrale Datenbank integriert, sodass sich Datenredundanzen vermeiden lassen.809
Von der Vielzahl unterschiedlicher Anbieter standardisierter ERP-Systeme, zu denen unter anderem Oracle, Microsoft und Sage zählen, wird nachfolgend der Marktführer SAPTM mit seinem ERP-System kurz vorgestellt.810 Fünf ehemalige Mitarbeiter des Unternehmens IBM realisierten die Idee, anstelle der bis in die 70er Jahre
programmierten Individualsoftware für die Abbildung der betriebswirtschaftlichen
Geschäftsprozesse ein standardisiertes System zu entwickeln. Das ERP-System der
SAPTM wurde seit dem Gründungsjahr 1972 über mehrere Realtime-Versionen, wie
SAP R/2TM und SAP R/3TM, von Datenbank- und Dialogsteuerungssystemen über
Client-Server-Architekturen weiterentwickelt. Im Jahr 2008 basieren alle SAP-
Produkte, so auch die aktuelle Version des SAP ERPTM, auf der Technologieplatt-
808 Vgl. Schulte, Christof (2005), S. 114-115; Vahrenkamp, Richard (2007), S. 59. Eine tabellarische Gegenüberstellung eines EDI auf Basis von EDIFACT und XML/EDI enthält Vahrenkamp, Richard (2007), S. 65.
809 Vgl. Bowersox, Donald J. / Closs, David J. / Cooper, Bixby (2007), S. 101-102; Schulte,
Christof (2005), S. 142-143; Wannenwetsch, Helmut (2004), S. 419.
810 Vgl. Chopra, Sunil / Meindl, Peter (2004), S. 522; Wannenwetsch, Helmut (2004), S. 419.
Einen Überblick über den ERP-Markt gibt unter anderem Ebel, Dietmar (2007), S. 98-102.
288
form SAP NetweaverTM. Daten aus Fremdprodukten lassen sich so einbinden, und
Updates der Technologieplattform lassen sich weitgehend unabhängig von Updates
der Anwendung durchführen.811
Die Struktur des SAP ERPTM ist über einen Menübaum erkennbar, der sich auf einer
ersten Aggregationsebene unter anderem nach Logistik, Rechnungswesen, Personal,
übergreifenden Anwendungen, Tools und Informationswerkzeugen verzweigt. Die
Verzweigung innerhalb der Logistik – nach den Funktionen Materialwirtschaft bzw.
Beschaffung, Produktion, Vertrieb bzw. Distribution sowie weiterer Anwendungsbereiche – skizziert exemplarisch Abbildung 71.
Abbildung 71: Detailstruktur der Logistik in SAP ERPTM 812
Am Beispiel der in Abbildung 71 hervorgehobenen Standardanalyse „MCBA“ als
Bestandteil des Bestands-Controlling in SAP ERPTM lässt sich vermitteln, dass die
Analysetools und Informationswerkzeuge der Standard-ERP-Systeme über die reine
811 Vgl. Benz, Jochen / Höflinger, Markus (2005), S. 6-8 sowie www.sap.de, Link „Das Unternehmen SAP“, „Über SAP“, „Unternehmen“, „Geschichte der SAP“. SAP ERPTM wird auch
als die zentrale Komponente (Central Component) der SAP-Produkte bezeichnet.
812 Screen-Shot erstellt aus SAP ERPTM 5.0.
289
Integration operativer Daten hinausgehen. Im ersten Abschnitt des vierten Kapitels
wurde in diesem Buch vermittelt, welche Einsatzpotenziale mit einer ABC-XYZ-
Analyse für das internationale Katastrophenmanagement verbunden sind. Dabei
wurde eine Klassifizierung nach Wertigkeit und Regelmäßigkeit sowohl auf der
Grundlage von Lagerbeständen als auch auf der Grundlage von Regionen vorgenommen. Entsprechende ABC-Analysen lassen sich durch das System SAP ERPTM
wie folgt EDV-technisch unterstützen:813 Nach einer Auswahl der Datengrundlage
(z. B. Ort, Materialien und Zeitraum), die der ABC-Analyse zugrunde gelegt wird,
erfolgt eine Kennzahlenauswahl. Für eine ABC-Analyse der Lagerbestände einer
Hilfsorganisation würden beispielsweise der Gesamtverbrauch und der Gesamtverbrauchswert (siehe linke Bildschirmseite in Abbildung 72) aus der Auswahlleiste
(siehe rechte Bildschirmseite in Abbildung 72) ausgewählt werden. Die Vielzahl der
Kennzahlen, die in der Auswahlliste enthalten sind, geben Hinweise auf die vielfältigen über eine ABC-Analyse hinausgehenden Analysemöglichkeiten, die ERP-
Systeme ermöglichen.
