142
Minimum bzw. ein geringes Niveau annehmen sollten. Eine Abweichung vom Minimum lässt sich sinnvoll in das benannte Zielsystem einbinden, wenn sich durch
einen höheren Dezentralisierungsgrad logistische Servicegrößen begründbar verbessern lassen.
Methodisch lassen sich die logistischen Zielgrößen Logistikkosten und Logistikservice durch eine Nutzwertanalyse verbinden. Die in den nachfolgenden Kapiteln
ermittelten Ergebnisse kostenbezogener Methoden werden dabei ebenso wie die
servicebezogenen Entscheidungskriterien nach ihrer Bedeutung für das Katastrophenmanagement gewichtet, für alternative Distributionsstrukturen bewertet und zu
einem Gesamtnutzwert zusammengefasst. Auf eine Nutzwertanalyse mit ihren
Einsatzpotenzialen und Grenzen (insbesondere für die Standortplanung) wird in
diesem Kapitel verzichtet. Eine Erläuterung der Methode erfolgt an späterer Stelle
dieser Arbeit in Abschnitt 5.4.6 (mit inhaltlicher Ausrichtung auf die Auswahl von
Partnern entlang der Wertschöpfungskette) und lässt sich auf Entscheidungen zur
Standortplanung analog übertragen.389
Für das Katastrophenmanagement liegen Beschreibungen zu den Lagerstufen und
zur operativen Bewirtschaftung von Lagern ebenso wie zur operativen Gestaltung
der Transportprozesse im Katastrophenfall vor.390 Zu den Einsatzmöglichkeiten der
in der Privatwirtschaft etablierten Methoden der betrieblichen Standort- und Tourenplanung im Katastrophenmanagement finden sich jedoch kaum Dokumentationen. Hier setzten die Erläuterungen und Beispielrechnungen der nachfolgenden
Abschnitte an.
4.2.2 Standortplanung im internationalen Katastrophenmanagement
4.2.2.1 Die Methodenvielfalt der Standortplanung
Zur Vielfalt alternativer Methoden der betrieblichen Standortplanung zählen über
die bereits benannte Nutzwertanalyse hinaus z. B.
? weitere qualitativ begründete Methoden (z. B. Stärken-Schwächen-Analysen), ? Wirtschaftlichkeitsberechnungen, wie Investitionsrechnungen und break-even-
Analyse,
389 Das Verfahren der Nutzwertanalyse wird für die Standortplanung beispielsweise durch Günther, Hans-Otto / Tempelmeier, Horst (2003) auf S. 68-70 an einem Beispiel beschrieben.
Entscheidungskriterien, die in die Nutzwertanalyse einbezogen werden können, lassen sich
beispielsweise aus Murphy, Paul R. / Wood, Donald F. (2004), S. 245-256 sowie Pfohl,
Hans-Christian (2004a), S. 128-129 generieren. Über die bekannten Größen des Logistikservice lassen sich auch Kriterien zur Verfügbarkeit von Personal, rechtliche und politische
Rahmenbedingungen einbinden. Vgl. auch Abschnitt 5.4.6.
390 Vgl. insbesondere Pan American Health Organization / World Health Organization (Hrsg.)
(2001), S. 83-142 sowie Tufinkgi, Philippe (2006), z. B. S. 316-324.
143
? diskrete Standortplanung in Netzen mit einer endlichen Anzahl potenzieller
Standorte (vgl. nachfolgender Abschnitt) und kontinuierliche Standortplanung
in der Ebene mit einer unbeschränkten Anzahl potenzieller Standorte (z. B.
Steiner-Weber-Modell), ? Methoden für einstufige und mehrstufige Standortplanungen (vgl. folgender
Abschnitt), ? kapazitierte und unkapazitierte Standortplanungen (vgl. folgender Abschnitt)
sowie ? optimierende und exakte Verfahren (z. B. Branch & Bound-Verfahren), Heuristiken (z. B. Add- und Drop-Algorithmus) und Simulationen.391
Aus dieser Vielzahl zur Verfügung stehender Methoden werden in den folgenden
Abschnitten exemplarisch das diskrete Warehouse Location Problem und der Add-
Algorithmus als heuristisches Lösungsverfahren für diskrete Standortprobleme vorgestellt. Eine vereinfachte Beispielrechnung wird die Eignung für das Katastrophenmanagement verdeutlichen.
Die Standortplanung läuft in der Umsetzung vielfach zweistufig ab:392 Im ersten
Schritt wird darüber entschieden, an welchen Standorten bzw. in welchen Gebieten
Standorte potenziell zu errichten sind, und im zweiten Schritt erfolgt die tatsächliche
Auswahl der zu errichtenden Standorte. In Abschnitt 4.1.3 ist durch eine ABC-XYZ-
Analyse nach weltweiten Regionen bereits dargestellt worden, wie der erste Schritt
der Standortplanung – die Bestimmung potenzieller Standorte – methodisch unterstützt werden kann. Durch eine Einordnung weltweiter Regionen in eine ABC-XYZ-
Matrix wurden Schwerpunktgebiete für die Standortwahl der Zentralläger in Asien
(mit besonderer Berücksichtigung Chinas und Indiens) und Afrika identifiziert.
Methoden zur tatsächlichen Auswahl in Schritt 2, die nachfolgend beschrieben werden, setzen bereits Ergebnisse aus Schritt 1 voraus: Potenzielle Standorte bzw. Gebiete sind bekannt.
4.2.2.2 Formale Beschreibung der Warehouse Location Probleme
Stellvertretend für die Vielzahl verfügbarer Methoden zur Beschreibung und Lösung
betrieblicher Standortprobleme wird nachfolgend als diskretes Modell das einstufige
Warehouse Location Problem beschrieben (einstufiges WLP: die Standortplanung
betrifft nur eine Lagerstufe). Die Erläuterungen werden bereits an die Standortplanung im Katastrophenmanagement angepasst.
391 Vgl. z. B. Domschke, Wolfgang / Drexl, Andreas (1996); Domschke, Wolfgang und Schildt,
Birgit (1998), S. 213-222; Domschke, Wolfgang (2008), S. 97-107; Günther, Hans-Otto /
Tempelmeier, Horst (2003) auf S. 67-76.
392 Vgl. Pfohl, Hans-Christian (2004a), S. 128, in dieser Quelle werden die beiden Stufen der
interlokalen und lokalen Standortwahl beschrieben.
144
Abbildung 37 visualisiert das einstufige WLP am Beispiel der Standortwahl für die
Zentrallager (General Delivery Warehouses).
