81
Ein Beispiel aus dem Jahr 2008 stellt UNICEF Deutschland dar. Bereits Ende des
Jahres 2007 wurde bekannt, dass der damalige Geschäftsführer Dietrich Garlichs
(zurückgetreten am 8.2.2008) einen ehemaligen Abteilungsleiter nach seinem Ausscheiden als freien Mitarbeiter mit Managementaufgaben betraute; dieser verdiente
zwischen den Jahren 2005 und 2007 über eine Viertelmillion Euro.227 Nach dem
Rücktritt der Vorsitzenden Heide Simonis sind Berichte und Meldungen unter folgenden Überschriften erschienen:
„Unicef soll Gutachten geschönt haben“ (4.2.2008), „Die dubiosen Verträge von Unicef“
(5.2.2008), „Schlamperei beim Umgang mit Spendengeldern“ (25.2.2008), „Unicef verliert das
Spendensiegel“ (20.2.2008), „Schwere Vorwürfe gegen Deutsche Kinderhilfe“ (10.3.2008).228
Ein Zitat soll die Inhalte dieser Beitrage exemplarisch darstellen:
„Der deutsche Ableger des international agierenden UN-Kinderhilfswerks erlebt momentan
das, was für eine Nonprofit-Organisation den absoluten Supergau bedeutet: Dem Hilfswerk
der Vereinten Nationen wird Misswirtschaft, Verschwendung von Spendengeldern und horrende Vermittlungsprovisionen vorgeworfen. Statt hungernden Kindern in Afrika zu helfen,
sollen diejenigen, die Spenden eingetrieben haben, fürstlich entlohnt worden sein. Alleine von
den im Jahr 2006 gesammelten 97,3 Millionen Spendengeldern hätten angeblich 17,5 Millionen die Kinder nicht erreicht.“229
Die Meldungen sollen an dieser Stelle nicht weiter erläutert oder kommentiert werden, auch soll nicht diskutiert werden, welche der Vorwürfe zutreffend sind und
welche nicht.230 Wichtiger ist die Auswirkung auf die Kundengruppe der Geldgeber.
Die Nachrichten haben dazu geführt, dass UNICEF Deutschland bereits zum 6.
Februar 2008 5.000 Dauerspender verloren hat; noch im Februar steigt die Zahl nach
eigenen Angaben von UNICEF auf über 20.000 Dauerspender an. 231
3.2.5 Strategie und Zielorientierung
3.2.5.1 Visionen, Strategien und Ziele der Akteure
Visionen stellen die generelle Leitidee und demnach den Ursprung der Tätigkeit von
Unternehmen und der Akteure des Katastrophenmanagements dar.232 Als Leitidee
der Rotkreuzbewegung gelten beispielsweise seit der Begründung die Grundsätze
Menschlichkeit, Neutralität, Freiwilligkeit, Universalheit, Unparteilichkeit, Unabhängigkeit und Einheit sowie die damit in Verbindung stehende Mission:233
227 Vgl. www.zeit.de/2007/50/LS-Unicef.
228 Vgl. www.welt.de/politik, jeweils unter dem Stichwort UNICEF und dem angegebenen
Datum.
229 www.zeit.de/online/2008/06/unicef.
230 Eine ausführliche Stellungnahme gibt UNICEF unter www.unicef.de/transparenz.html.
231 Vgl. www.zeit.de/online/2008/06/unicef; www.unicef.de.
232 Vgl. Schulte, Christof (2005), S. 33.
233 Vgl. Deutsches Rotes Kreuz (Hrsg.) (2006), S. Deckblatt Innenseite. Vgl. auch zur historischen Entwicklung der Grundsätze Treptow, Rainer (2007), S. 18.
82
„The International Federation’s mission is to improve the lives of vulnerable people by mobilizing the power of humanity. The most vulnerable people are those who are at the greatest risk
from situations that threaten their survival or their capacity to live with an acceptable level of
social and economic security and human dignity.”234
Während andere Hilfsorganisationen ihre Visionen und Leitbilder in ähnlicher Weise formulieren, weichen die Visionen anderer Akteure der humanitären Wertschöpfungskette von dieser Formulierung ab. So können auch politisch und betriebswirtschaftlich ausgerichtete Visionen (z. B. der Logistikdienstleister) in der Wertschöpfungskette vertreten sein. Dieser übergeordnete Bezugsrahmen der Visionen,
Missionen und Leitbilder stellt die Grundlage der strategischen Planung – und demnach auch den Rahmen für die Entwicklung der Logistikstrategie – dar.235 Strategien zielen darauf ab, Wettbewerbsvorteile zu erreichen bzw. vorhandene Wettbewerbsvorteile zu erhalten und damit die Überlebensfähigkeit des Unternehmens oder
der Organisation dauerhaft zu sichern. Bei der Formulierung der Unternehmensstrategien und der daraus abgeleiteten Ziele gilt es, den bestehenden bzw. potenziellen
Wettbewerb (in der Form des stärksten Wettbewerbers) sowie die (Ziel-) Kunden zu
berücksichtigen.236 Als Bezugsrahmen für eine konsequente wettbewerbs- und kundenorientierte Ausrichtung der Akteure des Katastrophenmanagements eignet sich
das strategische Dreieck nach Ohmae mit den Eckpunkten Kunden, stärkster Wettbewerber und eigene Organisation als Anbieter der Leistung.237
Wahrgenommene
Leistungsfähigkeit
(Kosten-/
Nutzenprofil)
Kunden
(Spender /
Zuwendungsgeber)
Problemlösung der
eigenen
Hilfsorganisation ? Katastrophenvorsorge ? Katastrophenbewältigung
Wahrgenommene
Leistungsfähigkeit
(Kosten-/
Nutzenprofil)
Problemlösung des
stärksten
Wettbewerbers ? Katastrophenvorsorge ? Katastrophenbewältigung
Abbildung 21: Strategisches Dreieck einer Hilfsorganisation238
234 IFRC (Hrsg.) (2006), Deckblatt Innenseite.
235 Vgl. Schulte, Christof (2005), S. 34.
236 Vgl. Isermann, Heinz (2008), S. 876; Porter, Michael E. (2004), S. 17, 23; Schulte, Christof
(2005), S. 26-27.
237 Vgl. Isermann, Heinz (2008), S. 876; Ohmae, Kenichi (1982); Schulte, Christof (2005), S. 27.
238 Eigene Darstellung, in Anlehnung an Isermann, Heinz (2008), S. 876; Ohmae, Kenichi
(1982); Schulte, Christof (2005), S. 27.