Abbildung 72: „Kennzahlenauswahl“ für eine ABC-Analyse in SAP ERPTM 814
Es folgt die „Strategieauswahl“, mit der aus der gewählten Kennzahlenliste das
führende Klassifizierungskriterium (entsprechend der Erläuterungen in Kapitel 4 der
Gesamtverbrauchswert in %) sowie die Klassengrenzen angegeben werden. Die
Standardeinstellung, die der 70-20-10-Regel für die anteiligen Gesamtverbrauchs-
813 Ausführliche Erläuterungen zur ABC-Analyse mit SAPTM enthält Hoppe, Marc (2005), S.
57-75.
814 Screen-Shot erstellt aus SAP ERPTM 5.0.
290
werte in den Klassen A, B, und C folgt, kann individuell nach Bedarf angepasst
werden.
Abbildung 73: „Strategieauswahl“ für eine ABC-Analyse in SAP ERPTM 815
Als Ergebnis der ABC-Analyse werden über die Erzeugung von detaillierten Listen
hinaus (vergleichbar zu den Ergebnislisten in Kapitel 4) auch grafische Übersichten
unterstützt. Einige dieser Übersichten zeigt Abbildung 74 mit der charakteristischen
Lorenz-Kurve sowie einer ergänzenden Aufbereitung in Form eines Säulen-
Diagramms. Aus diesen Übersichten heraus lassen sich ebenfalls die tabellarischen
Detaillisten erzeugen, die entweder eine gesonderte Klassenauswahl oder eine Gesamtübersicht enthalten.
Sofern die entsprechende Datengrundlage einer Hilfsorganisation in einem ERP-
System vorhanden ist, lässt sich so auch die Umsetzung einiger der in Kapitel 4
vorgestellten Analysemethoden EDV-technisch im Standardsystem unterstützen. In
der standardisierten Umsetzung sollte aber besonders gründlich auf die Auswahl der
Datengrundlage sowie auf die Festlegung der Klassengrenzen geachtet werden. In
Kapitel 4 ist erläutert worden, dass die Festlegung der Klassengrenzen individuell –
sowohl nach kumulierten als auch nach einzelnen anteiligen Verbrauchswerten –
vorgenommen werden sollte. Diese individuellen Einstellungen werden im Standard
nicht unterstützt und müssen nach einer ersten Ergebnisübersicht unter den „Strategieparametern“ (siehe Abbildung 73) individuell eingestellt werden. Ebenso ist in
einer kritischen Analyse darauf hinzuweisen, dass eine XYZ-Analyse durch SAP-
ERPTM nicht unterstützt wird. Für die Durchführung einer XYZ-Analyse ist ein
Datenexport aus den entsprechenden Zeitreihen der Materiallisten heraus erforderlich. Die XYZ-Analyse selbst wird dann z. B. durch den Einsatz von Tabellenkalkulationsprogrammen – wie in Kapitel 4 vorgestellt – durchgeführt.816
815 Screen-Shot erstellt aus SAP ERPTM 5.0.
816 Vgl. zum Datenexport für eine XYZ-Analyse Hoppe, Marc (2005), S. 75-77.
291
Abbildung 74: „Ergebnisdarstellungen“ einer ABC-Analyse in SAP ERPTM817
In diesem Abschnitt ist mit der ABC-Analyse nur ein Beispiel möglicher Analysen,
durch die sich Planung, Steuerung und Kontrolle der Logistik im internationalen
Katastrophenmanagement unterstützten lassen, vorgestellt worden. Weitere wertvolle Analyseinstrumente sind im Menübaum des SAP ERPTM im „Logistikinformationssystem“ (in Abbildung 71 eine Zeile oberhalb des Bestandscontrolling) zu finden. In der Detailstruktur befindet sich an dieser Stelle unter anderem eine Informationsbibliothek, durch die sich eine Kennzahlensuche unterstützen lässt. Für die
relevanten „Kennzahlenwerte“ der Akteure des Katastrophenmanagements lassen
sich an dieser Stelle Kennzahlenanalysen starten, durch die beispielsweise die Zielerfüllungsgrade bezüglich Logistikservice und Logistikkosten erfasst werden. Auch
Managementinstrumente für die Planung, Steuerung und Kontrolle der einzelnen
Projekte und Einsätze des internationalen Katastrophenmanagements finden sich in
Standard-ERP-Systemen. In SAP ERPTM lassen sich Projekte und Arbeitspakete
sowie Meilensteine im „Projektsystem“ anlegen und auswerten. Damit lassen sich
auch wichtige Inhalte, die in Kapitel 4 unter der Überschrift „Einsatz der Netzplantechnik im internationalen Katastrophenmanagement“ vorgestellt wurden, durch das
Standard-ERP-System abbilden und methodisch unterstützen.
