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5. Missbrauch der Vertretungsmacht
Auch der Umstand, dass ein Vorstandsmitglied als gesetzlicher Vertreter der Gesellschaft bewusst missbräuchlich Handlungen vornehmen könnte, die ihm als Testamentsvollstrecker zugute kommen,686 steht der Ämterhäufung per se nicht entgegen.687 Ein Missbrauch liegt aus gesellschaftsrechtlicher Sicht erst vor, wenn das
Handeln als Testamentsvollstrecker zugleich einen Verstoß gegen die gesellschaftlichen Regelungen des Aktienrechts bildet.
Es geht nicht an, dem Vorstandsmitglied einen missbräuchlichen Willen allein
vor dem Hintergrund der gleichzeitigen Bekleidung des Testamentsvollstreckeramtes zu unterstellen. Hierfür findet sich in der Rechtsordnung kein Stütze. Die Kontrolle der Geschäftsführung durch den Aufsichtsrat sowie eine mögliche Haftung des
Vorstandsmitglieds für Pflichtverletzungen aus § 93 Abs. 2 AktG gewährleisten,
dass eine Art „kollusives Handeln in einer Person“ im Ergebnis unterbleibt. Dem
steht auch nicht entgegen, dass die Personenidentität zur Folge hat, dass die einzelnen Handlungen des Betreffenden schwer isolierbar sind und somit bei einer späteren Rechtsverfolgung Beweisprobleme zum Nachteil der AG, die die Darlegungsund Beweislast für die schädigende Handlung des Vorstandsmitglieds trägt, auftreten könnten.688 Eine Pflichtverletzung und damit messbar pflichtwidriges, vorwerfbares Vorstandshandeln liegt erst vor, wenn die Grenzen einer am Gesellschaftswohl
orientierten Leitung der Gesellschaft überschritten werden und damit im Ergebnis
ein unverantwortliches, ganz und gar unvernünftiges Vorstandshandeln gegeben
ist.689
6. Informationspflicht aufgrund gesellschafterlicher Treuepflicht
Aufgrund der gesellschafterlichen Treuepflicht ist ein Gesellschafter grundsätzlich
verpflichtet, seine Mitgesellschafter über Vorgänge, die deren mitgliedschaftliche
Vermögensinteressen berühren und ihnen nicht bekannt sein könnten, vollständig
und zutreffend zu informieren. Unterlässt er dies, kann sich daraus ein Schadensersatzanspruch ergeben.690
In seiner Funktion als Testamentsvollstrecker nimmt das Vorstandsmitglied sämtliche gesellschafterlichen Rechte und Pflichten für den Gesellschaftererben wahr,
weshalb er auch als Verwaltungsvollstrecker an die gesellschafterliche Treuepflicht
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686 Frank, Die „kleine AG“, S. 271
687 Im Ergebnis auch Grunsky, ZEV 2008, 1, 3 mit der Argumentation, dass „Mauscheleien“ auch
bei eigenen Aktien des Vorstandsmitglieds denkbar sind.
688 So die Bedenken von Frank, Die „kleine“ AG, S. 271, der im Ergebnis die Möglichkeit der
Ämterhäufung u.a. vor diesem Hintergrund verneint.
689 Keul, DB 2007, 728
690 BGH BB 2007, 285 (für den GmbH-Anteil)
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gebunden ist.691 Sind durch ein Handeln des Vorstandsmitglieds in seiner Funktion
als Verwaltungsvollstrecker Vermögensinteressen der übrigen Gesellschafter betroffen und könnte dieser mögliche Konflikt zwischen rechtmäßigem Vollstrecker- und
Organhandeln den betroffenen Gesellschaftern nicht bekannt sein, so sind diese
hierüber zu informieren. Dies gibt ihnen die Chance, entsprechende Maßnahmen zu
ergreifen, insbesondere sich von ihrem Anteil zu trennen. Damit stellt auch die aus
der gesellschafterlichen Treuepflicht resultierende Informationspflicht des Testamentsvollstreckers einen Schutzmechanismus zugunsten der übrigen Gesellschafter
dar, der nicht gegen, sondern für die Zulässigkeit der Ämterhäufung spricht.
