103
Im Ergebnis vermag auch § 211 UmwG die Verfügungsbeschränkung des § 2211
Abs. 1 BGB nicht zu suspendieren. Adressat des § 211 UmwG ist bei angeordneter
Testamentsvollstreckung nicht der Erbe, sondern nur der Verwaltungsvollstrecker.
Unterliegt bereits die Erklärung des Widerspruchs zur Niederschrift bei Annahme
des Angebots der angemessenen Barabfindung der Verwaltungsmacht des Testamentsvollstreckers, so muss dies auch für die anderweitige Veräußerungsmöglichkeit nach § 211 UmwG gelten. § 2211 Abs. 1 BGB dagegen untersagt in Verbindung
mit § 2216 Abs. 1 BGB allein dem Erben die Verfügung über einen der Testamentsvollstreckung unterliegenden Nachlassgegenstand. Verfügungsbeschränkter im Sinne des § 2211 Abs. 1 BGB und Veräußerungsberechtigter im Sinne des § 211
UmwG sind bei angeordneter Testamentsvollstreckung nicht identisch, so dass eine
Veräußerungsmöglichkeit des Anteils durch den Gesellschaftererben bereits mangels Veräußerungskompetenz im Sinne des § 211 UmwG nicht in Betracht kommt.
Auch der von § 211 UmwG bezweckte Minderheitenschutz vermag ein anderes
Ergebnis nicht zu rechtfertigen, da dieser im Verhältnis zwischen Verwaltungsvollstrecker und Gesellschaftererbe nicht zum Tragen kommt. Sinn und Zweck des
§ 2211 BGB ist es, ganz allgemein die Verfügungsmacht des Testamentsvollstreckers zwecks Wahrnehmung seiner Aufgaben zu sichern. Die Vorschrift des
§ 2211 BGB ergänzt diejenige des § 2205 BGB und macht deutlich, dass die Verfügungsmacht des Testamentsvollstreckers ausschließlich ist.493 § 2211 BGB dient
damit der Sicherung des Rechtsinstituts der Testamentsvollstreckung und nicht dem
Schutz des Erben vor den Befugnissen des Testamentsvollstreckers. Die Einbeziehung der Verfügungsbeschränkung des § 2211 BGB in den Normzweck des § 211
UmwG kommt daher nicht in Betracht.
IV. Gesellschaftsrechtliche Betrachtung des Mitwirkungsrechts des Testamentsvollstreckers an Börsengang und Börsenrückzug
1. Gründe und Motive des Börsengangs
Ziel des Gesetzes für „kleine“ Aktiengesellschaften und zur Deregulierung des Aktienrechts vom 2.8.1994 war es, den breiten Strom des Mittelstandes zumindest teilweise „in die AG umzulenken“.494 Je nach Unternehmensstruktur und -ziel schließt
sich an die Gründung einer „kleinen“ AG bzw. die Umwandlung einer GmbH in
eine „kleine“ AG der Gang an die Börse, auch Initial Public Offering (IPO) genannt,
an. Obliegt dem Verwaltungsvollstrecker die Verwaltung noch nicht börsennotierter
Aktien und ist es Ziel der Geschäftsführung, die Gesellschaft an die Börse zu bringen, stellt sich im Zusammenhang mit einem bevorstehenden Börsengang die Frage,
______________________
493 Staudinger/Reimann, BGB, § 2211 Rn 1
494 Seibert/Kiem/Schüppen/Seibert, Handbuch kleine AG, 5. Auflage, Rn 1.11
104
inwieweit der Testamentsvollstrecker hieran ohne Zustimmung des Erben mitwirken
kann.
Die Gründe und Motive für den Börsengang einer Aktiengesellschaft sind vielfältig. So ermöglicht es beispielsweise die Publikums-AG mehr als alle anderen
Rechtsformen, eine Trennung zwischen Eigentümern und Unternehmensführung
vorzunehmen. Ist kein Familienmitglied bereit, die Nachfolge in der Unternehmensleitung anzutreten, kann die Position durch externe Manager besetzt werden. Nicht
nur für Markenartikelunternehmen ist ein Börsengang unter dem Aspekt der weiteren Steigerung des Bekanntheitsgrades interessant. Darüber hinaus dient der Gang
an die Börse dazu, dem Unternehmen Kapital zur Verfügung zu stellen, das dieses
für seine zukünftige Entwicklung benötigt, sowie der Verbesserung der Kapitalstruktur im Allgemeinen. Nicht zuletzt können verschiedene Beteiligungsmodelle
die Attraktivität des Unternehmens für qualifizierte Mitarbeiter steigern.495
2. Erfordernis eines Hauptversammlungsbeschlusses
a) Problemstellung
Die aktienrechtlichen Voraussetzungen eines Börsengangs sind gesetzlich ebenso
wenig geregelt wie die aktienrechtlichen Voraussetzungen eines Börsenrückzugs
(Delisting). Ganz allgemein ist als Börsengang die Erweiterung des Aktionärskreises
einer Gesellschaft unter Inanspruchnahme der Institution Börse zu verstehen. Dabei
handelt es sich bei dem Akt des Börsengangs um einen Prozess, der eine Fülle von
Maßnahmen mit sich bringt. Am Ende eines solchen Prozesses steht unweigerlich
die Grundsatzentscheidung über das „Ob“ des Börsengangs.496 Gegenstand dieser
Grundsatzentscheidung ist in Anlehnung an die innergesellschaftliche Entscheidung
im Falle eines Delisting der Antrag auf Börsenzulassung.497
Fraglich ist, ob die Entscheidungen des Börsengangs und Börsenrückzugs einen
Beschluss der Hauptversammlung und damit eine Mitwirkung des Verwaltungsvollstreckers erfordern, oder nicht per se Geschäftsführungsmaßnahmen sind, die grundsätzlich nur dann eines Beschlusses der Hauptversammlung bedürfen, wenn der
Vorstand es verlangt (§ 119 Abs. 2 AktG).498
______________________
495 Zu den (genannten) Gründen und Motiven eines Börsenganges vgl. Blättchen, DStR 1997,
1547, 1548 sowie Seibert/Kiem/Schüppen/Hauptmann, Handbuch kleine AG, 5. Aufl., Rn 8,
61 ff.
496 Brauer, Börsengang und Börsenrückzug, S. 59; Kramer, Börseneinführung, S. 158, 176;
Grupp, Börseneintritt, S. 147 ff.
497 Brauer, Börsengang und Börsenrückzug, S. 63
498 Brauer, Börsengang und Börsenrückzug, S.63, 160
Chapter Preview
References
Zusammenfassung
Das Werk untersucht die Zulässigkeit der Testamentsvollstreckung an Aktien sowie die Machtbefugnisse des Testamentsvollstreckers für den praktisch bedeutsamen Fall, dass seiner Verwaltung Aktien unterstellt sind. Besondere Bedeutung kommt dabei der Frage zu, inwieweit der Testamentsvollstrecker ohne Zustimmung des Erben tätig werden und beispielsweise an der Gründung einer AG, an deren Umwandlung in eine GmbH oder an einem Börsengang einer nicht konzernierten AG mitwirken kann. Abschließend widmet sich die Autorin der Frage, inwieweit die Ämter „Testamentsvollstrecker“ und „Vorstandsmitglied einer AG“, deren Aktien der Verwaltung durch den Testamentsvollstrecker unterstellt sind, miteinander vereinbar sind.