51
Phantasieprodukte der Kautelarjurisprudenz“ eingesetzt worden.138 Maßgebliche Lehrbücher hielten in den Jahren nach dem zweiten Weltkrieg die beschränkte Haftung des
herrschenden Kommanditisten für verfehlt.139 So wurde vertreten, dass der Gesetzgeber
bei der Ausgestaltung der Gesellschaftsformen ein bestimmtes Leitbild vor Augen
habe.140 Durch gesetzliche Ausgestaltung des Personengesellschaftsrechts kommt eine
gesetzgeberische Wertung zum Ausdruck, die ein übergeordnetes Leitprinzip des
Gesetzgebers darstelle. Daraus folgert die Typenlehre, dass die vom Gesetzgeber
gewählte Ausgestaltung der Gesellschaftsformen den typischen Normalfall der jeweiligen Rechtsform widerspiegeln solle.141
Der Typus der KG werde darin gesehen, dass in dieser Gesellschaftsform der
Komplementär der maßgebliche Leiter des Unternehmens sei und dieses durch
Geschäftsführung und Vertretung führe. Der Kommanditist habe demgegenüber keinen
besonderen Einfluss und hafte als Ausgleich dafür auch nur beschränkt.142 Dieser Typus
setze der Vertragsfreiheit der Gesellschafter immanente Grenzen.143 Zwar wird einer
vertraglichen Vereinbarung – die von diesem Typ abweicht – nicht die rechtliche Anerkennung versagt, um dem Ziel des Gesetzgebers aber gerecht zu werden, nämlich der
Gewährleistung eines ausreichenden Gläubigerschutzes durch die unbeeinflussten
Fähigkeiten eines unbeschränkt haftenden Inhabers des Unternehmens, müsse eine
solche Abweichung haftungsrechtliche Konsequenzen nach sich ziehen. Werde dem
Kommanditisten somit abweichend vom gesetzlichen Typus die Herrschaftsmöglichkeit
übertragen, so müsse der Kommanditist auch persönlich haften, um der gläubigerschützenden Wertentscheidung des Gesetzgebers Rechnung zu tragen.144
C. Das Rektor-Urteil des BGH
In seinem Rektor-Urteil, dem Paradebeispiel für die haftungsrechtlichen Konsequenzen
des geschäftsführenden Kommanditisten, hat der II. Zivilsenat des BGH145 zu der
Diskussion im Schrifttum Stellung genommen. Im Rektor-Fall hatte Schulrektor R
gemeinsam mit der vermögenslosen Zuschneiderin Z eine Kommanditgesellschaft
138 Schmidt, GesR, § 5III c.
139 Haupt/Reinhard, GesR, § 20 III; J. v. Gierke, HandelsR, § 37 IV 4.
140 Vgl. Koller, 58 f., 78; Kuhn O., S. 35 f.; Leenen, 80 ff.; auch Larenz, Methodenlehre, S. 449;
Westermann, Vertragsfreiheit, S. 57 ff.
141 Paulick, Genossenschaft, S. 75 f.; ähnlich Ott, 142; auch Haupt/Reinhardt, S. 79.
142 Vgl. Ott, Typenzwang, S. 178; Paulick, Genossenschaft, S. 36 ff., 62 f., 70 ff.; Staab, BB 1959,
435, 436; ähnlich Lehmann, GesR, S. 333, der jedoch das Wesensargument hervorhebt. Unter
Anknüpfung an den Grundsatz der Selbstorganschaft vgl. auch Westermann, Vertragsfreiheit, S.
270 f.
143 Lehmann, GesR, S. 335; Paulick, Genossenschaft, S. 24 ff., 35 ff.; 79.
144 Paulick, Genossenschaft, S. 79 f., 85 f.; ähnlich Nitschke, S. 266; vgl. weitere Nachweise bei
Boerner, S. 57; Elsing, 57.
