242
und Akteuren, die Softwaresysteme mit Ausrichtung auf Logistik und Supply Chain
Management entwickeln, vereinbart.668
Die nachfolgende Analyse durch den Einsatz zielbezogener Entscheidungskriterien
bezieht sich unter anderem auf die in diesem Abschnitt vorgestellten Beispiele. Zudem sollen Potenziale und Risiken für mögliche zukünftige Kooperationen aufgezeigt werden.
5.4 Entscheidungskriterien für die Gestaltung des SCM im internationalen
Katastrophenmanagement
5.4.1 Strategie- und Zielbezug der Entscheidungskriterien
Abschnitt 3.2.5 dieses Buches widmet sich ausführlich den Strategien und Logistikzielen der Akteure des Katastrophenmanagements. Auch Entscheidungskriterien
werden in einem gesonderten Abschnitt vorgestellt und mit zielorientierten Kennzahlen bzw. Key Performance Indikatoren verbunden. Die Inhalte des Abschnitts
3.2.5 beziehen sich jedoch zunächst jeweils auf einen Akteur des Katastrophenmanagements, so wird beispielsweise die Zielhierarchie von der Vision bis zu den logistischen Kennzahlen am Beispiel des IFRC erläutert und dargestellt.669 Die Inhalte
zum Strategie- und Zielbezug sowie zu den Entscheidungskriterien und Kennzahlen
werden der nachfolgende Analyse zugrunde gelegt.
Zusätzlich ist jedoch zu beachten, dass es sich bei Outsourcing und Kooperationen
um die unternehmensübergreifende Zusammenarbeit zwischen mindestens zwei
Akteuren handelt. Diese verfolgen mit dem Outsourcing oder anderen Kooperationsformen zwar definitionsgemäß eine gemeinsame Zielsetzung, gleichzeitig bleiben
aber auch individuelle Strategien und Ziele der eigenständigen und autonomen Unternehmen bestehen, sodass Zielkonflikte zwischen den Akteuren entstehen können.670
Mögliche Zielkonflikte lassen sich unter Heranziehung der beiden vorgestellten
Beispiele zur Zusammenarbeit zwischen Logistikdienstleistern und Hilfsorganisationen bzw. Akteuren des UN-Systems verdeutlichen:
? Die Kooperation zwischen dem Logistikdienstleister TNT und dem Akteur des
UN-Systems WFP vereinigt die gemeinsame Zielsetzung unter einem Motto:
„Moving the world“. „Unter diesem Motto schlossen das World Food Programme (WFP) und TNT im Jahr 2002 ein Abkommen, dessen Ziel es ist, den
668 Nähere Informationen zu diesen Systemen werden in Kapitel 6 aufgenommen. Erläuterungen
zu Kooperationen, die das UNJLC mit Softwaresystemen, wie LSS (Logistics Suppport System) bzw. SUMA (Humanitarian Supply Management System) verbinden sollen, lassen sich
in Tomasini, Rolando M. / Wassenhove, Luk N. van (2005), S. 8-10 nachlesen.
669 Vgl. ausführliche Erläuterungen in Abschnitt 3.2.5 und Abbildung 23.
670 Vgl. z. B. Bölsche, Dorit (2008), S. 975
243
Hunger in der Welt zu bekämpfen.“671 Die Vorteile der beiden Akteure aus der
Kooperation werden zielgerichtet unter den Überschriften „What’s in it for
TNT?“ und „What’s in it for WFP“ vorgestellt. Zu den Zielen und Vorteilen des
Unternehmens TNT zählen unter anderem die Steigerung des Unternehmenswertes, die positive Wirkung auf die Öffentlichkeit, die Auswirkungen auf die
Mitarbeiter in Bezug auf Moral, Arbeitszufriedenheit und Leistungssteigerung
sowie Wissens- und Erfahrungszuwachs aus der Zusammenarbeit mit dem
WFP. Das World Food Programme verfolgt mit der Kooperation insbesondere
Kosten- und Serviceziele. Durch die im Wesentlichen unentgeltlich erbrachten
Leistungen des WFP können Kosten gesenkt und im gesamten Netzwerk weitere Kapazitäten genutzt werden. Mit diesen Kapazitäten lassen sich mehr Menschen erreichen und Leistungen (des Katastrophenmanagements) schneller
erbringen. Zudem erhält auch das WFP durch die gemeinsamen Projekte einen
Wissens- und Erfahrungsaustausch, der im Rahmen der eigenen Leistungserstellung genutzt werden kann.672 Aus diesen Zielsetzungen, die teilweise an der
gemeinsamen Kooperation ausgerichtet sind, teilweise aber auch individuelle
Unternehmensziele betreffen, können Zielkonflikte entstehen, die im Rahmen
der Koordination besondere Berücksichtigung finden müssen. Da die Zielkonflikte sich mit denen aus der Kooperation des Unternehmens DHL mit Akteuren
des UN-Systems vergleichen lassen, wird auf den nachfolgenden Absatz verwiesen. ? Die Kooperation zwischen dem Unternehmen DHL und NGOs bzw. IGOs des
Katastrophenmanagements richtet sich aus Sicht des Unternehmens DHL allgemein auf die „Übernahme gesellschaftlicher Verantwortung“ und im Speziellen auf die gesellschaftliche Verantwortung in Verbindung mit dem internationalen Katastrophenmanagement.673 Diese Zielsetzung lässt sich in Übereinstimmung bringen mit dem „OCHA Mission Statement“: OCHA’s mission is to
mobilise and coordinate effective and principled humanitarian action in partnership with national and international actors in order to: alleviate human suffering
in disasters and emergencies, advocate for the rights of people in need, promote
preparedness and prevention, facilitate sustainable solutions.”674 Gemeinsame
Zielsetzungen in Bezug auf die erläuterte Zusammenarbeit im Rahmen der Katastrophenvorsorge und -bewältigung lassen sich folglich aus den Konzernwerten des Unternehmens DHL und der Mission des UN-Akteurs OCHA ableiten.