83
Der (potenzielle) Kunde bewertet die angebotene Leistung nach dem Kosten-/ Nutzenverhältnis und wählt bei mehreren Angeboten denjenigen Anbieter aus, der in
seiner Wahrnehmung das attraktivere Kosten-/ Nutzenverhältnis aufweist.239 In der
Wertschöpfungskette des Katastrophenmanagements ist zwischen unterschiedlichen
Kunden und Wettbewerbern zu unterscheiden, je nachdem welche Stufe der Wertschöpfungskette betrachtet wird:
? Für Hilfsorganisationen stellen andere Hilfsorganisationen (NGOs und IGOs)
direkte Wettbewerber dar. Bei den Kunden handelt es sich um Spender und
Zuwendungsgeber. Diese beurteilen den Nutzen durch die Leistungsfähigkeit
der Hilfsorganisationen in Bezug auf die (potenziell) betroffene Bevölkerung
als „Endkunden“ der Wertschöpfungskette. Hierzu zählen unter anderem auch
die Ausprägungen logistikspezifischer Merkmale, wie Reaktionsschnelligkeit,
Versorgungsfähigkeit und Informationsfähigkeit sowie die Höhe der Logistikkosten. Gelder erhalten diejenigen Organisationen, die in der Wahrnehmung
(potenzieller) Mittelgeber in Bezug auf wichtige Leistungsmerkmale mittel- bis
langfristig ein höheres Niveau aufweisen (z. B. Rettung vieler Menschenleben,
zeitnahe Versorgung der betroffenen Bevölkerung mit Hilfsgütern, keine Verschwendung von Spendengeldern). ? Für Unternehmen, die in der der Wertschöpfungskette Leistungen erstellen,
beispielsweise Logistikdienstleister, Produzenten und Lieferanten, stellen andere Akteure der Supply Chain Kunden dar.
Wahrgenommene
logistische
Leistungsfähigkeit
(Kosten-/ Nutzen)
Kunden:
Hilfsorganisationen
Problemlösung
Logistikdienstleister
? Lagerung ? Kommissionierung
im (potenziellen)
Katastrophengebiet
Wahrgenommene
logistische
Leistungsfähigkeit
(Kosten-/ Nutzen)
Problemlösung des
stärksten
Wettbewerbers ? Lagerung ? Kommissionierung
im (potenziellen)
Katastrophengebiet
Abbildung 22: Strategisches Dreieck eines Logistikdienstleisters240
Wird z. B. eine Beziehung zwischen Logistikdienstleister und Hilfsorganisation
betrachtet, bilden Hilfsorganisationen die Kunden der logistischen Leistungser-
239 Vgl. Isermann, Heinz (2008), S. 876.
240 Eigene Darstellung, in Anlehnung an Isermann, Heinz (2008), S. 876; Ohmae, Kenichi
(1982); Schulte, Christof (2005), S. 27.
84
stellung. Diese beurteilen das angebotene Kosten-Nutzen-Verhältnis unterschiedlicher Logistikdienstleister und beauftragen denjenigen Logistikdienstleister mit der attraktivsten Relation aus beiden Größen
? Kosten, z. B. für Lagerung, Transport und Kommissionierung und ? Nutzen, beispielsweise in Form der Lieferzeit und Lieferzuverlässigkeit
sowie einer hohen Produktqualität.
Die Wettbewerbsstrategie ist auf der Ebene der Geschäftsfelder zu gestalten. Porter
unterscheidet zwischen den folgenden Grundstrategien:241
? Kostenführerschaft (Overall Cost Leadership): Die Strategie der Kostenführerschaft zielt darauf ab, das eigene Kostenniveau unter dem der wichtigsten Wettbewerber zu halten. In der Gestaltung des Kosten-/ Nutzenprofils stehen geringe
Kosten im Vordergrund; das Nutzenprofil muss für die Zielkunden noch akzeptabel sein. ? Differenzierung (Differentiation): Bei der Differenzierungsstrategie wird angestrebt, sich durch spezifische Leistungsmerkmale, wie einer hohen Qualität und
/ oder einen hervorragenden Service von den Wettbewerbern abzuheben. In der
Gestaltung des Kosten-/ Nutzenprofils steht der Nutzen im Vordergrund; die
Kostenstruktur muss für die Zielkunden noch akzeptabel sein. ? Konzentration (Focus): Die Konzentrationsstrategie ist auf Marktnischen ausgerichtet. Im Falle dieser Strategie konzentriert sich ein Unternehmen / eine Organisation auf kleine Marktsegmente bzw. spezifische Abnehmergruppen.
International aufgestellte Hilfsorganisationen verfolgen im Geschäftsfeld des Katastrophenmanagements i. d. R. die Strategie der Differenzierung. So formuliert beispielsweise das IFRC als Hilfsorganisation auf der Grundlage der übergreifenden
Vision und Mission strategische Stoßrichtungen für mehrere Geschäftsfelder.242 In
Bezug auf das Geschäftsfeld des Katastrophenmanagements wird die strategische
Ausrichtung in zwei Unternehmensziele unterteilt: Die Katastrophenvorsorge sorgt
für den Aufbau lokaler und übergreifender Kapazitäten, um auf plötzliche Gefahrensituationen vorbereitet zu sein, und die Katastrophenbewältigung verfolgt als oberste
Zielsetzung, die Anzahl an Todesopfern, Verletzungen und Erkrankungen zu reduzieren.243 Wettbewerbsvorteile werden entsprechend der Differenzierungsstrategie
durch Qualität und Service in der Katastrophenvorsorge und -bewältigung aufgebaut. Dabei zeichnet sich die internationale Rotkreuz- und Rothalbmondbewegung
durch eine internationale Präsenz in Kombination mit regionaler Kompetenz vor Ort
aus.
