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kann, schnellstmöglich das bestehende Gesellschaftsrecht zu überwerfen und das
Privileg der beschränkten Haftung vorschnell jedem Unternehmer zur Verfügung zu
stellen. Denn ein „Rosinenpicken“ gibt es im bestehenden Gesellschaftsrecht nicht.1417
Entweder man folgt dem englischen Ansatz, der im Hinblick auf die Gründungsvoraussetzungen weniger streng, im Laufe der Geschäftstätigkeit aber strenger als das
deutsche Recht ist. Oder man wählt den umgekehrten Weg und behält die deutschen
Regelungen bei. Letztlich handelt es sich bei der Frage der Ausgestaltung des
Gläubigerschutzes immer um ein „Nullsummenspiel“.1418 Erleichterungen auf der einen
Seite, zum Beispiel durch einen Wegfall des Mindestkapitalerfordernisses, müssen
zwangsläufig mit Verschärfungen auf der anderen Seite, zum Beispiel bei der
verhaltensbezogenen Geschäftsführerhaftung oder der Durchgriffshaftung der Gesellschafter, ausgeglichen werden.1419 Es ist kein Grund ersichtlich, die bestehenden
Rechtsformen nach dem Vorbild einiger englischer oder US-amerikanischer Regelungen zu ändern.1420
Es ist richtig, dass sich Deutschland aufgrund der Rechtsprechung des EuGH nicht
mehr davor verschließen kann, auf andere Rechtsordnungen zu schauen und zu
analysieren, wie diese Rechtssysteme ihre Gesellschaftsformen ausrichten. Aufgabe
einer solchen Rechtsvergleichung darf aber nur sein, die bestehenden unterschiedlichen
Regelungen ganzheitlich zu analysieren und sodann zu entscheiden, welche Aspekte
auch für die eigene Rechtsordnung von Nutzen sein können. Die bloße Übernahme bzw.
Kopie ganzer Rechtsformen und Regelungsprinzipien kann nicht Ziel der Reformbestrebungen sein.
B. Der Gläubigerschutz im Rahmen des Strukturwandels
In der Einleitung wurde darauf hingewiesen, dass es eine Verbindung von Inhaberschaft, Geschäftsführung und beschränkter Haftung bei börsenunabhängigen Unternehmen aufgrund von gläubigerschützenden Überlegungen lange Zeit nicht gab.1421 Das
Risiko eines opportunistisch handelnden und zugleich beschränkt haftenden Inhabers
war zu groß. Vielmehr wurde der notwendige Gläubigerschutz in kleinen
personalistisch ausgestalteten Unternehmen durch die unbeschränkte und persönliche
Haftung der Inhaber des Unternehmens erreicht. Dadurch sollte eine angemessene
Risikoallokation zwischen Unternehmens- und Gläubigerinteressen erreicht werden.
Wenn der Gesetzgeber aber diese Ausgangssituation ändert, indem das Privileg der
beschränkten Haftung sogar für personalistisch ausgestaltete Gesellschaftsformen
1417 Ries, AnwBl. 2006, 53, 55.
1418 Zutreffend Seibert, GmbHR 2006, R. 241f.
1419 Seibert, GmbHR 2006, R. 241f.; dagegen aber Drygala, ZIP 2006, 1797, 1799.
1420 Wicke, ZNotP 2006, 322, 324.
1421 Einen schönen Überblick dazu gibt Forbes, 2 J.L.Econ.& Org. 163 ff. (1986).
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eingeführt wird, ist es grundsätzlich auch Sache des Gesetzgebers, Schutzmechanismen
einzuführen, um eine unerwünschte Externalisierung von Kosten zu vermeiden.1422 Eine
Streichung des Mindestkapitalerfordernisses nach dem Vorbild der englischen Limited
ist nur möglich, wenn der Verlust der Kapitalaufbringungs- und Erhaltungsgrundsätze
sofort anderweitig und gleichwertig kompensiert wird.1423 Eine Haftungsbeschränkung
kann es nicht „umsonst“ geben.1424 Deshalb muss man sich im Rahmen der Reformbewegungen mit der Frage auseinandersetzen, welcher Preis von kleinen und mittleren
Unternehmen für die Haftungsbeschränkung verlangt werden kann. Zur Auswahl steht
eine Vielzahl von Alternativen, die in den Ausführungen zum deutschen und USamerikanischen Recht im Hinblick auf die Haftungsverhältnisse in der atypischen Kommanditgesellschaft bereits angesprochen wurden und nun näher untersucht werden
sollen:
Im Wesentlichen gibt es drei Bereiche, die als Preis für eine Haftungsbeschränkung in
Betracht kommen.1425 Dazu zählen das Sicherungskorrektiv der Kapitalerhaltungs- und
Aufbringungspflichten, die Publizitätspflichten und die verhaltensbezogenen Haftungsnormen.1426 Manche Bereiche sind landläufig eine Ausprägung der kontinental-europäischen Rechtsordnungen und manche Bereiche sind typisch für den angloamerikanischen Rechtskreis.1427 Allen Sicherungskorrektiven gemein ist jedoch die Tatsache,
dass eine Optimierung des Gläubigerschutzes nicht gleichzeitig eine vollständige Maximierung desselbigen bedeutet, sondern die Suche nach der Balance zwischen den im
Konflikt stehenden Gruppen im Vordergrund steht.1428 Ein zu laxer Gläubigerschutz
würde Unternehmer dazu verleiten, risikoreiche und rücksichtslose Transaktionen auf
Kosten der Allgemeinheit durchzuführen. Durch zu strenge und unbestimmte
Haftungsregelungen wird jedoch sämtlicher unternehmerischer Wagemut verhindert.1429
Dadurch entsteht ein gesamtwirtschaftlicher Schaden, der das Gleichgewicht ebenfalls
zerstört. Deshalb muss der Zweck vielmehr sein, ein Gleichgewicht zwischen den sich
1422 Ebenso Eidenmüller, ZGR 2007, 168, 182 ff.; Roth, ZGR 2005, 348, 357; Teichmann, NJW 2006,
2444, 2445.
1423 Seibert, GmbHR 2006, R. 241 f.
1424 Vgl. dazu Landers, 42 U.Chi.L.Rev. 589 (1975); auch Kleindiek, ZGR 2006, 335, 340;
Teichmann, NJW 2006, 2444, 2445. Wiedemann, GesR, S. 565. Ähnlich BGH WM 2003, 348,
349; 1814, 1816; BGH WM 2003, 977, 978.
1425 Hertig/Kanda, Creditor Protection, in: Kraakman u. a., Anatomy of Corporate Law, 2005,
S. 72– 73.
1426 Hertig/Kanda, Creditor Protection, in: Kraakman u. a., Anatomy of Corporate Law, 2005,
S. 72–74.
1427 Dazu auch Dierksmeier/Scharbert, BB 2006, 1517, 1521.
1428 Siehe Fastrich, DStR 2006, 656, 663.
1429 Siehe Lehmann, ZGR 1986, 345, 353; aus englischer Sicht Freedman, 63 Modern L.Rev. 317, 333
(2000).
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widerstreitenden Interessen zu erreichen.1430 Diesem Gleichgewicht nähern sich die
Rechtsordnungen traditionell unterschiedlich.1431
I. Mindestkapitalvorschriften
„(Es gibt einen) allgemeinen Grundsatz des bürgerlichen Rechts und des Handelsrechts,
dass derjenige, der als Einzelperson oder in Gemeinschaft mit anderen Geschäfte
betreibt, für die daraus entstehenden Verpflichtungen mit seinem gesamten Vermögen
haftet, solange sich aus dem Gesetz nichts anderes ergibt1432 … (Deshalb) sei für das
Privileg der fehlenden persönlichen Haftung … der im Gesetz vorgesehene Preis in
Form der Pflichten zur Aufbringung und Erhaltung eines Mindestkapitals (…) zu
zahlen.“1433 „Das GmbH-Recht ist von dem (…) maßgebenden Grundsatz beherrscht,
dass im Interesse des redlichen Rechtsverkehrs die Aufbringung und Erhaltung des
Stammkapitals als die Haftungs- und Kreditgrundlage der Gesellschaft unbedingt
gesichert werden muss.“1434 Bis vor einigen Jahren hätten diese Bemerkungen des BGH
keine große Beachtung gefunden.1435 Denn der BGH bezieht sich auf ein anerkanntes
und traditionelles kontinentaleuropäisches Sicherungskorrektiv zur beschränkten
Haftung. Im Gegensatz zum angloamerikanischen Rechtskreis findet die Haftungsbeschränkung in Deutschland ihre Legitimation im Wesentlichen in den gesetzlichen
Kapitalaufbringungs- und Erhaltungsgrundsätzen oder in der persönlichen Haftung
zumindest eines Gesellschafters.1436
In Anbetracht des dargestellten Wettbewerbs stellen die Aussagen des BGH keine
Selbstverständlichkeit mehr dar. Immerhin verzichtet zum Beispiel die Limited gänzlich
auf ein Mindestkapitalerfordernis und auch Frankreich und Spanien haben ihre
Kapitalvorschriften erheblich verschärft. Deshalb ist es auch nicht verwunderlich, dass
die gegenwärtige Diskussion1437 insbesondere das deutsche Kapitalschutzsystem
betrifft.