817 Screen-Shot erstellt aus SAP ERPTM 5.0.
292
Aus den unterschiedlichen Branchenlösungen, die einige Anbieter von Standard-
ERP-Systemen anbieten, eignen sich für Akteure des Katastrophenmanagements
unter anderem Branchenlösungen für die Öffentliche Verwaltung.818
„Die Vereinten Nationen (UN) mit ihren internationalen Hilfsorganisationen nutzen
zukünftig die Branchenlösung SAP for Public Sector.“819 Benannt wird unter anderem das World Food Programme (WFP). Die bei der UN eingesetzte Branchenlösung SAP for Public Sector erhielt spezifische Funktionserweiterungen (z. B. zur
Verwaltung der Spendenzahlungen, zur Gehaltsabrechnung in unterschiedlichen
Währungen und nach unterschiedlichen nationalen Bestimmungen), um entsprechende Vorgaben der UN-Verwaltungsverfahren zu erfüllen. Ebenso werden spezielle Anforderungen an das ERP-System erfüllt, die aus der internationalen Zusammenarbeit mit Regierungsbehörden, Unternehmen der Privatwirtschaft und anderen Hilfsorganisationen resultieren.820
Die Branchenlösungen bieten den Vorteil, dass allgemeine Voreinstellungen in dem
System bereits standardisiert eingerichtet sind und sich somit der Einrichtungsaufwand für das System reduziert. Als weitere für Akteure des Katastrophenmanagements relevante Branchenlösungen sind je nach Stufe und Aufgabenbereich in der
Wertschöpfungskette unter anderem „Gesundheitswesen“, „Logistikdienstleister“
und „Konsumgüterindustrie“ zu benennen.821 Trotz der branchenbezogenen Voreinstellungen verbleibt ein erheblicher Einrichtungsaufwand für das „Customizing“ und
die Stammdateneinrichtung im ERP-System.822
Für die Akteure des UN-Systems sowie weitere international aufgestellte Hilfsorganisationen werden umfangreiche (Wirtschaftlichkeits-) Analysen erforderlich sein,
um eine Entscheidung über den Einsatz und die Auswahl eines Standard-ERP-
Systems zu treffen. Aufgrund der komplexen Leistungsverflechtungen im internationalen Katastrophenmanagement, die sich auch in komplexen Informations- und
Datenströmen widerspiegeln, wird eine Datenintegration durch den Einsatz eines
standardisierten oder individuell auf das Katastrophenmanagement zugeschnittenen
ERP-Systems unverzichtbar sein. Durch eine Nutzwertanalyse, die den Abschluss
des 5. Kapitels dieses Buches bildet, kann eine Vorauswahl geeigneter ERP-Systeme
durch die Akteure methodisch unterstützt werden. Ein wichtiges Kriterium für die
Auswahl eines der möglichen ERP-Systeme stellt die Möglichkeit der internationa-
818 Eine Übersicht über die unterschiedlichen Branchenlösungen gibt www.sap.com/germany
unter dem Link „Branchen“ sowie Ebel, Dietmar (2008), S. 94-98.
819 www.sap.com/swiss/company, Link „Über SAP”, „Pressemitteilungen”, „Über SAP”, „Pressemitteilungen 2007“, „SAP News Service Dezember 2007”. Überschrift: „Vereinte Nationen
arbeiten mit SAP“.
820 Vgl. www.sap.com/swiss/company, Link „Über SAP”, „Pressemitteilungen”, „Über SAP”,
„Pressemitteilungen 2007“, „SAP News Service Dezember 2007”.
821 Vgl. www.sap.com/germany, Link „Branchen“.
822 Einen Überblick über die Vielzahl der allein für die Logistik relevanten Stammdaten geben
Benz, Jochen / Höflinger, Markus (2005), S. 49-148 sowie Gudehus, Timm (2007), S. 461-
466.
