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schwachen Marktteilnehmer eines besonderen Schutzes. Diesen Schutz stellt im Bezug
auf Personengesellschaften die persönliche Haftung zumindest eines Gesellschafters
dar.
Auf Kapitalgesellschaften treffen die Überlegungen offensichtlich nicht zu. Denn dort
muss das Privileg der beschränkten Haftung zunächst teuer „erkauft“ werden. Der Preis
für die Haftungsbeschränkung stellen zum einen die weit reichenden Kapitalaufbringungs- und Erhaltungsvorschriften, sowie die umfangreichen notariellen Beurkundungen dar. Der BGH selbst hat jüngst vermehrt darauf hingewiesen, dass die Legitimation von Haftungsbeschränkungen generell in den gesetzlich vorgesehen
Kapitalregelungen zu sehen ist.397 „(Es gibt einen) allgemeinen Grundsatz des bürgerlichen Rechts und des Handelsrechts, dass derjenige, der als Einzelperson oder in
Gemeinschaft mit anderen Geschäfte betreibt, für die daraus entstehenden Verpflichtungen mit seinem gesamten Vermögen haftet, solange sich aus dem Gesetz nicht
anderes ergibt398 … (Deshalb) sei für das Privileg der fehlenden persönlichen Haftung
… der im Gesetz vorgesehene Preis in Form der Pflichten zur Aufbringung und
Erhaltung eines Mindestkapitals … zu zahlen.“399 Da ein Mindestkapital im Bereich des
Personengesellschaftsrechts jedoch durch die persönliche Haftung der Gesellschaft
ersetzt wird, leuchtet es nicht vollständig ein, dass BGH und Literatur im Rektor-Fall,
wo dieses gläubigerschützende Sicherungskorrektiv bewusst umgangen wurde, strikt an
die formale Registereintragung des Kommanditisten als Legitimation der
Haftungsbeschränkung anknüpfen.
§ 3: Zusammenfassung der Ergebnisse im deutschen Recht
Seit der Entscheidung des BGH im Rektor-Fall (BGHZ 45, 204) geht die
Rechtsprechung und überwiegende Literatur davon aus, dass die Verbindung von
Inhaberschaft, Kontrolle und beschränkter Haftung in der Kommanditgesellschaft
rechtlich nicht zu beanstanden ist. Dementsprechend wird eine unbeschränkte Haftung
des herrschenden Kommanditisten überwiegend abgelehnt. Dabei werden die
neoliberalen Ideen zumeist mit dem Hinweis auf die deutsche soziale Marktwirtschaft
überworfen. Denn zwar mögen die Grundidee der Verhaltenssteuerung der
Gesellschafter durch Haftungsanreize ökonomisch berechtigt sein, im Rahmen der
sozialen Marktwirtschaft sei es jedoch gerade anerkannt, dass die Gläubiger einen Teil
des Risikos des Unternehmens übernehmen und dadurch das risikoaverse Verhalten der
Gesellschafter reduzieren. Folglich existiert, nach allgemeiner Meinung, das angeblich
wirtschaftsverfassungsrechtliche Ordnungsprinzip einer Kongruenz von Herrschaft und
397 Merkt, ZGR 2004, 305, 310; Schärtl, GmbHR 2007, 344, 346.
398 BGHZ 142, 315, 319, 322.
399 BGH WM 2003, 348, 349; 1814, 1816; ähnlich BGH WM 2003, 977, 978.
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Haftung nicht gesetzlich und es kann der Rechtsordnung auch nicht als überpositiver
Grundsatz entnommen werden. Zu Recht wurden die Ansichten verworfen, die eine
Haftungserweiterung des herrschenden Kommanditisten aufgrund einer Abweichung
vom gesetzlichen Typus begründen wollten. In Anbetracht der unbestreitbaren
Zulässigkeit der GmbH & Co. KG ist einer Lehre, die auf gesetzlichen Grundtypen
basiert, jegliche Argumentationsbasis genommen. Eine Haftung des herrschenden
Kommanditisten kann nur aus Gründen des Gläubigerschutzes vorgenommen werden
und nicht aufgrund angeblicher Typenzwänge im deutschen Gesellschaftsrecht.