145 BGH, 17.03.1966, BGHZ 45, 204, 205 f.
52
gegründet, in der die Z Komplementärin, der R dagegen nur Kommanditist mit einer
Einlage und Haftsumme von 10.000 DM wurde. Die Einlage war erbracht. Das
Unternehmen, das von R allein geleitet worden war, brach zusammen. Der Kreditgeber
nahm den R in Anspruch, da er durch die Gesellschaft nur seine eigenen Geschäfte habe
betreiben lassen.
Die Vorinstanz, das OLG Hamm,146 hatte den R verurteilt, für die
Gesellschaftsschulden einzustehen. Das OLG hatte in dem Verhalten des Rektors eine
missbräuchliche Verwendung der Rechtsform der Kommanditgesellschaft gesehen und
ihm die Berufung auf die gesetzliche Haftungsbeschränkung verwehrt. Zwar stellt nach
Ansicht der Richter die bloße Beherrschung einer Kommanditgesellschaft durch den
Kommanditisten noch keinen Institutsmissbrauch dar; unter Berücksichtigung des
Einzelfalls sei das Verhalten des Rektors aber missbräuchlich. Der Rektor hatte sich an
den Kreditverhandlungen der KG maßgeblich beteiligt, indem er insbesondere auf seine
eigene Kreditwürdigkeit und seinen guten Ruf verwiesen hatte. Entsprechend seinem
Auftreten für die KG hatte das Gericht ihn wie einen Komplementär haften lassen.147
Das OLG hatte sich jedoch nicht festgelegt, auf welcher Rechtsgrundlage die
persönliche und unbeschränkte Haftung des Kommanditisten beruht.148
Aufgrund der Revision hatte der II. Zivilsenat des BGH zum ersten Mal die
Möglichkeit, zu der grundsätzlichen Frage Stellung zu nehmen, ob der Gläubigerschutz
es erfordert, dass einen herrschenden Kommanditisten die persönliche und unbeschränkte Außenhaftung trifft. Der Senat vertrat eine restriktive Ansicht, wonach ein
Sicherungskorrektiv zum Schutze der Gläubiger im Fall der tatsächlichen Verlagerung
der unternehmerischen Leitungsmacht auf den Kommanditisten nicht erforderlich sei.
Der Senat hielt den Anhängern des Prinzips der Einheit von Haftung und Herrschaft
entgegen, dass die gesetzliche Regelung zwar einen Zusammenhang zwischen Unternehmensleitung und persönlicher Haftung erkennen lasse, es sich aber insoweit nicht
um zwingendes Recht handele. Der Lehre von der gesellschaftsrechtlichen Typengesetzlichkeit widerspricht der BGH ebenfalls; das Gesellschaftsrecht als Gegenstand
der Parteiautonomie unterliege grundsätzlich der Typenfreiheit. Die gesetzliche Typenregelung sei nicht als Typenzwang zu verstehen; vielmehr lasse sie der Parteidisposition
freie Hand und gebe ihr die Möglichkeit, den Zusammenhang zwischen Handlungsbefugnis und Haftung vertraglich abzuändern.149