293
len Vernetzung dar.823 Ebenso werden die Akteure des Katastrophenmanagements
bewerten, inwiefern die Standard-ERP-Systeme und deren Branchenlösungen den
individuellen Anforderungen tatsächlich gerecht werden und wie kostenintensiv
individuelle Anpassungen des Systems sind.
Mit Helios wird in Abschnitt 6.4 ein System vorgestellt, das die speziellen Anforderungen der Logistik und des Supply Chain Management im (internationalen) Katastrophenmanagement in den Vordergrund stellt. Da es sich hierbei um ein System
handelt, das durch eine unabhängige nicht privatwirtschaftlich ausgerichtete Organisation (Fritz Institute) entwickelt worden ist, ist dieses gegebenenfalls auch durch
national tätige und kleinere Hilfsorganisationen einsetzbar.824
Im internationalen Katastrophenmanagement gilt darüber hinaus zu berücksichtigen,
dass ein Zugang zu den ERP-Systemen über eine traditionelle Client-Server-
Architektur am Ort der Katastrophenbewältigung in der Regel nicht verfügbar ist.
Erforderlich sind Webbasierte Lösungen, die im Falle von SAP über die Technologieplattform SAP NetweaverTM realisiert werden.825 Webbasierte ERP-Systeme
bieten den Vorteil, dass sich Daten vor Ort über Computer oder Mobiltelefon übertragen lassen – Voraussetzung ist die Verfügbarkeit eines Internetzugangs.826 Mit
„Defense Forces & Public Security“ stellt das Unternehmen SAPTM eine ergänzende
Komponente zur Verfügung, die die Standardfunktionen des SAP-Systems um den
spezifischen Aufgaben- und Auftragscharakter in den Einsätzen der Streitkräfte,
Polizei- und Hilfsorganisationen unterstützt. Spezifische mobile Anwendungen für
den Einsatz vor Ort, die sich in das Standard-ERP-System integrieren lassen, werden
durch eine „Mobile Defense Solution“ unterstützt.827 Auch andere – speziell auf
Nicht-Regierungsorganisationen (NGOs) ausgerichtete – Softwareanbieter, wie das
Ulmer Unternehmen CIWI, bieten über die traditionellen Client-Server-Lösungen
hinaus auch Webbasierte Lösungen an. Die Produkte FundtracTM und FundtraccomTM des Unternehmens CIWI sind insbesondere auf die speziellen Anforderungen
des finanzintegrierten Projektmanagements der Hilfsorganisationen ausgerichtet und
lassen sich mit standardisierten ERP-Systemen integrieren.828
823 Vgl. Forscht, Peter (2008), S. 100-101. Die Bedeutung der internationalen Vernetzungsfähigkeit der Standard-ERP-Systeme wird hier am Beispiel der abas Business Software dokumentiert.