Transportkosten: cij
c11
cIJ
ci1
ciJ
Lager 1, mit
Fixkosten f1 und
Kapazität a1
Potenzielle Standorte i,
hier der Zentrallager
(General Delivery
Warehouses)
Empfänger j, hier
Standorte der
Regionallager
(Quick Rotation)
Empfänger 1, mit
Bedarf b1
Lager i, mit
Fixkosten fi und
Kapazität ai
Lager I, mit
Fixkosten fI und
Kapazität aI
Empfänger j, mit
Bedarf bj
Empfänger J, mit
Bedarf bJ
Abbildung 37: Struktur eines einstufig kapazitierten WLP393
Die potenziellen Lagerstandorte werden durch den Index i beschrieben (mit
i=1,…,I). Die Fixkosten für jeden dieser potenziellen Standort fi, die im Falle der
Errichtung des Standortes entstehen, sowie die jeweils maximal zur Verfügung stehende Lagerkapazität ai sind bekannt bzw. lassen sich ermitteln. Die Kapazität ist
nur dann relevant, wenn diese für die Lösung der Problemstellung entscheidungsrelevant ist. Lässt sich jeder Standort mit einer Kapazität errichten, durch die der Gesamtbedarf gedeckt werden kann, so wird ai vernachlässigt (unkapazitiertes WLP),
ansonsten ist ai in einer Nebenbedingung zu berücksichtigen (kapazitiertes WLP).
Durch die Zentrallager sollen die Quick Rotation Warehouses als Empfänger der
Hilfsgüter auf der nächsten Lagerstufe bedient werden, diese werden durch den
Index j (mit j=1,…J) gekennzeichnet. Der jeweilige Bedarf der Hilfsgüter bj für die
auf die Zukunft gerichtete Bezugsperiode ist zwar nicht mit Sicherheit bekannt;
dieser lässt sich aber auf der Grundlage von Vergangenheitswerten und Prognosemethoden für die Berechnungen ermitteln (z. B. in der Dimension Tonnen je Bezugsperiode). Für Transporte zwischen dem Lager i und dem Empfänger j entstehen
Transportkosten cij (in Geldeinheiten je Mengeneinheit), falls das Quick Rotation
Warehouse j durch ein am Standort i errichtetes Zentrallager mit bj beliefert wird.
Durch eine Binärvariable lässt sich mathematisch beschreiben, ob ein Standort i
393 In Anlehnung an Domschke, Wolfgang / Drexl, Andreas (1996), S. 52; Domschke, Wolfgang
(2008), S. 97 mit Anpassungen zur Distributionsstruktur im Katastrophenmanagement.
145
errichtet wird (yi=1) oder nicht (yi=0). Die Variable xij gibt die Menge an, die Empfänger j durch einen Standort i erhält.394
Das einstufige kapazitierte WLP mit der Zielsetzung der Minimierung der Gesamtkosten K aus Transport- und Lagerkosten lässt sich nun wie folgt formulieren:395
Zielfunktion: ? ?? = == += Jj Ii iiijijIi yfxcyxKMin 1 11),(
unter den Nebenbedingungen
{ }
JjundIiallefürx
Iiallefüry
Jjallefürbx
JjundIiallefürybx
Iiallefüryax
ij
i
j
I
i
ij
ijij
ii
J
j
ij
,...,1,...,1,0)5(
,...,1,1,0)4(
,...,1,)3(
,...,1,...,1,)2(
,...,1,)1(
1
1
==? =?
==
==?
=?
?
?
=
=
mit
i Index für Standort i (General Delivery Warehouse), mit
i=1,…,I
j Index für Empfänger j (Quick Rotation Warehouse), mit
j=1,…,J
fi Fixkosten für Standort i
ai Kapazität des Standorts i (nur für kapazitiertes WLP)
bj Bedarf Empfänger j
cij Variable Transportkosten von Standort i zu Empfänger j
yi Binärvariable, die beschreibt, ob Standort i errichtet wird
(yi=1) oder nicht (yi=0)
xij Variable, die beschreibt, welche Menge Empfänger j
durch einen Standort i erhält
Die Variablen des Modells sind die Größen xij und yi. Gesucht wird diejenige Kombination der Variablen, durch die die Gesamtkosten als Summe aus Transport- und
Lagerkosten minimiert werden. In der Zielfunktion stellt die Binärvariable yi, sicher,
dass die Fixkosten eines Lagers fi nur für diejenigen Lösungen berücksichtigt werden, für die der Standort i errichtet wird (yi=1). Durch die Variable xij, werden variable Transportkosten jeweils nur mit dem relevanten Anteil des Bedarfs bj den der
Empfänger j durch den Standort i erhält, berücksichtigt. Die Nebenbedingungen des
394 Vgl. Chopra, Sunil / Meindl, Peter (2004), S. 111; Domschke, Wolfgang / Drexl, Andreas
(1996), S. 51; Domschke, Wolfgang (2008), S. 97; Günther, Hans-Otto / Tempelmeier, Horst
(2003) auf S. 72-73. Die Quellen formulieren das Modell für die betriebliche Standortplanung
und damit für die Relation Unternehmen – Kunden.
395 Vgl. Chopra, Sunil / Meindl, Peter (2004), S. 111-112; Domschke, Wolfgang / Drexl, Andreas (1996), S. 53.
146
Modells stellen sicher, dass die Variablen nur die vorgesehenen Werte annehmen
(Binärvariable für Standorte in Bedingung 4) und (Nichtnegativitätsbedingung für
Mengenlieferungen in Bedingung 5). Die Kapazitätsbedingung (1) gewährleistet für
das kapazitierte WLP, dass Mengenlieferungen an alle Empfänger j von einem
Standort i die zur Verfügung stehende Kapazität an diesem Standort nicht übersteigen darf (zu erfüllen ist diese Kapazitätsbedingung für alle Standorte). Die Nachfragebedingung (3) beschreibt, dass die Gesamtmengen, die ein Empfänger j von allen
Standorten enthält, seinem Bedarf entsprechen müssen (zu erfüllen ist diese Nachfragebedingung für alle Empfänger). Ergänzend stellt die Bedingung (2) sicher, dass
Empfänger nur von solchen Standorten beliefert werden können, die auch errichtet
werden.396
Eine vereinfachte Form dieses Modells stellt das einstufige unkapazitierte WLP in
der aggregierten Form dar; dieses wird auch in der nachfolgenden Beispielrechnung
in Abschnitt 4.2.2.3 zugrunde gelegt. In dieser Form sind Kapazitätsrestriktionen
nicht zu beachten, und jeder Empfänger j wird von einem Standort i aus vollständig
beliefert. In der Standortplanung nach dieser Form des WLP wird eine Belieferung
der Regionallager von unterschiedlichen Standorten nicht vorgesehen, um den damit
verbundenen Koordinationsaufwand zu reduzieren. Bei Nachschubengpässen einzelner Zentrallager in der realen Katastrophenbewältigung ist eine Versorgung durch
weitere Zentrallager dennoch nicht ausgeschlossen. Die Zielfunktion ändert sich
nicht:397
Zielfunktion: ? ?? = == += Jj Ii iiijijIi yfxcyxKMin 1 11),(
Die Nebenbedingungen lassen sich nun vereinfacht formulieren:
{ }{ } JjundIiallefürx Iiallefüry
Jjallefürx
JjundIiallefüryx
entfällt
ij
i
I
i
ij
iij
,...,1,...,1,1,0)5(
,...,1,1,0)4(
,...,1,1)3(
,...,1,...,1,)2(
)1(
1
==? =?
