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Verhältnis bestehender Harmonisierungsakte zu den primärrechtlichen Grundfreiheiten stellt sich für den vorliegenden Sachverhalt somit nicht.
Im Übrigen ist zu bemerken, dass EG-Richtlinien als Bestandteile des sekundären
Gemeinschaftsrechts die Anwendung des primärrechtlichen EGV nicht einschränken
können1015. Sekundärrecht ist vielmehr ebenfalls an den Vorgaben des primären
Gemeinschaftsrechts zu messen1016. Dies gilt insbesondere, wenn durch das geschaffene Sekundärrecht Beschränkungen der Grundfreiheiten zu Tage treten. Es besteht
ein eindeutiger Vorrang des primären gegenüber dem sekundären Gemeinschaftsrecht1017. Die Dienstleistungsfreiheit gemäß Art. 49, 50 EGV findet auf den vorliegenden Sachverhalt somit uneingeschränkte und unmittelbare Anwendung1018.
II. Anwendungsbereich
Nach Klärung der grundsätzlichen Anwendbarkeit des EGV auf den vorliegenden
Sachverhalt, gilt es nun zunächst die für die Dienstleistungsfreiheit relevanten grenzüberschreitenden Sachverhaltskonstellationen herauszustellen, um in einem zweiten Schritt zu überprüfen, ob diese dem Anwendungsbereich der Dienstleistungsfreiheit auch in sachlicher und personeller Hinsicht unterfallen.
1. Grenzüberschreitender Sachverhalt
Wie die übrigen Grundfreiheiten des EGV setzt die Dienstleistungsfreiheit zur
Eröffnung ihres Anwendungsbereiches denknotwendig einen grenzüberschreitenden
Sachverhalt voraus, was sich bereits dem Wortlaut des Art. 49 Abs. 1 EGV „in einem anderen Mitgliedstaat“ entnehmen lässt1019. Rein innerstaatliche Vorgänge werden von den Grundfreiheiten nicht erfasst1020.
Als durch das Fernsehwerbeverbot gemäß § 5 Abs. 3 Alt. 1 GlüStV beeinträchtigten grenzüberschreitenden Sachverhalt kommt die freie Erbringung und Inanspruch-
1015 Koenig/Ciszewski, K&R 2007, 257 (258); Hettich, Neue Fragen des öffentlichen Glücksspielrechts, S. 231; Korte, Das staatliche Glücksspielwesen, S. 48; vgl. auch EuGH NJW 1994,
2013 (2015) – Schindler. Zum Verhältnis der Grundfreiheiten zu Sekundärrechtsakten siehe
auch Di Fabio, AfP 1998, 564 (565 ff.).
1016 So auch Postel, WRP 2006, 703 (716).
1017 Oppermann, Europarecht, S. 156.
1018 Geiger, EUV/EGV, Art. 49 EGV, Rn. 2.
1019 EuGH, Rs. 52/79, Slg. 1980, 833, Rn. 9 – Debauve; Grabitz/Hilf-Randelzhofer/Forsthoff,
EGV, Art. 49/50, Rn. 39; Geiger, EUV/EGV, Art. 50 EGV, Rn. 5; Lenz/Borchardt,
EUV/EGV, Art. 49/50 EGV, Rn. 14; Calliess/Ruffert-Kluth, EUV/EGV, Art. 49/50 EGV, Rn.
8; Postel, EuR 2007, 317 (325).
1020 Vgl. Calliess/Ruffert-Kluth, EUV/EGV, Art. 49/50 EGV, Rn. 8.
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nahme grenzüberschreitender Werbedienste in Betracht1021. Der grenzüberschreitende Charakter des Verbotes liegt im konkreten Fall in der Zurverfügungstellung von
Anzeigenraum1022. Der EuGH anerkennt in ständiger Rechtsprechung, dass sich ein
Unternehmen gegenüber dem Staat in dem es niedergelassen ist, auf die Dienstleistungsfreiheit berufen kann, sofern es Leistungen an Leistungsempfänger erbringt,
die in einem anderen Mitgliedstaat ansässig sind1023.