1430 Hertig/Kanda, Creditor Protection, in: Kraakman., Anatomy of Corporate Law, 2005,
S. 73.
1431 Siehe dazu Freedman, 63 Modern L.Rev. 317, 335 (2000); auch Teichmann, NJW 2444, 2445–46.
1432 BGHZ 142, 315, 319, 322.
1433 BGH WM 2003, 348, 349; 1814, 1816; ähnlich BGH WM 2003, 977, 978.
1434 BGHZ 68, 191, 195.
1435 Dabei ist zu beachten, dass der BGH sich erneut zu dem von Flume aufgestellten „Grundsatz des
Bürgerlichen Rechts und des Handelsrechts“ bezieht, wonach jede Person die am
Wirtschaftsverkehr teilnimmt grundsätzlich für die entstandenen Verpflichtungen persönlich hafte,
so lange die Haftung nicht durch den Gesetzgeber oder durch vertragliche Gestaltungen mit dem
Geschäftspartner ausgeschlossen wird. Vgl. dazu Flume, NJW 1981, 1753, 1754; ders., Juristische
Person, S. 164.
1436 Siehe u.a. Merkt, ZGR 2004, 305, 310; Schärtl, GmbHR 2007, 344, 346.
1437 Vgl. auch Kleindiek, ZGR 2006, 335, 336, 337 m. w. N.
250
Dabei sollte das Mindestkapitalerfordernis zumindest ursprünglich die negativen
Externalitäten von Haftungsbeschränkungen verhindern.1438 In Bezug auf den
Gläubigerschutz soll das Mindestkapital einer angemessenen Risikoallokation zwischen
den Gesellschaftern und den Gläubigern dienen.1439 Dabei unterstützt es in erster Linie
einen „indirekten“ Gläubigerschutz, indem das Mindestkapital eine sog.
Seriositätsschwelle darstellt.1440 Mit der Kapitalaufbringungspflicht wird eine notwendige Ernsthaftigkeit oder Seriosität der Unternehmensgründung gewährleistet.1441
Dadurch wird der Rechtsverkehr vor der überstürzten Gründung einer Gesellschaftsform mit beschränkter Haftung geschützt und vor unerwünschten Externalitäten
bewahrt. Der Gesetzgeber will mit Einführung des Mindestkapitalerfordernisses nur
denjenigen den Marktzugang zur beschränkten Haftung gewähren, die sich mit eigenem
Kapital am Risiko des Unternehmens beteiligt und dadurch einen Anreiz zur sorgsamen
Unternehmensführung haben.1442 Wenn jemand das Geld zur Gründung nicht
aufbringen kann, sollte ihm keine Gesellschaftsform mit beschränkter Haftung zur Verfügung gestellt werden, denn in diesem Fall wird von vornherein zu Lasten der
Gläubiger gegründet.1443
Dennoch wird immer wieder darauf hingewiesen, dass die Gläubiger hierdurch gar
nicht über die Gründungsphase hinaus geschützt werden, da das Gründungskapital zumeist in der Anfangsphase als Arbeitskapital1444 aufgebraucht worden sei und somit der
Gesellschaft und damit den Gesellschaftsgläubigern nicht mehr zur Verfügung stehe.1445
Gleichwohl weckt das Mindestkapitalerfordernis ein gewisses Eigeninteresse an
verantwortungsvoller Unternehmensführung, denn das Nennkapital bedeutet auch eine
Beteiligung der Gesellschafter am Unternehmen.1446 Dadurch wird vermieden, dass die
Folgen des Scheiterns eines Unternehmens allein der Allgemeinheit aufgedrückt
werden.1447 Damit einher gehen die Regelungen der Ausschüttungssperren1448 des
1438 Die gesetzlichen Einzelheiten zum Mindestkapital werden an dieser Stelle vorausgesetzt. Vgl. zu
den Problemschwerpunkten des Eigenkapitalersatzes aber Lutter/Hommelhoff; in: Lutter/
Hommelhoff, §§ 32a, 32b. Zum Problem des existenzvernichtenden Eingriffs siehe BGHZ 149, 10
ff.; zur verdeckten Sacheinlage siehe Lutter/Bayer in: Lutter/Hommelhoff, § 5 Rn. 41 ff.
1439 Vgl. Wilhelmi, GmbHR 2006, 13, 14.
1440 Grundlegend Ballerstedt, ZHR 135 (1971), 383, 384 ff. Aus neuerer Zeit Breitenstein/Meyding,
BB 2006, 1457, 1458; Eidenmüller/Engbert, GmbHR 2005, 433, 437; Fastrich, DStR 2006, 656,
657 f.; Jungmann, ZGR 2006, 638, 642; Kleindiek, ZGR 2006, 335, 343; Priester, DB 2005, 1315,
1317. Kritisch insbesondere Haas, DStR 2006, 993, 994 f.; Schön, DK 2004, 162, 165. Aus
rechtsvergleichender Sicht siehe Enriques/Macey, 86 Cornell L.Rev. 1165, 1185 (2001).
1441 Siehe Karsten, GewArch 2006, 234, 238; ausführlich auch Leyendecker, GmbHR 2008, 302, 305.
1442 Kleindiek, ZGR 2006, 335, 342,
1443 Zutreffend Zöllner, GmbHR 2006, 1, 12; ähnlich auch Kleindiek, ZGR 2005, 335, 343; Ries,
AnwBl. 2006, 53, 55.
1444 Zur Funktion als Arbeitskapital siehe Wilhelmi, GmbHR 2006, 13, 14.
1445 Siehe Grunewald/Noack, GmbHR 2005, 189, 190; Schön, DK 2004, 162, 165.
1446 Vgl. dazu aus englischer Sicht, Freedman, 63 Modern L.Rev. 317, 335 (2000); auch Fastrich,
DStR 2006, 656, 660.
1447 Vgl. Wilhelmi, GmbHR 2006, 13, 14 m. w. N.
251
Stammkapitals, durch welche die Gläubiger bereits im Vorfeld der Insolvenz geschützt
werden sollen und nicht erst nachdem die Gesellschaft insolvent geworden ist.1449 Der
Ex-ante-Schutz des Mindestkapitals wird auch an seiner Warnfunktion deutlich. Denn
die Geschäftsführer sind verpflichtet, bei Verlust der Hälfte des Garantiekapitals die
Anteilsinhaber zu unterrichten und dadurch einer drohenden Insolvenz vorzubeugen.1450
Allerdings sind die Mindestkapitalvorschriften, die vormals als „Kulturleistung ersten
Ranges“1451 bezeichnet wurden, im Rahmen der gegenwärtigen Diskussion vehement in
die Kritik geraten.1452 Dabei konzentriert sich die Kritik im Wesentlichen darauf, dass
eine angemessene Höhe des Mindestkapitals kaum festzulegen ist, dass das gebundene
Kapital in der Krise zumeist aufgebraucht sei und die Kosten der Einhaltung
schwerfällig und ineffizient seien.1453 Zudem stelle das Mindestkapital ein gesamtwirtschaftlich unerwünschtes Gründungshemmnis dar und trage nicht zum Gläubigerschutz bei.1454 Jedoch sind bisher vor allem in ökonomischer Hinsicht keine
empirischen Ergebnisse bekannt, die eine Ineffizienz der gesetzlichen Regelungen zum
Mindestkapital belegen könnten.1455 Im Hinblick auf die Verteilungsgerechtigkeit unter
den Gläubigern wird das Mindestkapital zumeist sogar als ökonomisch sinnvoll angesehen,1456 wohingegen am gesamtwirtschaftlichen Nutzen der Regelungen gezweifelt
wird.1457
Gleichwohl lässt sich zu Recht sagen, dass unter ökonomischen Gesichtspunkten ein
argumentativer Patt1458 zu konstatieren ist.1459 Weder die hochabstrakten und zumeist
realitätsfernen ökonomischen Modelle1460 noch die konkreten Insolvenzstatistiken1461
1448 Das deutsche Ausschüttungsverbot findet sein Pendant im englischen solvency test, der jedoch in
seinen Rechtsfolgen viel weiter reicht. So muss jedes Mal, bevor an die Gesellschaft ausgeschüttet
wird, festgestellt werden, inwieweit die Kapitalreserven der Gesellschaft trotz der Ausschüttung
noch für die nächste Zeit reichen. Vgl. näher zum solvency test Schön, DK 2004, 162, 168 f.
1449 Vgl. dazu Haas, DStR 2006, 993, 998 f. Die Verlustanzeigepflicht nach § 49 III GmbHG könnte
ebenfalls als eine Art Frühwarnsystem bezeichnet werden. So z. B. Priester, ZIP 2005, 921.
1450 Vgl. dazu auch Group of German Experts on Corporate Law, ZIP 2002, 1310, 1317.
1451 Siehe Wiedemann, GesR, § 10 IV 1b. Dagegen aber Schön, DK 2004, 162, 164 (Die Aussage
gehöre in ein „Museum des Gesellschaftsrechts“.).