7. Abberufungs- / Nichtwiederbestellungsmöglichkeit
(§ 84 Absätze 1 und 3 AktG)
Wird ein Testamentsvollstrecker zum Vorstandsmitglied bestellt oder nimmt ein
bereits amtierendes Vorstandsmitglied das Amt des Testamentsvollstreckers an, ist
fraglich, ob das einen wichtigen Grund bildet, die Bestellung des Vorstandsmitglieds
zu widerrufen. Gemäß § 84 Abs. 3 S. 1 AktG kann der Aufsichtsrat die Bestellung
zum Vorstandsmitglied widerrufen, wenn ein wichtiger Grund vorliegt. § 84 Abs. 3
S. 2 AktG nennt als Widerrufsgründe namentlich grobe Pflichtverletzung, Unfähigkeit zur ordnungsgemäßen Geschäftsführung oder Vertrauensentzug durch die
Hauptversammlung, es sei denn, das Vertrauen wurde aus offenbar unsachlichen
Gründen entzogen. Der Widerruf ist wirksam, bis seine Unwirksamkeit rechtskräftig
festgestellt ist (§ 84 Abs. 3 S. 4 AktG).
Der Wortlaut des § 84 Abs. 3 S. 2 AktG „…namentlich…“ weist darauf hin, dass
die Aufzählung der oben genannten unbestimmten Rechtsbegriffe nicht abschlie-
ßend ist. Ganz allgemein liegt ein wichtiger Grund vor, wenn die Fortsetzung des
Organverhältnisses bis Ende der Amtszeit für die AG unzumutbar ist.692 Dabei müssen die Umstände, die die Fortsetzung des Organverhältnisses bis zum Ende der
Amtszeit für die Gesellschaft unzumutbar machen, nicht in der Person des Vorstandsmitglieds selbst gegeben sein.693 Auf ein Verschulden des Vorstandsmitglieds
kommt es nicht an.694 Die Feststellung der Unzumutbarkeit setzt dabei voraus, dass
die Interessen der AG sowie die Interessen des Vorstandsmitglieds695 unter konkreter Würdigung des Einzelfalls gegeneinander abgewogen werden.696
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691 s.o. unter D. III. 2.
692 BGH ZIP 2007, 119; OLG Stuttgart AG 2003, 211, 212; Hüffer AktG, 8. Aufl., § 84 Rn 26;
KölnKommAktG/Mertens, 2. Aufl., § 84 Rn 103; Spindler/Stilz/Fleischer AktG, § 84 Rn 99
693 KölnKommAktG/Mertens, 2. Aufl., § 84 Rn 103
694 OLG Stuttgart AG 2003, 211, 212; Hüffer, AktG, 8. Aufl., § 84 Rn 27; Münch-
KommAktG/Hefermehl/Spindler, 2. Aufl., § 84 Rn 27
695 Auf der Basis der Trennungstheorie wird die strikteste Auffassung dahingehend vertreten,
dass ein wichtiger Grund ausschließlich aus Sicht der Interessen der Gesellschaft zu überprü-
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References
Zusammenfassung
Das Werk untersucht die Zulässigkeit der Testamentsvollstreckung an Aktien sowie die Machtbefugnisse des Testamentsvollstreckers für den praktisch bedeutsamen Fall, dass seiner Verwaltung Aktien unterstellt sind. Besondere Bedeutung kommt dabei der Frage zu, inwieweit der Testamentsvollstrecker ohne Zustimmung des Erben tätig werden und beispielsweise an der Gründung einer AG, an deren Umwandlung in eine GmbH oder an einem Börsengang einer nicht konzernierten AG mitwirken kann. Abschließend widmet sich die Autorin der Frage, inwieweit die Ämter „Testamentsvollstrecker“ und „Vorstandsmitglied einer AG“, deren Aktien der Verwaltung durch den Testamentsvollstrecker unterstellt sind, miteinander vereinbar sind.