Hervorzuheben ist insbesondere der Hinweis des BGH, dass die deutsche
Rechtsordnung auch im Übrigen die Führung eines Unternehmens durch eine einzelne
beschränkt haftende Person ermögliche. Wenn das deutsche Recht bereits die
atypischen Gesellschaftsformen der Einpersonengesellschaft und der GmbH & Co. KG
146 OLG Hamm, 08.05.1963, MDR 1963, 849 f.
147 OLG Hamm, 08.05.1963, MDR 1963, 849, 850.
148 OLG Hamm, 08.05.1963, MDR 1963, 849, 850.
149 BGH, 17.03.1966, BGHZ 45, 204, 205 f.
53
zulasse,150 gebe es keinen Grund, die atypische Ausgestaltung der Kommanditgesellschaft anders zu behandeln.151 Zudem liegt nach der Ansicht des BGH kein
Missbrauch der Rechtsform vor, wenn der Kommanditist die Geschäftsleitung
übernommen hat. Denn ausreichend sei, dass der Gesellschafter seine bloße Beteiligung
als beschränkt haftender Kommanditist offen deutlich macht. Die Kundgabe des nur
beschränkten Haftungswillens erfolge allein durch die formale Eintragung der
Kommanditistenstellung im Handelsregister. Der Rechtsverkehr sei ausreichend
geschützt, da die Verhältnisse vollständig offen gelegt seien.152 Einer Betrachtungsweise die auf jeden konkreten und individuellen Lebenssachverhalt gesondert reagiert,
erteilt der II. Zivilsenat des BGH zugunsten der Rechtssicherheit eine eindeutige
Absage. Eine Haftung des herrschenden Kommanditisten richtet sich nach dem
Grundsatz „form over substance“153, und die Form des Gesetzes ist eindeutig: Der
Kommanditist haftet nicht für die Verbindlichkeiten der KG wenn eine die Kontrolle
über die Gesellschaft in Wesentlichen Bereichen übernommen hat.
Eine Haftung des herrschenden Kommanditisten scheidet nach der Rechtsprechung
des II. Zivilsenats des BGH somit aus. Der BGH betont, dass „die Führung eines
Handelsgeschäfts mit einer nur beschränkten Haftung“ … aus „unserem Rechtsleben
überhaupt nicht mehr fortzudenken sei.“ 154
I. Der Einfluss des Rektor-Urteils auf die Diskussion
Das Urteil im Rektor-Fall hatte erheblichen Einfluss auf die im obigen aufgeführte
ordoliberale Sichtweise zur Haftungserweiterung des herrschenden Kommanditisten155.
Nahezu sämtliche Lehren, die vor dem Urteil zu der Frage einer Verbindung von
Herrschaft und Haftung vertreten wurden, sind mittlerweile Rechtsgeschichte.
150 Zur Anerkennung der GmbH & Co. KG siehe Ebke, 22 Int’l Lawyer 191, 193 (1988).
151 BGH, 17.03.1966, BGHZ 45, 204, 207.
152 BGH, 17.03.1966, BGHZ 45, 204, 207 f.
153 Im Gegensatz dazu gilt insbesondere im anglo-amerikanischen Recht der Grundsatz „substance
over form“. Siehe dazu z. B. Ramsay v. IRS, House of Lords v. 12.7.1997; IRC v. McGuckian,
Simons Tax Cases 1997, 908; zudem Grundsatz im Steuerrecht vgl. Fischer, SWI 1999, 104, 109.
154 BGHZ 45, 204, 207. Diese Argumentation passt zur derzeitigen Entwicklung, atypische
Gesellschaftsformen bis zur Grenze des Missbrauchs anzuerkennen; dazu Ulmer, Entwicklungen,
S. 36.
155 Siehe die umfangreiche Darstellung der ordoliberalen Ansichten bei Schmidt, OHG, S. 108 f.;
Wiedemann, GesR I, § 10 III 2a.
54
1. Die Ablehnung der Typenlehre und des Wesensarguments
Die Lehre von der gesellschaftsrechtlichen Typengesetzlichkeit gilt heute als „überholt“
und nicht mehr „einschlägig“.156 Es ist wohl allgemeine Meinung, dass das deutsche
Gesellschaftsrecht als Gegenstand der Privatrechtsordnung keinem bestimmten
Typenzwang unterliegt.157 In der deutschen Rechtswissenschaft stellt sich wie bereits
dargestellt nicht mehr die Frage nach der Zulässigkeit der GmbH & Co. KG.158 Diese
Gesellschaftsform ist inzwischen allgemein anerkannt159. Ist die Existenz dieser
Gesellschaftsform aber als Faktum hinzunehmen, so steht eine reine Typenlehre auf
brüchigen Boden. Zudem steht eine rein materiell-rechtliche orientierte Typenlehre vor
dem fast unlösbaren Problem, eine Abgrenzung zwischen zulässigen Typendehnungen
und solchen Gestaltungen zu fällen, in denen der zwingende Typus verlassen wird.160
Wie der BGH in seinem Urteil zum Rektor-Fall feststellt, sind die Übergänge so
fließend, dass eine klare Trennlinie nicht erkennbar ist; denn ein klarer Typus der KG
ist anhand der dispositiven Normen nicht feststellbar.161 Die mit der Typenlehre
verbundene Argumentation mit dem „Wesen“ der Gesellschaftsformen konnte sich
nicht ebenfalls durchsetzen. Das Wesensargument wurde als Kryptoargument162 entlarvt
und seit dem Rektor-Urteil nicht mehr aufgegriffen.