1452 Vgl. z. B. Gehb/Dranke/Heckelmann, NZG 2006, 88, 92 f.; Grunewald/Noack, GmbHR 2005, 189
ff.; Fleischer, ZHR 2001, 1, 12; Kleindiek, ZGR 2006, 335, 337; Schön, DK 2004, 162, 165;
Blaurock, FS Raiser, 2005, 3, 9 f.; Triebel/Otte, ZIP 2006, 311 ff.
1453 Vgl. Fleischer, ZGR 2001, 1, 12; Schön, DK 2004, 162, 165. Siehe auch die umfangreiche
Auflistung der einschlägigen Literatur bei Wilhelmi, GmbHR 2006, 13 Fn. 2.
1454 Siehe z. B. Triebel/Otte, ZIP 2006, 1321, 1322; dies., ZIP 2006, 31, 313; Grunewald/Noack,
GmbHR 2005, 189, 190; dazu aber Zöllner, GmbHR 2006, 1, 12.
1455 So auch Merkt, ZGR 2004, S. 305, 322; Wilhelmi, GmbHR 2006, 13, 14.
1456 Siehe Priester, DB 2005, 1315; Fastrich, DStR 206, 656, 660; sogar aus englischer Sicht wird dies
zugegeben. Siehe Freedman, 63 Modern L.Rev. 317, 335 ff.
1457 Vgl. z. B. Mülbert, DK 2004, 151, 153; ähnlich auch Eidenmüller/Engert, GmbHR 2005, 433,
434.
1458 Fleischer, ZGR 2001, 1, 13.
1459 Anders insbesondere Mülbert, DB 2004, 151 ff.
1460 Ökonomische Modelle gehen zumeist von effizienten Märkten und gleichberechtigten
Teilnehmern aus. Diskrepanzen werden zumeist nicht berücksichtigt. Siehe dazu Freedman, 63
Modern L.Rev. 317, 335 f. (2000); Armour, 63 Modern L.Rev. 355, 357 f. (2000).
252
zur GmbH vermögen eine verlässliche Auskunft über die Effizienz des bestehenden
Regelungswerkes zu geben.1462 Konsens scheint jedoch zu sein, dass ein Wegfall des
Mindestkapitals zu einer Vielzahl von unterkapitalisierten GmbHs führen würde, auf die
mit den aufgeführten Grundsätzen zur Unterkapitalisierungshaftung reagiert werden
müsste.1463 Ob eine solche Ex-post-Vorgehensweise volkswirtschaftlich wünschenswert
ist, bleibt abzuwarten.
Ökonomische Erwägungen allein sind nicht geeignet, die unterschiedlichen Regelungen zu erklären. Dies verdeutlicht, dass sämtliche Sicherungskorrektive in großem
Maße durch die Wertungen der einzelnen Rechtsordnungen geprägt sind.1464 Ein
alternatives Sicherungskorrektiv, das besonders den angloamerikanischen Rechtsraum
seit jeher prägt, ist der ökonomische Ansatz des privatautonomen Selbstschutzes.1465
Der Aspekt wurde bereits im Rahmen des Strukturwandels der limited partnership
angesprochen und verdient nun auch an dieser Stelle eine nähere Betrachtung.
II. Privatautonomer Selbstschutz
Die Tatsache, dass Haftungsbeschränkungen zugleich einen umfassenden Gläubigerschutz erfordern, um zu vermeiden, das die Haftungsrisiken allein auf die Allgemeinheit
verlagert werden, bedeutet nicht zwangsläufig, dass dieser Schutz durch einen gesetzlichen Eingriff gewährleistet werden muss.1466 Eine gesetzliche Intervention ist nur dann
gerechtfertigt, wenn gesetzliche Gläubigerschutzmechanismen effektiver und effizienter
sind, als wenn sich die Gläubiger selbst schützen müssten.1467 Gläubiger sind nicht
machtlos, wenn es darum geht, die drohenden Externalitäten zu vermeiden. Solange der
Gläubiger weiß, auf welche Risiken er sich einlässt, kann er sich das Risiko durch ein
„Premium“ vergüten lassen und sich dadurch selbst schützen,1468 zum Beispiel indem er
in den Vertragsverhandlungen auf weiteren Sicherheiten oder einer persönlichen
Mitverpflichtung besteht.1469 Die traditionelle US-amerikanische Law & Economics-
Lehre will sogar grundsätzlich auf staatliche Schutzmechanismen im Hinblick auf
1461 Zum Irrglauben, dass das Mindestkapital „so gut nicht sein kann“, wenn die GmbH doch
„Weltmeister der Insolvenzen“ ist, siehe insbesondere Fastrich, DStR 2006, 656 ff.
1462 So wohl auch Merkt, ZGR 2004, 305, 322; Eidenmüller/Engert, GmbHR 2005, 433, 437.
1463 Vgl. dazu nur Karsten, GmbHR 2006, 57, 59; Priester, DB 2005, 1315, 1319.
1464 Siehe dazu insbesondere Enriques/Macey, 86 Cornell L.Rev. 1165 ff. (2001).
1465 Siehe Posner, 43 U.Chi.L.Rev. 499, 503 f. (1976); Easterbrook/Fischel, 52 U.Chi.L.Rev. 89, 104
f.(1985).
1466 Hertig/Kanda, Creditor Protection, in: Kraakman u. a., Anatomy of Corporate Law, 2005, S. 72.
1467 Hertig/Kanda, Creditor Protection, in: Kraakman u. a., Anatomy of Corporate Law, 2005,
S. 72–73.
1468 Posner, 43 U.Chi.L.Rev. 499, 503 (1976); ders., Economic Analysis of Law, S. 432; Carney,
Limited Liability, S. 659, 675.
1469 Vgl. Roth, ZGR 1986, 371, 374; Schön, ZGR 2000, 706, 725; Eidenmüller, JZ 2001, 1041, 1049;
Hansmann, 4 J.L.Econ.& Org. 267 f. (1988).
253
Haftungsprivilegien verzichten und stattdessen das Gleichgewicht der Interessen allein
dem Markt und damit dem privatautonomen Selbstschutz überlassen.1470 Nach dieser
Ansicht sind die Teilnehmer des Wirtschaftslebens in der Lage, auf dem Wege der
vertraglichen Vereinbarungen das jeweilige Risiko einer Transaktion zu bestimmen und
auszuhandeln, welche jeweilige Risikoallokation für welchen Preis gewollt ist.1471 Eine
staatliche Ex-post-Intervention würde das von den Parteien erreichte Gleichgewicht
wieder stören und einer Partei einen windfall profit verschaffen.1472
Insbesondere in den USA ist Gläubigerschutz deshalb keine primäre Aufgabe des
Gesellschaftsrechtsgesetzgebers, sondern bleibt in weiten Teilen der Initiative der
Gläubiger überlassen.1473 Zum Beispiel werden in den USA in Kreditverträgen regelmäßig sog. financial covenants benutzt. Diese ähneln im Grunde den deutschen Kapitalaufbringungs- und Erhaltungsregelungen, gehen jedoch zum Teil noch darüber hinaus,
indem die covenants zumeist die Gewährleistung eines festgelegten Kapitals beinhalten.1474 In England hingegen sind solche covenants noch nicht weit verbreitet, aber
der privatautonome Selbstschutz spielt auch dort regelmäßig im Rahmen der Kreditwürdigkeit eine große Rolle.1475 Ein höheres Risiko durch umfangreiche Haftungsbeschränkungen und/oder eine geringe Kapitalausstattung wird bei der Kreditvergabe
mit höheren Zinssätzen oder einer anderen Premiumzahlung mit abgegolten.1476
Verfolgt man den Gedanken eines effizienten privatautonomen Selbstschutzes weiter,
erscheint die Diskussion um die Gewährleistung ausreichender Gläubigerschutzmechanismen überflüssig.1477 Denn wenn die Vertragsparteien jegliche Allokation des
Risikos selbst festlegen könnten, bräuchte man sich keine Gedanken zu machen, welche
Maßnahmen getroffen werden müssen, um eine unerwünschte Externalisierung von
Kosten durch Haftungsbeschränkungen zu vermeiden. Der Markt würde dies selber
regeln, und getreu dem angloamerikanischen Modell wäre es nur noch die wesentliche
Aufgabe des Gesellschaftsrechts, den unternehmerisch handelnden Personen ein breites
und effizientes Angebot an rechtlichen Instrumenten zur Verfügung zu stellen, um die
Wirtschaftstätigkeit zu verbessern und die Aufgabe von Eigenkapital zu erleichtern.1478
1470 Siehe Easterbrook/Fischel, 52 U.Chi.Law.Rev. 89 (1985); Posner, Economic Analysis of Law,
Ch. 14 (1998); Posner/Scott, Economics of Corporation Law, Ch. 8 (1980).
1471 Siehe dazu Roth, ZGR 2005, 348, 358.
1472 Easterbrook/Fischel, 52 U.Chi.L.Rev. 89, 104 ff. (1985).
1473 Vgl. Merkt, ZGR 2004, 305, 313.
1474 Vgl. Armour, 63 Modern L.Rev. 355, 273 (2000); Merkt, ZGR 2004, 305, 313; Wilhelmi, GmbHR
2006, 13, 15.
