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6 Einsatz von Informations- und Kommunikationssystemen
6.1 Bedeutung von Information und Kommunikation im internationalen
Katastrophenmanagement
Auf die Bedeutung der Information und Kommunikation ist bereits in mehreren
Abschnitten hingewiesen worden. So enthält Kapitel drei Erläuterungen zu den
Informationsflüssen in der Logistik sowie im Katastrophenmanagement, Kapitel vier
nutzt Informationen zum internationalen Katastrophenmanagement als Datengrundlage für den Einsatz logistischer Methoden und Kapitel fünf sieht Informationsflüsse
als integrale Bestandteile der Referenzmodelle und Konzepte des SCM. Die in diesem Buch vorgestellten Entscheidungskriterien richten sich folglich auch auf Information und Kommunikation in Logistik- und Wertschöpfungsketten. “Information is
crucial to the performance of a supply chain because it provides the basis upon
which supply chain managers make decisions.”764 Aufgrund der hohen Relevanz der
Information für das internationale Katastrophenmanagement wird dem Thema dieses
Kapitel gewidmet.
Als eine der wesentlichen Herausforderungen für das internationale Katastrophenmanagement identifiziert das Fritz Institute die Entwicklung und den Einsatz flexibler Informations- und Kommunikationssysteme.765 Gegenwärtig werden einige Daten durch die Hilfsorganisationen noch manuell erfasst und verarbeitet, darunter
fallen unter anderem Daten über Transport und Lagerung. Eine Erfassung und Verarbeitung der Planungs- und Steuerungsdaten erfolgt zwar unter Einsatz von Tabellenkalkulationsprogrammen, in vielen Fällen jedoch nicht durch die Unterstützung
einer integrierten Software-Lösung:766 ? „Our survey of logisticans that participated in the Tsunami relief operations showed that only
26% of the respondents had access to any tracking and tracing software. […] In the humanitarian sector however, logistics and supply chain management is still largely manual.“767 ? “Despite the complexity of humanitarian logistics, manual processes still dominate and IT
resources that could enhance information availability, reporting and learning are often not effectively leveraged.”768
764 Chopra, Sunil / Meindl, Peter (2004), S. 510.
765 Vgl. Thomas, Anisya / Kopczak, Laura (2005), S. 12. Zum Begriff und den Bestandteilen von
Informations- und Kommunikationssystemen vgl. z. B. Chopra, Sunil / Meindl, Peter (2004),
S. 510-526; Ferstl, Otto K. (2008), S. 181-193 und Schulte, Christof (2005), S. 61-146.
766 Vgl. Thomas, Anisya / Kopczak, Laura (2005), S. 6.
767 Thomas, Anisya / Kopczak, Laura (2005), S. 6. Vgl. auch Thomas, Anisya / Ramalingam,
Vimala (2005a).
768 Thomas, Anisya / Kopczak, Laura (2005), S. 12.
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Mit der Entwicklung und dem Einsatz flexibler sowie integrierter Informations- und
Kommunikationstechnologien (IuK-Technologien) lassen sich die Transparenz im
Supply Chain Management erhöhen und Datengrundlagen für die Managementaufgaben generieren. Die Pan American Health Organization weist in der gemeinsam
mit der World Health Organization erstellten Veröffentlichung zu „Humanitarian
Supply Management and Logistics in the Health Sector“ bereits im Jahr 2001 auf die
Bedeutung der Information und Kommunikation hin und widmet diesen Themen
drei Kapitel „Transparency and Information in Emergency Supply Management“,
„Telecommunications“ und „The Application of New Technologies to Emergency
Logistics“. In der Kürze der Kapitel wird jedoch deutlich, dass zum Zeitpunkt der
Veröffentlichung die Themenstellungen erst ansatzweise behandelt und dokumentiert worden sind.769
Der Einsatz logistischer Planungsmethoden, wie Standortplanung, Tourenplanung,
ABC-XYZ-Analyse und Netzplantechnik (vgl. hierzu Kapitel 4) setzt voraus, dass
das relevante Datenmaterial systematisch erfasst ist; ebenso setzt die unternehmens-
übergreifende Zusammenarbeit im Supply Chain Management in Form von Outsourcing sowie der vorgestellten Konzepte des SCM voraus, dass Daten in den Prozessen der Supply Chain erfasst und zwischen den Partnern der Supply Chain ausgetauscht werden können.
„Reliable communication among the various sectors that intervene in relief and aid activities,
connecting the various places where these activities take place, is imperative for the success of
any operation.”770
Nicht alle für das internationale Katastrophenmanagement relevanten IuK-Systeme
werden im Folgenden vorgestellt. Die Auswahl der nachfolgenden Inhalte orientiert
sich an den aktuell für Logistik und SCM besonders relevanten Themenstellungen.
Der Nutzung des Internet als Informations- und Kommunikationsportal wird mit
Abschnitt 6.2 ein eigener Abschnitt gewidmet. Portale, wie das des Joint Logistics
Center der Vereinten Nationen, ermöglichen einen schnellen Informationsaustausch
zwischen den beteiligten Akteuren des internationalen Katastrophenmanagements.