Ein echter Haftungsdurchgriff auf das Privatvermögen des herrschenden Kommanditisten aufgrund des Missbrauchs des Haftungsprivilegs ist nur in eng begrenzten
Einzelfällen möglich. Weder die wesentliche Einflussnahme auf die Geschäftsführung
noch eine umfassende Vertretungsmacht des Kommanditisten geben Anlass, ihm das
Haftungsprivileg zu versagen. Eine teleologische Reduktion der Haftungsbeschränkung
bzw. eine Durchgriffshaftung kommt nach der hier vertretenen Ansicht nur dann in
Betracht, wenn der herrschende Kommanditist einen vermögens- und funktionslosen
Komplementär vorschiebt und somit faktisch eine Personengesellschaft mit
beschränkter Haftung kreiert. Diese Fallgruppe ist eng verknüpft mit dem allgemeinen
Missbrauchsgedanken des deutschen Rechts, der insbesondere dann eingreift, wenn der
Kommanditist den allgemeinen Rechtsverkehr oder einzelne Personen vorsätzlich über
die Haftungsverhältnisse der Gesellschaft täuscht. In diesen Fällen ist allerdings meist
ebenfalls der Tatbestand des § 826 BGB erfüllt, so dass ein echter Haftungsdurchgriff
zumeist entbehrlich ist.
Die Grundsätze zur Unterkapitalisierung sind nicht geeignet, eine echte Durchgriffshaftung auf das Privatvermögen des Einfluss nehmenden Kommanditisten zu
begründen. Selbst wenn der Kommanditist einen vermögenslosen Komplementär
vorschiebt und nur eine marginale Einlage erbracht hat, wird von Rechtsprechung und
Literatur – wenn auch mit teilweise unzutreffenden Begründungen – eine Durchgriffshaftung wegen Unterkapitalisierung generell abgelehnt.
Eine unechte Durchgriffshaftung auf das Vermögen des Kommanditisten ist in
Einzelfällen denkbar. Eine Haftung kommt in Betracht, wenn der Kommanditist
ausdrücklich eine eigene vertragliche Verpflichtung begründet. Zudem können die
Gläubiger der Gesellschaft den nur beschränkt haftenden Kommanditisten – im Wege
der Pfändung eines internen Freistellungsanspruchs des Komplementärs – über seine
Haftungsbeschränkung hinaus in Anspruch nehmen. Allerdings reicht die bloße
Beherrschung der Gesellschaft durch den Kommanditisten für die Annahme eines
internen Freistellungsanspruchs zugunsten des Komplementärs nicht aus.
Die allgemeinen Rechtsscheingrundsätze sind nicht geeignet, eine Haftung des
herrschenden Kommanditisten zu begründen. Aufgrund der Registereintragung des
Kommanditisten ist eine Rechtsscheinhaftung nur in eng begrenzten Fällen möglich.
Der Fall, dass der Kommanditist im Außenverhältnis die Geschäfte für die Gesellschaft
tätigt, ohne auf seine Kommanditistenstellung hinzuweisen, reicht für die Anwendung
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eines Rechtscheins der beschränkten Haftung ebenso wenig aus, wie die bloße atypische
Gestaltung der Machtverhältnisse der KG. Der herrschende Kommanditist muss sich
schon ausdrücklich als Komplementär ausgeben oder im Laufe fortwährender
Geschäftsbeziehungen seine Haftung ohne Mitteilung an den Geschäftspartner
beschränken. Die allgemeine Vertrauenshaftung scheidet als gläubigerschützendes
Sicherungskorrektiv ebenfalls regelmäßig aus.