==
==??=
Das Modell der WLP ist formal bewusst sehr allgemein formuliert worden, um es
auch auf andere Stufen des Distributionssystems übertragen zu können. Es lässt sich
ohne weiteren Anpassungsbedarf auch auf die nachfolgenden vertikalen Stufen im
Distributionssystem des Katastrophenmanagements übertragen (vgl. hierzu Stufen
des Distributionssystems in Abbildung 35):
396 Vgl. Chopra, Sunil / Meindl, Peter (2004), S. 111-115; Domschke, Wolfgang / Drexl, Andreas (1996), S. 52-54; Günther, Hans-Otto / Tempelmeier, Horst (2003), S. 72-75.
397 Vgl. Domschke, Wolfgang / Drexl, Andreas (1996), S. 53. Die Quelle sieht zusätzlich vor,
dass eine maximale Anzahl an Empfängern durch einen Standort beliefert werden kann.
147
? Welche der potenziellen Regionallager i (Quick Rotation Warehouses) sind zu
errichten und welche Mengen erhalten Auslieferungslager j (Temporary Collection Sites) von diesen Standorten, wenn eine kostenminimale Lösung angestrebt
wird? ? Welche der potenziellen Auslieferungslager i (Temporary Collection Sites) sind
zu errichten und welche Mengen erhalten die bedürftigen Menschen im Gebiet j
von diesen Standorten, wenn eine kostenminimale Lösung angestrebt wird?
Diese Einsatzfelder des einstufigen WLP zeigen die Möglichkeiten des flexiblen
Einsatzes; gleichzeitig werden aber auch Grenzen aufgezeigt: Einstufige WLP lassen sich jeweils nur für die Standortwahl auf einer Stufe des Distributionssystems
einsetzen. Sofern Standorte auf mehreren Stufen in einem diskreten Modell zu planen sind, lassen sich mehrstufige WLP einzusetzen, deren Komplexität mit zunehmender Anzahl zu beplanender Distributionsstufen ansteigt.398 Auch die Erweiterung um nicht-lineare Kostenfunktionen erhöht die Komplexität in der Modellierung
der WLP.399
Die nachfolgende Beispielrechnung bezieht sich aus Darstellungs- und Erläuterungszwecken auf diskrete Modelle einstufiger WLP.400 Als Lösungsverfahren wird
mit dem Add-Algorithmus eine Heuristik anstelle eines Optimierungsverfahrens
eingesetzt. Heuristische Verfahren gehen nach Vorgehensregeln zur Lösungsfindung
(Eröffnungsverfahren) und Lösungsverbesserung (Verbesserungsverfahren) vor. Sie
können keine optimale Lösung des formulierten Problems (in diesem Fall ein Kostenminimum) garantieren und werden folglich als suboptimal bezeichnet. Die Regeln werden aber so bestimmt, dass sie bezüglich der Problemstellung und Zielsetzung sinnvoll, zweckmäßig und erfolgversprechend sind, sodass mit einer guten
Problemlösung gerechnet werden kann.401 Der Add-Algorithmus und Drop-
Algorithmus stellen heuristische Lösungsverfahren der Standortplanung dar:402
? Der Drop-Algorithmus startet in seiner Eröffnung mit einer Lösung, die davon
ausgeht, dass jeder potenzielle Standort i auch errichtet wird. Die Gesamtkosten
dieser ersten Lösung lassen sich aus der Summe aller Fixkosten und den Transportkosten der jeweils günstigsten Belieferung der Empfänger j ermitteln. Die
Verfahrensregeln des Drop-Algorithmus sehen vor, dass in jeder Iteration des
Verfahrens diejenigen Standorte aus der Lösung entfernt werden („drop“),
durch die sich die höchsten Kosteneinsparungen erzielen lassen. Kosteneinspa-
398 Ein zweistufiges WLP wird beispielsweise formuliert in Domschke, Wolfgang / Drexl, Andreas (1996), S. 57-59 sowie Domschke, Wolfgang (2008), S. 98-99.
399 Nicht-lineare Kostenfunktionen werden in einem WLP beispielsweise formuliert in Domschke, Wolfgang / Drexl, Andreas (1996), S. 54-57.
400 Eine Vielzahl weiterer Modelle zur Beschreibung und Lösung von Problemen der Standortplanung findet sich z. B. in Domschke, Wolfgang / Drexl, Andreas (1996).
401 Vgl. Domschke, Wolfgang / Drexl, Andreas (1996), S. 29; Scholl, Armin (2008), S. 48.
402 Vgl. Domschke, Wolfgang / Drexl, Andreas (1996), S. 60-72; Domschke, Wolfgang (2008),
S. 98; Günther, Hans-Otto / Tempelmeier, Horst (2003), S. 76.
148
rungen entstehen immer dann, wenn die mit der Schließung eines Lagers verbundene Transportkostensteigerung geringer ist als die Fixkosten des jeweiligen
Standortes, die im Falle einer Streichung nicht mehr anfallen. ? Der Add-Algorithmus wählt in seiner Eröffnung zunächst eine Lösung mit nur
einem Standort. Dabei wird derjenige Standort i gewählt, der die geringsten Gesamtkosten aus Transportkosten zu allen Empfängern und Fixkosten für den
Standort i aufweist. Nach den Regeln des Add-Algorithmus wird in jeder Iteration ein Standort hinzugefügt („add“), und zwar derjenige, für den die positive
Differenz aus Transportkosteneinsparungen aufgrund der Nähe zu den Kunden j
und zusätzlichen Fixkosten des Lagers am größten ist.
Beide Verfahren enden, wenn keine zusätzlichen Einsparungen erzielbar sind bzw.
alle Standorte endgültig in die Lösung einbezogen oder „verboten“ sind. Heuristiken
bieten den Vorteil, dass der Rechenaufwand erheblich reduziert wird.403 Lösungen
lassen sich für das Katastrophenmanagement schnell und einfach umsetzen und
können in der Katastrophenbewältigung vor Ort auch ohne EDV-gestützte Optimierungsberechnungen „auf Papier“ generiert werden.
4.2.2.3 Standortplanung für Zentrallager einer Hilfsorganisation
Das nachfolgende Beispiel schließt sich an die Ergebnisse aus der ABC-XYZ-
Analyse an: In der Standortplanung für die Zentrallager bzw. General Delivery Warehouses sollen Regionen mit gleichzeitig hohem Anteil und hoher Regelmäßigkeit
der durch Katastrophen betroffenen Menschen (AX, AY, BX und BY) besondere
Berücksichtigung finden.404
Ein diskretes Modell (wie das beschriebene WLP) ist für diese Fragestellung geeignet und den Modellen der Standortplanung in der Ebene aus folgendem Grund vorzuziehen: Nicht jeder Standort in einer Ebene eignet sich als zentraler Standort für
General Delivery Warehouses im Katastrophenmanagement. Aus diesem Grund sind
die potenziellen Standorte für die Formulierung des diskreten Modells in einem
ersten Schritt so auszuwählen, dass sie bestimmte erforderliche Bedingungen erfüllen. Einige dieser Kriterien werden nachfolgend benannt:
? Eine gute Verkehrsanbindung, insbesondere auch an Verkehrsträger des internationalen und nationalen Fernverkehrs (z. B. Flughafenanbindung, ggf. Anbindung an die Seeschifffahrt, gute Anbindung an das Straßen- und ggf. Schienennetz), ? ausreichende und verfügbare Kapazität (Fläche) für die Errichtung eines Zentrallagers,
403 Vgl. Domschke, Wolfgang / Drexl, Andreas (1996), S. 29; Domschke, Wolfgang (2008), S.
98; Scholl, Armin (2008), S. 48.