Für den hier einschlägigen Problemkomplex ist im Wesentlichen zwischen zwei
relevanten Dienstleistungsbeziehungen zu differenzieren1024. Zum einen besteht eine
Leistungsbeziehung zwischen Fernsehveranstalter und Werbekunde; zum anderen
zwischen Fernsehveranstalter und Rezipient.
Die für die vorliegende Untersuchung relevanten privaten (aber auch die öffentlich-rechtlichen) deutschen Fernsehveranstalter werden durch das Verbot gehindert
ihre Werbedienste, bezogen auf Glücksspiele und insbesondere Sportwetten, gegenüber EG-ausländischen Glücksspielveranstaltern (Werbekunden) anzubieten,
weil Glücksspielwerbung gemäß dem Verbot in Deutschland nicht ausgestrahlt werden darf1025. Das von ihnen zur Verfügung gestellte an in- und ausländische Auftraggeber gerichtete Angebot von Anzeigenraum in Form von Werbekontingenten
wird damit beeinträchtigt, worin das erforderliche grenzüberschreitende Moment des
Verbotes zu erblicken ist1026.
Gleiches gilt für Fernsehveranstalter mit Sitz in einem anderen Mitgliedstaat, die
auf Glücksspiele bezogene Fernsehwerbung primär für die Empfänger ihres Mitgliedstaates senden, welche aber ebenfalls in Deutschland empfangen werden
kann1027. Darüber hinaus haben die in Deutschland ansässigen Rezipienten nicht die
Möglichkeit glücksspielbezogene Fernsehwerbedienste zu erhalten1028, womit die
Dienstleistung die in der Ausstrahlung von Fernsehprogrammen liegt unterbunden
wird1029.
Dem Fernsehwerbeverbot kommt somit der für die Anwendbarkeit der Dienstleistungsfreiheit konstituierende grenzüberschreitende Bezug zu.
1021 Vgl. Aufforderungsschreiben der EU-Kommission vom 31.01.2008 im Vertragsverletzungsverfahren Nr. 2007/4866, ZfWG 2008, 32 (39).
1022 EuGH EuZW 2001, 251 (253) – Gourmet.
1023 EuGH EuZW 2001, 251 (253) – Gourmet; NJW 1995, 2541 (2542) – Alpine Investments;
EuZW 1994, 475 – Corsica Ferries.
1024 Sämtliche im Rundfunkbereich denkbaren Dienstleistungsbeziehungen darstellend Kugelmann, Rundfunk und Dienstleistungsfreiheit, S. 81.
1025 Vgl. EuGH EuZW 2004, 499 (500) – Kommission, Vereinigtes Königreich/Französische Republik.
1026 Vgl. Kugelmann, Rundfunk und Dienstleistungsfreiheit, S. 92 f.
1027 Vgl. EuGH Rs. 352/85, Slg. 1988, 2085, Rn. 12 ff. – Bond van Adverteerders; Kugelmann,
Rundfunk und Dienstleistungsfreiheit, S. 87; der Empfang erfolgt hier regelmäßig über Satellit oder das Kabelnetz, in Grenznähe auch über terrestrische Ausstrahlung.
1028 Vgl. EuGH Rs. 352/85, Slg. 1988, 2085, Rn. 16 – Bond van Adverteerders.
1029 Vgl. EuGH EuZW 2004, 499 (501) – Kommission, Vereinigtes Königreich/Französische Republik.
220
2. Personeller Anwendungsbereich
Gemäß Art. 49 Abs. 1 EGV erfasst die Dienstleistungsfreiheit in personeller Hinsicht „Angehörige der Mitgliedstaaten“ die in diesen ansässig sind, und gilt sowohl
für den Dienstleistungserbringer (so der Wortlaut) als auch für den Dienstleistungsempfänger1030. Denknotwendig müssen Leistungserbringer und -empfänger in verschiedenen Mitgliedstaaten ansässig sein, weil ansonsten das erforderliche grenz-
überschreitende Moment fehlt1031. Den natürlichen Personen gemäß Art. 55 i.V.m.