1475 Siehe ausführlich dazu Wüstemann/Kierzek, BB 2007, 13, 15 ff.
1476 Zur Kreditwürdigkeit siehe Kallmeyer, DB 2004, 636, 637.
1477 Siehe zur letzten Konsequenz einer solche Sichtweise Roth, ZGR 2005, 348, 359.
1478 Vgl. zu diesem Merkmal der angloamerikanischen Rechtsordnungen grundlegend Zimmer,
Internationales GesR, S. 197 ff. Vgl. die Bemerkung von Lord Watson in: Salomon v. Salomon
Co.Ltd., AC 22, 40 (1897) ("a creditor who will not take the trouble … to protect himself must
bear the consequences of his own negligence").
254
Etwaige Externalitäten würden im Rahmen eines effizienten Marktes durch privatautonomen Selbstschutz verhindert.1479
1. Einschränkung des privatautonomen Selbstschutzes
Gleichwohl bringt ein solches liberalistisches Konzept erhebliche Probleme in Bezug
auf die notwendigen Differenzierungen zwischen den einzelnen Gläubigern mit sich.1480
Denn eine solche „Vertragslösung“ hängt entscheidend von der Verhandlungsstärke der
potentiellen Gläubiger ab. Den professionellen und marktbeherrschenden Gläubigern,
wie zum Beispiel den großen Bankinstituten, kann der autonome Vertragsschutz ohne
weiteres zugemutet werden. Es gibt aber auch schwache Gläubiger ohne große
Verhandlungsmacht, wie zum Beispiel kleine Lieferanten, Handwerker oder auch
Arbeitnehmer, die sich nicht im gleichen Maße individualrechtlich schützen können.1481
Solche „kleinen“ Gläubiger, auf die ein erheblicher Teil der Geschäftsverbindlichkeiten
entfällt, werden nur unzureichend durch die großen Gläubiger mitgeschützt. Denn
obwohl die Möglichkeit besteht, dass marktbeherrschende Gläubiger als eine Art Sachwalter der kleinen Gläubiger auftreten könnten, ist es keineswegs sichergestellt, dass
stets marktbeherrschende Gläubiger existieren, die dann auch noch als Sachwalter der
kleinen Gläubiger auftreten wollen.1482
Verstärkt wird das Ungleichgewicht noch im Hinblick auf die Deliktsgläubiger,1483
die faktisch nicht in der Lage sind, ein etwaiges Risiko im Vorfeld zuverlässig zu
kalkulieren, um dadurch eine angemessene vertragliche Risikoallokation zu regeln.1484
Die Diskrepanz zwischen schwachen und starken Gläubigern wird im Wirtschaftsleben
besonders deutlich. Denn sowohl englische als auch deutsche Banken belassen es meist
nicht bei vertraglichen Risikoallokationen, sondern bestehen darauf, vor allem Bürgschaften als Sicherheiten zu erhalten. Dadurch wird die Gesellschafterhaftung aus § 13
II GmbHG sozusagen individualvertraglich abbedungen.1485 Die Haftungsbeschränkung
gilt dann nur noch gegenüber den schwachen Gläubigern, für die eine solche ver-
1479 Siehe Gower/Davies, Principles of Modern Company Law, S. 533 ff. (2004).
1480 Merkt, ZGR 2004, 305, 313; dazu auch Armour, 63 Modern L.Rev. 355 (2000); Hertig/Kanda,
Creditor Protection, in: Kraakman u. a., Anatomy of Corporate Law, 2005, S. 72–73.
1481 Vgl. Eidenmüller, JZ 2004, 24, 27; Fleischer, ZGR 2001, 1, 13; Roth, ZGR 2005, 348, 359–60;
ders., ZGR 1986, 371, 376. Aus dem englischsprachigen Schrifttum siehe zu diesem Aspekt statt
vieler Easterbrook/Fischel, 52 U.Chi.L.Rev. 89, 112 (1985).
1482 Vgl. zu dem „Rechtsreflex“ durch vertragliche Regelungen großer Gläubiger Merkt, ZGR 2004,
305, 313; Wilhelmi, GmbHR 2006, 13, 15; anders aber Mülbert, DK 2004, 151, 157.
1483 Siehe zu den Deliktsgläubiger Hansmann/Kraakman, 100 Yale L.J. 1879 (1991); Hertig/Kanda,
Creditor Protection, in: Kraakman u. a., Anatomy of Corporate Law, 2005, S. 76–77.
1484 Roth, ZGR 2005, 349, 359. Hinzukommt, dass Deliktsopfer rein begrifflich bereits nicht in der
Lage sind, über eine Lobby politischen Einfluss auszuüben. Siehe Hertig/Kanda, Creditor
Protection, in: Kraakman u. a., Anatomy of Corporate Law, 2005, S. 76–77.
1485 Wilhelmi, GmbHR 2006, 13, 16.
255
tragliche Vereinbarung zwischen den Gesellschaftern und den marktbeherrschenden
Gläubigern rechtlich irrelevant ist.1486 Die unternehmerischen Risiken werden dadurch
im Wesentlichen nur von den schwachen Gläubigern getragen.1487
Des Weiteren bringt ein privatautonomer Schutz zwangsläufig erhöhte Transaktionskosten mit sich, die durch die Erstellung der zumeist überregulierten Individualverträge
entstehen.1488 Dadurch wird nicht nur die Effizienz des Selbstschutzes in Frage gestellt,
sondern zudem auch die bereits erwähnte Diskrepanz unter den Gläubigern erhöht. Die
erhöhten Kosten einer individualvertraglichen Regelung schmälern das Gesellschaftsvermögen und treffen somit nicht nur die Gesellschaft und die Gesellschafter,
sondern indirekt auch die schwachen Gläubiger, die ausschließlich auf das Gesellschaftsvermögen angewiesen sind, weil sie sich keine anderen Sicherheiten individualvertraglich einräumen lassen konnten.1489
2. Fazit
Privatautonomer Selbstschutz allein reicht nicht aus, um sämtliche Externalitäten zu
verhindern. Durch das Ungleichgewicht unter den Gläubigern besteht weiterhin die
Gefahr, dass der Schuldner einen opportunistischen Vorteil erreichen kann, indem
Risiken auf die schwachen Gläubiger verlagert werden.1490 Das deutsche Recht hat sich
zumindest im Bereich des Gesellschaftsrechts gegen einen solchen Selbstschutz
entschieden. Vielmehr wird versucht, mit den Kapitalaufbringungs- und Erhaltungsvorschriften die Balance zwischen Gläubigern und Gesellschaftern aufrechtzuerhalten.
Trotz der Probleme in Bezug auf die Kapitalregelungen ist davon abzuraten, nunmehr
„panikartig“ den angloamerikanischen self-help approach ins deutsche Recht zu übertragen. Voraussetzung eines jeden Selbstschutzes ist nämlich die vollständige Transparenz des Unternehmens. Jeder Selbstschutz erfordert Informationsmöglichkeiten über
die jeweiligen Risiken. Dazu gehört das Publizitätserfordernis. Ob kleine Unternehmen
und der Mittelstand sich den umfangreichen Publizitätspflichten, die in England und
den USA regelmäßig anzutreffen sind, hingeben wollen bzw. können, ist zweifelhaft.
Gleichwohl gewinnt der Publizitätsgedanke eine immer größer werdende Bedeutung in
Europa.1491
1486 Freedman, 63 Modern L.Rev. 317, 346 ff. (2000).
1487 Aus englischer Sicht siehe insbesondere Freedman, 63 Modern L.Rev. 317, 339, 346–47 (2000).
1488 Priester, DB 2005, 1315, 1318; Wilhelmi, GmbHR 2006, 13, 16.
1489 Siehe dazu Freedman, 63 Modern L.Rev. 317, 335 ff.
1490 Vgl. Roth, ZGR 2005, 348, 360.
1491 Vgl. Grunewald/Noack, GmbHR 2005, 189, 190 mit Hinweis auf den EuGH in Inspire Art.
256
III. Publizität
Publizität oder die Offenlegung von Unternehmensverhältnissen1492 nutzt Investoren
und Gläubigern, die dadurch ihre Risiken besser abschätzen können. So wird zum
Beispiel in der Diskussion über die englische Limited oder auch Limited Liability
Partnership häufig ignoriert, welche Nachteile die Gesellschaftsform insbesondere
aufgrund der weit reichenden Publizitätsvorschriften hat. Denn im angloamerikanischen
Rechtskreis dient insbesondere die Publizität als Korrelat zur Haftungsbeschränkung.