824 Vgl. www.fritzinstitute.org.
825 Vgl. www.sap.com/germany, Link „SAP Services”, „Plattform”, „SAP NetWeaver”.
826 Vgl. Nissen, Jörg (2007), S. 103-105.
827 Vgl. www.sap.com/industries/defense-security.
828 Vgl. www.ciwi.eu/ciwi/de/products/software.
294
6.3.2.2 Advanced Planning Systeme (APS)
Kurz- bis mittelfristig ausgerichtete Managementaufgaben der Logistik und des
Supply Chain Management lassen sich auf Basis der eher operativ ausgerichteten
Daten eines ERP-Systems unterstützen. Für die Unterstützung mittel- bis langfristig
ausgerichteter Managementaufgaben sind ergänzende Systeme entwickelt worden,
die als Supply Chain Management- oder Advanced Planning-Systeme (SCM-
Systeme oder APS-Systeme) bezeichnet werden.829 Diese auf die Planung, Gestaltung und Ausführung der Wertschöpfungsketten gerichteten Systeme werden in der
Regel nochmals in Systeme
? der operativen Planung und Ausführung (z. B. Beschaffungsfeinplanung, Transportplanung und -ausführung), ? der taktischen Planung (z. B. Bedarfsplanung) und ? der strategischen Planung (z. B. Gestaltung unternehmensübergreifender Netzwerke)
unterteilt.830 Empfehlenswert ist eine Integration der betriebswirtschaftlichen Daten
der ERP- und APS-Systeme, um Doppelerfassungen bezüglich der Stamm- und
Bewegungsdaten sowie der Planungsdaten zu vermeiden.831 Die Aufteilung zwischen den Ebenen Planung und Gestaltung sowie Ausführung in den ERP- und APS-
Systemen orientiert sich häufig an einem anderen Standard, der in Kapitel fünf bereits vorgestellt wurde – dem SCOR-Modell als Referenzgeschäftsmodell für das
Supply Chain Management.832 Die Daten über die Ausführung in den logistischen
Funktionen Beschaffung (source), Produktion (make) und Distribution (deliver)
enthält überwiegend das ERP-System, während Planungsdaten auch durch das APS-
System generiert werden. Die operative Planung sowie weite Teile der taktischen
Planung in den Funktionsbereichen (P2 bis P4 im SCOR-Modell) können ebenfalls
unter Einsatz der ERP-Systeme erfolgen. Die Einsatzpotenziale der APS-Systeme
steigen mit zunehmendem Planungshorizont und zunehmender Anzahl beteiligter
Funktionsbereiche bzw. Unternehmen (übergreifende Planung durch P1 im SCOR-
Modell).833
829 Vgl. Bowersox, Donald J. / Closs, David J. / Cooper, Bixby (2007), S. 103; Corsten, Hans
und Gössinger, Ralf (2008), S. 161.
830 Vgl. Bowersox, Donald J. / Closs, David J. / Cooper, Bixby (2007), S. 103-104; Fleischmann,
Bernhard / Meyr, Herbert / Wagner, Michael (2008), S. 82-93; Schulte, Christof (2005), S.
538-544; Wolff, Stefan / Groß, Wendelin (2008), S. 127-131.
831 Vgl. Schulte, Christof (2005), S. 544-545. Zur Integration der Systeme vgl. z. B. Bartsch,
Helmut / Bickenbach, Peter (2002), S. 125-245.
832 Vgl. Kallrath, Josef / Maindl, Thomas I. (2006), S. 4-6.
833 Die hier angesprochenen Ebenen 1 und 2 des SCOR-Modells werden in Abschnitt 5.2.1
erläutert.
295
Zu den Anbietern standardisierter Advanced Planning Systeme834 zählt unter anderem SAPTM mit SAP SCMTM.835 SAP SCMTM umfasst die folgenden vier Prozessbereiche:836
? Execution: Hierzu zählen die Ausführungsfunktionen in den logistischen Funktionen und Leistungsbereichen (die überwiegend auch in SAP ERPTM abgebildet
werden). Ein erweiterter Funktionsbereich des SAP SCMTM besteht unter anderem in den Bereichen des konsolidierten Transportmanagements sowie im Bereich des Außenhandels. ? Planung: Im Bereich der Planung werden die operative Ebene mit einem Zeithorizont von bis zu sechs Monaten (z. B. Transportplanung, Feinplanung in den
logistischen Funktionen), die taktische Ebene mit einem Zeithorizont von sechs
Monaten bis zu drei Jahren (z. B. kooperative Produktions-, Bestands- und Absatzplanung) sowie die strategische Ebene (z. B. Netzwerkdesign) über mehrere
(maximal sieben) Jahre abgebildet. Bei den Methoden des „Advanced“ Planning, die SAP SCMTM im Rahmen der Planung zur Verfügung stellt, handelt es
sich unter anderem um Optimierungsmethoden, Heuristiken und Simulationen. ? Koordination: Der Bereich der Koordination dient der unternehmensübergreifenden Abstimmung mit den Bestandteilen Supply Chain Event Management,
Supply Chain Performance Management und Auftragsüberwachung. Diese Bestandteile des SAP SCMTM sind auf die Managementaufgaben der Steuerung
und Kontrolle von Supply Chains gerichtet. ? Collaboration: Durch die Collaboration werden Geschäftsprozesse unternehmensübergreifend integriert. Hierbei kommen Webbasierte Lösungen unter Einsatz bereits vorgestellter Standards, z. B. XML, zum Einsatz. Im Rahmen der
integrierten Wertschöpfungs- und Logistikketten unterstützt Collaboration unternehmensübergreifende Konzepte des Supply Chain Management, wie Vendor
Managed Inventory (VMI) und Collaborative Planning, Forecasting and Replenishment (CPFR).