404 Vgl. Abschnitt 4.1.3.
149
? ausreichende und verfügbare Personalkapazitäten (qualitativ und quantitativ)
sind am Standort verfügbar bzw. einsetzbar, ? ein Mindestmaß an politischer und rechtlicher Stabilität am Standort, ? es handelt sich um kein Risikogebiet, für das eine Zerstörung durch ein Katastrophen auslösendes Ereignis mit einer zuvor definierte Wahrscheinlichkeit zu
erwarten wäre und ? aufgrund der Nähe zu den Standorten auf der nächsten Lagerstufe – insbesondere zu denjenigen mit hohen Bedarfsmengen an Hilfsgütern – ist von einer guten
Erfüllung der zeitlichen Servicekriterien auszugehen.
Die Standortplanung für Zentrallager erfolgt durch eine fiktive Hilfsorganisation,
die international im Katastrophenmanagement tätig ist und weltweit knapp 5% der
Hilfeleistungen in der Katastrophenbewältigung erbringt. Bislang ist die Hilfsorganisation in der Lagerstruktur dezentral aufgestellt und verfügt über zahlreiche Regionallager, die in ihrer Anzahl, mit ihren Standorten, Kapazitäten und zukünftig erwarteten Bedarfsmengen bekannt sind. Aufgrund der steigenden Bedarfsmengen
und bislang nicht erfüllter Servicekriterien in der Versorgung der Regionallager soll
zukünftig eine Stufe mit Zentrallagern in die vertikale Distributionsstruktur aufgenommen werden. Die Hilfsorganisation hat eine erste gründliche internationale
Standortanalyse durchgeführt und sieben potenzielle Standorte identifiziert (I=7).
Die Auswahl erfolgte unter besonderer Berücksichtigung der Ergebnisse der ABC-
XYZ-Analyse, und zudem wird angenommen, dass alle Standorte die oben benannten Mindestkriterien erfüllen.405
Potenzielle Zentrallager sind für die Regionen Asien-Süd-Mitte (AX), Asien-Osten
(AY), Asien-Süd-Ost (BX) und Afrika-Osten (BY) vorzusehen. Für Asien Süd-
Mitte sollte aufgrund des hohen Anteils betroffener Menschen in Indien ein
potenzieller Standort direkt in Indien oder in der Nähe dieses Landes liegen,
vergleichbares gilt für China in der Region Asien-Osten. Vereinfachend wird in die
Beispielrechnung ein gemeinsamer potenzieller Standort aus den Regionen Asien
Süd-Mitte und Westen in den Vereinigten Arabischen Emiraten (Abu Dhabi, i=1)
aufgenommen. Für die asiatischen Regionen im Osten und Süd-Osten werden durch
die Länder China (Shanghai, i=2) und Thailand (Bangkok, i=3) zwei potenzielle
Standorte berücksichtigt. Als potenzieller Standort in Afrika wird mit Kenia
(Nairobi, i=4) bewusst ein Land im Osten (BY-Region) einbezogen. Die Anzahl der
potenziellen Standorte sieht für alle Regionen Europas gemeinsam einen
potenziellen Standort vor, ebenso für alle Regionen Australiens / Ozeaniens. Die
Begründung liegt in der starken Tendenz der Regionen zur Klassifizierung als CZ-
Region (mit einem vergleichsweise unregelmäßigen und geringen Bedarf an
Hilfsgütern). Der potenzielle Standort in Europa liegt mit Spanien (Barcelona, i=5)
im Süden, da in dieser Y-Region Hilfsgüter regelmäßiger benötigt werden als in den
405 In einer realen Umsetzung einer Standortplanung würde die Hilfsorganisation voraussichtlich
mehr als sieben potenzielle Standorte identifizieren und in die Berechnung einbeziehen.
150
Z-Regionen Europas. Für Australien/Ozeanien wird mit Melbourne (i=6) ein
potenzieller Standort im Süden Australiens vorgesehen. Für Amerika wurde bereits
die Vermutung geäußert, dass sich ein Standort in der Mitte Amerikas anbietet, auch
in dieser Region wird ein potenzieller Standort vorgesehen, in diesem Fall Panama
mit der Stadt Panama (i=7).
Abbildung 38 gibt einen Überblick über die geografische Einordnung der potenziellen Standorte. Vereinfachend sei angenommen, dass die potenziellen Standorte keine Kapazitätsbegrenzungen aufweisen.
i Panama,
Panama
i Spanien,
Barcelona
i Kenia,
Nairobi
i Australien,
Melbourne
i China,
Shanghai
i V. Arab. Em.
Abu Dhabi
i Thainland,
Bangkok
Nord-
Amerika
Süd-
Amerika
Afrika
Europa
Asien
Australien
Abbildung 38: Potenzielle Standorte für Zentrallager (Beispiel)406
Für die Auswahl der tatsächlich zu errichtenden Standorte enthält die nachfolgende
Tabelle die fiktive aber realitätsnahe Datengrundlage der Hilfsorganisation für die
Standortplanung auf der zentralen Lagerstufe. Die Zeilen repräsentieren die potenziellen Standorte i; die Spalten enthalten mit den Empfängern j die bekannten und
bereits bestehenden Regionallager bzw. Quick Rotation Warehouses. Aufgrund der
Vielzahl weltweit errichteter Regionallager international tätiger Hilfsorganisationen
erfolgt in der Beispielrechnung jeweils eine Zusammenfassung der Regionallager zu
übergreifenden Gebieten. Für Asien werden die Regionallager drei unterschiedlichen
Gebieten zugeordnet, da in Asien aufgrund der Vielzahl regelmäßig betroffener
Menschen und der geografischen Ausdehnung eine große Anzahl Regionallager
vorhanden ist. Es handelt sich hierbei um die Regionallager für Asien-Süd-Mitte und
Asien-Westen (j=1), Asien-Osten (j=2) und Asien Süd-Osten (j=3).407 Die Regional-
406 Quelle der Weltkarte: google maps unter http://maps.google.de.
407 In Anlehnung an die Strukturierung der Regionen in www.emdat.be.
151
lager der anderen Kontinente Afrika (j=4), Europa (j=5), Australien/Ozeanien (j=6)
und Amerika (j=7) werden jeweils zu einer Empfängergruppe zusammengefasst.408
Die Datengrundlage für den Einsatz des Add-Algorithmus stellen Transport- und
Lagerkosten dar: Transportkosten cij entstehen, wenn eine Region j durch einen
Standort i voll beliefert wird. Darüber hinaus wird in der letzen Spalte für jeden
Standort i angegeben, welche Fixkosten fi zu erwarten sind, wenn der potenzielle
Standort i auch tatsächlich errichtet wird.