241 Vgl. Porter, Michael E. (2004), S. 35-41; vgl. ergänzend auch Pfohl, Hans-Christian (2004b),
S. 88-90; Schulte, Christof (2005), S. 38-39.
242 Vgl. hierzu ausführliche Erläuterungen zur Strategie 2010 in IFRC (Hrsg.) (2005), insbesondere S. 12-24.
243 Vgl. IFRC (Hrsg.) (2006), S. 9, 15, 19; IFRC (Hrsg.) (2008), Deckblatt Innenseite
85
Andere Hilfsorganisationen stellen in ihrer Differenzierungsstrategie, die sich ebenfalls auf Qualität und Service im Katastrophenmanagement richtet, andere Leistungsmerkmale (z. B. die logistische Leistungsfähigkeit) oder die Ausrichtung auf
besondere Zielgruppen in den Vordergrund. Beispielsweise richtet sich UNICEF
insbesondere an Kinder (und Mütter) als Teil der betroffenen Bevölkerung.244 Die
Diakonie Katastrophenhilfe richtet sich bei der Kundengruppe der Mittelgeber insbesondere an gläubige Christen:
„Orientiert am christlichen Menschenbild und aus der Gesamtverantwortung für Gottes Schöpfung leistet sie [die Diakonie Katastrophenhilfe, Anm. d. Verf.] gemeinsam mit der weltweiten
Christenheit bedingungslos humanitäre Nothilfe, unabhängig von der politischen, religiösen
und kulturellen Zugehörigkeit der Betroffenen.“245
Die Anzahl der Zielkunden („Endkunden“ und „Mittelgeber“) der Organisationen
UNICEF und Diakonie Katastrophenhilfe ist so groß, dass es sich nicht um eine
Nische im Sinne der Konzentrationsstrategie handelt. Eine Konzentrationsstrategie
verfolgen kleine regional ausgerichtete Hilfsorganisationen im Rahmen der Katastrophenhilfe.
Andere Akteure der Wertschöpfungskette des Katastrophenmanagements, insbesondere Lieferanten, Produzenten und Logistikdienstleister, verfolgen gegebenenfalls
die Strategie der Kostenführerschaft. Die Wettbewerbsfähigkeit der Hilfsorganisationen als Differenzierer wird über die eigene Leistungserstellung hinaus auch durch
die Auswahl der Wertschöpfungspartner bestimmt. „Wettbewerbliche Überlegenheit
setzt voraus, dass die Wertschöpfungskette insgesamt nachhaltige Wettbewerbsvorteile gegenüber konkurrierenden Wertschöpfungsketten erzielt und behaupten
kann.“246 In der Gestaltung der Zusammenarbeit zwischen den Akteuren des Katastrophenmanagements, die jeweils unterschiedliche Strategien und daraus abgeleitete Ziele verfolgen, stellt folglich die Koordination – im Sinne einer zielgerichteten
Abstimmung – ein wettbewerbsentscheidendes Gestaltungsfeld dar.
Ein Unternehmen, das die Strategie der Kostenführerschaft verfolgt, kann ein geeigneter Wertschöpfungspartner sein, wenn sichergestellt wird, dass Qualität und Service in der Wahrnehmung der Mittelgeber und im Nutzen für die betroffene Bevölkerung ein akzeptables Niveau annehmen. Ein Pharmaunternehmen als Kostenführer
kann demnach ein geeigneter Lieferant in der Wertschöpfungskette des Katastrophenmanagements sein, wenn die Qualität der Impfstoffe und Medikamente akzeptabel ist (z. B. in Bezug auf die Wirkung, die Verträglichkeit / Nebenwirkungen, die
Haltbarkeit). In Verträgen lässt sich dieses akzeptable Qualitäts- und Serviceniveau
dokumentieren und bei Abweichungen sanktionieren. Ungeeignet ist ein (potenzieller) Wertschöpfungspartner, der die Strategie der Kostenführerschaft verfolgt, wenn
das Qualitätsniveau nicht mehr akzeptabel ist. Ein Beispiel stellt die Lieferung von
244 Vgl. www.unicef.org.
245 Diakonisches Werk (Hrsg.) (2006), S. 25.
246 Isermann, Heinz (2008), S. 876.
86
überschüssigem deutschem Rindfleisch nach Nordkorea im Zuge der BSE-Krise
dar,247 dessen Qualität und Frische nicht in allen Fällen gewährleistet war.
In Abhängigkeit von der gewählten Grundstrategie einzelner Akteure oder einer
Wertschöpfungskette ergeben sich unterschiedliche Anforderungen an die übergreifenden Ziele der Organisation sowie die daraus abgeleiteten Ziele der Funktionsbereiche. Auch die Logistikstrategie und die logistische Zielsetzung sind aus der gewählten Grundstrategie abzuleiten und mit dieser in Abstimmung zu bringen.248 Die
Inhalte des nachfolgenden Abschnitts richten sich – unter Berücksichtigung des
strategischen Rahmens – speziell auf die logistischen Ziele der Akteure im Katastrophenmanagement.
3.2.5.2 Logistikziele der Akteure im Katastrophenmanagement
Logistik leistet einen wesentlichen Beitrag zur Generierung von Wettbewerbsvorteilen für Akteure im Katastrophenmanagement.249 Die logistische Leistungsfähigkeit
einer Hilfsorganisation kann zur Differenzierung und damit zu Wettbewerbsvorteilen gegenüber den direkten Wettbewerbern führen.250 Das Kosten- / Nutzenprofil der
logistischen Leistungserstellung richten sich dabei auf die aus Abschnitt 3.1.2 bekannten Zielgrößen der Logistik
? Logistikservice (z. B. zeitnahe und zuverlässige Versorgung der betroffenen
Bevölkerung, Flexibilität in Bezug auf die Rahmenbedingungen, wie zerstörte
Infrastruktur und politische Rahmenbedingungen, Informationsbereitschaft und
-fähigkeit) und ? Logistikkosten (z. B. Kosten für die Errichtung der logistischen Leistungsbereitschaft, Personalkosten, Kapitalbindungskosten).251
Das Gesamtbudget der Akteure im Katastrophenmanagement, insbesondere der
Hilfsorganisationen, ist i. d. R. durch die privaten Spendengelder und weiteren Zuwendungen (z. B. durch einen Staat oder Staatengemeinschaften) begrenzt. Diese
Gelder werden auf unterschiedliche Bereiche aufgeteilt, so z. B. Katastrophenvorsorge und Katastrophenbewältigung, unterschiedliche (potenzielle) Katastrophengebiete sowie logistische und nicht-logistische Aufgaben. Damit steht für die logistische Leistungserstellung für ein bestimmtes Projekt der Vorsorge oder Bewältigung
i. d. R. ein Budget zur Verfügung. Angaben über die Herkunft und projekt- sowie
247 Vgl. Lieser, Jürgen (2007), S. 50.
248 Vgl. Schulte, Christof (2005), S. 39.
249 “As such, logistics is central to their activities and strategic to their mission.” Thomas, Anisya
(2003), S. 1.
250 „…compete against other aid agencies based on a competetive advantage in logistics.“ Thomas, Anisya / Kopczak, Laura (2005), S. 11.
251 Vgl. z. B. Bowersox, Donald J. / Closs, David J. / Cooper, Bixby M. (2007), S. 312; Schulte,
Christof (2005), S. 6-9.