Gleichwohl wurde in der deutschen Diskussion immer wieder von der schnellen und
kostengünstigen Gründung der Gesellschaftsform „geschwärmt“.1493 Unterschätzt
wurde jedoch zumeist, dass die rigorosen Publizitätspflichten des englischen Kapitalmarktrechts, die auch für die LLP gelten, im Laufe der Geschäftstätigkeit gravierende
Folgen haben können. Neben strengen Haftungsregelungen kommt eine vollständige
Löschung der Gesellschaft aus dem englischen Register samt der accounts in
Betracht.1494 Umfangreiche Publizitätsvorschriften, die eng verbunden mit dem Prinzip
des privatautonomen Selbstschutzes sind, schrecken Kleinunternehmen als Adressaten
der derzeitigen Diskussion eher ab. Die englische Limited vermag die Gründer in der
Gründungsphase bevorzugen. Der scheinbare Vorteil wird aber am Ende durch die
strikten Folgen einer Publizitätspflichtverletzung mehr als wettgemacht. Eine solche
Haftungsfalle kann nicht das Bestreben des durch Rechtssicherheit geprägten deutschen
Rechts sein.1495 Zudem beinhalten Publizitätsvorschriften einen enormen Kosten- und
Zeitaufwand1496 und verhindern letztlich, dass der Geschäftsführer eines kleinen oder
mittleren Unternehmens längerfristige Entscheidungen treffen kann, die nicht
permanent durch Publizitätserfordernisse beeinträchtigt werden.1497 Die von der
Bundesregierung vorgesehene UG (haftungsbeschränkt) setzt ebenso auf den Publizitäts- und Transparenzgedanken. Nur ist es sehr fraglich, ob der Zielgruppe einer
UG (haftungsbeschränkt), also Personen, die keine 25.000,- Euro zur Verfügung haben
und auch keine Unternehmensstrategie aufweisen können, um einen Bankkredit in der
Höhe zu erhalten, mit umfangreichen Publizitätsvorschriften wirklich gedient ist. Es
dürfte bereits fraglich sein, ob beispielsweise der Kiosk von nebenan, der nunmehr als
UG (haftungsbeschränkt) firmiert, überhaupt in der Lage ist, seine Buchhaltung
ordnungsgemäß durchzuführen. Wie der Kiosk nunmehr eine zeitaufwendige und fortlaufende Offenlegung von „Unternehmensdaten“ vornehmen will, bleibt im Dunkeln.
1492 Definition nach Schmidt, GesR, § 15 VI.
1493 Siehe z. B. Triebel/Otte, ZIP 2006, 1321 ff.; oder siehe die Bemerkung von Hirte, FAZ v.
22.01.2003 S. 19.
1494 Vgl. Sec. 652 CA 1986.
1495 So im Ergebnis Priester, ZIP 2005, 921, 922.
1496 Siehe zu diesen Aspekten Hertig/Kraakman/Rock, Investor Protection, in: Kraakman u. a. (Hrsg.),
Anatomy of Corporate Law, S. 195, 207.
1497 Dierksmeier/Scharbert, BB 2006, 1517, 1522.
257
Auf der anderen Seite wurde in den Ausführungen zum US-amerikanischen Recht
vermehrt darauf hingewiesen, dass die persönliche Haftung des herrschenden limited
partner auch insbesondere von den Gerichten durchgesetzt wurde, weil der Rechtsverkehr mangels ausreichender Publizitätsvorschriften darauf vertrauen musste, dass das
Unternehmen durch die unbeeinflussten Fähigkeiten des persönlich haftenden
Gesellschafters geleitet wird. In einem Regelungswerk mit umfangreichen
Publizitätsvorschriften ist ein solches Vertrauen natürlich nicht mehr notwendig. Den
Gedanken hat auch der II. Zivilsenat des BGH im Rektor-Fall aufgegriffen, indem er
wiederholt darauf hinwies, dass die Gläubiger der Gesellschaft durch die
Handelsregistereintragung ausreichend geschützt sein werden. Wenn man sich für eine
Verbindung von Inhaberschaft, Geschäftsführungsmacht und beschränkter Haftung entscheidet, spielt die Publizität zwangsläufig eine große Rolle. Insofern ist nicht von der
Hand zu weisen, dass Publizität zur angesprochenen Verteilungsgerechtigkeit beiträgt,
da verhandlungsstarke Gläubiger ohnehin nicht auf gesetzliche Publizitätsvorschriften
angewiesen sind, sondern wiederum individualvertraglich eine vollständige Offenlegung der Vermögensverhältnisse verlangen werden. Publizität kann schwache
Gläubiger schützen, die gerade nicht die Stellung im Markt haben, die Offenlegung als
Druckmittel einsetzen zu können. Denn der beste Schutz der schwachen, nicht
gesicherten Gläubiger ist es, ihnen aussagekräftige Informationen über die tatsächliche
Lage der Gesellschaft zu vermitteln.1498 Die Informationen sind in der Gesellschaft
ohnehin vorhanden, weil die Banken in der Regel umfangreiche Vermögensaufstellungen von den jeweiligen Unternehmen erhalten. In diesem Zusammenhang
vermag auch der französische Vorschlag, das Stammkapital auf den Geschäftsbriefen
angeben zu müssen, eine Verbesserung des bestehenden Systems darstellen.1499
Ungeachtet dessen bleibt es aber fraglich, ob schwache Gläubiger aufgrund ihrer
geringen Verhandlungsmacht die publizierten Informationen überhaupt in den Vertragsverhandlungen einsetzen können. Dieser Gesichtspunkt wird von der Bundesregierung
vollkommen ignoriert.
IV. Verhaltensbezogene Haftungsnormen
Die bisherigen Ausführungen haben erneut verdeutlicht, dass Gläubigerschutz auf
vielen unterschiedlichen Säulen steht.1500 Das heißt, eine Verkürzung des Mindest-
1498 Siehe Fastrich, DStR 2006, 656, 662.
1499 So Barta, GmbHR 2005, 657, 662. Kritisch aber Schmidt, DB 2005, 1095, 1096, der darauf
hinweist, dass das Stammkapital keine Auskunft über die tatsächliche Vermögenslage der
Gesellschaft gibt. Ähnlich Priester, ZIP 2005, 921, 922.
1500 Vgl. Hertig/Kanda, Creditor Protection, in: Kraakman u. a., Anatomy of Corporate Law, 2005,
S. 71–73.
258
kapitals zum Beispiel, wie von vielen gefordert,1501 müsste durch andere Regelungen
aufgefangen werden, um die Balance wiederherzustellen. Darüber hinaus muss aber
nicht nur das Gesellschaftsrecht mit dieser Aufgabe betraut werden. Das Gleichgewicht
kann auch auf anderen Wegen wiederhergestellt werden.1502
Dieser Weg wurde im Rahmen des Aktionsplans der EU zur „Modernisierung des
Gesellschaftsrechts und Verbesserung der Corporate Governance in der Europäischen
Union“ vorgeschlagen.1503 Das Modell sieht vor, Abschied zu nehmen von starren
Kapitalaufbringungsvorschriften und stattdessen verhaltensbezogene Haftungsnormen
einzuführen, um die Gläubiger vor Opportunismus und schlechtem Wirtschaften der
Geschäftsführer im Fall der drohenden Insolvenz zu schützen.1504 Ein solcher Ansatz ist
bisher im kontinentaleuropäischen Rechtskreis nicht so weit verbreitet, wie es in
England oder den Vereinigten Staaten der Fall ist.1505 Denn im angloamerikanischen
Recht wurden Gläubigerschutz und Gesellschaftsrecht schon immer streng voneinander
getrennt. Aufgabe des Gesellschaftsrechts ist die Regelung der inneren Angelegenheiten
der Gesellschaft. Gläubigerschutz gehört nicht dazu. Dieser wird vielmehr in andere
Rechtsgebiete, wie das Delikts- oder Insolvenzrecht, verlagert.1506 Insbesondere der dargestellte Vorschlag des rechtspolitischen Sprechers der Unionsfraktion sah vor, den
Gläubigerschutz insbesondere in das Insolvenzrecht zu verlagern. Der aktuelle
Gesetzesentwurf zielt in die gleiche Richtung.
Bereits begrifflich wird jedoch klar, dass mit dem Delikts- oder Insolvenzrecht nur
ex-post gehandelt werden kann. Sogar die Vertreter des privatautonomen Selbstschutzes
räumen ein, dass eine persönliche Haftung der Geschäftsleitung als weiteres
Sicherungskorrektiv notwendig ist, wenn die Gesellschaft trotz Überschuldung und/oder
Unterkapitalisierung1507 weiter fortgesetzt wird. „The firm should have a duty to notify
the creditor of any unusual capitalization“.1508 Dieser Gedanke verdeutlicht sich besonders gut im englischen Rechtsinstitut des wrongful trading.
1501 Siehe u. a. Barta, GmbHR 2005, 657, 662; Grunewald/Noack, GmbHR 2005, 198 ff.; Mülbert,
DK 2004, 151 ff. Vgl. ausführlich Wilhelmi, GmbHR 2006, 13 m. w. N.
1502 Hertig/Kanda, Creditor Protection, in: Kraakman u. a., Anatomy of Corporate Law, 2005, S. 71.
Eine Verlagerung des Gläubigerschutzes in das Insolvenz- oder Deliktsrecht ist auch aus deutscher
Sicht im Hinblick auf die Rechtsprechung des EuGH von größter Relevanz. Denn eine
außergesellschaftsrechtliche Lösung des Gläubigerschutzes wäre vor dem Urteil einer
unzulässigen Beeinträchtigung der europäischen Niederlassungsfreiheit geschützt. Vgl. dazu
Schanze/Jüttner, AG 2003, 661, 670; zur Verlagerung des gesellschaftsrechtlichen Schutzes in das
Deliktsrecht auch Schmidt, ZHR 186 (2004), 493, 499; zur kollisionsrechtlichen Einordnung der
Insolvenzrechtlichen Regelungen vgl. insbesondere Eidenmüller, RabelsZ 70 (2006), 474 ff.