2. Die Ablehnung des Prinzips „Herrschaft und Haftung“
Seit der Entscheidung des II. Zivilsenats des BGH im Rektor-Fall wird auch die Geltung
des Prinzips „Herrschaft = Haftung“ nicht mehr vertreten,163 sondern praktisch allgemein abgelehnt.164 Das neoliberale Wirtschaftsdenken wird als „liberale Utopie“165; der
Zusammenhang zwischen Herrschaft und Haftung als „philosophische Wahrscheinlich-
156 So Schmidt, GesR, § 5 III 3a; ders., ZHR 160 (1996), 271.
157 Vgl. Schmidt, GesR, § 5 III 3a.
158 So insbesondere Bitter, S. 210; Ebke, 22 Int’l Lawyer 191, 193 (1988); Zöllner, JZ 1992, 381, 383.
159 Grundlegend BayObLG, 16.02.1912, OLGRspr 27 (1913), 331 f.; RGZ 105, 101 ff.;
Baumbach/Hopt, Einl. v. § 105 Rn. 17 und Anh. § 177a Rn. 4; Schlegelberger-Schmidt § 105 Rn.
53; Schmidt, GesR 56 I 2a m. w. N. Siehe auch die Anerkennung des Gesetzgebers in § 172a
HGB.
160 Mertens, NJW 1966, 1049, 1050; Spieß, S. 90, 94.
161 BGHZ, 45, 204, 206; Elsing, S. 74; Spieß, S. 90, 94.
162 So insbesondere Scheuerle, AcP 163 (1964), 429, 430.
163 Vgl. hierzu Spieß, S. 104 f.; Konietzko, S. 167; auch Bitter, S. 144.
164 Bereits vor dem Rektor-Urteil ablehnend: Hofmann, NJW 1966, S. 1941–1946; nach dem Urteil
insbesondere: Boerner, S. 59 ff.; Hofmann, NJW 1969, 577, 579; Klingberg, S. 60 ff.; Konietzko,
S. 167; Schlegelberger-Martens § 164, Rn. 44; Schilling, in: GroßKomm HGB, § 164 Rn. 12;
Schmidt, GmbHR 1984, 272, 283; Teichmann, S. 125 f.; Westermann, Vertragsfreiheit, S. 274;
Wiedemann, FS Bärmann, 1037, 1048 (1975); ders., GesR, § 10 III 2a m. w. N.
165 Bereits vor dem Rektor-Urteil: Lohmann, AcP, 150 (1949), 506, 508.
55
keitsmechanismen“166 und die Diskussion als „Glaubenskampf“167 zwischen „Gläubigen
und Heiden“168 bezeichnet.