87
funktionenbezogene Verwendung der Gelder enthalten unter anderem die Jahresberichte der Hilfsorganisationen.252 So weist das Deutsche Rote Kreuz in seinem Jahrbuch Spendengelder für die in diesem Buch als Beispiele herangezogenen Katastrophen Spendengelder in folgender Höhe aus:253
? USA, Hurrikane Katrina: 3.167 Tsd. EUR im Jahr 2005 und 29 Tsd. EUR im
Jahr 2006 ? Asien, Tsunami: 120.673 Tsd. EUR im Jahr 2005 und 3.902 Tsd. EUR im Jahr
2006 ? Asien, Erdbeben Pakistan: 14.386 Tsd. EUR im Jahr 2005 und 1.463 Tsd. EUR
im Jahr 2006.
Hohe Zielerreichungsgrade in Bezug auf Logistikservice und Logistikkosten können
dazu beitragen, sich von den direkten Wettbewerbern zu differenzieren und so weitere Spenden für die zukünftige Leistungserstellung im Katastrophenmanagement zu
erhalten:
„The logistics community and the aid sector must find ways to paint a picture for donors and
the public demonstrating how timeliness and cost-effectiveness of relief delivering is improving over time, insuring that donations are well-spend.“254
Auch Zuwendungen – im Falle des Deutschen Roten Kreuzes insbesondere durch
das Auswärtige Amt und die EU als wichtigste Zuwendungsgeber – sind in den
meisten Fällen zweckgebunden. Die Zuwendungen sind erforderlich, damit auch
solche Regionen im Rahmen der Katastrophenhilfe unterstützt werden, die weniger
Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit erfahren, so beispielsweise eine Vielzahl der
Katastrophen in Afrika.255
Übergreifend werden durch das IFRC für die Jahre 2008 und 2009 ebenfalls bereits
Budgets für regionale und zielbezogene globale Programme ausgewiesen.256 Auch
Logistikbudgets werden für diese Jahre bereits ausgewiesen; das Logistikbudget im
globalen Programm „Katastrophenmanagement“ beträgt im Jahr 2008 beispielsweise 3.832 Tsd. SFR (2.629 Tsd. SFR im Jahr 2009). Insgesamt umfasst das Programm
36.082 Tsd. SFR im Jahr 2008 (und 38.048 Tsd. SFR im Jahr 2009).257
252 Vgl. Angaben hierzu z. B. in Ärzte ohne Grenzen (Hrsg.) (2006), S. 12-36; S. 36 enthält
einen zukunftsbezogenen Prognosebericht für Projektfinanzierungen im Jahr 2007; Deutsches
Rotes Kreuz (Hrsg.) (2007).
253 Vgl. Deutsches Rotes Kreuz (Hrsg.) (2007), S. 21. Insgesamt beträgt der Umfang der Spenden für DRK-Einsätze im Ausland im Jahr 2006 35.972 Tsd. EUR.
254 Thomas, Anisya / Kopczak, Laura (2005), S. 11.
255 Vgl. Deutsches Rotes Kreuz (Hrsg.) (2007), S. 20, 22.
256 Vgl. IFRC (Hrsg.) (2008), S. 60. Erläuterungen zu den regionenbezogenen Programmen
erfolgen auf S. 61-74; insgesamt basieren die Planungen auf einem Budget in Höhe von
325.975 Tsd. SFR im Jahr 2008 und 326.182 Tsd. SFR im Jahr 2009.
257 Vgl. IFRC (Hrsg.) (2008), S. 77. Weitere Positionen weisen einen Logistikbezug auf, so
beispielsweise die Koordination, die Planung und Vorsorge, die Risikobewältigung sowie
EDV-Tools.
88
Unter den dargestellten Bedingungen gegebener Projektbudgets – und damit häufig
auch Logistikbudgets – lautet eine realitätsnahe Zielformulierung für Logistik im
Katastrophenmanagement: ? Maximierung des Logistikservice unter Einsatz des zur Verfügung stehenden
Logistikbudgets.258
Das zur Verfügung stehende Logistikbudget ist gemäß dieser Zielformulierung so
einzusetzen, dass ein möglichst hoher Logistikservice realisiert wird. In der Charakterisierung der logistischen Aufgabenstellung durch die 7r bedeutet dies:259
? die richtigen Hilfsgüter und Dienstleistungen sollen ? in der richtigen Menge ? der richtigen Qualität ? am Ort der (potenziellen) Katastrophe ? zur richtigen Zeit ? zu dem zur Verfügung stehenden Logistikbudget ? für die (potenziell) betroffene Bevölkerung
zur Verfügung gestellt werden.
Beispiele aus der Vergangenheit verdeutlichen Abweichungen von den „7r“. „Jahrelang lagerten in Mazedonien und Albanien Tonnen unbrauchbarer Hilfsgüter – das
Ergebnis wohlmeinender, aber unbedachter spontaner Hilfsaktionen während des
Kosovo-Krieges von 1999.“260 Dieses Beispiel setzt ebenso wie das Beispiel über
einen „spektakulären, aber nicht notwendigen deutschen Hubschraubereinsatz beim
Hochwasser in Mosambik“261 bereits an den „falschen“ Hilfsgütern bzw. Dienstleistungen an. Die Kombination aus richtigem Ort, richtiger Zeit und richtigem Kunden“ wurde auch durch humanitäre Sofortmaßnahmen nach dem Hurrikane Katrina
nicht umgesetzt. Zunächst hätten als „richtige“ Kunden diejenigen mit dem größten
Bedarf, nämlich die nicht evakuierten, am richtigen Ort, nämlich im Zentrum des
Katastrophengebietes, versorgt werden müssen. Erste Hilfsaktionen der Katastrophenbewältigung richteten sich aber in höherem Ausmaß an die evakuierte Bevölkerung mit einem geringeren Bedarf und erst zu einem späteren Zeitpunkt an die nicht
evakuierte Bevölkerung.262 Die empirischen Erhebungen des Fritz Institute nach
dem Hurrikane Katrina, dem Tsunami in Asien und dem Erdbeben in Pakistan dokumentieren, dass bei allen drei Katastrophen der Bedarf an Hilfsgütern und Hilfeleistungen in unterschiedlichem Ausmaß nicht gedeckt werden konnte.263 Besonders
258 Zur Ableitung von Logistikstrategien und -zielen aus den Grundstrategien Kostenführerschaft
und Differenzierung vgl. auch Bowersox, Donald J. / Closs, David J. / Cooper, Bixby M.
(2007), S. 312; Schulte, Christof (2005), S. 39.