48 EGV gleichgestellt sind die nach den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaates
gegründeten Gesellschaften, die ihren satzungsmäßigen Sitz, ihre Hauptverwaltung
oder ihre Hauptniederlassung innerhalb der Gemeinschaft haben. Das Kriterium der
Ansässigkeit ist bei juristischen Personen bzw. Personengesellschaften erfüllt, wenn
eine tatsächliche und dauerhafte Verbindung der Tätigkeit der Gesellschaft mit der
Wirtschaft und der Rechtsordnung eines Staates besteht1032.
Die vorrangig in Rede stehenden privaten Fernsehveranstalter aber auch (ausländische) Glücksspielveranstalter als potentielle Auftraggeber von Werbedienstleistungen sind grundsätzlich ausschließlich als Gesellschaften organisiert und unterfallen damit dem personellen Anwendungsbereich der Dienstleistungsfreiheit gemäß
Art. 55 i.V.m. Art. 48 EGV. Die Rezipienten als Adressaten der ausgestrahlten Werbesendungen werden direkt von Art. 49 Abs. 1 EGV erfasst1033.
Für die vorliegend relevanten Sachverhaltskonstellationen ist der personelle Anwendungsbereich der Dienstleistungsfreiheit eröffnet.
3. Sachlicher Anwendungsbereich
Ausweislich des Wortlautes in Art. 50 Abs. 1 EGV sind Dienstleistungen solche
Leistungen, die in der Regel gegen Entgelt erbracht werden, soweit sie nicht den
Vorschriften über den freien Waren- und Kapitalverkehr und über die Freizügigkeit
der Personen unterliegen. Gemäß Art. 50 Abs. 3 EGV kann der Leistungserbringer
unbeschadet der Vorschriften zur Niederlassungsfreiheit seine Tätigkeiten vorübergehend in dem Staat ausüben, in dem die Leistung erbracht wird. Ferner enthält Art.
50 Abs. 2 EGV einen nicht abschließenden Katalog von Tätigkeiten die als Dienst-
1030 Lenz/Borchardt, EUV/EGV, Art. 49/50 EGV, Rn. 2; Grabitz/Hilf-Randelzhofer/Forsthoff,
EGV, Art. 49/50, Rn. 15.
1031 Geiger, EUV/EGV, Art. 49 EGV, Rn. 4; Grabitz/Hilf-Randelzhofer/Forsthoff, EGV, Art.
49/50, Rn. 16.
1032 Haratsch/Koenig/Pechstein, Europarecht, Rn. 862.
1033 Hier zeigt sich ein prägnanter systematischer Unterschied der Grundfreiheiten nach dem EGV
zu den deutschen Grundrechten. Während sich die Rezipienten bzgl. des Empfanges einer
Werbesendung nicht auf die Rundfunkfreiheit gemäß Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG sondern allenfalls
auf die Informationsfreiheit nach Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG berufen können, fallen sie demgegenüber jedoch in den personellen Schutzbereich der Dienstleistungsfreiheit nach Art. 49, 50
EGV.
221
leistungen anzusehen sind. Die Systematik des Art. 50 EGV verdeutlicht den im
Verhältnis zu den anderen Grundfreiheiten subsidiären Charakter1034 der Dienstleistungsfreiheit, welcher allerdings infolge der rasanten Entwicklung des Dienstleistungssektors innerhalb der Gemeinschaft praktisch erheblich aufgewertet worden
ist1035. Nichtsdestotrotz ist eine Abgrenzung zu den übrigen Grundfreiheiten des
EGV unabdingbar, um den sachlichen Anwendungsbereich der Art. 49, 50 EGV negativ einzugrenzen.