cij
(EUR/Jahr)
fi
(EUR/
Jahr)
Asien-Süd-
Mitte,
Asien-West
Asien-
Osten
Asien-
Süd-
Osten Afrika Europa
Australien Amerika
j=1 j=2 j=3 j=4 j=5 j=6 j=7
V. Arab.
Emirate,
Abu
Dhabi i=1 9.831.819 21.452.009 2.253.726 5.264.076 365.978 51.548 2.362.774 1.273.133
China,
Shanghai i=2 16.278.543 12.956.459 1.941.678 7.675.130 479.368 42.992 2.483.355 1.060.944
Thailand,
Bangkok i=3 14.720.200 16.712.537 1.505.294 6.745.784 475.750 41.301 2.729.576 1.167.038
Kenia,
Nairobi i=4 13.220.847 25.402.434 2.593.922 3.914.684 383.634 51.088 2.276.036 742.661
Spanien,
Barcelona i=5 14.917.819 25.749.667 2.969.041 6.226.306 241.204 63.866 1.850.185 1.591.416
Australien,
Melburne i=6 21.282.939 23.391.591 2.610.782 8.398.564 646.908 23.813 2.441.276 1.485.321
Panama,
Panama i=7 23.407.595 32.420.948 4.140.160 8.977.937 449.676 58.577 992.429 954.849
Tabelle 12: Datengrundlage Standortplanung einer Hilfsorganisation
Die Realitätsnähe der Transport- und Lagerkosten – zumindest in ihrem Verhältnis zueinander – lässt sich wie folgt begründen:
Alle Datengrundlagen beziehen sich auf den gleichen Betrachtungszeitraum, in
diesem Fall ein Jahr. Der Bedarf der Regionallager stellt eine zentrale Berechnungsgrundlage für die Lager- und Transportkosten dar. Dieser lässt sich auf der Grundlage der durchschnittlich in einem Jahr betroffenen Menschen in der jeweiligen Region j im Zeitraum 1996-2007 ermitteln.409 Die betroffenen Menschen werden durch
die hier betrachtete Hilfsorganisation mit einem Anteil von knapp 5% versorgt; in
der Berechnung werden 3% angesetzt. Weiterhin wird angenommen, dass für jeden
betroffenen Menschen durchschnittlich 20kg Hilfsgüter benötigt werden, davon wird
¼ (5kg) im Zentrallager vorgehalten bzw. über dieses verteilt. Da sich die Berechnungen auf die Zukunft beziehen und in den kommenden Jahren mit einem weiteren
408 In der realen Umsetzung der Standortplanung würde die Hilfsorganisation jedes einzelne der
Regionallager als Empfänger j erfassen.
409 Die Daten sind entnommen aus IFRC (Hrsg.) (2007), S. 185-187 sowie www.emdat.be.
152
Anstieg des weltweiten Bedarfs an Hilfsgütern zu rechnen ist, wird dieser Bedarf
mit einer 10%igen Steigerung angesetzt. Mit diesen Angaben lässt sich die für Menschen in Afrika zu lagernde und vom Zentrallager i nach Afrika zu transportierende
Menge bj wie folgt ermitteln:
b4 = 29.657 Tsd. (durchschnittlich betroffene Menschen/Jahr) * 1,1 (10% Steigerung
in den kommenden Jahren) * 20 kg (Hilfsgüter je betroffenem Menschen) * ¼
(Mengenanteil, der über das Zentrallager abgewickelt wird) * 0,03 (Marktanteil) =
4.893 to / Jahr (gerundet).
Eine weitere wichtige Größe für die Ermittlung der variablen Transportkosten von
einem potenziellen Standort – beispielsweise von Abu Dhabi (i=1) nach Afrika (j=4)
c14 – stellt die Entfernung dar. Die Entfernung von Abu Dhabi nach Afrika beträgt
3.447 km; für die Entfernungsmessung wurde jeweils ein großer Flughafen in der
Stadt (Abu Dhabi) bzw. in der Region (in diesem Fall Nairobi in Afrika) als Referenzgröße verwendet.410 In jeder Region sind weitere Transportkosten für die Verteilung der Hilfsgüter an mehrere in dem Gebiet verteilte Regionallager zu berücksichtigen. Das Beispiel rechnet einheitlich mit zusätzlichen 10.000 km an jedem Standort.
Aus dem Bedarf und der Entfernung lassen sich die zu verteilenden Tonnenkilometer (tokm) für die Relation Abu Dhabi – Afrika ermitteln. In der Berechnung wird
angenommen, dass für jeden Tonnenkilometer Transportkosten in Höhe von 0,08
EUR entstehen.411 Hierbei handelt es sich um einen Durchschnittswert aus unterschiedlichen Verkehrsträgern sowie Eigen- und Fremdtransport. Mit diesen Angaben lässt sich der in Tabelle 12 grau hinterlegte Beispielwert berechnen:
c14 = (4.893,356 to * 13.447 km * 0,08 EUR / tokm = 5.264.076 EUR)
Die Ermittlung der Lagerkosten fi basiert ebenfalls auf den angegebenen Bedarfsmengen bj. Für jede Tonne Hilfsgüter wird ein durchschnittlicher Lagerwert in Höhe
von 800 EUR angenommen. Logistikkosten lassen sich erfahrungsgemäß als Anteil
an diesen Werten erfassen, im Berechnungsbeispiel bewegen sich diese Anteile
zwischen 7% (für Nairobi) und 15% (für Barcelona). Die Abweichungen zwischen
den Standorten lassen sich u.a. durch Personalkostenunterschiede und Differenzen in
den Investitionen (die sich wiederum auf die jährlichen Abschreibungen auswirken)
begründen. Der Anteil der fixen Lagerkosten an diesem Wert beträgt 30%. Variable
Lagerkosten sind in diesem Beispiel nicht entscheidungsrelevant für die Standortauswahl, da sich diese an den Standorten nicht unterscheiden.412
Mit einer realen differenzierten Datengrundlage ist die Datentabelle durch jede
Hilfsorganisation, die den Algorithmus zur Standortplanung umsetzen möchte, an-
410 Die Entfernungsmessung für alle Verbindungen zwischen i und j wurde unter Einsatz von
www.flugstatistik.de vorgenommen.
411 Zu Transportkosten in US$ je tokm vgl. Chopra, Sunil und Meindl, Peter (2004), S. 416. In
diesem Fall wird angenommen, dass ein Großteil der Strecken über den Seeweg transportiert
wird.
412 Bei Entscheidungsrelevanz der variablen Lagerkosten lassen sich diese ergänzend als ci in
das Modell einbinden. Vgl. hierzu Domschke, Wolfgang / Drexl, Andreas (1996), S. 51.