1503 Siehe dazu Habersack, NZG 2004, 1 f f.; Wiesner, ZIP 2003, 977 ff.
1504 Vgl. Habersack/Verse, ZHR 168 (2004), 174, 175 m. w. N.
1505 Vgl. Zimmer, Internationales GesR, S. 197 f.
1506 Siehe Merkt, ZGR 2004, 305, 312–316.
1507 Zum US-amerikanischen solvency test vgl. in diesem Zusammenhang Schön, DK 2004, 162, 168
f.; ausführlich dazu auch Fuchs/Stibi, BB 2007, 19 ff.
1508 Easterbrook/Fischel, 52 U.Chi.L.Rev. 89, 113 (1985).
259
1. Wrongful trading
Wenn der Geschäftsführer einer englischen Gesellschaft ohne Rücksicht auf eine
bestehende unternehmerische Krise das Geschäft weitergeführt hat, obwohl erkennbar
war oder hätte erkannt werden müssen, dass „keine vernünftige Aussicht bestand“, eine
insolvenzbedingte Liquidation zu vermeiden, haftet der Geschäftsführer wegen
wrongful trading gemäß sec. 214 (1) Insolvency Act 1986.1509 Die Tragweite dieser Vorschrift wird erst wirklich ersichtlich, wenn die Gerichte ex-post bestimmen, dass der
pflichtenauslösende Zeitpunkt (moment of truth), an dem keine vernünftige Aussicht
mehr bestand, die Insolvenz zu vermeiden, lange vor der eigentlichen Insolvenz gelegen
hat.1510 Eine Haftung kann somit lange nach der Insolvenz eintreten, die Pflichtverletzung aber kann theoretisch bereits kurz nach der Gründung aufgetreten sein.1511
Der finanzielle Schaden hingegen ist in der Regel auf den Quotenschaden begrenzt, um
den sich das Gesellschaftsvermögen verringert hat, weil die Gesellschaft nicht
ordnungsgemäß liquidiert wurde. Ein darüber hinausgehender Vertrauensschaden wird
häufig nicht ersetzt.1512 Zusätzlich dazu wird den Gesellschaftern ein für den angloamerikanischen Rechtsraum typischer Beurteilungsspielraum (business judgment)
gewährt.1513 Die Grenzen zwischen einem rechtmäßigen business judgment und einer
rechtswidrigen Insolvenzverschleppung sind jedoch fließend. Insofern sind die Tatbestände des wrongful trading in Bezug auf den Zeitpunkt und Umfang der Haftung
sowie die eigentlichen Voraussetzungen so unbestimmt, dass ein Geschäftsführer nur
sehr schwer ahnen kann, inwieweit sein Verhalten eine Haftung begründen könnte.1514
2. Directors’ Duties for the Benefit of Creditors
Weitere Haftungsinstitute im angloamerikanischen Rechtsraum knüpfen direkt an die
Pflichten der Geschäftsführer gegenüber den Gläubigern der Gesellschaft an (violation
of directors’ duties for the benefit of creditors)1515, wenn sich die Gesellschaft dem
Insolvenzstadium nähert. Die Regelung basiert auf der Annahme, dass eine Gesellschaft
vor dem möglichen Insolvenzstadium im Wesentlichen nur noch auf Rechnung und
Risiko der Gläubiger geführt wird und dementsprechend Treuepflichten auch gegenüber
1509 Dazu insbesondere Habersack/Verse, ZHR 168 (2004), 174 ff.; Schall, ZIP 2005, 965, 967;
Triebel/Otte/Kimpel, BB 2005, 1233, 1237; Wilhelmi, GmbHR 2006, 13, 17.
1510 Vgl. Triebel/Otte/Kimpel, BB 2005, 1233, 1237; Schall, ZIP 2005, 965, 972; Habersack/Verse,
ZHR 168 (2004), 174, 184–187.
1511 Siehe Triebel/Otte/Kimpel, BB 2005, 1233, 1237 m. w. N.
1512 Vgl. Habersack/Verse, ZHR 168 (2004), 174, 197; Schall, ZIP 2005, 965, 970.
1513 Fleischer, ZGR 2004, 437, 457.
1514 Siehe Habersack/Verse, ZHR 168 (2004); Pernice, Insolvenzverschleppung, S. 217 f.
1515 Habersack/Verse, ZHR 168 (2004), 174; Wilhelmi, GmbHR 2006, 13, 18. Zu einer Haftung wegen
fraudulent trading Triebel/Otte/Kimpel, BB 2005, 1233, 1237.
260
diesen Gläubigern erwachsen.1516 Die Voraussetzungen einer solchen Pflichtverletzung
sind jedoch weitgehend unklar.1517 So bedarf es weiterer Klärung, welches Gewicht den
Gläubigerinteressen zukommt und welcher Ermessensspielraum den Geschäftsführern
bei der Auswahl ihrer Entscheidungen bleibt.1518
3. Directors’ disqualification
Ein weiteres Sicherungskorrektiv in der Form einer verhaltensbezogenen Haftungsnorm
findet sich auch in dem englischen Rechtsinstitut der directors’ disqualification,
geregelt im Company Directors’ Disqualification Act 1986 (CDDA 1986). Unter dem
CDDA 1986 kann ein Geschäftsführer aufgrund von „Unfähigkeit“ oder „Ungeeignetheit“ (unfitness) zur Führung des Unternehmens bis zu 15 Jahre von jeglicher
unternehmerischen Beteiligung an einer Ltd. oder auch LLP ausgeschlossen werden.1519
Eine solche Ungeeignetheit kommt insbesondere im Fall einer Insolvenzverschleppung
und auch bei einer unangemessenen Kapitalausstattung in Betracht.1520 Weitere Indizien
sind zum Beispiel eine Verletzung von Treuepflichten, ein Verstoß gegen die Publizitätspflichten oder Veruntreuung von Vermögenswerten.1521 Die näheren Voraussetzungen hingegen sind zumeist unklar und die Rechtsfolge liegt wiederum allein im
Ermessen des Gerichts.
4. Action en comblement du passif
Verhaltensbezogene Ex-post-Haftungsnormen finden sich jedoch nicht nur in England,
sondern zum Beispiel auch in einer traditionell kontinentaleuropäischen Rechtsordnung
wie der französischen. Die High Level Group hat in diesem Zusammenhang auf die
französischen Regelungen der action en comblement du passif1522 verwiesen.1523 Diese
„Klage zur Auffüllung der Schulden“, die im insolvenzrechtlichen Teil des code de
commerce geregelt ist, stellt den wichtigsten Haftungstatbestand dar, durch den die
Geschäftsführer für die Verbindlichkeiten der Gesellschaft haftbar gemacht werden
1516 Habersack/Verse, ZHR 168 (2004), 174, 199.
1517 Habersack/Verse, ZHR 168 (2004), 174, 200 ff.
1518 Habersack/Verse, ZHR 168 (2004), 174, 201– 05.
1519 Vgl. sec. 1, 6 (1) und 10 CDDA 1986.
1520 Siehe dazu Habersack/Verse, ZGR 168 (2004), 174, 198.
1521 Vgl. dazu Triebel/Otte/Kimpel, BB 2005, 1233, 1238.
1522 Ausführlich dazu und zur neuen Reform der französischen Insolvenzverschleppungsregelungen
aus dem Jahre 2005 vgl. Meyer/Gros, GmbHR 2006, 1032 ff.
1523 Vgl. Bericht der Hochrangigen Gruppe von Experten auf dem Gebiet des Gesellschaftsrechts über
moderne gesellschaftsrechtliche Rahmenbedingungen in Europa vom 4.11.2002, S. 73.
261
können.1524 Die Haftung greift ein, wenn ex-post festgestellt wurde, dass eine Überschuldung der Gesellschaft nachweislich aufgrund eines Geschäftsleitungsfehlers des
Managements entstanden ist.1525 Dabei erfasst die Regelung nicht nur unternehmerische
Fehler im Vorfeld einer Insolvenz, sondern sämtliche Arten von unternehmerischem
Versagen.1526 Das heißt, es werden alle Fälle erfasst, in denen ein Geschäftsleiter einen
Fehler1527 begeht und dadurch die Gesellschaft vermögensmäßig so schädigt, dass
letztlich die Insolvenzgläubiger nicht vollständig befriedigt werden können. Damit geht
das Rechtsinstitut weit über die Regelungen zur Insolvenzverschleppung hinaus und
ähnelt stark den Regelungen zum wrongful trading.1528 Durch die Reform aus dem Jahre
2005 setzt die Haftung nun jedoch grundsätzlich ein Insolvenzverfahren voraus, d. h.,
eine Haftung ist im Gegensatz zu vorher nicht mehr im Rahmen eines Reorganisationsverfahrens möglich, solange keine Zahlungsunfähigkeit festgestellt wurde.1529
Die französische Ausfallhaftung hatte schon immer eine viel größere Bedeutung als
die Geschäftsführerhaftung in Deutschland1530 und in Anbetracht der Tatsache, dass der
französische Gesetzgeber das Mindestkapitalerfordernis für die französische GmbH im
Jahre 2003 abgeschafft hat, ist davon auszugehen, dass die action en complement du
passif einen noch wichtigeren Pfeiler im Gläubigerschutzsystem Frankreichs einnehmen
wird.