Die allgemeine Deliktshaftung aus § 826 BGB ist die einzige Möglichkeit, eine
unbeschränkte und persönliche Kommanditistenhaftung zu konstruieren, die von
sämtlichen Meinungen und der Rechtsprechung einhellig anerkannt ist. § 826 BGB gibt
den Gesellschaftsgläubigern einen Anspruch auf Ersatz des ihnen entstandenen
Schadens, wenn der Kommanditist die gesamte Herrschaftsmacht in der KG auf sich
selbst verlagert und bewusst einen vermögenslosen Komplementär einsetzt, nur um
dadurch das Risiko eines Scheiterns des Unternehmens einseitig auf die Gläubiger zu
verlagern. Zudem besteht die Möglichkeit der Inanspruchnahme gemäß § 826 BGB,
wenn der im Rechtsverkehr handelnde Kommanditist die Gläubiger der Gesellschaft
über eine vorhandene Unterkapitalisierung der Kommanditgesellschaft getäuscht und
gerade durch diese Täuschung eine einseitige Risikoverlagerung zu Lasten Dritter
bewirkt hat. Eine Haftung aus § 826 BGB ist jedoch aufgrund des schwer
nachweisbaren Vorsatzerfordernisses auf extreme Fälle beschränkt, denn insbesondere
im Bereich des unternehmerischen Handelns ist die Grenze zwischen dem
betriebswirtschaftlich noch vertretbaren Risiko und der billigenden Inkaufnahme der
individuellen Gläubigerschädigung fließend. Die Untersuchung hat gezeigt, dass es nur
einen wirklichen Fall gibt, der eine Haftung des herrschenden Kommanditisten
begründen kann: die Strohmann-KG. Gerade in diesem Fall gehen die Meinungen
jedoch weit auseinander. Die unterschiedlichen Sichtweisen verkennen zumeist den
„Knackpunkt“ einer solchen Konstruktion. Denn beim Vorschieben eines vermögensund funktionslosen Komplementärs in Verbindung mit der totalen Kontrolle über die
Geschäftsführung der Gesellschaft entfällt die Legitimation der Haftungsbeschränkung
des Kommanditisten. Denn eine Personengesellschaft mit beschränkter Haftung gibt es
in Deutschland aus Gründen des Gläubigerschutzes (bisher) nicht. Dieser Gesichtspunkt
und damit einhergehend die Probleme einer Rechtsform ohne Mindestkapital und ohne
jegliche Gesellschafterhaftung werden im letzten Teil der Bearbeitung untersucht.
Chapter Preview
References
Zusammenfassung
Die Einheit von Herrschaft und Haftung beherrschte in Deutschland wie in den USA lange Zeit die Diskussion über den Sinn und Unsinn der beschränkten Haftung im Gesellschaftsrecht. Um opportunistischem Handeln von herrschenden Gesellschaftern entgegenzuwirken, wurde die beschränkte Haftung nur gegen einen Verlust von Mitwirkungsbefugnissen in der Gesellschaft gewährt. Eine Trennung von Herrschaft und Haftung war nicht möglich. In Deutschland wurde dieses Dogma durch die atypische KG bereits frühzeitig durchbrochen. In den USA trat eine solche Entwicklung erst vollständig in den letzten Jahrzehnten ein. In jüngster Zeit entstand in den europäischen Rechtsordnungen ein neuer Reformprozess, der maßgeblich durch die Bestrebungen geprägt war eine mindestkapitallose Gesellschaftsform mit beschränkter Haftung zu kreieren, in der die Gesellschafter die Kontrolle über die Gesellschaft ausüben können.
Das Werk zeigt die die Ursachen für diese Entwicklung sowie die rechtlichen und ökonomischen Konsequenzen einer Durchbrechung des Grundsatzes einer Einheit von Herrschaft und Haftung im Gesellschaftsrecht auf und hinterfragt diese im Hinblick auf den weltweiten Markt der Gesellschaftsrechte.