Auf eine umfassende Vorstellung der Funktionalitäten des Systems wird an dieser
Stelle verzichtet, zumal die Einsatzmöglichkeiten für die Akteure des Katastro-
834 Einige der Anbieter werden unter anderem in Günther, Hans-Otto / Tempelmeier, Horst
(2003), S. 326 sowie Wannenwetsch, Helmut (2004), S. 426-427 sowie Meyr, Herbert u.a.
(2008), S. 349-366 benannt (zu den vorgestellten Systemen in Meyr, Herbert zählen aspen
ONE, i2 Six.Two, JDEdwards EnterpriseOne Supply Chain Planning und SAP SCM).
835 Vgl. www.sap.com/germany/solutions, Link „SAP SCM”. Zuvor waren die wichtigsten
Funktionalitäten des SAP SCMTM bekannt unter dem Begriff des SAP APOTM, dem Advanced Planner and Optimizer.
836 Vgl. Bartsch, Helmut / Bickenbach, Peter (2002), S. 119-219; Hoppe, Marc (2007), S. 21-30;
Kallrath, Josef / Maindl, Thomas I. (2006), S. 9-12.
Vgl. auch www.sap.com/germany/solutions, Link „SAP SCM”, „Funktionen“.
296
phenmanagements in der praktischen Umsetzung noch zu evaluieren sind.837 Mit
Bezug zu den Inhalten der Kapitel 4 und 5 dieses Buches soll aber exemplarisch eine
Übersicht gegeben werden, wie sich die Umsetzung der logistischen Methoden und
Konzepte des Supply Chain Management EDV-technisch durch SCM- bzw. APS-
Systeme (im Speziellen am Beispiel SAP SCMTM) unterstützen lässt:
? Die strategisch ausgerichteten Methoden der Standortplanung, die in Abschnitt
4.2.2 mit ihren Einsatzpotenzialen für das Katastrophenmanagement am Beispiel des Add-Algorithmus vorgestellt worden sind, bilden einen Bestandteil des
Network Design und des Supply Network Planning. SAP SCMTM enthält sowohl Optimierungsmethoden der Linearen Programmierung (vergleichbar zu
den in Abschnitt 4.2.2.2 vorgestellten Warehouse Location Problemen) als auch
heuristische Verfahren (vergleichbar zum Add-Algorithmus) sowie Simulationsverfahren. Damit lassen sich die für Akteure des Katastrophenmanagements
relevanten Fragstellungen der Standortwahl für die Zentral-, Regional- und Auslieferungslager unterstützen. Über die unternehmensbezogenen Planungen hinaus lassen sich durch den unternehmensübergreifenden Einsatz des Systems
Planungen zur Standortwahl und Netzwerkgestaltung auch unternehmensübergreifend unterstützen.838 ? Obwohl die Methoden der Tourenplanung vorwiegend kurzfristig ausgerichtet
sind – und demnach auch einen Bestandteil der ERP-Systeme bilden könnten –
werden diese als Methoden des „Advanced“ Planning in der Regel in den standardisierten APS- bzw. SCM-Systemen abgebildet. Methoden der Transportund Tourenplanung, die in Abschnitt 4.2.3 als klassisches Transportproblem
sowie als Savings-Verfahren mit den Einsatzmöglichkeiten im Katastrophenmanagement am Beispiel Eldorets in Kenia vorgestellt wurden, lassen sich
durch SAP SCMTM unterstützen. Vergleichbar zur methodischen Unterstützung
der Standortplanung werden auch für die Transport- und Tourenplanung sowohl
optimierende als auch heuristische Verfahren zur Verfügung gestellt.839 ? Für den Fall, dass Transporte durch Akteure des Katastrophenmanagements
nicht eigen erstellt sondern fremd bezogen werden, unterstützt SAP SCMTM
ebenfalls die Auswahl eines externen Dienstleisters. Methodisch wird diese
ebenfalls für Akteure des Katastrophenmanagements relevante Outsourcing-
837 Ausführliche Funktionsbeschreibungen zu SAP SCM bzw. SAP APO enthalten z. B. Bartsch,
Helmut / Bickenbach, Peter (2002); Dickersbach, Jörg Thomas (2007); Hoppe, Marc (2007);
Kallrath, Josef / Maindl, Thomas I. (2006).
838 Vgl. Bartsch, Helmut / Bickenbach, Peter (2002), S. 141-153 sowie 216-218; Goetschalcks,
Marc / Fleischmann, Bernhard (2008), S. 117-132; Günther, Hans-Otto / Tempelmeier, Horst
(2003), S. 327-329; Hoppe, Marc (2007), S. 205-393; Kallrath, Josef / Maindl, Thomas I.