Zu beachten ist jedoch, dass das Unternehmen DHL sechs weitere Konzernwerte verfolgt; „gesellschaftliche Verantwortung übernehmen“ bildet den siebten
Konzernwert. Zielkonflikte in der Kooperation können sich beispielsweise in
Wechselwirkung mit dem Konzernwert „Unternehmerisch handeln“ ergeben,
denn die Deutsche Post World Net verfolgt mit der Übernahme gesellschaftli-
671 TNT Express (Hrsg.) (2007), S. 4.
672 Vgl. www.movingtheworld.org/ Link: The Partnership, What’s in it for WFP / TNT.
673 Vgl. Deutsche Post World Net (Hrsg.) (2006), S. 34.
674 www.ochaonline.un.org, Link about OCHA.
244
cher Verantwortung unter anderem das Ziel, den Unternehmenswert zu steigern.675 Die im Wesentlichen unentgeltlich für das UN-System erbrachte Leistung des Unternehmens DHL hat demnach einen wirtschaftlichen und unternehmerischen Hintergrund. Der Konzernwert des unternehmerischen Handelns
bleibt als individuelles Ziel des Konzerns Deutsche Post World Net bestehen
und muss bei der Gestaltung der Koordination zwischen den Akteuren und bei
der nachfolgenden Analyse auf Basis der Entscheidungskriterien berücksichtigt
werden. Auch bei den Akteuren des UN-Systems – OCHA und UNDP – bleiben
individuelle Zielsetzungen außerhalb der Kooperation bestehen. Individuelle
Zielsetzungen der UN-Akteure können dazu führen, dass die Deutsche Post
World Net bzw. der Konzernzweig DHL trotz eines Interesses und vorhandener
Kapazitäten in den Disaster Response Units kein UN-Mandat erhält. Als Beispiel kann das Erdbeben in China vom 12. Mai 2008 benannt werden; hier forderten die UN-Einheiten für das Katastrophenmanagement keine Leistungen des
Disaster Response Team der DHL an.676 Die UN-Akteure müssen bei der Auswahl der Kooperationspartner projektbezogen darauf achten, dass nicht zu viele
Akteure an der Katastrophenbewältigung mitwirken; dies könnte zu einem zu
hohen Koordinationsaufwand und im Falle einer gegenseitigen Behinderung zu
verringerten Zielerreichungsgraden in Bezug auf Service und Kosten führen.
Diese beiden Beispiele mit Erläuterungen zu den Zielkonflikten verdeutlichen, dass
die unterschiedlichen Entscheidungskriterien in einer Kooperation aus Sicht der
beteiligten Akteure eine unterschiedliche Bedeutung aufweisen können: Die Ziele
und Entscheidungskriterien der UN-Akteure richten sich in besonderem Maße auf
Kosten- und Serviceziele, während im Zielsystem der Logistikdienstleister die
marktbezogenen Kriterien (Unternehmenswert und Ansehen in der Öffentlichkeit)
eine hohe Bedeutung aufweisen. In der zielgerichteten Abstimmung zwischen den
Akteuren müssen diese gemeinsamen und unterschiedlichen Strategien, Ziele und
angestrebten Ausprägungen der Entscheidungskriterien Beachtung finden.
Dies gilt nicht nur für eine Analyse bereits bestehender Kooperationen sondern auch
für zukünftig geplante Outsourcing- und Kooperationsprojekte. Wenn sich Hilfsorganisationen beispielsweise die Frage stellen, ob zukünftig kooperative Konzepte
des Supply Chain Management, wie Vendor Managed Inventory (VMI) bzw. Collaborative Planning, Forecasting, and Replenishment (CPFR) oder ein Outsourcing an
einen 4PL-Dienstleister erfolgen soll, sollte eine Bewertung zielgerichtet unter Einsatz der Entscheidungskriterien erfolgen. In diesem Zusammenhang sind auch die
Ziele der jeweils anderen Partei(en) sowie die zu erwartenden Zielkonflikte (und
deren Lösungsmöglichkeiten) in eine Entscheidung einzubeziehen.
