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Kodifizierung im Gesellschaftsrecht im Wesentlichen durch eine kasuistische Einzelfallrechtsprechung geprägt. Ein deutscher Rechtsanwender darf sich gerade im Fall des
US-amerikanischen Rechts nicht allein am Wortlaut der gesetzlichen Regelungen
orientieren, denn die US-amerikanische Rechtsmethodik beruht auf Aspekten, die dem
deutschen Recht in erheblichem Maße fremd sind. Vielmehr muss der deutsche Rechtsanwender den einschlägigen Rechtsstreit wie das ausländische Gericht69, in diesem Fall
wie das höchste New Yorker Gericht entscheiden (New York Court of Appeals, App.
Div.).
Die Entscheidung zeigt, dass es in New York eine gesetzliche Haftungsvorschrift für
den herrschenden Kommanditisten gibt, die dem deutschen Handelsgesetzbuch in dieser
Art und Weise unbekannt ist. Das amerikanische Recht geht, zumindest im Fall der
Kommanditgesellschaft, noch immer von einer Einheit von Herrschaft und Haftung aus,
so dass in einer Personengesellschaft aus Gründen des Gläubigerschutzes eine beschränkte Haftung nur bei Gesellschaftern erlaubt ist, die keinen Einfluss auf die
Geschäftsführung haben.
Das Ziel der nachfolgenden Bearbeitung ist es somit, zunächst herauszuarbeiten,
inwieweit der Gedanke einer Einheit von Herrschaft und Haftung in beiden
Rechtsordnungen in Bezug auf die nicht börsennotierte atypische Kommanditgesellschaft noch vertreten wird. Dabei soll festgestellt werden, ob und unter welchen
Voraussetzungen ein herrschender Kommanditist in Deutschland und den USA für die
Verbindlichkeiten der Gesellschaft persönlich und unbeschränkt haften muss. Die Beantwortung der Frage wird insbesondere davon abhängen, inwieweit der genannte
Grundsatz einer Trennung zwischen Inhaberschaft, Geschäftsführung und beschränkter
Haftung bei nicht börsennotierten Gesellschaften und damit die traditionelle
Zweiteilung im Gesellschaftsrecht in den Rechtsordnungen noch aufrechterhalten wird.
Durch das Verständnis der unterschiedlichen Lösungsansätze in beiden Rechtsordnungen und deren Begründungen werden rechtsformübergreifende Tendenzen im
US-amerikanischen Gesellschaftsrecht untersucht, die eine vollständige Abkehr von
traditionellen Gesellschaftsformen aufzeigen werden. Im Hinblick auf die Gründe für
den stetig stärker werdenden Strukturwandel im US-amerikanischen Gesellschaftsrecht
gilt es dann zu hinterfragen, welche Entwicklung in Europa zu erwarten ist und welche
Implikationen dadurch für das deutsche Recht entstehen.
F. Gang der Untersuchung
Die nachfolgenden Ausführungen zu dem deutschen und US-amerikanischen Recht
werden sich mit der Frage auseinandersetzen, ob die Trennung von Inhaberschaft,
Geschäftsführung und beschränkter Haftung in beiden Rechtsordnungen im Fall der
69 Vgl. dazu Ebke, RabelsZ 48 (1984), 319, 335.
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Kommanditgesellschaft aufrechterhalten wird. Es wird untersucht, ob und unter
welchen Voraussetzungen ein Kommanditist bei wesentlicher Einflussnahme in die
Geschäftsführung der Kommanditgesellschaft (sog. atypische KG) haften muss. Um die
Entwicklung der Haftung des herrschenden Kommanditisten im deutschen und
amerikanischen Recht besser nachvollziehen zu können, werden die von den Rechtsordnungen gewählten rechtlichen Lösungen für den Fall der atypischen KG
chronologisch dargestellt. Im Rahmen der Zielsetzung befasst sich die Untersuchung
speziell mit der reinen Kommanditgesellschaft, d. h. einer Kommanditgesellschaft mit
nur natürlichen Personen. Denn die Problematik der Verbindung von Inhaberschaft,
Geschäftsführung und beschränkter Haftung wird insbesondere relevant, wenn eine
natürliche Person die Geschäfte einer Personengesellschaftsform vollständig beherrscht.
Die nach wie vor umstrittene Zulässigkeit der GmbH & Co. KG wird zwar ansatzweise
im US-amerikanischen Länderbericht eine Rolle spielen, aber nur um die Ansichten
über die Haftung des herrschenden Kommanditisten besser verdeutlichen zu können.
Die Konzernhaftung ist für das Erkenntnisziel der Arbeit unerheblich und wird dementsprechend ausgeklammert.