153
zupassen: Die Regionallager sind als Spalten der Tabelle einzurichten, mehrere
potenzielle Standorte sollten nach den individuellen Bedürfnissen ausgewählt und in
die Auswahl einbezogen werden, die Transportkostenermittlung ist anzupassen (an
prognostizierte Bedarfsmengen, Entfernungen, Transportkostensätze aus Verträgen
und der eigenen Kostenrechnung), die Ermittlung der Fixkosten für das Lager ist
anzupassen und bei Bedarf sind ergänzend Kapazitätsbegrenzungen zu berücksichtigen.
Unter Einsatz der Datengrundlage aus Tabelle 12 wird nun die Standortplanung
unter Einsatz des Add-Algorithmus erläutert. Im Startschritt und in jeder Iteration
wird genau ein Standort endgültig ausgewählt.413
Im Startschritt des Add-Algorithmus wird aus der Datentabelle für jeden potenziellen Standort i die Zeilensumme aus Transport- und Lagerkosten ermittelt. Derjenige
Standort, für den diese Zeilensumme aus Transport- und Lagerkosten minimal ist,
wird endgültig gewählt:
Wähle i nach der Verfahrensregel ????
?????
? =+?=Jj iij IifcMin 1 ,...,1
Tabelle 13 weist für jeden der sieben Standorte in der letzten Spalte diese Summe
aus Transport- und Lagerkosten aus.
fi
(EUR/
Jahr)
cij
(EUR/Jahr)
cij+fi
(EUR/
Jahr)
j=1 j=2 j=3 j=4 j=5 j=6 j=7
i=1 1.273.133 9.831.819 21.452.009 2.253.726 5.264.076 365.978 51.548 2.362.774 42.855.063
i=2 1.060.944 16.278.543 12.956.459 1.941.678 7.675.130 479.368 42.992 2.483.355 42.918.469
i=3 1.167.038 14.720.200 16.712.537 1.505.294 6.745.784 475.750 41.301 2.729.576 44.097.480
i=4 742.661 13.220.847 25.402.434 2.593.922 3.914.684 383.634 51.088 2.276.036 48.585.306
i=5 1.591.416 14.917.819 25.749.667 2.969.041 6.226.306 241.204 63.866 1.850.185 53.609.504
i=6 1.485.321 21.282.939 23.391.591 2.610.782 8.398.564 646.908 23.813 2.441.276 60.281.194
i=7 954.849 23.407.595 32.420.948 4.140.160 8.977.937 449.676 58.577 992.429 71.402.171
Tabelle 13: Startschritt des „Add“
Für i=1 (Abu Dhabi in den Vereinigten Arabischen Emiraten) ist die Summe mit
42.855.063 EUR / Jahr am Geringsten, sodass dieser Standort endgültig gewählt
wird. Damit ist eine erste zulässige Lösung des Standortproblems gefunden: Mit
Abu Dhabi wird ein Zentrallager errichtet, das die Regionallager aller sieben Gebiete beliefern würde. Bezeichnet I1 die Menge der endgültig einbezogenen Standorte,
so ist diese nun mit dem Standort Abu Dhabi gefüllt: I1={1}. Durch die nachfolgen-
413 Vgl. Domschke, Wolfgang / Drexl, Andreas (1996), S. 61.
154
den Iterationen wird angestrebt, diese Lösung, die mit Kosten in Höhe von
42.855.063 EUR pro Jahr verbunden ist, zu verbessern.
Die weiteren Iterationen berücksichtigen die verbleibenden potenziellen Standorte,
in der ersten Iteration sind dies die Standorte i=2 bis i=7. Als Spalten sind weiterhin
alle mit Hilfsgütern zu beliefernden j=1,…,J regionale Empfängergruppen vorzusehen. Eine Hilfsmatrix erfasst nachfolgend anstelle der Transportkosten cij die Transportkostenersparnis ?ij, die entsteht, wenn die Empfängergruppe j anstelle von
Standorten der Menge I1 (endgültig gewählte Standorte) durch Standort i beliefert
wird. Für die i-j-Relationen der Tabelle 14 errechnen sich die Transportkosteneinsparungen für jeden Empfänger j, indem die Differenz zwischen den Transportkosten bei Belieferung durch den endgültig gewählten Standort und bei Belieferung
durch den potenziellen Standort i ermittelt wird. Die Hilfsmatrix erfasst nur positive ?ij, da nur positive Werte eine Einsparung gegenüber einer Belieferung durch die
Menge I1 darstellen. Wird beispielsweise die Empfängergruppe j=3 (Asien, Süd-
Osten) anstelle von dem gewählten Standort Abu Dhabi (i=1) mit Transportkosten in
Höhe von c13 = 2.253.726 EUR vom potenziellen Standort Shanghai (i=2) beliefert,
so lassen sich die Transportkosten auf c23 = 1.941.678 EUR reduzieren. Die Differenz wird als Transportkostenersparnis ?23 = 312.048 EUR wird in Tabelle 14 ausgewiesen. ?13 wird in der nachfolgenden Tabelle mit dem Wert 0 erfasst, da eine
Belieferung der Empfängergruppe j=1 (Asien-Süd-Mitte, Asien-Westen) durch den
potenziellen Standort Shanghai mit Mehrkosten gegenüber dem gewählten Standort
Abu Dhabi verbunden wäre. Sollte die Standortauswahl auf Shanghai treffen, so
würde die Belieferung der Empfängergruppe j=1 weiterhin durch i=1 (Abu Dhabi)
erfolgen. Die Auswahl eines Standortes in der ersten Iteration erfolgt nun nach der
Verfahrensregel, dass derjenige Standort endgültig gewählt wird, für den die Nettoersparnis gegenüber dem gewählten Standort der Menge I1 am größten ist. Diese
Nettoersparnis errechnet sich für jede Zeile der potenziellen Standorte, indem die
Summe über alle Transportkostenersparnisse gebildet und die anfallenden Fixkosten
für den Standort von dieser Ersparnis abgezogen wird.414
Wähle i nach der Verfahrensregel Max{?=Jj 1 ?ij 011 I,Iohne,...,Iiif =? }
414 Zur formalen Darstellung vgl. Domschke, Wolfgang / Drexl, Andreas (1996), S. 61-62.
155
fi
(EUR/
Jahr)
?ij ? 0
(EUR/Jahr)
?ij-fi
(EUR/
Jahr)
j=1 j=2 j=3 j=4 j=5 j=6 j=7
i=2 1.060.944 0 8.495.550 312.048 0 0 8.556 0 7.755.210
i=3 1.167.038 0 4.739.472 748.432 0 0 10.247 0 4.331.113
i=4 742.661 0 0 0 1.349.392 0 460 86.738 693.929
i=5 1.591.416 0 0 0 0 124.774 0 512.589 -954.052
i=6 1.485.321 0 0 0 0 0 27.735 0 -1.457.586
i=7 954.849 0 0 0 0 0 0 1.370.345 415.496
Tabelle 14: Iteration 1 des „Add“
Der letzten Spalte der Tabelle lässt sich entnehmen, dass diese Nettoersparnis für
den Standort Shanghai (i=2) mit 7.755.210 EUR den höchsten Wert aufweist. Die
Menge I1 wird um den Standort erweitert, sodass nun gilt: I1={1,2}. Durch die
Nettoersparnis reduzieren sich die Gesamtkosten von 42.855.063 EUR (nach dem
Startschritt) um 7.755.210 EUR auf 35.099.853 EUR.