259 Vgl. auch Erläuterungen zur Zielsetzung der Logistik und zu den 7r in Abschnitt 3.1.2.
260 Lieser, Jürgen (2007), S. 50.
261 Lieser, Jürgen (2007), S. 50.
262 Vgl. Fritz Institute (Hrsg.) (2006), S. 5.
263 Vgl. Bliss, Desiree / Larsen, Lynnette (2006); Fritz Institute (Hrsg.) (2006), S. 5; Thomas,
Anisya / Ramalingam, Vimala (2005).
89
gravierend zeigt sich dies nach dem Erdbeben in Pakistan. Die erfassten Daten dokumentieren, dass zu wenige Hilfsgüter – teilweise schlechter Qualität, so z. B.
keine wetterbeständigen Zelte – zu langsam und zudem ungerecht unter der betroffenen Bevölkerung verteilt wurden. Zusammenfassend gaben 56% der befragten
betroffenen Menschen die Einschätzung ab, dass das Distributionssystem übergreifend nicht akzeptabel funktionierte.264 Zusammenfassend wurde auch nach 10 Monaten noch festgestellt:
„Humanitarian Assistance was Inadequate Relative to Need. Ten Month Later, Large Numbers
of the Earthquake-Affected Report Having Acute Needs for Basic Assistance.“265
Zur Gestaltung der 7r zählt nicht nur die „richtige“ Katastrophenbewältigung sondern auch die „richtige“ Katastrophenvorsorge; aus diesem Grund enthält die Formulierung der 7r an zwei Stellen den Zusatz „potenziell“. Der Ausbau der logistischen Leistungsbereitschaft des IFRC im Zuge der Umstrukturierung des Supply
Chain Management im Jahr 2006 zählt zu solchen Maßnahmen der Katastrophenvorsorge. Im Rahmen des zur Verfügung gestellten Logistikbudget wurden zusätzlich zu der bereits in Panama bestehenden „Regional Logistics Unit“ zwei weitere
Einheiten in Kuala Lumpur und Dubai aufgebaut. Auf Basis empirischer Daten wird
der zu erwartende Bedarf an Hilfsgütern in der jeweiligen Region ermittelt. Dieser
voraussichtliche Bedarf wird in den Regional Logistics Units vorgehalten, um –
entsprechend einer Erfüllung der 7r – zeitnah auf einen tatsächlichen Bedarf reagieren zu können.266 Die Verbesserung der logistischen Zielgrößen in der Supply Chain
ist messbar: Durch die Vorhaltung der Hilfsgüter in den Regional Logistics Unit
konnte die Durchlaufzeit der Wertschöpfungskette bei gleichzeitiger Kostenreduzierung beschleunigt werden. Im Vergleich der Leistungserstellung nach dem Erdbeben
in Indonesien im Mai des Jahres 2006 mit der Leistungserstellung nach dem Erdbeben in Pakistan im Jahr 2005 und dem Tsunami in Asien im Jahr 2004 lässt sich eine
Verkürzung der Durchlaufzeit um den Faktor drei bzw. sechs feststellen. Gleichzeitig sind die Logistikkosten in der Wertschöpfungskette der Katastrophenbewältigung
gesunken.267 Einsparungen in den Logistikkosten lassen sich für andere wertschöpfende Tätigkeiten des Katastrophenmanagements einsetzen und tragen somit ggf. zu
einer weiteren Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit bei. Trotz dieser gravierenden Erhöhung logistischer Zielerreichungsgrade besteht ein bislang ungenutztes
Potenzial, die logistische Leistungserstellung weiter zu verbessern. Dieses lässt sich
ebenfalls durch Daten über die logistische Leistungserstellung nach dem Erdbeben
in Indonesien aus dem Jahr 2006 erahnen: Etwa 75% der benötigten Güter waren
innerhalb von 8 Wochen nach dem Ereignis für die weitere Verteilung verfügbar.
Der folgende Abschnitt ist messbaren Kennzahlen für die logistische Leistungserstellung im Katastrophenmanagement gewidmet. Sowohl Entscheidungskriterien für
264 Vgl. Bliss, Desiree / Larsen, Lynnette (2006), S. 6-7.
265 Bliss, Desiree / Larsen, Lynnette (2006), S. 6.
266 Vgl. IFRC (Hrsg.) (2006), S. 10-11.
267 Vgl. IFRC (Hrsg.) (2006), S. 10-11
90
die Gestaltung der Logistik im Katastrophenmanagement als auch entsprechende
Kennzahlen sind zielorientiert – und demnach unter Berücksichtigung der Vision,
Strategie und (Logistik-) Ziele – zu bilden.
3.2.5.3 Ableitung von Entscheidungskriterien und zielorientierter Kennzahlen
Mit der Kenntnis übergreifender Unternehmensstrategien und -ziele sowie des logistischen Zielsystems lassen sich Entscheidungskriterien für die Gestaltung logistischer Systeme und Wertschöpfungsketten im Katastrophenmanagement ableiten. Zu
den Entscheidungskriterien, die sich direkt aus dem logistischen Zielsystem ableiten
lassen zählen268
? servicebezogene Kriterien (siehe Zielsetzung: Maximierung des Logistikservice) und ? kosten- bzw. budgetbezogene Kriterien (siehe Zielsetzung: unter Einsatz des zur
Verfügung stehenden Logistikbudgets).
Zusätzlich sind mit Blick auf das Supply Chain Management ? integrationsbezogene Kriterien und ? marktbezogene Kriterien
als Entscheidungskriterien zu berücksichtigen.
Die servicebezogenen Entscheidungskriterien spezifizieren Anforderungen an die
Qualität der (Logistik-) Leistung. Es handelt sich hierbei um mehrere Entscheidungskriterien, die sich durch die Angabe von Merkmalen und Merkmalsausprägungen beschreiben lassen. Zu wichtigen servicebezogenen Entscheidungskriterien im
Katastrophenmanagement zählen269
? Zeitliche Merkmale (z. B. Zeitdauer bis zur Versorgung von 80% bedürftiger
Menschen eines Katastrophengebietes mit Notfallkits), ? Flexibilitätsmerkmale im Sinne der Fähigkeit, auf veränderte Anforderungen an
die Logistikleistung schnell zu reagieren (z. B. Fähigkeit zum zeitnahen Aufbau
der logistischen Infrastruktur, Fähigkeit zum Einsatz alternativer Transportmittel / zur Generierung alternativer Routen bei zerstörten Straßen), ? Zuverlässigkeitsmerkmale (z. B. welcher Anteil der Hilfsgüter kommt innerhalb
der geplanten Zeitdauer in der vorgesehenen Menge unbeschädigt bei den bedürftigen Menschen an). Begrifflich lassen sich Unterscheidungen zwischen der
zeitlichen Zuverlässigkeit (Liefertreue, Termintreue) und der qualitativen Zuverlässigkeit (Lieferungsbeschaffenheit) vornehmen.