a) Abgrenzung zu den übrigen Grundfreiheiten
Von der Warenverkehrsfreiheit gemäß Art. 28 ff. EGV unterscheidet sich die
Dienstleistungsfreiheit im Wesentlichen durch das Kriterium der nicht-körperlichen
Leistung1036. Abgrenzungsschwierigkeiten können sich im Einzelfall beim Zusammentreffen körperlicher und nicht-körperlicher Leistungen ergeben1037. Weitgehend unproblematisch ist der Fall, dass die verschiedenartigen Leistungen zeitlich
hintereinander gestaffelt erfolgen, da eine Zuordnung zu den beiden Grundfreiheiten
hier im Regelfall sehr einfach vorgenommen werden kann1038. Fallen beide Leistungen indes in einem nicht aufteilbaren Lebenssachverhalt zusammen, erfolgt die Zuordnung gemeinhin anhand einer Schwerpunktbildung1039. Für die vorliegend relevanten Sachverhaltskonstellationen ist die Abgrenzung weitgehend unproblematisch, weil i.d.R. ausschließlich nicht körperliche Leistungen gegeben sind. So ist die
Ausstrahlung einer Werbesendung im Programm eines Fernsehveranstalters unzweifelhaft als nicht-körperliche Leistung anzusehen. Sofern der Auftraggeber die Sendung vorproduziert und diese an den Fernsehveranstalter übermittelt, wird dies heutzutage überwiegend via Internet, also ebenfalls in nicht-körperlicher Form erfolgen.
Sollte dennoch eine Übersendung in körperlicher Form (Videoband) erfolgen, muss
diese als Annex zur Dienstleistungsfreiheit angesehen werden1040.
Die Abgrenzung zur Arbeitnehmerfreizügigkeit erfolgt anhand des Kriteriums der
selbstständigen Leistung1041. Die vorliegenden Konstellationen umfassen unzweifel-
1034 Lenz/Borchardt, EUV/EGV, Art. 49/50 EGV, Rn. 8.
1035 Ähnlich Haratsch/Koenig/Pechstein, Europarecht, Rn. 847; Calliess/Ruffert-Kluth,
EUV/EGV, Art. 49/50 EGV, Rn. 20.
1036 Grabitz/Hilf-Randelzhofer/Forsthoff, EGV, Art. 49/50, Rn. 25.
1037 Vgl. Lenz/Borchardt, EUV/EGV, Art. 49/50 EGV, Rn. 8.
1038 Vgl. EuGH Rs. 155/73, Slg. 1974, 409, Rn. 4 – 8 – Sacchi ausdrücklich für den Bereich des
Fernsehens; Grabitz/Hilf-Randelzhofer/Forsthoff, EGV, Art. 49/50, Rn. 27.
1039 Lenz/Borchardt, EUV/EGV, Art. 49/50 EGV, Rn. 8; Calliess/Ruffert-Kluth, EUV/EGV, Art.
49/50 EGV, Rn. 15.
1040 So Grabitz/Hilf-Randelzhofer/Forsthoff, EGV, Art. 49/50, Rn. 27; vgl. auch EuGH Rs. C-
17/92, Slg. 1993, I-2239, 2271, Rn. 10 f. – Fedicine; ähnlich EuGH NJW 1994, 2013 (2014)
– Schindler für Werbematerial im Glücksspielbereich.
1041 Vgl. Geiger, EUV/EGV, Art. 49 EGV, Rn. 1.
222
haft keine unselbständigen Leistungen, so dass sich Berührungspunkte zu Art. 39 ff.
EGV vorliegend nicht ergeben.
Unproblematisch ist ferner die Abgrenzung zum freien Zahlungs- und Kapitalverkehr der Art. 56 ff. EGV. Die Anwendungsbereiche dieser speziellen Freiheiten,
werden durch das streitgegenständliche Fernsehwerbeverbot ersichtlich nicht tangiert.