Eine weitere Verfahrensregel des Add-Algorithmus sieht für die Iterationen zusätzlich vor, dass alle potenziellen Standorte, die eine negative Nettoersparnis aufweisen, für die also die zusätzlich anfallenden Fixkosten die Einsparungen der Transportkosten übersteigen, als Standort endgültig „verboten“ werden. Diese Standorte
werden in die Menge I0 der endgültig verbotenen Standorte aufgenommen:415
Streiche alle i, für die gilt: ?=Jj 1 ?ij 0,1,...,1 IIohneIifi =?
Im Beispiel sind dies Barcelona und Melbourne mit negativen Werten in der Spalte
der Nettoersparnisse, sodass diese Standorte 5 und 6 gestrichen werden: I0={5,6}.
Die nachfolgende zweite Iteration der Heuristik berücksichtigt die verbleibenden
potenziellen Standorte, die nicht in die Menge der endgültig gewählten oder endgültig verbotenen Standorte aufgenommen wurden. Mit I1={1,2} und I0={5,6} verbleiben als potenzielle Standorte Bangkok, Nairobi und Panama (i=3, 4 und 7). Tabelle
15 stellt in der aus der ersten Iteration bekannten Form die Werte der Hilfsmatrix
mit Fixkosten, Transportkosteneinsparungen und Nettoersparnis dar. Bei der Ermittlung der Transportkostenersparnisse ist nun der Vergleich mit allen Standorten der
Menge I1 relevant: Ersparnisse werden in der Hilfsmatrix als positive Werte ausgewiesen, wenn ein Empfänger j von dem potenziellen Standort i kostengünstiger
beliefert werden kann als von allen endgültig gewählten Standorten der Menge I1.
Die Berechnung dieser Werte ?ij erfolgt ab der zweiten Iteration auf dem schnellsten
Wege, indem als Vergleichswerte die ?ij des in der vorherigen Iteration endgültig
gewählten Standortes (im Beispiel ?2j für Shanghai) zugrunde gelegt werden. So
415 Vgl. Domschke, Wolfgang / Drexl, Andreas (1996), S. 61-62.
156
entstehen die in der nachfolgenden Tabelle ausgewiesenen ?33=436.384 EUR aus
einem Vergleich der Transportkostenersparnisse aus der vorherigen Tabelle 14: Für
den in der letzten Iteration gewählten Standort Shanghai werden in Tabelle 14 ?23=312.048 EUR im Vergleich zu Abu Dhabi ausgewiesen, und für den nun betrachteten potenziellen Standort Bangkok beträgt der Vergleichswert ?33=748.432
EUR. Durch die Wahl des Standortes Bangkok hätte sich also eine um 436.384 EUR
höhere Transportkostenersparnis realisieren lassen, die in Tabelle 15 ausgewiesen
wird. Negative Einsparungen werden – wie bereits bekannt – als 0 EUR ausgewiesen. Die Verfahrensregeln ändern sich im Vergleich zur ersten Iteration nicht. Als
Ergebnis der zweiten Iteration wird demnach der Standort mit der höchsten Nettoersparnis – in diesem Fall Nairobi (i=4) – in die Menge I1={1,2,4} aufgenommen. Die
Menge der endgültig verbotenen Standorte wird um Standorte mit einer negativen
Nettoersparnis ergänzt, sodass Bangkok (i=3) nun Bestandteil dieser Menge
I0={3,5,6} ist. Durch die Auswahl Nairobis reduzieren sich die Gesamtkosten um
die Nettoersparnis in Höhe von 693.469 EUR auf 34.406.384 EUR.
fi
(EUR/
Jahr)
?ij ? 0
(EUR/Jahr)
?ij-fi
(EUR/
Jahr)
j=1 j=2 j=3 j=4 j=5 j=6 j=7
i=3 1.167.038 0 0 436.384 0 0 1.691 0 -728.963
i=4 742.661 0 0 0 1.349.392 0 0 86.738 693.469
i=7 954.849 0 0 0 0 0 0 1.370.345 415.496
Tabelle 15: Iteration 2 des „Add“
Für die dritte und abschließende Iteration verbleibt der potenzielle Standort Panama
(i=7). Die Werte der nachfolgenden Tabelle lassen sich mit den Erläuterungen zu
den Verfahrensregeln aus der zweiten Iteration des Add-Algorithmus nachvollziehen. Aufgrund der positiven Nettoersparnis wird Panama als Standort gewählt und
folglich in die Menge I1={1,2,4,7} aufgenommen. Die Gesamtkosten reduzieren
sich um weitere 328.758 EUR auf 34.077.626 EUR.
fi
(EUR/
Jahr)
?ij ? 0
(EUR/Jahr)
?ij-fi
(EUR/ Jahr)
j=1 j=2 j=3 j=4 j=5 j=6 j=7
i=7 954.849 0 0 0 0 0 0 1.283607 328.758
Tabelle 16: Iteration 3 des „Add“
Die Höhe der Gesamtkosten lässt sich auch aus der folgenden Ergebnistabelle zusammenstellen. Die Datengrundlage bildet Tabelle 12.
157
Als Zeilen werden die gewählten Standorte der Menge I1 in die Ergebnistabelle
aufgenommen. Für alle 4 Standorte fallen Fixkosten an, die sich aus den Werten der
letzten Spalte fi zu 4.031.587 addieren. Als Transportkosten cij wird für jede Spalte
die kostengünstigste Belieferung der Empfängergruppe j vorgesehen: Jedes Regionallager wird durch dasjenige errichtete Zentrallager beliefert, das die günstigsten
Transportkosten zu dieser Empfängergruppe aufweist. Die Summe der Transportkosten beträgt 30.046.039 EUR, sodass sich in der Summe aus Transport- und Lagerkosten die bekannten Gesamtkosten 34.077.626 EUR ermitteln lassen.
cij
(EUR/Jahr)
fi
(EUR/
Jahr)
Asien-Süd-
Mitte,
Asien-West
Asien-
Osten
Asien-
Süd-
Osten Afrika Europa
Australien
Amerika
j=1 j=2 j=3 j=4 j=5 j=6 j=7
V. Arab.
Emirate,
Abu Dhabi i=1 9.831.819 365.978 1.273.133
China,
Shanghai i=2 12.956.459 1.941.678 42.992 1.060.944
Kenia,
Nairobi i=4 3.914.684 742.661
Panama,
Panama i=7 992.429 954.849
Tabelle 17: Ergebnis der Standortplanung einer Hilfsorganisation
Mit Blick auf die in Abbildung 36 allgemein dargestellte Kostenstruktur von Distributionssystemen lassen sich die Kostenverläufe auch für das Beispiel der Zentrallagerauswahl durch die Hilfsorganisation darstellen (vgl. Abbildung 39). Der Add-
Algorithmus arbeitet schrittweise von links nach rechts (in jedem Schritt wird ein
Standort ausgewählt). Die Kostenverläufe zeigen in der Reihenfolge der ausgewählten Standorte Abu Dhabi, Shanghai, Nairobi und Panama, dass sich mit jedem gewählten Standort die Gesamtkosten reduzieren lassen, da mit der Wahl jedes Standortes die Transportkostenersparnisse höher sind als die zusätzlich anfallenden Fixkosten. Eine weitere Wahl der Standorte aus der Menge I0 würde zu einem nicht
erwünschten Anstieg der Gesamtkosten führen.