(2006), S. 15-102.
839 Vgl. Fleischmann, Bernhard (2008b), S. 231-245; Günther, Hans-Otto / Tempelmeier, Horst
(2003), S. 330; www.sap.com/germany/solutions, Link „SAP SCM”, „Funktionen“, „Planung”.
297
Entscheidung durch ein Bewertungsverfahren unterstützt, das vergleichbar zu
der in Abschnitt 5.4.6 vorgestellten Nutzwertanalyse abläuft.840 ? Konzepte des Supply Chain Management, wie Vendor Managed Inventory und
Collaborative Planning, Forecasting and Replenishment, die in Abschnitt 5.2.2
mit ihren Einsatzpotenzialen für die Gestaltung unternehmensübergreifender
Wertschöpfungsketten des Katastrophenmanagements vorgestellt worden sind,
lassen sich durch die Bereiche der Collaboration in SAP SCMTM abbilden und
unterstützen. Die erforderlichen Datenverbindungen über Internet oder andere
Schnittstellen werden durch SAP SCMTM ebenfalls unterstützt.841 Auch Bestandteile der in Abschnitt 5.2.1 vorgestellten Referenzgeschäftsprozessmodelle
lassen sich in SAP SCMTM abbilden, beispielsweise über standardisierte und individuelle Kennzahlen, die z. B. ab der dritten Detaillierungsebene des SCOR-
Modells definiert sind. Die Generierung und Analyse unternehmensbezogener
sowie -übergreifender Kennzahlen lässt sich durch das Performance Measurement des Systems abbilden und unterstützen.842
Diese Aufzählung verdeutlicht, dass ein Großteil der in Kapitel vier und fünf dieser
Arbeit vorgestellten Methoden und Konzepte der Logistik und des Supply Chain
Management, die mit ihren Einsatzpotenzialen für das internationale Katastrophenmanagement vorgestellt worden sind, durch standardisierte APS- bzw. SCM-
Systeme EDV-technisch unterstützt werden können. Es ist jedoch ergänzend auf
Grenzen der APS-Systeme hinzuweisen, von denen einige wichtige abschließend
benannt werden sollen.843 Zunächst ist auf erhebliche Kosten hinzuweisen, die mit
der Einrichtung und Verbindung der Systeme verbunden sind. Dies betrifft sowohl
die Anbindung an ERP- und weitere genutzte EDV-Systeme als auch die Integration
mit den Systemen anderer Akteure des Katastrophenmanagements. Mehrere Gründe
können die Ursache dafür sein, dass sich Partner der Wertschöpfungskette nicht in
die übergreifenden Planungen der APS-Systeme einbinden lassen. Zu diesen Gründen zählen nicht nur die Kosten sondern auch Integrations- und Abstimmungsgründe. Im Falle von Insellösungen lassen sich jedoch die Potenziale für die gesamte
Wertschöpfungskette nicht ausschöpfen. Weitere Grenzen treten auf, wenn die Methoden der APS-Systeme im Hintergrund eingesetzt werden, ohne dass die Algorithmen den Anwendern bekannt sind oder eingesehen werden können.844 In diesem
Fall generiert das APS-System zwar mathematisch das richtige Ergebnis, betriebswirtschaftlich führt dieses aber gegebenenfalls zu einer Fehlentscheidung. Bereits im
840 Vgl. Bartsch, Helmut / Bickenbach, Peter (2002), S. 203-204.
841 Vgl. Hoppe, Marc (2007), S. 29-30; www.sap.com/germany/solutions, Link „SAP SCM”,
„Funktionen“, „Collaboration”.
842 Vgl. Hoppe, Marc (2007), S. 29; www.sap.com/germany/solutions, Link „SAP SCM”,
„Funktionen“, „Koordination”.
843 Eine Übersicht über wichtige Grenzen der APS-Systeme enthalten Corsten, Hans / Gössinger,
Ralf (2008), S. 179-182; Schulte, Christof (2005), S. 547-548.