In der ablehnenden Argumentation wird insbesondere darauf hingewiesen, dass dem
deutschen Gesellschaftsrecht – in Anbetracht der gesetzlichen Anerkennung der Ein-
Mann-GmbH169 und der Beteiligung der Arbeitnehmer an der Unternehmensleitung
durch das MitbestG170 – kein zwingender Zusammenhang zwischen Haftung und Herrschaft zu entnehmen sei.171 In anderen Gesellschaftsformen werde die Leitungsbefugnis
und persönliche Haftung überwiegend getrennt. Die Geschäftsführer einer GmbH oder
der Vorstand einer Aktiengesellschaft172 haften als Leiter des Unternehmens regelmäßig
nicht gegenüber den Gläubigern.173 Für das Personengesellschaftsrecht wird der zwingende Charakter der Verbindung von Herrschaft und Haftung deshalb ebenfalls
abgelehnt. Es wird darauf hingewiesen, dass sich rechtsgeschäftlich faktisch die
gesamte Leitungsmacht auf einen Dritten übertragen lasse, ohne dass hieraus
haftungsrechtliche Konsequenzen gezogen werden.174 So ist eine rechtsgeschäftliche
Übertragung von Prokura oder einer umfassenden Handlungsvollmacht auf nicht
haftende Dritte grundsätzlich möglich.175 Darüber hinaus kann ein persönlich haftender
Gesellschafter von der Geschäftsführung ausgeschlossen werden, ohne dass sich etwas
an seiner unbeschränkten Haftung ändert (§§ 114 II, 115 I, 128 HGB).176 Dies zeige,
nach einer viel verbreiteten Ansicht im Schrifttum, dass die von der ordoliberalen Lehre
vertretene Maxime eines Gleichlaufs von Herrschaft und Haftung schon bei den
Personengesellschaften nur bedingt gilt.
Der BGH177 hebt im Rektor-Fall zudem hervor, dass die Anknüpfung der Haftung an
die Herrschaftsmacht – bei der Fülle der verschiedenartigen Gestaltungsmöglichkeiten
im Personengesellschaftsrecht – zu einer unheilvollen Rechtsunsicherheit führen würde.
Im Interesse des Verkehrsschutzes seien die Haftungsvorschriften des deutschen
Verbandsrechts jedoch gerade formal an die Handelsregistereintragung geknüpft. Der
deutsche Gesetzgeber hat sich nach der Ansicht des BGH ausdrücklich dafür
entschieden, den Gläubigerschutz bei der KG abstrakt und formalistisch zu regeln. Eine
Anknüpfung der Haftungsstruktur an die jeweilige tatsächliche Macht- und Interessenstruktur der Gesellschaft, wie die Typenlehre als auch teils die ordoliberale Lehre dies
166 Wiethölter, GmbH & Co. KG, S. 11, 42.
167 Westermann, Vertragsfreiheit, S. 273.
168 Wiedemann, Haftung, S. 49.
169 § 1 GmbHG.
170 Elsing, S. 61; Helm, ZGR 1973, 478, 482; Wiedemann, Haftung, S. 50; ders.,
Mitgliedschaftsrechte, S. 328.
171 Boerner, S. 59 f.; Elsing, S. 63 f.; Teichmann, S. 126; Wiedemann, Haftung, S. 50.
172 Eine gute Darstellung über die Diskrepanz zwischen „Chance und Risiko“ im Aktienrecht findet
sich bei Großfeld, S. 110 f.; dazu auch Helm, ZGR 478, 481.
173 Vgl. u.a. das Kirch-Urteil, BGH NJW 2006, 830.
174 Elsing, S. 63; Hofmann, NJW 1969, 577, 579; Westermann, Vertragsfreiheit S. 279 f.
175 Dazu Elsing, S. 63.
176 Beyerle, S. 82 f.; Wiedemann, GesR, § 10 III 2 a aa, bb.
177 BGHZ 45, 204, 206; vgl. auch noch Würdinger, KG, S. 163 f.
56
verlangt, würde dem der Rechtssicherheit dienenden formalen deutschen Rechtsdenken
widersprechen.
Des Weiteren ist sich die deutsche Rechtswissenschaft offenbar mittlerweile einig,
dass auch ein dem Gesellschaftsrecht übergeordnetes wirtschaftsverfassungs-rechtliches
Prinzip der Kongruenz von Herrschaft und Haftung aus verfassungsrechtlichen178
Gesichtspunkten nicht begründbar ist. Es wird insbesondere darauf hingewiesen, dass
das durch den Ordoliberalismus aufgestellte Prinzip des reinen Leistungswettbewerbs
von der deutschen Verfassung179 in dieser Absolutheit nicht mehr gefordert wird. Der
„vollkommene Wettbewerb“, dessen Funktionsfähigkeit durch die persönliche Haftung
gewährleistet sein soll, setze eine ökonomisch reine Marktwirtschaft voraus. Die
deutsche Wirtschaftsordnung zeichnet sich jedoch durch ihre soziale Komponente aus,
die bestehende Risiken teilweise auf die Allgemeinheit verlagert.180 Folglich entspräche
die deutsche, soziale Marktwirtschaft bereits nicht dem Ideal des Ordoliberalismus.