5. Haftungsdurchgriff
Der Haftungsdurchgriff auf das Privatvermögen der Gesellschaft stellt eine weitere
Möglichkeit dar, ex-post auf eine gläubigerschädigende Verhaltensweise zu reagieren.
So bestehen im englischen Recht ähnliche Fallgruppen, wie sie bereits in der Ausführung zum US-amerikanischen Recht aufgezeigt worden sind.1531 Gleichwohl fehlen
hier bisher geeignete und rechtssicherere Kriterien. Der Haftungsdurchgriff ist durch
eine erhebliche Unbestimmtheit gekennzeichnet.1532
1524 Meyer/Gros, GmbHR 2006, 1032, 1035.
1525 Vgl. dazu ausführlich Meyer/Gros, GmbHR 2006, 1032, 1035 mit Nachweisen zum
französischsprachigen Schrifttum.
1526 Habersack/Verse, ZGR 168 (2004), 174, 203 m. w. N.
1527 Zu den Einzelheiten des Geschäftsleitungsfehlers siehe Meyer/Gros, GmbHR 2006, 1032, 1036.
1528 Vgl. Habersack/Verse, ZGR 168 (2004), 174, 203.
1529 Meyer/Gros, GmbHR 2006, 1032, 1035.
1530 Siehe Meyer/Hermes, GmbHR 2005, 807, 815.
1531 Diese wurden durch den Fall Salomon v. Salomon Co.Ltd., AC 22, (1897) im Wesentlichen
begründet. Vgl. ausführlich zum englischen Haftungsdurchgriff Schall, ZIP 2005, 965, 966 ff.;
Mülbert, DK 2004, 151, 157.
1532 Freedman, 63 Modern L.Rev. 317, 342 (2000).
262
6. Fazit
Es ist fraglich, inwieweit eine solch unbestimmte verhaltensbezogene Geschäftsleitungshaftung wie die des englischen wrongful trading oder des französischen action
en comblement du passif geeignet ist, ein wirksames Korrelat der Haftungsbeschränkung zu bilden. Zunächst zeigt sich, dass wesentliche deutsche Rechtsinstitute
im Zusammenhang mit der Insolvenzverschleppung vollständig verdrängt würden. So
geht die Haftung des wrongful trading zum Beispiel im Umfang und zeitlichem
Rahmen weit über die deutsche Insolvenzverschleppung hinaus. Zusätzlich würden das
allgemeine Schädigungsverbot und die Insolvenzantragspflicht wohl obsolet. Hinzu
kommt aber ein noch gravierenderer Nachteil.
Die Rechtsfigur des wrongful trading ist von großer Rechtsunsicherheit geprägt, da
die Geschäftsleitung zumeist nicht genau abschätzen kann, wann eine Haftung eingreifen könnte.1533 Vor allem für die Kleinunternehmen und den Mittelstand wird das in
der Realität ein Problem werden.1534 Man stelle sich zum Beispiel einen kleinen Handwerksbetrieb vor, der derzeit eine Auftragsflaute durchmacht. Trotzdem hofft er
aufgrund positiver Wirtschaftsdaten auf einen Aufschwung im nächsten Jahr. Dementsprechend lebt er nur von Auftrag zu Auftrag und kann keine Reserven aufbauen. Ab
welchem Zeitpunkt weiß der Kleinunternehmer, wann die Lage aussichtslos wird? Darf
er noch auf einen großen Auftrag hoffen? Und wenn nicht, was sollte er tun? Bereits die
Insolvenz anmelden, bevor sie eigentlich eingetreten ist? In der Praxis würde eine
Rechtsfigur des wrongful trading insbesondere für die Kleinunternehmen große Probleme mit sich bringen.
Selbst bei etwas größeren Unternehmen könnten aber ähnliche Ungewissheiten
entstehen. Denn durch unbestimmte und umfangreiche Ex-post-Haftungsnormen und
die Gefahr, für 15 Jahre nicht mehr gewerblich tätig werden zu können, wird die Geschäftsleitung automatisch dazu gebracht, übervorsichtig zu agieren, um die fatalen
Konsequenzen eines Geschäftsleitungsfehlers zu vermeiden. Dies hieße aber den
Gläubigerschutz auf Kosten des gesamtwirtschaftlichen Nutzens zu maximieren, da
gerade der unternehmerische Wagemut eine Triebfeder erfolgreichen Wirtschaftens ist.
Die Angst vor der verhaltensbezogenen Haftung hätte zur Folge, dass das Gleichgewicht geschädigt werden würde.
Schlimmer als die Unbestimmtheit der verhaltensbezogenen Ex-post-Haftung ist
jedoch die Tatsache, dass die Geschäftsführer der Haftung ausgesetzt sind und nicht die
Gesellschafter.1535 Ruft man sich aber den Anfang der Untersuchung ins Gedächtnis,
1533 Freedman, 63 Modern L.Rev. 317, 333 (2000).
1534 Das folgende Beispiel ist entnommen aus Fastrich, DStR 2006, 656, 662.
1535 Siehe zu der wichtigen Unterscheidung Habersack/Verse, ZHR 168 (2004), 174, 189 ff.; Wilhelmi,
GmbHR 2006, 13, 17. In Bezug auf die LLP spielt dies naturgemäß keine Rolle, da jedes Mitglied
der LLP als reiner Personengesellschafter auch geschäftsführungsbefugt und damit haftbar ist. Vgl.
Triebel/Otte/Kimpel, BB 2005, 1233, 1236 m. w. N.
263
wird das Grundproblem einer verhaltensbezogenen Haftung von Geschäftsführern erkennbar: Das Privileg der beschränkten Haftung erhält seine Legitimation im
Wesentlichen in der gesamtwirtschaftlich erwünschten Förderung unternehmerischen
Risikos zum Wohle der Allgemeinheit.1536 Gerade deshalb wurde die beschränkte
Haftung als größte Errungenschaft des 19. Jahrhunderts bezeichnet.1537 Die Lösung,
anstelle eines präventiv angelegten Gläubigerschutzes eine ex-post greifende
verhaltensbezogene Geschäftsführerhaftung einzuführen, hätte jedoch nur zur Folge,
dass die Geschäftsführer zu einer gesamtwirtschaftlich unvorteilhaften und übertriebenen Vorsicht angetrieben werden. Für opportunistische Gesellschafter dagegen,
die ohnehin nichts zu verlieren haben, wäre das eine Art rechtlicher Freibrief. Ein
solcher Weg ist im höchsten Maße zweifelhaft, weil dadurch das Privileg der Haftungsbeschränkung seinen Zweck und damit einhergehend seine ökonomische Legitimation
verliert.1538
V. Schlussfolgerung
Es ist schwierig, eindeutig zu bestimmen, welche Modelle in ökonomischer Hinsicht am
effizientesten sind oder die größte Verteilungsgerechtigkeit beinhalten.1539 Ein solcher
Befund ist insbesondere in Bezug auf die angloamerikanische Rechtsordnung nicht verwunderlich. Denn das angloamerikanische System und das deutsche sind im Grunde
nicht vollständig miteinander vergleichbar, und zwar insbesondere, weil die Gesellschaftsrechte unterschiedliche Zwecke verfolgen.1540
Im angloamerikanischen Rechtskreis ist der Zweck des Gesellschaftsrechts, unternehmerisch handelnden Personen ein möglichst breites Angebot von Rechtsformen1541
zur Verfügung zu stellen, um letztlich produktiv wirtschaften zu können1542 und die
Aufnahme von Eigenkapital zu erleichtern. Gläubigerschutz ist kein primäres Ziel des
Gesellschaftsrechts.1543 Schutzrechte werden zumeist im Insolvenz- oder Deliktsrecht
1536 Easterbrook/Fischel, 52 U.Chi.L.Rev. 89, 93, 97 (1985); dies., Economic Structure of Corporate
Law, S. 41–44 (1991); Carney, Limited Liability, S. 659, 670 ff.; Smith, S. 568; aus dem
deutschsprachigen Schrifttum siehe Kübler, NJW 1993, 1204; Fleischer, ZGR 2001, 1ff;
Lehmann, ZGR 1986, 345, 353.
1537 Leebron, 91 Colum.L.Rev. 1565, 1566 (1991) ("No principle seems more established in capitalist
law or more essential to the functioning of the modern corporate economy."); Glynn, 57
Van.L.Rev. 329, 361 (2004); Dodd, 61 Harv.L.Rev. 1361, 1358 (1948) ("limited liability was the
most important factor leading to industrial growth in the nineteenth century"); Vagts, ZGR 1994,
227; Barber, 17 Willamette L.Rev. 371–72 (1981).
1538 So auch Hommelhoff/Teichmann, StudZR 2006, 3, 24.
1539 Ähnlich auch Merkt, ZGR 2004, 305, 322 mit Nachweisen zur Gegenansicht.
1540 Merkt, ZGR 2004, 305, 322.
1541 Hertig/Kanda, Creditor Protection, in: Kraakman u. a., Anatomy of Corporate Law, 2005, S. 78.
1542 Vgl. Zimmer, Internationales GesR, S. 197; Schön, DK 2004, 162; Merkt, ZGR 2004, 305, 313.
1543 Siehe Hertig/Kanda, Creditor Protection, in: Kraakman u. a., Anatomy of Corporate Law, 2005,
S. 72–74.
264
geregelt.1544 Die kontinentaleuropäischen Rechtsordnungen hingegen versuchen
sämtliche divergierenden Interessen in ihren jeweiligen Verbandsrechten zu lösen.