844 Vgl. Günther, Hans-Otto / Tempelmeier, Horst (2003), S. 337-338; Schulte, Christof (2005),
S. 548.
298
Begriffsverständnis können das APS-System und der Anwender unterschiedliche
Vorstellungen haben. Ein Beispiel stellt der Optimierungsbegriff dar, der in SAP
SCMTM und anderen APS-Systemen häufig auch im Zusammenhang mit heuristischen Methoden eingesetzt wird: „… the supply chain community usually uses the
term optimization not in its original mathematical meaning …“845
Aufgrund dieser Grenzen werden standardisierte APS- und SCM- Systeme durch
Akteure des Katastrophenmanagements bislang kaum eingesetzt. Im Rahmen von
Pilotprojekten lässt sich in der Zukunft gegebenenfalls testen, ob sich durch APS-
Systeme für Akteure des internationalen Katastrophenmanagements langfristig Vorteile in Bezug auf die kosten- und servicebezogenen Ziele realisieren lassen. Für ein
solches Pilotprojekt kommen z. B. Akteure der Vereinten Nationen in Frage, sobald
die Branchenlösung von SAP ERPTM verbreitet und stabil im Einsatz ist.
Die EDV-technische Unterstützung der vorgestellten Methoden erfordert nicht
zwingend den Einsatz standardisierter APS-Systeme. Es existieren Anwendungen
und Softwarepakete, die unter anderem die Standort- und Tourenplanung,846 die
Netzplantechnik,847 das SCOR-Modell848 sowie die vorgestellten Konzepte des
Supply Chain Management unterstützen. Auch diese lassen sich durch Akteure des
internationalen Katastrophenmanagements einsetzen.
Die spezifische Ausrichtung der EDV-Systeme auf das internationale Katastrophenmanagement erfordert jedoch für viele Anwendungen, dass entweder die standardisierten Systeme an die Besonderheiten der Branche – z. B. durch Branchenlösungen oder individuelle Anpassungen – angepasst werden, oder dass individuelle
Systeme eigens für die Branche entwickelt werden.849
6.3.3 Standardisierte Identifikationssysteme
Standards lassen sich im internationalen Katastrophenmanagement auch für das
Identifizieren der Logistikobjekte einsetzen. Bei den Logistikobjekten handelt es
sich insbesondere um Hilfsgüter oder zusammengefasste logistische Einheiten mit
Hilfsgütern. Der Einsatz standardisierter Identifikationssysteme ermöglicht das eindeutige und zweifelsfreie Erkennen dieser Objekte.850
845 Kallrath, Josef / Maindl, Thomas I. (2006), S. 10.
846 Fortmann, Klaus-Michael / Kallweit, Angela (2007) stellen auf S. 141-142 easyTOUR vor;
Gietz, Martin (2008) stellt auf den Seiten 143 und 151 die Distributionsplanungssoftware
PRODISI SCO und das Tourenplanungssystem PROTOUR vor; Vahrenkamp, Richard
(2007) enthält auf S. 448 eine Übersicht wichtiger Anbieter von Tourenplanungssystemen mit
Hinweisen zu Kosten und Schulungen.
847 Fortmann, Klaus-Michael / Kallweit, Angela (2007) stellen auf S. 175-179 die Umsetzung
der Netzplantechnik unter Einsatz von Microsoft Project dar.
848 EDV-Systeme, die die Umsetzung des SCOR-Modells unterstützen, werden in Poluha, Rolf
G. (2006), S. 348-359 vorgestellt. Hierzu zählen e-SCOR, ARIS EasySCOR und ADOLog.
849 Vgl. Abschnitt 6.4.
850 Vgl. Schiffer, Ingo (2008), S. 815.
Chapter Preview
References
Zusammenfassung
Im internationalen Katastrophenmanagement werden täglich Entscheidungen mit Logistikbezug getroffen. Die Autorin skizziert die Vielfalt der Entscheidungen durch die folgende Fragestellung: Welche Beschaffungskonzepte, Standorte, Touren, Informationssysteme und Konzepte der Zusammenarbeit sollen im Rahmen der Katastrophenvorsorge und -bewältigung realisiert werden?
Da die Entscheidungen in hohem Maße Qualität und Kosten der Versorgung betroffener Menschen beeinflussen, sollten diese nicht alleine aus dem Erfahrungswissen heraus getroffen, sondern durch logistische Planungsmethoden unterstützt werden.
Anwendungsbezogen und verständlich wird in dem Buch der Einsatz geeigneter Methoden (z. B. Standortplanung, Netzplantechnik) am Beispiel realer Katastrophen vermittelt. Konzepte des SCM und aktuelle Informationssysteme werden mit ihren Potenzialen und Grenzen für das internationale Katastrophenmanagement vorgestellt und unter Einsatz geeigneter Entscheidungskriterien exemplarisch bewertet.