Somit könne eine Wirtschaftsverfassung, die nicht auf der reinen Marktwirtschaft
basiert, auch nicht als Rechtfertigung für bestimmte Ordnungsvorstellungen wie den
Grundsatz von Herrschaft und Haftung dienen.181
Die deutsche Literatur weist zudem darauf hin, dass auch die tatsächliche
ökonomische Entwicklung einer ordoliberalen Wirtschaftsverfassung den Boden
entzogen hat. Durch die Tendenz zur Konzentration wirtschaftlicher Macht in
finanzstarken Großunternehmen wird eine Chancenungleichheit im Wettbewerb erreicht
und somit die Grundvoraussetzung der ordoliberalen reinen Marktwirtschaft beseitigt.182
II. Zwischenbilanz bis zum Rektor-Urteil
Gleichwohl kann festgestellt werden, dass jegliche Haftungserweiterungen aus dem
Gesichtspunkt der Überschreitung allgemeiner immanenter Grenzen der Gestaltungsfreiheit im deutschen Recht gescheitert sind.183 Die atypische KG ist somit in
Deutschland grundsätzlich anerkannt. Der herrschende Kommanditist stellt nach der
Ansicht der Rechtsprechung und der Literatur keine Verletzung von allgemein gültigen,
übergeordneten Prinzipien dar, die eine unbeschränkte und persönliche Haftung des
178 Vgl. eingehend zu den verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten: Helm, ZGR 1973, 478 ff.;
Klingberg, S. 64 f.; Schmidt, OHG, S. 115.
179 Das GG ist ebenfalls durch eine wirtschaftsordnungsrechtliche Neutralität gekennzeichnet. Vgl.
BVerfGE 4, 7; Helm, ZGR 1973, 478, 482: „Die Verfassung gestattet es, jederzeit den Sozialstaat
auch außerhalb ordoliberaler Vorstellung fortzuentwickeln.“.
180 Vgl. Günter, S. 1 f.; Helm, ZGR 1973, 482 f.; Schmidt, OHG, S. 117.
181 Ausführlich insbesondere Runge, S. 155 f.
182 Zur ökonomischen Sichtweise insbesondere Lehmann, ZGR 1986, 345, 353; Limbach, S. 102 f..
183 „Es gilt Abschied zu nehmen von der Illusion, dass sich aus einem allgemeinen Prinzip
höherwertige und deshalb zwingende Rechtsregeln, die neben das Gesetzesrecht treten und
zusätzlich die freie inhaltliche Gestaltung der Gesellschaftsverträge begrenzen, ableiten lassen.“
Zitat nach Schultze-v. Lasaulx, ZfgG 21 (1972), 347, 349.
57
Kommanditisten begründen könnte. Dies gilt unabhängig von dem Grad der Einflussnahme auf die Geschäftsführung der Kommanditgesellschaft.184
D. Lösungsansätze nach dem Rektor-Urteil
In Literatur und Rechtsprechung besteht jedoch auch nach dem Rektor-Urteil keine
Übereinstimmung hinsichtlich der grundsätzlichen Ablehnung von haftungsrechtlichen
Sicherungskorrektiven im Fall des herrschenden Kommanditisten. Sämtliche vorgeschlagenen Lösungsansätze weisen zwar die Gemeinsamkeit auf, dass sie nicht mehr
versuchen, mit übergesetzlichen Prinzipien eine Haftung zu begründen. Ob und in
welchen Fällen heute noch ein Durchgriff auf den Kommanditisten im Fall seiner
Einflussnahme auf die Geschäftsführung der Gesellschaft möglich ist, wird unterschiedlich beurteilt.