Das erste Kapitel beschäftigt sich mit der deutschen Rechtsordnung. Chronologisch
werden sämtliche Haftungsinstitute aufgeführt, die im Fall des herrschenden Kommanditisten diskutiert werden. Wiederum steht die eingangs gestellte Frage im
Vordergrund, ob und inwieweit eine Einheit von Herrschaft und Haftung bei der Kommanditgesellschaft noch angenommen wird. Dabei werden sämtliche Haftungsmodelle
untersucht, mit denen in der Literatur und Rechtsprechung versucht wird, auf eine
Verlagerung der Herrschaftsgewalt in der Gesellschaft auf den Kommanditisten zu
reagieren. Im Rahmen dieser Fragestellung werden zunächst die Ansätze untersucht, die
aufgrund übergesetzlicher Wertungen eine unbeschränkte Haftung des herrschenden
Kommanditisten herleiten wollen. Danach wird herausgearbeitet, ob und in welchen
Fallkonstellationen die allgemeine Durchgriffshaftung ein geeignetes Sicherungskorrektiv darstellt, um auf eine Verlagerung der Herrschaftsmacht von dem
Komplementär auf den Kommanditisten zu reagieren.
Der zweite Teil dieser Arbeit beschäftigt sich mit der Kommanditgesellschaft USamerikanischer Prägung (limited partnership). Wie im deutschen Teil wird untersucht,
ob und unter welchen Voraussetzungen ein herrschender Kommanditist (controlling
limited partner) persönlich für die Verbindlichkeiten der Gesellschaft haften muss.
Besonderes Augenmerk wird dabei die in den USA gesetzlich kodifizierte Handelndenhaftung des controlling limited partner spielen. Die Rechtslage in den USA wird
anhand der einschlägigen Modellgesetze und einzelner Jurisdiktionen dargestellt. Diese
Vorgehensweise bietet sich an, weil vergleichsweise wenige Entscheidungen zu der
Frage der Haftung des limited partners bei Einflussnahme auf die Geschäftsführung der
KG ergangen sind und die einzelstaatlichen Gesetze zur Kommanditgesellschaft
(Limited Partnership Acts) zwar auf einheitlichen Modellgesetzen basieren, sich aber
durchaus voneinander unterscheiden.
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Im Anschluss an die Analyse des einschlägigen Rechts in Deutschland und den USA
folgt die Rechtsvergleichung. Ausgangspunkt ist dabei zunächst eine Zusammenschau
der Antworten der beiden Rechtsordnungen auf die Frage, wann und unter welchen
Voraussetzungen ein herrschender Kommanditist persönlich und unbeschränkt für die
Verbindlichkeiten der Gesellschaft haften muss. Danach wird hinterfragt, auf welche
rechtlichen Wertungen die erarbeiteten Lösungen zurückzuführen sind. Im Anschluss
werden aus den bisherigen Erkenntnissen rechtsformübergreifende Tendenzen im USamerikanischen Unternehmensrecht aufgezeigt und im Hinblick auf das europäische
Recht analysiert. Im Vordergrund steht dabei die Problematik einer Aufweichung der
traditionellen Gesellschaftsformen, indem das Privileg der beschränkten Haftung immer
mehr Einzug in das Recht der kleinen, nicht börsennotierten Gesellschaften erhält. Es
wird versucht zu hinterfragen, mit welchen Problemen das deutsche Recht aufgrund
dieser Tendenzen im Gesellschaftsrecht konfrontiert wird. Dabei wird es nicht mehr um
die Kommanditgesellschaft gehen, sondern um rechtsformübergreifende Veränderungen
des Gesellschaftsrechts, die eine vollständige Abkehr der traditionellen Zweiteilung der
Gesellschaftsformen bewirkt haben. Zuletzt wird kritisch hinterfragt, ob eine Verbindung von beschränkter Haftung, Inhaberschaft und Geschäftsführung bei kleinen,
nicht börsennotierten Gesellschaften aus ökonomischer Sicht überhaupt effizient und
somit gesamtwirtschaftlich erwünscht ist.
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References
Zusammenfassung
Die Einheit von Herrschaft und Haftung beherrschte in Deutschland wie in den USA lange Zeit die Diskussion über den Sinn und Unsinn der beschränkten Haftung im Gesellschaftsrecht. Um opportunistischem Handeln von herrschenden Gesellschaftern entgegenzuwirken, wurde die beschränkte Haftung nur gegen einen Verlust von Mitwirkungsbefugnissen in der Gesellschaft gewährt. Eine Trennung von Herrschaft und Haftung war nicht möglich. In Deutschland wurde dieses Dogma durch die atypische KG bereits frühzeitig durchbrochen. In den USA trat eine solche Entwicklung erst vollständig in den letzten Jahrzehnten ein. In jüngster Zeit entstand in den europäischen Rechtsordnungen ein neuer Reformprozess, der maßgeblich durch die Bestrebungen geprägt war eine mindestkapitallose Gesellschaftsform mit beschränkter Haftung zu kreieren, in der die Gesellschafter die Kontrolle über die Gesellschaft ausüben können.
Das Werk zeigt die die Ursachen für diese Entwicklung sowie die rechtlichen und ökonomischen Konsequenzen einer Durchbrechung des Grundsatzes einer Einheit von Herrschaft und Haftung im Gesellschaftsrecht auf und hinterfragt diese im Hinblick auf den weltweiten Markt der Gesellschaftsrechte.