268 Vgl. Bölsche, Dorit (2008).
269 Vgl. z. B. Bölsche, Dorit (2008), S. 973; Christopher, Martin (2005), S. 48-50; Pfohl, Hans-
Christian (2004b), S. 104-106; Schulte, Christof (2005), S. 7-8.
91
? Räumliche Merkmale und Merkmale der physischen Verfügbarkeit (z. B. Verfügbarkeit von Transportmitteln, Lagerbeständen oder Personal in einem bestimmten Katastrophengebiet), ? Merkmale zur Informationsfähigkeit (z. B. Fähigkeit, Partner in der Wertschöpfungskette sowie Geldgeber aus Katastrophengebieten heraus zeitnah mit relevanten Informationen zu versorgen).
Marktbezogene Kriterien richten sich auf erschließbare Marktpotenziale und damit
im Katastrophenmanagement auf (potenzielle) Spender und Zuwendungsgeber.270
Die Gestaltung der marktbezogenen Kriterien determiniert das zur Verfügung stehende Budget.
Die budgetbezogenen Entscheidungskriterien richten sich auf die Ableitung des
Logistikbudgets aus dem Gesamtbudget des Katastrophenmanagements. Kostenbezogene Entscheidungskriterien bewegen sich im Rahmen dieses gegebenen Logistikbudgets. Zu den wichtigen Kostenblöcken zählen die Lager-, Transport- und
Handlingskosten sowie die Steuerungs- und Systemkosten.271 Die Höhe der Logistikkosten lässt sich durch die Gestaltung logistischer Systeme und Entscheidungen –
z. B. über Eigenerstellung und Fremdbezug logistischer Leistungen – beeinflussen.272 Eine Vielzahl der in den nachfolgenden Kapiteln vorgestellten Methoden und
Konzepte der Logistik und des SCM ist auf die Reduzierung der Logistikkosten
gerichtet.
Zu berücksichtigen sind Wechselwirkungen zwischen den service-, markt- und
budget- bzw. kostenbezogenen Kriterien.
Auf eine der Wechselwirkungen weist die folgenden Aussage hin: „Donors are becoming increasingly demanding with respect to performance and impact.”273 Diese
Aussage deutet an, dass sich die Erfüllung der logistischen Qualitätsforderungen der
(potenziellen) Geldgeber auf das zukünftig zur Verfügung stehende Budget für das
Katastrophenmanagement auswirken kann. Je höher die Erfüllung der logistischen
Qualitätsforderungen „Kunden“ desto höher ist tendenziell das zukünftige Budget.
Ein höheres Logistikbudget lässt sich wiederum zur Erhöhung der Merkmalsausprägungen servicebezogener Kriterien einsetzen.
Im Rahmen der formulierten Zielsetzung „Maximierung des Logistikservice unter
Einsatz des zur Verfügung stehenden Logistikbudgets“ ergibt sich eine weitere
Wechselwirkung, die auch die Logistikkosten betrifft. Wenn es gelingt, die Logistikkosten für die Erbringung der logistischen Serviceleistungen im Katastrophenmanagement zu reduzieren, so stehen aus dem gegebenen Budget weitere Gelder zur
Verfügung. Diese lassen sich einsetzen, um die logistischen Qualitätsforderungen in
270 Vgl. Bölsche, Dorit (2008), S. 974.
271 Vgl. z. B. Schulte, Christoph (2005), S. 8-9.
272 Vgl. Bölsche, Dorit (2008), S. 972-973.
273 Thomas, Anisya / Kopczak, Laura (2005), S. 4.
92
Bezug auf die servicebezogenen Kriterien weiter zu erhöhen. So lässt sich z. B. eine
schnellere Versorgung der betroffenen Bevölkerung realisieren oder ein höherer
Anteil betroffener Menschen kann versorgt werden.
Eine weitere Wechselwirkung lässt sich durch den Begriff der Fehlerfolgekosten
beschreiben. Fehler im logistischen System drücken sich in geringeren Erfüllungsgraden der servicebezogenen Kriterien aus und erhöhen in vielen Fällen gleichzeitig
die Logistikkosten. Fehler in der Kommissionierung der Notfallkits, die mehrere
Hilfsgüter beinhalten, wirken sich zum einen auf die Lieferzuverlässigkeit aus, da
sich die Merkmalsausprägungen im Logistikservice verringern. Zum anderen steigen
die Logistikkosten, da eine erneute Kommissionierung und Auslieferung der Hilfsgüter mit zusätzlichen Kosten verbunden ist.
Die integrationsbezogenen Kriterien setzen an der vertikalen Verkettung der Prozesse in der unternehmensübergreifenden Wertschöpfungskette an. Über den Austausch von relevanten Informationen hinaus ist eine Koordination zwischen den
Akteuren der Wertschöpfungskette im Katastrophenmanagement unter besonderer
Berücksichtigung möglicher Zielkonflikte erforderlich. Durch den Einsatz geeigneter physischer und informatorischer Standards entlang der Supply Chain, wie standardisierte Behälter und standardisierter elektronischer Geschäftsdatenaustausch,
lässt sich der Abstimmungsaufwand gegebenenfalls reduzieren. Integrationsbezogene Kriterien wirken sich an den Schnittstellen zwischen den Wertschöpfungsstufen
sowohl auf den Logistikservice als auch auf die Logistikkosten aus und beeinflussen
demnach die Merkmalsausprägungen der logistischen Zielgrößen.274
Durch die Bildung und Erfassung zielgerichteter logistischer Kennzahlen lässt sich
messen, welche Zielerreichungsgrade die servicebezogenen, budget- und kostenbezogenen, integrationsbezogenen und marktbezogenen Entscheidungskriterien im
Katastrophenmanagement aufweisen.275 In diesem Grundlagenkapitel werden einleitend einige Beispiele mit Bezug zu den aus den vorherigen Abschnitten bekannten
Katastrophenfällen benannt.