I. Durchgriffshaftung im Recht der Personengesellschaften
Auf den ersten Blick scheint eine echte Durchgriffshaftung den hier zu untersuchenden
Sachverhalt überhaupt nicht zu berühren, da es sich um ein Rechtsinstitut handelt,
dessen Geltung sich gemeinhin nur auf juristische Personen bezieht.185 Diese
Auffassung ist sicher richtig, wenn man jeden Rechtsträger, der keine natürliche Person
ist, als juristische Person bezeichnet, also zum Beispiel auch die OHG und KG.186
Selbst wenn zwischen den juristischen Personen und den Personengesellschaften als
sog. Gesamthandsgesellschaften unterschieden wird, zeigt sich, dass eine dem
Haftungsdurchgriff bei juristischen Personen vergleichbare Problematik vorliegt.187
Denn sowohl bei juristischen Personen als auch bei Gesamthandsgesellschaften steht
die Schuld des Verbandes gesondert neben der Schuld der Gesellschafter. Die
Kommanditgesellschaft nimmt als Unternehmen am Wirtschaftsleben teil. Die
Gesellschaft ist somit als Verband mit eigenen Rechten und Pflichten ausgestattet und
muss losgelöst von seinen Mitgliedern betrachtet werden. Diese Aufteilung zwischen
Mitgliedern des Verbandes und dem Verband selbst findet man sowohl bei juristischen
Personen als auch bei sog. Gesamthandsgesellschaften. Folglich überwiegt auch in der
184 Vgl. Bitter, S. 210; Klingberg, S. 66.
185 So BGH WM 1985, 54. Zur Durchgriffshaftung bei juristischen Personen vgl. Kuhn G., FS
Fischer, 352, 352 (1979); Stimpel, FS Goerdeler, 601, 603 f. (1987); Wiedemann, GesR, § 4 III 1.
186 So zu Recht Schmidt, GesR, § 9 I 2a.
187 Dies erkennt John, AcP 185 (1985), 209, 226; auch Bitter, S. 96; ähnlich Klingberg, S. 123, der
allerdings eine Übertragung der Grundsätze der Durchgriffshaftung auf Kommanditgesellschaften
letztlich ablehnt, da eine sachgerechte Lösung mit den Haftungssystemen der KG erreicht werden
könnte. Vgl. Klingberg, S. 124 f.
Chapter Preview
References
Zusammenfassung
Die Einheit von Herrschaft und Haftung beherrschte in Deutschland wie in den USA lange Zeit die Diskussion über den Sinn und Unsinn der beschränkten Haftung im Gesellschaftsrecht. Um opportunistischem Handeln von herrschenden Gesellschaftern entgegenzuwirken, wurde die beschränkte Haftung nur gegen einen Verlust von Mitwirkungsbefugnissen in der Gesellschaft gewährt. Eine Trennung von Herrschaft und Haftung war nicht möglich. In Deutschland wurde dieses Dogma durch die atypische KG bereits frühzeitig durchbrochen. In den USA trat eine solche Entwicklung erst vollständig in den letzten Jahrzehnten ein. In jüngster Zeit entstand in den europäischen Rechtsordnungen ein neuer Reformprozess, der maßgeblich durch die Bestrebungen geprägt war eine mindestkapitallose Gesellschaftsform mit beschränkter Haftung zu kreieren, in der die Gesellschafter die Kontrolle über die Gesellschaft ausüben können.
Das Werk zeigt die die Ursachen für diese Entwicklung sowie die rechtlichen und ökonomischen Konsequenzen einer Durchbrechung des Grundsatzes einer Einheit von Herrschaft und Haftung im Gesellschaftsrecht auf und hinterfragt diese im Hinblick auf den weltweiten Markt der Gesellschaftsrechte.