Gläubigerschutz nimmt dabei eine gleichberechtigte Rolle neben den Gesellschafterinteressen ein. Der beschriebene self-help approach wird in Europa nicht im
gleichen Maße wie in den USA vertreten.1545 Vielmehr wird Gläubigerschutz
insbesondere durch feste Regelungen gewährleistet. Durch einen solchen Ansatz ist es
unvermeidbar, dass es teilweise zu einer überschießenden Bevorzugung der Gläubiger
kommen kann. Gerade auch deshalb findet sich in der angloamerikanischen Literatur
häufig die Überzeugung, dass das deutsche Recht den Gläubigerschutz unverhältnismäßig hoch über die Interessen der Gesellschafter stellt (sog. stakeholder
approach)1546. Die Aussage – unterstellt, sie sei richtig und wahr – vermag auf eine
Vielzahl von Gründen zurückzuführen sein. So wird in der Literatur die Ansicht vertreten, dass die traditionellen Regeln über den Kapitalschutz zum Teil auf eine überwiegend durch Fremdkapital finanzierte Unternehmenslandschaft zurückzuführen
sind.1547 Zudem sollen die unterschiedlichen Unternehmensgrößen ausschlaggebend
sein.1548 Globale Erklärungen für eine gläubigerfreundliche oder schuldnerfreundliche
Rechtsordnung sind einfach zu konstruieren, empirisch belegen lässt sich aber keine.
Dementsprechend sollte die bisherige Darstellung nicht darlegen, welcher der
Lösungswege mehr oder weniger Gläubigerschutz gewährleistet. Vielmehr kann davon
ausgegangen werden, dass die Rechtsordnungen grundsätzlich versuchen, mit
unterschiedlichen Mitteln ein Gleichgewicht im Hinblick auf den Gläubigerschutz herzustellen.1549 Deshalb geht es nur darum, darauf hinzuweisen, welche Instrumentarien
generell von den Rechtsordnungen gewählt werden, um Wahlmöglichkeiten für das
deutsche Recht aufzuzeigen. Der deutsche Gesetzgeber und auch der Wirtschaftsverkehr
müssen sich entscheiden, welchen „Preis“ sie für eine Haftungsbeschränkung zu zahlen
bereit sind: Ex-ante-Schutzmechanismen, wie die deutschen Kapitalaufbringungs- und
Erhaltungsgrundsätze, weit reichende Publizitätsvorschriften, Selbstschutz oder
umfangreiche ex-post greifende verhaltensbezogene Haftungsvorschriften.1550 Wer sich
für keines der Sicherungskorrektive entscheiden will, muss sich mit einer
Unternehmensform mit unbeschränkter und persönlicher Haftung begnügen.
Unter diesem Gesichtspunkt wird auch ersichtlich, dass die durchweg gelobte
englische Limited mit beschränkter Haftung nur oberflächlich betrachtet „vorteilhafter“
1544 Vgl. insbesondere Schön, DK 2004, 162 m. w. N.
1545 Siehe Hertig/Kanda, Creditor Protection, in: Kraakman u. a., Anatomy of Corporate Law, 2005,
S. 72, 78.
1546 Vgl. Hertig/Kanda, Creditor Protection, in: Kraakman u. a., Anatomy of Corporate Law, 2005,
S. 72; dazu auch Merkt, ZGR 2004, 305, 322;
1547 Siehe Armour, 63 Modern L.Rev. 355 ff. (2000); Enriques/Macey, 86 Cornell L.Rev. 1165 (2001).
1548 Siehe Hertig/Kanda, Creditor Protection, in: Kraakman u. a., Anatomy of Corporate Law, 2005,
S. 78 m. w. N.
1549 Vgl. Seibert, GmbHR 2006, R. 241; auch Teichmann, NJW 2006, 2444, 24445.
1550 Auf die Unsicherheit der Haftung aus wrongful trading weist hin Fastrich, DStR 2006, 656, 662.
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ist.1551 In der Anfangsphase werden vor allem die Interessen der Gründer befriedigt,
indem die Gründung kostengünstig, schnell und unbürokratisch funktioniert. Das dicke
Ende wird aber kommen, wenn aufgrund von Publizitätspflichtverletzungen die Gesellschaft gelöscht wird und die Geschäftsführer umfassend wegen wrongful trading in Anspruch genommen werden. Der Gläubigerschutz wird somit ebenfalls gewährleistet, nur
eben in einer anderen Phase der Geschäftstätigkeit, nämlich wenn der Schaden bereits
entstanden ist.1552 Um der strikten Gesellschafterhaftung zu entgehen, ist es von großer
Bedeutung, qualifizierte Beratung in England einzuholen. Die daraus entstehenden
immens hohen Beratungskosten haben sich noch nicht überall herumgesprochen.1553
Der derzeitige, oft postulierte Siegeszug der Limited scheint mehr auf die Werbung1554
und fehlenden Sprachbarrieren, als auf die Vorteile der Rechtsform für die kleinen und
mittleren Unternehmen zurückzuführen zu sein.1555
C. Die Rechtsökonomie hybrider Rechtsformen
Die Reformbestrebungen und Gesetzesvorschläge sind alle von dem Gedanken geprägt,
getreu dem amerikanischen Vorbild kleine, börsenunabhängige Rechtsformen zu
schaffen, welche die Vorteile der Kapital- mit denen der Personengesellschaften
verbinden können. Dabei steht im Vordergrund, den kleinen und mittleren Unternehmen
eine scheinbar „preiswerte“ Haftungsbeschränkung mit der Möglichkeit der umfassenden Kontrolle über die Geschäftsführung verkaufen zu wollen, um Unternehmensgründungen zu fördern.1556 Insbesondere die Diskussion um das deutsche
Mindestkapitalerfordernis ist von diesen Bestrebungen geprägt. Denn das Erfordernis
wirkt sich ausschließlich auf die Gründung kleiner Unternehmen aus. Für größere
Unternehmen, deren Eigenkapitalbedarf 25.000 Euro ohnehin übersteigt, ist das
Erfordernis irrelevant.1557 Damit stellt sich die Frage, inwieweit es überhaupt aus
ökonomischer Sicht vorteilhaft ist, dass plötzlich ein Kleinunternehmer, der sein Geschäft zuvor in einer general partnership, limited partnership oder oHG bzw. KG
betrieben hatte, nunmehr das Privileg der beschränkten Haftung scheinbar gefahr- und
mühelos genießen kann.
Bereits in den Ausführungen zum deutschen und US-amerikanischen Recht wurde
darauf hingewiesen, dass die Verbindung von beschränkter Haftung, Kontrolle über die
1551 Statt vieler nur Priester, ZIP 2005, 921, 922; Zöllner, 1, 13; Fastrich, DStR 2006, 656, 658.
1552 Siehe Ries, AnwBl. 2006, 53; zu den Einzelheiten des englischen Gläubigerschutzes vgl. Schall,
ZIP 2005, 965 ff.
1553 Wicke, ZNotP 2006, 322, 323.
1554 Siehe dazu die Beispiele bei Kallmeyer, DB 2004, 636.
1555 Siehe insbesondere Zöllner, GmbHR 2006, 1, 2–3.
1556 Vgl. nur Triebel/Otte, ZIP 2006, 311 ff.; ähnlich Gehb/Drange/Heckelmann, NZG 2006, 87, 90;
Gehb/Heckelmann, GmbHR 2006, R. 394; dazu auch Teichmann, NJW 2006, 2444.
1557 Vgl. Eidenmüller/Engert, GmbHR 2005, 433, 434.
Chapter Preview
References
Zusammenfassung
Die Einheit von Herrschaft und Haftung beherrschte in Deutschland wie in den USA lange Zeit die Diskussion über den Sinn und Unsinn der beschränkten Haftung im Gesellschaftsrecht. Um opportunistischem Handeln von herrschenden Gesellschaftern entgegenzuwirken, wurde die beschränkte Haftung nur gegen einen Verlust von Mitwirkungsbefugnissen in der Gesellschaft gewährt. Eine Trennung von Herrschaft und Haftung war nicht möglich. In Deutschland wurde dieses Dogma durch die atypische KG bereits frühzeitig durchbrochen. In den USA trat eine solche Entwicklung erst vollständig in den letzten Jahrzehnten ein. In jüngster Zeit entstand in den europäischen Rechtsordnungen ein neuer Reformprozess, der maßgeblich durch die Bestrebungen geprägt war eine mindestkapitallose Gesellschaftsform mit beschränkter Haftung zu kreieren, in der die Gesellschafter die Kontrolle über die Gesellschaft ausüben können.
Das Werk zeigt die die Ursachen für diese Entwicklung sowie die rechtlichen und ökonomischen Konsequenzen einer Durchbrechung des Grundsatzes einer Einheit von Herrschaft und Haftung im Gesellschaftsrecht auf und hinterfragt diese im Hinblick auf den weltweiten Markt der Gesellschaftsrechte.