Eine Abgrenzung zur Niederlassungsfreiheit gemäß Art. 43 ff. EGV wird in Anlehnung an das in Art. 50 Abs. 3 EGV enthaltene Tatbestandsmerkmal „vorübergehend“ teilweise generell anhand der zeitlichen Beschränkung der Tätigkeit vorgenommen1042. Gerade im Hinblick auf die vorliegend in Rede stehenden Konstellationen, bei denen Leistungserbringer und Leistungsempfänger i.d.R. keine Grenz-
überschreitung vornehmen, vielmehr nur die Dienstleistung an sich die mitgliedstaatlichen Grenzen überschreitet (Korrespondenzdienstleistung), ist dieses Kriterium
wenig zielführend1043. Im speziellen Fall der Korrespondenzdienstleistung, welche
im Bereich des Rundfunks durchweg dauerhaft dargeboten wird, kann der Zeitfaktor
daher keine Rolle spielen1044. Hier muss bei der Abgrenzung der Umstand Berücksichtigung finden, dass die Niederlassungsfreiheit bereits begrifflich nur dann Anwendung finden kann, sofern auch eine Niederlassung begründet wird. Liegt wie bei
der grenzüberschreitenden Fernsehwerbetätigkeit allein ein Grenzübertritt der Leistung vor, so scheidet die Anwendung der Niederlassungsfreiheit bereits begrifflich
aus1045. Korrespondenzdienstleistungen können somit dauerhaft erbracht werden,
ohne dadurch automatisch der Niederlassungsfreiheit zu unterfallen1046. Das Tatbestandsmerkmal „vorübergehend“ in Art. 50 Abs. 3 EGV bezieht sich nach zutreffender Rechtsauffassung allein auf die Konstellation, bei welcher der Dienstleistungserbringer in einem anderen Mitgliedstaat zwecks Leistungserbringung Aufenthalt nimmt1047.
Nachdem die übrigen Grundfreiheiten vorliegend als nicht einschlägig zu erachten sind stellt sich weiterhin die Frage, ob für den zugrunde liegenden Sachverhalt
auch die übrigen in Art. 50 Abs. 1 und 2 EGV enthaltenen Voraussetzungen der
Dienstleistung erfüllt sind.
1042 So Lenz/Borchardt, EUV/EGV, Art. 49/50 EGV, Rn. 8; grundlegend zur Abgrenzung der
Dienstleistungs- von der Niederlassungsfreiheit EuGH Rs. C-55/94, Slg. 1995, I-4165 – Gebhard.
1043 So auch Calliess/Ruffert-Kluth, EUV/EGV, Art. 49/50 EGV, Rn. 13.
1044 Grabitz/Hilf-Randelzhofer/Forsthoff, EGV, Art. 49/50, Rn. 33; Calliess/Ruffert-Kluth,
EUV/EGV, Art. 49/50 EGV, Rn. 13, 20.
1045 So im Ergebnis auch Grabitz/Hilf-Randelzhofer/Forsthoff, EGV, Art. 49/50, Rn. 33.
1046 Vgl. Oppermann, Europarecht, S. 540.
1047 Grabitz/Hilf-Randelzhofer/Forsthoff, EGV, Art. 49/50, Rn. 33.
223
b) Entgeltlichkeit der Leistung und wirtschaftliche Tätigkeit
Art. 50 Abs. 1 EGV formuliert: „Dienstleistungen sind Leistungen die in der Regel
gegen Entgelt erbracht werden“; Abs. 2 nennt einen Katalog nicht abschließender
Regelbeispiele. Der Rekurs auf das Kriterium der Entgeltlichkeit stellt den Bezug zu
Art. 2 EGV her. Dienstleistungen werden konsequenterweise nur dann von Art. 49,
50 EGV erfasst, wenn sie einen Teil des Wirtschaftslebens i.S.d. Art. 2 EGV darstellen1048. Es muss sich demnach um eine wirtschaftliche auf einen Erwerbszweck gerichtete Tätigkeit handeln, welche hingegen nicht den in Art. 50 Abs. 2 EGV genannten traditionellen Kategorien zuzuordnen sein muss1049. Das Tatbestandsmerkmal des Entgelts zeichnet sich dadurch aus, dass es die wirtschaftliche/geldwerte Gegenleistung für die geleistete Tätigkeit darstellt1050. Die Formulierung „in der Regel“ impliziert überdies, dass es für die Beurteilung der Leistung von
keiner Relevanz ist, wenn im konkreten Einzelfall ausnahmsweise kein Entgelt erhoben wird1051. Unschädlich ist ferner, wenn nicht der Leistungsempfänger, sondern
ein Dritter die Gegenleistung erbringt1052, was für den Bereich des insbesondere
werbefinanzierten Privatfunks von nicht unerheblicher Bedeutung ist1053.