? Hurrikane Katrina (2005):276 ? Kennzahlen zur zeitlichen und räumlichen Verfügbarkeit dokumentieren
signifikante Unterschiede der Versorgungszeiten bedürftiger Menschen in
unterschiedlichen Regionen. Für die ersten 48 Stunden nach dem Ereignis
wird angegeben, dass 40% der nicht evakuierten Menschen eine Hilfeleistung von außen erhielten (50% in Alabama, 42% in Mississippi und nur
32% in Louisiana). ? Diese Kennzahlen stehen in enger Verbindung zur den Zuverlässigkeitskennzahlen: Eine Woche nach dem Hurrikane geben immer noch 26% der
274 Vgl. Bölsche, Dorit (2008), S. 973-974.
275 Vgl. Pfohl, Hans-Christian (2004b), S. 207-210.
276 Vgl. Fritz Institute (Hrsg.) (2006), S. 5-9.
93
nicht evakuierten Bevölkerung an, keinerlei Hilfeleistung von außen erhalten zu haben. Nach einem Monat ist die Mehrzahl betroffener Menschen
mit Hilfsgütern versorgt worden, insbesondere mit Lebensmitteln und
Wasser.277 Eine Ausnahme stellt Louisiana dar: „This means that between
34% and 40% of Louisiana residents affected by Katrina were not satisfied
with the delivery of relief services.”278
? Erdbeben Pakistan (2005):279 Die bisherigen Erläuterungen zur Versorgung der
betroffenen Bevölkerung nach dem Erdbeben in Pakistan deuten bereits auf eine
vergleichsweise geringe Erfüllung der logistischen Qualitätsanforderungen im
Katastrophenmanagement hin. ? Kennzahlen zur zeitlichen Verfügbarkeit in Kombination mit Kennzahlen
zur Zuverlässigkeit: Erfasst wird beispielsweise der Anteil bedürftiger
Menschen nach zwei und zehn Monaten, der keine Hilfeleistung erhalten
hat. Dabei erfolgt eine Differenzierung nach mehreren Hilfsgütern und
Hilfeleistungen. Die Kennzahl zur „Unzuverlässigkeit“ beträgt z. B. für
Kleidung 53% nach zwei Monaten und 64% nach zehn Monaten; für Lebensmittel 27% nach zwei Monaten und 52% nach zehn Monaten; für medizinische Versorgung 41% nach zwei Monaten und 46% nach zehn Monaten. Während sich die Merkmalsausprägungen der servicebezogenen
Kennzahlen nach dem Hurrikane Katrina im Zeitablauf verbessert haben,
zeigt die Entwicklung der Kennzahlenwerte in Pakistan, eine Verringerung
des (Logistik-) Service im Zeitablauf auf. ? Kennzahlen zur räumlichen Verfügbarkeit werden indirekt in Form von
Zuverlässigkeitsquoten mit regionalem Bezug erfasst. „Overall, dissatisfaction seemed to be highest in Batagram and Kohistan, and lowest in
Mansehra and Abbottabad.”280
? Tsunami Asien (2004/2005):281 ? Kennzahlen zur physischen Verfügbarkeit: 60% der beteiligten Akteure in
Indien und 58% der Akteure in Sri Lanka geben fehlende oder nicht adäquate Lagerkapazitäten an. 40% der Akteure in Indien und 52% der Akteure in Sri Lanka weisen auf fehlende oder ungeeignete Transportkapazitäten
hin. ? Kennzahlen zur Zuverlässigkeit: 40% der Akteure in Indien und 60% der
Akteure in Sri Lanka weisen darauf hin, dass Medikamente nicht oder in
nicht ausreichendem Maße zur Verfügung stehen.
277 Die Quelle enthält zahlreiche weitere Servicekennzahlen zur Art der verteilten Güter, zur
zeitlichen und räumlichen Verfügbarkeit in Bezug auf den Bildungsstand der Bevölkerung,
zur Versorgung der evakuierten Bevölkerung usw.
278 Fritz Institute (Hrsg.) (2006), S. 7.
279 Vgl. Bliss, Desiree / Larsen, Lynnette (2006), S. 4-12.
280 Bliss, Desiree / Larsen, Lynnette (2006), S. 6.
281 Vgl. Thomas, Anisya / Ramalingam, Vimala (2005a), S. 3, 11, 25.
94
? Kennzahlen zur Informationsfähigkeit: 25% der beteiligten Akteure in Indien und 38% der Akteure in Sri Lanka weisen auf Probleme, Lücken und
Fehler im Informationsaustausch hin (10% der Akteure in Sri Lanka hatten
als Folge Schwierigkeiten, die am stärksten betroffenen Menschen / Gebiete ausfindig zu machen).
Das Fritz Institute und das IFRC haben gemeinsam die wichtigsten Kennzahlenwerte (Key Performance Indicators in Humanitarian Logistics) identifiziert und am
Beispiel des Tsunami in Asien erfasst. Hierzu zählen unter anderem282 ? Kennzahlen zur zeitlichen Verfügbarkeit: Durchschnittliche Dauer von der
Spende bis zur Übergabe der Leistung an bedürftige Menschen (33 Tage). ? Kennzahlen zur Zuverlässigkeit, gemessen in Anteil ausgelieferter und erbrachter Leistungen an der zu erbringenden Gesamtleistung (6% nach einer Woche,
48% nach zwei Monaten). ? Kennzahlen zu (Logistik-) Kosten und Budget: Anteil der Transportkosten an
den Gesamtkosten (10%), Ist-Budget / Soll-Budget (nach 2 Monaten 148%).
3.2.5.4 Zielhierarchie von der Vision zu logistischen Kennzahlen
Die Ableitung individueller Kennzahlenwerte für die Leistungserstellung im Katastrophenmanagement aus dem übergreifenden Strategie- und Zielsystem visualisiert
Abbildung 23. Die Darstellung stellt die Beispiele mit Bezug zur Internationalen
Rotkreuz- und Rothalbmondbewegung aus den vorangegangenen Abschnitten zusammen.
