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6.3 Einsatzmöglichkeiten ausgewählter IuK-Standards im internationalen
Katastrophenmanagement
6.3.1 Standards für den elektronischen Geschäftsdatenaustausch
Die Umsetzung eines eProcurement erfordert – ebenso wie andere Anwendungsbereiche der EDV-gestützten Kommunikation – den Einsatz von Datenübertragungssystemen, die sich aus Datenstationen, Übertragungswegen und Übertragungsverfahren zusammensetzen.800
Zu den wichtigen Verfahren eines standardisierten Datenaustauschs und standardisierter Kommunikationsprotokolle zählen das Transmission Control Protocol / Internet Protocol (TCP/IP), Extensible Markup Language (XML) und Standards des
Electronic Date Interchange (EDI).
TCP/IP (Transmission Control Protocol / Internet Protocol) bezeichnet den Standard für die Datenübertragung im Internet. Zu standardisierten Protokollen, die auf
TCP/IP aufsetzen, zählen das WWW-Protokoll zur Kommunikation zwischen
Clients und Servern, das File Transfer Protocol (FTP) für Dateitransfer und Konvertierung sowie das Simple Mail Transfer Protocol (SMPT) für den e-Mail-Dienst.801
Diese Standards sind erforderlich, damit unterschiedliche Internetdienste durch die
Akteure des Katastrophenmanagements in Anspruch genommen werden können.
Hierzu zählen unter anderem der Zugriff auf Informationen und Dokumente auf der
Website des Joint Logistics Center der UN, das Übermitteln von Informationen an
das UNJLC sowie die Inanspruchnahme des e-mail-Dienstes des UNJLC. Aber auch
die Nutzung anderer Internet- und e-Mail-Dienste erfordert den Einsatz der benannten Standards.
XML (Extensible Markup Language) bezeichnet einen aktuellen Meta-Standard zur
Codierung der Seiten und Inhaltsdarstellung im Inter-, Intra- und Extranet. Die
Übertragung der Inhalte wird systemübergreifend ermöglicht, indem die Inhalte
eines Dokumentes von seiner logistischen Struktur getrennt werden.802 Daten und
Dokumente werden in einer Weise beschrieben und strukturiert, dass sie zwischen
unterschiedlichen Anwendungen ausgetauscht und weiterverarbeitet werden können.
Hierzu werden Struktur und Inhalt der Dokumente so präzise beschrieben, dass der
Standard nicht in die Anwendungssysteme integriert werden muss.803
800 Erläuterungen zu den Bestandteilen der Datenübertragungssysteme lassen sich Schulte, Christof (2005), S. 110-112 entnehmen. Eine Auflistung der für das Katastrophenmanagement relevanten Telekommunikationssysteme enthält z. B. Pan American Health Organization /
World Health Organization (Hrsg.) (2001), S. 164-167.
801 Vgl. Schulte, Christof (2005), S. 114; Sieber, Pascal (2006), S. 228-229; Vahrenkamp, Richard (2007), S. 54-55.
802 Vgl. Ferstl, Otto K. (2008), S. 193; Schulte, Christof (2005), S. 114. XML ist der Nachfolger
des HTML-Standard.
803 Vgl. Vahrenkamp, Richard (2007), S. 58-59.
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Die Übertragung strukturierter Daten setzt voraus, dass Versender und Empfänger
der Informationen bestimmte Konventionen des elektronischen Datenaustausches
(Electronic Data Interchange, kurz EDI) einhalten. Kennzeichnend für EDI ist eine
rechnergestützte Abwicklung der Datenübertragung, sodass manuelle Eingriffe nicht
oder nur in geringem Umfang erforderlich sind.804 Zahlreiche in der Logistik und im
Supply Chain Management anfallende Dokumente – wie Bestellungen, Auftragsbestätigungen, Lieferschein und Rechnung – lassen sich über die standardisierten EDI-
Schnittstellen abwickeln und somit nicht nur elektronisch versenden sondern gleichzeitig in die Anwendungssysteme übertragen.805 Somit lassen sich auch die in Logistik- und Wertschöpfungsketten des internationalen Katastrophenmanagements anfallenden Dokumente über diese Schnittstellen standardisiert abwickeln, beispielsweise
Bestellungen einer Hilfsorganisation bei einem Lieferanten, Auftragsbestätigungen
an Logistikdienstleister sowie die zugehörigen Lieferscheine und Rechnungen. Der
Vorteil für die Akteure des Katastrophenmanagements besteht insbesondere in der
Vermeidung von Doppelerfassungen und den damit verbundenen Zeiteinsparungen
sowie Fehlerreduzierungen.806
Während in der Entwicklungsphase des EDI zunächst brachchenspezifische Standards entwickelt wurden, steht mit dem EDIFACT-Standard (Electronic Data Interchange for Administration, Commerce and Transport) heute ein Standard zur Verfügung, der weltweit unabhängig von der Branche sowie von der Hard- und Software
eingesetzt werden kann. An der Entwicklung beteiligt waren die Vereinten Nationen, die Europäische Kommission sowie die Standardisierungsbehörde ISO.807 Der
übergreifende EDIFACT-Standard kann sich somit auch für den elektronischen
Datenaustausch zwischen den unterschiedlichen Akteuren des internationalen Katastrophenmanagements eignen.