Es kann dahinstehen, ob die Tätigkeit des privaten Fernsehveranstalters, dessen
Programmtätigkeit nahezu ausschließlich durch Werbefinanzierung sichergestellt
wird, angesichts der dem Rundfunk nach deutschem Verfassungsrecht für die Meinungsbildung zukommenden konstituierenden Funktion, bereits als gewerbliche Tätigkeit i.S.d. Art. 50 Abs. 2 lit. a) EGV angesehen werden kann. Der EuGH geht jedenfalls in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass Verbreitung und Produktion
von Fernsehsendungen sowie die für Dritte ausgestrahlte Fernsehwerbung als
Dienstleistungen i.S.d. Art. 49, 50 EGV anzusehen sind1054.
Gemäß der durch die Rechtsprechung des EuGH fortentwickelten Dogmatik zur
Qualifizierung von Dienstleistungen handelt es sich sowohl bei der Leistungsbeziehung gegenüber dem Werbekunden, als auch gegenüber den Rezipienten als Empfängern der ausgestrahlten Werbebotschaft, um eine sog. Korrespondenzdienst-
1048 Siehe für die Einbeziehung von Lotterien in den Anwendungsbereich EuGH NJW 1994, 2013
(2014) – Schindler; allgemein Grabitz/Hilf-Randelzhofer/Forsthoff, EGV, Art. 49/50, Rn. 34.
1049 Lenz/Borchardt, EUV/EGV, Art. 49/50 EGV, Rn. 9, 10.
1050 Lenz/Borchardt, EUV/EGV, Art. 49/50 EGV, Rn. 12; Grabitz/Hilf-Randelzhofer/Forsthoff,
EGV, Art. 49/50, Rn. 35.
1051 Calliess/Ruffert-Kluth, EUV/EGV, Art. 49/50 EGV, Rn. 11; a.A. Grabitz/Hilf-
Randelzhofer/Forsthoff, EGV, Art. 49/50, Rn. 37.
1052 EuGH Rs. 352/85, Slg. 1988, 2085, Rn. 16 – Bond van Adverteerders.
1053 Calliess/Ruffert-Kluth, EUV/EGV, Art. 49/50 EGV, Rn. 11.
1054 Siehe hierzu: EuGH Rs. 155/73, Slg. 1974, 409 – Sacchi; EuGH, Rs. 52/79, Slg. 1980, 833 –
Debauve; EuGH Rs. 352/85, Slg. 1988, 2085 – Bond van Adverteerders; EuGH Rs. C-
260/89, Slg. 1991, I-2925 – ERT; EuGH Rs. C-288/89, Slg. 1991, I-4007 – Gouda; EuGH Rs.
C-353/89, Slg. 1991, I-4069 – Kom/Niederlande; EuGH Rs. C-211/91, Slg. 1992, I-6757 –
Kom/Belgien; EuGH Rs. C-23/93, Slg. 1994, I-4795 – TV10; EuGH, Rs. C-34/95, Slg. 1997,
I-3843 – De Agostini. Sich anschließend ebenfalls Lenz/Borchardt, EUV/EGV, Art. 49/50
EGV, Rn. 10; Calliess/Ruffert-Kluth, EUV/EGV, Art. 49/50 EGV, Rn. 9.
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leistung1055. Das Charakteristikum dieser vom Wortlaut des Art. 49 Abs. 1 EGV
nicht aufgegriffenen Art der Dienstleistungserbringung liegt in dem Umstand, dass
weder Dienstleistungserbringer noch Dienstleistungsempfänger grenzüberschreitend
tätig werden, sondern allein die Dienstleistung selbst den grenzüberschreitenden
Sachverhalt darstellt1056.
Festzuhalten bleibt, dass die von § 5 Abs. 3 Alt. 1 GlüStV ausgehenden denkbaren Sachverhaltskonstellationen allesamt vom sachlichen Anwendungsbereich der
Dienstleistungsfreiheit gemäß Art. 49, 50 EGV erfasst werden.