Insbesondere für die operativen Aufgaben der Katastrophenbewältigung lassen sich
zeitnah mehrmals täglich Informationen an alle Beteiligten übermitteln. Für die
internationalen Aspekte des Katastrophenmanagements haben diese Portale eine
besondere Bedeutung, da den weltweit agierenden Hilfsorganisationen Besonderheiten des Landes, wie z. B. Kartenmaterialien, Informationen über die politische Situation, Umrechnungstabellen unterschiedlicher Art, Regenzeiten, Informationen über
die Hilfsorganisationen vor Ort mit Aufgaben und Verantwortlichkeiten sowie andere wichtige Informationen zur Verfügung gestellt werden.771 Die individuelle Aufbereitung und Nutzung dieser Informationen für die Managementaufgaben der Pla-
769 Vgl. Pan American Health Organization / World Health Organization (Hrsg.) (2001), S. 159-
174.
770 Pan American Health Organization / World Health Organization (Hrsg.) (2001), S. 163.
771 Vgl. www.logcluster.org.
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nung, Steuerung und Kontrolle im internationalen Katastrophenmanagement verbleibt bei den Akteuren des Katastrophenmanagements selbst. Hierzu lassen sich
sowohl Standard- als auch Individuallösungen einsetzen.
Die Akteure des Katastrophenmanagements können für einige Herausforderungen
auf Lösungen und Standards anderer Branchen zugreifen. In diesem Fall ist eine
eigene Entwicklung – mit den damit verbundenen Kosten – nicht erforderlich. Zu
analysieren sind die Kosten, die mit der Einführung der Standards verbunden sind,
und Nutzenaspekte mit Blick auf die Eignung der vorliegenden Standards für das
internationale Katastrophenmanagement. Hierbei handelt es sich z. B. um standardisierte Identifikationstechnologien (z. B. Barcode und Radio Frequency Identification, kurz RFID), um bereits entwickelte Enterprise Resource Planning- und SCM-
Systeme (z. B. SAP R/3 und SAP APO), um Standards des elektronischen Geschäftsdatenaustausches (Electronic Data Interchange, kurz EDI) sowie um standardisierte Referenzgeschäftsprozessmodelle, wie das in diesem Buch bereits vorgestellte SCOR-Modell. Diese Standards sind Gegenstand des Abschnitts 6.3.
Sofern die standardisierten Lösungen den besonderen Anforderungen des internationalen Katastrophenmanagements nicht gerecht werden und / oder die Umsetzung
mit unverhältnismäßig hohen Kosten verbunden wäre, ist die Entwicklung individueller IuK-Systeme in Erwägung zu ziehen. In Abschnitt 6.4 wird mit der Software
„Helios“ ein Programm vorgestellt, das für Akteure des Katastrophenmanagements
entwickelt wurde und sich im Jahr 2008 in einer Pilotphase befindet.772 Die durch
die Software systematisch und integriert erfassten Daten zum SCM einer Hilfsorganisation bieten zukünftig die Möglichkeit, Planungsmethoden – wie die vorgestellten
logistischen Methoden der ABC-XYZ-Analyse sowie der Standort- und Tourenplanung – ebenfalls EDV-technisch zu unterstützen.
6.2 Ausgewählte Einsatzmöglichkeiten des Internet im internationalen
Katastrophenmanagement
6.2.1 Informationsportale der Vereinten Nationen
Aus der Vielzahl der für das internationale Katastrophenmanagement zur Verfügung
stehenden Informations- und Kommunikationsportale werden nachfolgend stellvertretend zwei wichtige Portale der Vereinten Nationen vorgestellt: Das Relief Web
und die Website des Joint Logistics Centre der UN.
Seit dem Jahr 1996 wird das Informationsportal ReliefWeb durch das Office for the
Coordination of Human Affairs der UN (OCHA)773 betrieben.774
772 Vgl. www.fritzinstitute.org.
773 Allgemeine Informationen zum OCHA finden sich unter http://ochaonline.un.org.
774 Der Zugang zum ReliefWeb erfolgt unter www.reliefweb.int.
Chapter Preview
References
Zusammenfassung
Im internationalen Katastrophenmanagement werden täglich Entscheidungen mit Logistikbezug getroffen. Die Autorin skizziert die Vielfalt der Entscheidungen durch die folgende Fragestellung: Welche Beschaffungskonzepte, Standorte, Touren, Informationssysteme und Konzepte der Zusammenarbeit sollen im Rahmen der Katastrophenvorsorge und -bewältigung realisiert werden?
Da die Entscheidungen in hohem Maße Qualität und Kosten der Versorgung betroffener Menschen beeinflussen, sollten diese nicht alleine aus dem Erfahrungswissen heraus getroffen, sondern durch logistische Planungsmethoden unterstützt werden.
Anwendungsbezogen und verständlich wird in dem Buch der Einsatz geeigneter Methoden (z. B. Standortplanung, Netzplantechnik) am Beispiel realer Katastrophen vermittelt. Konzepte des SCM und aktuelle Informationssysteme werden mit ihren Potenzialen und Grenzen für das internationale Katastrophenmanagement vorgestellt und unter Einsatz geeigneter Entscheidungskriterien exemplarisch bewertet.