An mehreren Stellen des Berechnungsbeispiels wurde auf kritische Aspekte bezüglich des diskreten Modells, des Einsatzes einer Heuristik und des erforderlichen
Anpassungsbedarfs der Datengrundlage hingewiesen. Auch methodische Ergänzungen wurden benannt. Diese können die Berücksichtigung von Servicekriterien, methodische Anpassungen und Erweiterungen sowie den Einsatz weiterer Verbesserungsverfahren betreffen.
Abschließend sollen mit den Berechnungsergebnissen und der Darstellung in
Abbildung 39 aber auch die Einsatzpotenziale herausgestellt werden, die mit dem
158
Einsatz logistischer Modelle der betrieblichen Standortplanung verbunden sind. Die
Beispielrechnung verdeutlicht, dass durch den Einsatz des Add-Algorithmus nachvollziehbar und durch relativ einfache Berechnungsschritte eine kostengünstige
Lösung der Standortplanung generiert werden kann. Aufgrund der Einbindung der
Entfernungen in die Ermittlung der Transportkosten werden indirekt auch Servicekriterien in die Problemlösung eingebunden: Die Entfernung zwischen zwei Standorten wirkt sich gleichgerichtet auf Transportkosten und Lieferzeit aus. So lässt sich
erklären, dass mit der Wahl der Standorte Abu Dhabi, Shanghai, Nairobi und Panama in dem Berechnungsbeispiel auch aus Servicegesichtspunkten eine realistische
Lösung für die Wahl der Zentrallager gefunden wurde. Eine Ausweitung des Modelleinsatzes auf weitere Stufen in der Distributionsstruktur der Hilfsorganisationen
ist möglich und insbesondere auf der operativen Ebene zur Planung der Temporary
Collection Sites zu empfehlen.
0
5.000.000
10.000.000
15.000.000
20.000.000
25.000.000
30.000.000
35.000.000
40.000.000
45.000.000
Ab
u
D
ha
bi
Sh
an
gh
ai
N
ai
ro
bi
Pa
na
m
a
Ba
ng
ko
k
Ba
rc
el
on
a
M
el
bo
ur
ne
i=1 i=2 i=4 i=7 i=3 i=5 i=6
Lagerkosten
Transportkosten
Gesamtkosten
Abbildung 39: Kostenverläufe im Beispiel der Standortplanung (in EUR / Jahr)416
416 Eigene Darstellung, in Abwandlung der Abbildung 36.
159
4.2.3 Tourenplanung im internationalen Katastrophenmanagement
4.2.3.1 Grundlagen und Methodenvielfalt der Transport- und Tourenplanung
Die Erläuterungen zur Distributionsstruktur in Abschnitt 4.2.1 gelten für die Transport- und Tourenplanung gleichermaßen wie für die Standortplanung. Während in
der Standortplanung die zielbezogene Auswahl von Standorten für eine Distributionsstruktur auf einer oder mehreren vertikalen Stufen im Vordergrund stand, geht
die Transport- und Tourenplanung von gegebenen Standorten aus.
Die vertikale und horizontale Struktur des Distributionssystems in Abbildung 35 ist
mit Anzahl und Standorten der General Delivery Warehouses, der Quick Rotation
Warehouses und der Temporary Collection Sites gegeben, und auch die Standorte
der bedürftigen Menschen können – zumindest näherungsweise – bestimmt werden.
In dieser Struktur geht es nun darum, die Transportrelationen zwischen den gegebenen Standorten zielgerecht zu gestalten.
Gegenstand der mittelfristig ausgerichteten Transportplanung ist die Wahl der
Transportwege und Transportmittel.417 Einige Methoden der Transportplanung lassen sich der nachfolgenden Aufzählung entnehmen. Hierzu zählen418
? qualitativ begründete Verfahren zur Auswahl der Verkehrsträger (z. B. Nutzwertanalyse, Stärken-Schwächen-Analyse), ? Wirtschaftlichkeitsanalysen und Kostenvergleichsrechnungen zur Auswahl der
Verkehrsträger, ? Methodeneinsatz zur Wahl zwischen Eigenerstellung und Fremdbezug der
Transporte, ? Modelle des Transportmitteleinsatzes in Linienfahrplänen oder für die tägliche
Disposition sowie ? mathematische Modelle zur Netzwerkflusserhaltung in mehrstufigen Transportplanungen.
Die Tourenplanung stellt einen Spezialfall der Transportplanung und -steuerung dar.
Sie ist in der Regel kurzfristig ausgerichtet und hat die Aufgabe, kleinere Transportaufträge, die einzeln ein Fahrzeug bzw. Transportmittel nicht auslasten, zu Touren
417 Vgl. Gietz, Martin (2008), S. 137-138.
418 Vgl. Domschke, Wolfgang / Drexl, Andreas (2002), S. 74-86; Domschke, Wolfgang (2007),
S. 99-133; Ehrmann, Harald (2005), S. 485-490; Gietz, Martin (2008), S. 138-144; Fleischmann, Bernhard (2008b), S. 237-245; Günther, Hans-Otto und Tempelmeier, Horst (2003), S.
261-267. Ausführliche Beschreibungen der Verkehrsträger mit Vor- und Nachteilen sowie ihrer Eignung lassen sich z. B. Chopra, Sunil / Meindl, Peter (2004), S. 411-420; Schulte,
Christof (2005), S. 171-213; Vahrenkamp, Richard (2007), S. 251-327 sowie Wood, Donald
F. (2002), S. 89-244 entnehmen.
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References
Zusammenfassung
Im internationalen Katastrophenmanagement werden täglich Entscheidungen mit Logistikbezug getroffen. Die Autorin skizziert die Vielfalt der Entscheidungen durch die folgende Fragestellung: Welche Beschaffungskonzepte, Standorte, Touren, Informationssysteme und Konzepte der Zusammenarbeit sollen im Rahmen der Katastrophenvorsorge und -bewältigung realisiert werden?
Da die Entscheidungen in hohem Maße Qualität und Kosten der Versorgung betroffener Menschen beeinflussen, sollten diese nicht alleine aus dem Erfahrungswissen heraus getroffen, sondern durch logistische Planungsmethoden unterstützt werden.
Anwendungsbezogen und verständlich wird in dem Buch der Einsatz geeigneter Methoden (z. B. Standortplanung, Netzplantechnik) am Beispiel realer Katastrophen vermittelt. Konzepte des SCM und aktuelle Informationssysteme werden mit ihren Potenzialen und Grenzen für das internationale Katastrophenmanagement vorgestellt und unter Einsatz geeigneter Entscheidungskriterien exemplarisch bewertet.