675 „Indem wir uns unserer Verantwortung stellen, leisten wir gleichzeitig einen Beitrag zur
langfristigen Steigerung des Wertes unseres Unternehmens.“ Deutsche Post World Net
(Hrsg.) (2006), S. 34.
676 Vgl. www.dpwn.de, Link Nachhaltigkeit, Gesellschaft, Katastrophenmanagement, Katastrophenhilfe.
245
Entscheidung über Kooperationen
im SCM des internationalen
Katastrophenmanagements
Servicebezogene Kriterien: ? Zeitliche Merkmale ? Flexibilitätsmerkmale ? Zuverlässigkeitsmerkmale ? Räumliche Merkmale ? Merkmale der physischen Verfügbarkeit ? Merkmale zur Informationsfähigkeit
Kostenbezogene Kriterien:? Zur Verfügung stehendes Logistikbudget ? Kosten für die Leistungserstellung: ? Kosten der Eigenerstellung ? Kosten des Fremdbezugs ? Umstellungs- und Opportunitätskosten ? Transaktionskosten
Integrationsbezogene Kriterien:? Koordination ? Vor Vertragsabschluss ? Nach Vertragsabschluss ? Standardisierung ? Physische Standards, z. B.
Ladeeinheiten ? Informatorische Standards, z. B. EDI ? Vertragliche Standards, z. B. Incoterms ? Methodische Standards, z. B. SCOR ? Auswirkungen auf Kosten / Service
Marktbezogene Kriterien:? Wirkung auf Geldgeber / Spender ? Budget ? Auswirkungen auf den Unternehmenswert ? Erschließung eines neuen Marktpotenzials ? Gesamtwirkung auf den Deckungsbeitrag
Abbildung 63: Entscheidungskriterien für die Gestaltung des SCM im
internationalen Katastrophenmanagement677
Die Abbildung gibt einen zusammenfassenden Überblick über die für das SCM im
internationalen Katastrophenmanagement relevanten Entscheidungskriterien. Eine
allgemeine Erläuterung dieser Entscheidungskriterien enthält Abschnitt 3.2.5.3. Der
Einsatz der Entscheidungskriterien richtet sich in den folgenden Abschnitten insbesondere auf eine Analyse und Bewertung der unternehmensübergreifenden Zusammenarbeit in Form eines Outsourcings oder anderer Kooperationsformen zwischen
Akteuren des internationalen Katastrophenmanagements.
5.4.2 Kostenbezogene Entscheidungskriterien
Die Zielsetzung vieler Hilfsorganisationen, lässt sich durch eine „Maximierung des
(Logistik-) Service unter Einsatz des zur Verfügung stehenden (Logistik-) Budgets“
charakterisieren.678 Damit wird ein Rahmen für die kostenbezogenen Entscheidungskriterien durch das gegebene Budget vorgegeben.
Mit der Gestaltung der Logistik- und Wertschöpfungstiefe, der Gestaltung des Outsourcing und weiterer Kooperationen werden die (Logistik-) Kosten für Leistungen
im internationalen Katastrophenmanagement determiniert. Im Rahmen einer Kos-
677 In Anlehnung an Isermann, Heinz / Lieske, Dorit (1998), S. 406.
678 Vgl. ausführliche Erläuterungen zur Zielsetzung in Abschnitt 3.2.5.2.
Chapter Preview
References
Zusammenfassung
Im internationalen Katastrophenmanagement werden täglich Entscheidungen mit Logistikbezug getroffen. Die Autorin skizziert die Vielfalt der Entscheidungen durch die folgende Fragestellung: Welche Beschaffungskonzepte, Standorte, Touren, Informationssysteme und Konzepte der Zusammenarbeit sollen im Rahmen der Katastrophenvorsorge und -bewältigung realisiert werden?
Da die Entscheidungen in hohem Maße Qualität und Kosten der Versorgung betroffener Menschen beeinflussen, sollten diese nicht alleine aus dem Erfahrungswissen heraus getroffen, sondern durch logistische Planungsmethoden unterstützt werden.
Anwendungsbezogen und verständlich wird in dem Buch der Einsatz geeigneter Methoden (z. B. Standortplanung, Netzplantechnik) am Beispiel realer Katastrophen vermittelt. Konzepte des SCM und aktuelle Informationssysteme werden mit ihren Potenzialen und Grenzen für das internationale Katastrophenmanagement vorgestellt und unter Einsatz geeigneter Entscheidungskriterien exemplarisch bewertet.