Während das klassische Übertragungsverfahren des EDIFACT-Standards (über
X.400) mit relativ hohen Kosten verbunden war, sodass kleine und mittelständige
Unternehmen sowie viele Akteure des Katastrophenmanagements eine Umsetzung
aus Wirtschaftlichkeitsgründen nicht realisieren konnten, bietet der bereits vorgestellte XML-Standard mit XML/EDI (bzw. Web-EDI) die Möglichkeit, EDI-
Geschäftsdaten zu vergleichsweise geringen Kosten zu übertragen. Ein weiterer
Vorteil gegenüber EDIFACT besteht darin, dass sich multimediale Daten (wie Bild
und Ton) in XML einbinden lassen. Der Nachteil von XML/EDI besteht jedoch
darin, dass aufgrund der hohen Flexibilität des XML-Standards wiederum mehrere
804 Vgl. Schulte, Christof (2005), S. 114.
805 Vgl. Schulte, Christof (2005), S. 114.
806 Vgl. Bowersox, Donald J. / Closs, David J. / Cooper, Bixby (2007), S. 88. Eine Auflistung
der Vorteile von EDI gegenüber papierbasierten Verfahren gibt Vahrenkamp, Richard (2007),
S. 65-66.
807 Vgl. Beckmann, Holger / Schmitz, Michael (2008), S. 283; Vahrenkamp, Richard (2007), S.
56; Schulte, Christof (2005), S. 112-113; Sieber, Pascal (2006), S. 228. Eine Darstellung der
branchenbezogenen EDIFACT-Subsets gibt Vahrenkamp, Richard (2007), S. 56-58.
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unterschiedliche XML-basierte Standards entwickelt wurden, die untereinander
inkompatibel sind, so dass Abstimmungen zwischen den beteiligten Wertschöpfungspartnern zwingend erforderlich sind.808
Die beschriebenen Standards des elektronischen Geschäftsdatenaustausches weisen
Verbindungen mit den in den nachfolgenden Abschnitten beschriebenen standardisierten Systemen auf. So werden Standards des EDI verwendet, um Daten zwischen
Systemen des Enterprise Resource Planning (ERP) und Advanced Planning (APS)
zu transferieren (vgl. Abschnitt 6.3.2). Des Weiteren werden Daten, die über automatische Identifikationssysteme – wie Barcode und Radio Frequency Identification
– erfasst werden, ebenfalls über den elektronischen Datenaustausch an die Anwendungssysteme übergeben.
6.3.2 Standardisierte Systeme für das Enterprise Resource und Advanced
Planning
6.3.2.1 Enterprise Resource Planning (ERP)
Als Systeme des Enterprise Resouce Planning (ERP-Systeme) werden integrierte
Pakete betriebswirtschaftlicher Standard-Anwendungssoftware bezeichnet. Diese
unterstützen integriert mehrere Aufgabenbereiche und Prozesse im Unternehmen.
Hierzu zählen sowohl die für die Logistik relevanten Funktionsbereiche der Beschaffung, Produktion und Vertrieb als auch die angrenzenden Funktionen des
Rechnungswesens sowie der Personalwirtschaft. Geschäftsprozesse werden über
Standorte, Abteilungen und Funktionen hinweg über eine zentrale Datenbank integriert, sodass sich Datenredundanzen vermeiden lassen.809
Von der Vielzahl unterschiedlicher Anbieter standardisierter ERP-Systeme, zu denen unter anderem Oracle, Microsoft und Sage zählen, wird nachfolgend der Marktführer SAPTM mit seinem ERP-System kurz vorgestellt.810 Fünf ehemalige Mitarbeiter des Unternehmens IBM realisierten die Idee, anstelle der bis in die 70er Jahre
programmierten Individualsoftware für die Abbildung der betriebswirtschaftlichen
Geschäftsprozesse ein standardisiertes System zu entwickeln. Das ERP-System der
SAPTM wurde seit dem Gründungsjahr 1972 über mehrere Realtime-Versionen, wie
SAP R/2TM und SAP R/3TM, von Datenbank- und Dialogsteuerungssystemen über
Client-Server-Architekturen weiterentwickelt. Im Jahr 2008 basieren alle SAP-
Produkte, so auch die aktuelle Version des SAP ERPTM, auf der Technologieplatt-
808 Vgl. Schulte, Christof (2005), S. 114-115; Vahrenkamp, Richard (2007), S. 59. Eine tabellarische Gegenüberstellung eines EDI auf Basis von EDIFACT und XML/EDI enthält Vahrenkamp, Richard (2007), S. 65.
809 Vgl. Bowersox, Donald J. / Closs, David J. / Cooper, Bixby (2007), S. 101-102; Schulte,
Christof (2005), S. 142-143; Wannenwetsch, Helmut (2004), S. 419.
810 Vgl. Chopra, Sunil / Meindl, Peter (2004), S. 522; Wannenwetsch, Helmut (2004), S. 419.
Einen Überblick über den ERP-Markt gibt unter anderem Ebel, Dietmar (2007), S. 98-102.
Chapter Preview
References
Zusammenfassung
Im internationalen Katastrophenmanagement werden täglich Entscheidungen mit Logistikbezug getroffen. Die Autorin skizziert die Vielfalt der Entscheidungen durch die folgende Fragestellung: Welche Beschaffungskonzepte, Standorte, Touren, Informationssysteme und Konzepte der Zusammenarbeit sollen im Rahmen der Katastrophenvorsorge und -bewältigung realisiert werden?
Da die Entscheidungen in hohem Maße Qualität und Kosten der Versorgung betroffener Menschen beeinflussen, sollten diese nicht alleine aus dem Erfahrungswissen heraus getroffen, sondern durch logistische Planungsmethoden unterstützt werden.
Anwendungsbezogen und verständlich wird in dem Buch der Einsatz geeigneter Methoden (z. B. Standortplanung, Netzplantechnik) am Beispiel realer Katastrophen vermittelt. Konzepte des SCM und aktuelle Informationssysteme werden mit ihren Potenzialen und Grenzen für das internationale Katastrophenmanagement vorgestellt und unter Einsatz geeigneter Entscheidungskriterien exemplarisch bewertet.