4. Zwischenergebnis
Sowohl der personelle als auch der sachliche Anwendungsbereich der Dienstleistungsfreiheit sind für den streitgegenständlichen Sachverhalt eröffnet.
III. Beschränkungen
Beschränkungen der Dienstleistungsfreiheit treten regelmäßig entweder in Form
diskriminierender- oder in Form beschränkender Regelungen zu Tage1057. Dem
Wortlaut der Art. 49 Abs. 1 und 50 Abs. 3 EGV ist ein Verbot jeglicher Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit zu entnehmen1058. Das Diskriminierungsverbot richtet sich an die Mitgliedstaaten von Leistungserbringer und Leistungsempfänger gleichermaßen1059 und erfasst sowohl offene, direkt an die Staatsangehörigkeit anknüpfende1060, als auch verdeckte/mittelbare Diskriminierungen, welche
zwar nicht explizit auf die Staatsangehörigkeit rekurrieren, jedoch aufgrund der Anwendung anderer Merkmale zu einer faktischen Schlechterstellung von Ausländern
1055 Vgl. EuGH Rs. 155/73, Slg. 1974, 409 – Sacchi; EuGH, Rs. 52/79, Slg. 1980, 833 – Debauve; EuGH Rs. 62/79, Slg. 1980, 881 – Coditel I; EuGH Rs. 262/81, Slg. 1982, 3381 – Coditel
II; EuGH Rs. 352/85, Slg. 1988, 2085 – Bond van Adverteerders; EuGH NJW 1995, 2541
(2542) – Alpine Investments; Grabitz/Hilf-Randelzhofer/Forsthoff, EGV, Art. 49/50, Rn. 44.
1056 Der Wortlaut des Art. 49 Abs. 1 EGV erfasst ausdrücklich nur die sog. aktive Dienstleistungsfreiheit, bei der sich der Dienstleistungserbringer zwecks Dienstleistungserbringung
in einen anderen Mitgliedstaat begibt. Neben der vorliegend relevanten Korrespondenzdienstleistung sieht der EuGH in ständiger Rechtsforbildung auch die sog. passive Dienstleistungsfreiheit, bei der sich der Dienstleistungsempfänger zwecks Dienstleistungsempfangs in einen
anderen Mitgliedstaat begibt, als von Art. 49, 50 EGV erfasst an. Vgl. zu sämtlichen Dienstleistungskonstellationen jeweils m.w.N. Grabitz/Hilf-Randelzhofer/Forsthoff, EGV, Art.
49/50, Rn. 42 ff.; Calliess/Ruffert-Kluth, EUV/EGV, Art. 49/50 EGV, Rn. 24 ff.
1057 Vgl. Lenz/Borchardt, EUV/EGV, Art. 49/50 EGV, Rn. 17.
1058 Vgl. Calliess/Ruffert-Kluth, EUV/EGV, Art. 49/50 EGV, Rn. 51.
1059 EuGH NJW 1995, 2541, Rn. 30 – Alpine Investments.
1060 EuGH Rs. C-3/95, Slg. 1996, I-6511, Rn. 25 – Reisebüro Broede.
Chapter Preview
References
Zusammenfassung
Die Arbeit zeichnet einen Querschnitt durch das Rundfunk- und Glücksspielrecht. Es erfolgt eine dezidierte und umfassende Darstellung der Systematik der Staatsaufsicht über die Landesmedienanstalten am Beispiel der Sportwettenwerbung im Privatfernsehen. Die in den Landesmediengesetzen der 16 Bundesländer normierten Aufsichtsmaßstäbe und Aufsichtsmittel werden rechtsvergleichend gegenübergestellt und in allen Einzelheiten erläutert. Sodann folgt eine Untersuchung der materiellrechtlichen Zulässigkeit von Sportwettenwerbung im Privatfernsehen, insbesondere nach Maßgabe des zum 01.01.2008 in Kraft getretenen Fernsehwerbeverbotes für Glücksspiele gemäß § 5 Abs. 3 Alt. 1 GlüStV. Die Tatbestandsvoraussetzungen des Verbotes werden detailliert erörtert und die Norm überdies auf ihre Verfassungs- und Europarechtskonformität überprüft.