282 Vgl. Davidson, Anne Leslie (2006), S. 8.
95
Vision / Leitidee (gesamt IFRC)
Menschlichkeit, Neutralität, Freiwilligkeit, Universalheit, Unparteilichkeit, Unabhängigkeit, Einheit
Mission (gesamt IFRC)
„Improve the lives of vulnerable people by mobilizing the power of humanity.“
Geschäftsfeldstrategie
Katastrophenmanagement
Differenzierung durch Qualität und Service
Internationale Kompetenz und regionale Präsenz vor Ort
Strategien
anderer
Geschäftsfelder
…
Wichtige Geschäftsfeldziele
Katastrophenmanagement ? Katastrophenvorsorge: Aufbau lokaler und übergreifender Kapazitäten,
Vorbereitung auf Gefahrensituationen ? Katastrophenbewältigung: Reduzierung der Anzahl an Todesopfern,
Verletzungen und Erkrankungen
Ziele
anderer
Geschäftsfelder
…
Logistikziele
Katastrophenmanagement ? Logistikservice ? Logistikkosten / Logistikbudget ? Maximierung des Logistikservice unter Einsatz
des zur Verfügung stehenden Logistikbudgets (7r)
Funktionenbezogene Ziele
anderer
Geschäftsfelder
…
Andere
funktionenbezogene
Zielsetzungen im
Katastrophenmanagement
Entscheidungskriterien Logistik im
Katastrophenmanagement (Beispiele) ? Servicebezogen: Zeitliche Verfügbarkeit ? Kostenbezogen: Kosten Eigenerstellung / Fremdbezug? Marktbezogen: Logistikbudget ? Integrationsbezogen: Koordination, Standardisierung
…
…
Logistik-Kennzahlen
Katastrophenmanagement (Beispiele) ? Kennzahlen zum Logistikservice: Durchschnittliche
Dauer vom Eingang einer Spende bis zur Ankunft der
Leistung beim bedürftigen Menschen ? Kennzahlen zu Logistikkosten: Anteil der
Transportkosten an den Gesamtkosten der
Hilfsleistung ? Kennzahlen zum Logstikbudget: Tatsächliche Ist-
Logistikkosten / am ursprünglichen Soll-Logistikbudget
…
…
Abbildung 23: Strategie- und Zielhierarchie am Beispiel des IFRC283
283 Eigene Darstellung, abgeleitet aus den Inhalten der Abschnitte 3.2.5.1bis 3.2.5.3 und der dort
angegebenen Quellen.
96
3.2.6 Material- und Informationsflüsse im Katastrophenmanagement
3.2.6.1 Logistikobjekte im Katastrophenmanagement
Die zielbezogen ausgerichteten „7r“ der logistischen Leistungserstellung im Katastrophenmanagement sprechen unter anderem „die richtigen Hilfsgüter und Dienstleistungen“ an (siehe Abschnitt 3.2.5.2). Die Güter, durch die die (potenziell) betroffene Bevölkerung eines Katastrophengebietes versorgt wird, bilden in der Wertschöpfungskette des Katastrophenmanagements die Logistikobjekte, an denen die
logistische Leistungserstellung vollzogen wird. Am Ende der Wertschöpfungskette
erreichen diese Objekte die höchste Veredelungsstufe, während das Logistikobjekt
der Lieferanten eine geringere Veredelung aufweist (z. B. Rohstoffe).
Wichtige Logistikobjekte des Katastrophenmanagements sind Hilfsgüter, die an die
betroffene Bevölkerung abgegeben werden. Dies sind – je nach Art der Katastrophe
und Rahmenbedingungen – z. B. Lebensmittel, Wasser, Medikamente und Impfstoffe, Kleidung, Zelte, Schlafstellen, Decken, sanitäre Güter, Mundschutz und Handschuhe sowie eigens auf den Katastrophenfall zusammengestellte Notfallpakete.284
Über diese an die Bevölkerung abgegebenen Hilfsgüter hinaus zählen zu den Logistikobjekten des Katastrophenmanagements auch Objekte, die zum Aufbau von
Kapazitäten – wie Camps und die logistische Infrastruktur – benötigt werden.285
Für die Einrichtung und Versorgung von Camps, in denen evakuierte, geflüchtete
oder obdachlose Menschen untergebracht werden, sind die oben angegebenen Hilfsgüter ebenfalls Gegenstand der logistischen Leistungserstellung. Zusätzlich ist für
eine Grundversorgung z. B. mit Strom, Wasser (ggf. durch Stromgeneratoren und
Wasseraufbereitungsanlagen), Anbindung an die Infrastruktur und Aufbau einer
medizinischen Grundversorgung zu sorgen. Logistikobjekte sind in diesem Fall die
Güter, die zum Aufbau dieser Grundversorgung erforderlich sind. Zum Aufbau einer
„Emergency Response Unit“ des Roten Kreuzes, durch die bis zu 20.000 Menschen
medizinisch betreut und mit Medikamenten, Impfstoffen, Ernährungsprogrammen
und Geburtshilfe versorgt werden können, müssen folgende Einheiten aufgebaut und
die dafür erforderlichen Logistikobjekte zusammengestellt werden: Registrierung,
Untersuchung, Behandlung, Labor, Apotheke, Beobachtung, Entbindung, Küche,
Wassertank, Toilette und Stromgenerator. Die Zeitdauer für den Transport der erforderlichen Logistikobjekte und die Inbetriebnahme beträgt etwa 36 Stunden. Das
„mobile Krankenhaus“ enthält zusätzlich zu den Bestandteilen der „Emergency
Response Unit“ die Bereiche Röntgen, Sterilisation, Verwaltung, zwei bis drei Operationssäle sowie voneinander getrennte Frauen-/ Kinderstation und Männerstation.
Mit einer Kapazität, die vergleichbar mit der eines deutschen Kreiskrankenhauses
284 Vgl. z. B. Fritz Institute (Hrsg.) (2006), S. 17; Pan American Health Organization / World
Health Organization (Hrsg.) (2001), S. 15-17, eine Kategorisierung der Hilfsgüter findet sich
z. B. auf S. 35-38.
285 Vgl. Pan American Health Organization / World Health Organization (Hrsg.) (2001), S. 17-
18.
Chapter Preview
References
Zusammenfassung
Im internationalen Katastrophenmanagement werden täglich Entscheidungen mit Logistikbezug getroffen. Die Autorin skizziert die Vielfalt der Entscheidungen durch die folgende Fragestellung: Welche Beschaffungskonzepte, Standorte, Touren, Informationssysteme und Konzepte der Zusammenarbeit sollen im Rahmen der Katastrophenvorsorge und -bewältigung realisiert werden?
Da die Entscheidungen in hohem Maße Qualität und Kosten der Versorgung betroffener Menschen beeinflussen, sollten diese nicht alleine aus dem Erfahrungswissen heraus getroffen, sondern durch logistische Planungsmethoden unterstützt werden.
Anwendungsbezogen und verständlich wird in dem Buch der Einsatz geeigneter Methoden (z. B. Standortplanung, Netzplantechnik) am Beispiel realer Katastrophen vermittelt. Konzepte des SCM und aktuelle Informationssysteme werden mit ihren Potenzialen und Grenzen für das internationale Katastrophenmanagement vorgestellt und unter Einsatz geeigneter Entscheidungskriterien exemplarisch bewertet.