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Vorbemerkungen
§ 1: Einführung
Das Prinzip der beschränkten Haftung stellt eine der größten juristischen Errungenschaften des 19. Jahrhunderts dar.1 Die Existenz von Rechtsformen, in denen die
Gesellschafter für die Verbindlichkeiten des Unternehmens nicht persönlich und
unbeschränkt in Anspruch genommen werden können, bildet mittlerweile in allen
Industrienationen einen Eckpfeiler des Gesellschaftsrechts.2 Gleichwohl ist die heutige
Rechtslage nicht selbstverständlich. Bis zum Ende des 19. Jahrhunderts galt die
unbeschränkte und persönliche Haftung der Mitglieder einer jeden Gesellschaft als
Standard. Teilweise endeten die Versuche mancher frühmittelalterlicher Handelszentren, die beschränkte Gesellschafterhaftung einzuführen, in einem völligen Boykott
durch den Wirtschaftsverkehr.3 Die beschränkte Haftung wurde geradezu als verwerflich angesehen.4 Die dominierende Rechtsform für wirtschaftliche Unternehmen
war die gemeinsam geführte Partnerschaft.5
Die ersten amerikanischen Gesellschaftsformen (ordinary partnerships) sowie die
Vorläufer der heutigen offenen Handelsgesellschaft (oHG) des deutschen Rechts6 waren
demzufolge dadurch gekennzeichnet, dass die Gesellschafter des Unternehmens
grundsätzlich persönlich und unbeschränkt für die Verbindlichkeiten der Gesellschaft
verantwortlich waren. Die persönliche Verantwortlichkeit der Inhaber der Gesellschafter war die Basis für die Kreditwürdigkeit des Unternehmens.7 Eine Verbindung
von Inhaberschaft, beschränkter Haftung und Geschäftsführung gab es in den
frühzeitlichen Unternehmensformen nicht.8 Die alten Rechtssysteme gingen einheitlich
1 Ebke/Stadler, RIW 1989, 413; Leebron, 91 Colum.L.Rev. 1565, 1566 (1991) ("No principle seems
more established in capitalist law or more essential to the functioning of the modern corporate
economy."); Glynn, 57 Van.L.Rev. 329, 361 (2004); Dodd, 61 Harv.L.Rev. 1361, 1358 (1948)
("limited liability was the most important factor leading to industrial growth in the nineteenth
century"); vgl. ausführlich zur geschichtlichen Entwicklung der „limited liability“ Hillman,
"Limited Liability in Historical Perspective", 54 Wash. & Lee L.Rev. 615 (1997); Vagts, ZGR
1994, 227; Barber, 17 Willamette L.Rev. 371–72 (1981).
2 Vagts, ZGR 1994, 227.
3 Siehe das Beispiel bei Vagts, ZGR 1994, 227, 228.
4 Vgl. die Beispiele bei Lopez, 8 Journal of Economic History, 63, 66–67 (1948).
5 Seit dem heiligen römischen Reich bis zum 19. Jahrhundert. Vgl. statt vieler nur
Hansmann/Kraakman/Squire, 2005 U.Ill.L.Rev. 5, 6 (2005); insbesondere auch Hillman, 54 Wash.
& Lee L.Rev. 615, 620 (1997), der auf die Rechtsformen der römischen und islamischen Welt
eingeht. Siehe auch Rutledge, 51 S.D.L.Rev. 417, 418–19 (2006).
6 Eine Unterscheidung zwischen Handelsgesellschaften und Gesellschaften bürgerlichen Rechts
existiert in den USA nicht. Vgl. Zimmer, 375–78.
7 Hansmann/Kraakman/Squire, 2005 U.Ill.L.Rev. 5, 6 (2005).
8 Statt vieler Hansmann/Kraakman/Squire, 2005 U.Ill.L.Rev. 5, 7 (2005); Kessler, 32 J. Legal Stud.
511, 524 (2003). Dazu ausführlich Szramkiewicz, S. 160–63.
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von der Prämisse aus, dass ein Inhaber, der Entscheidungen über die
Geschäftsführungen treffen kann und am Gewinn des Unternehmens beteiligt ist, auch
für die Verluste des Unternehmens einzustehen hat.9
Zum Ende des 19. Jahrhunderts haben jedoch fast alle Rechtsordnungen dem
Wirtschaftsverkehr eine weitere Rechtsform zur Verfügung gestellt: die heutige10
Kapitalgesellschaft (corporation), in der die Anteilseigner (Aktionäre) grundsätzlich nur
beschränkt für die Verbindlichkeiten der Gesellschaft hafteten.11 Trotz dieser
juristischen Neuerung war in der Praxis lange Zeit nicht klar, wie weit die beschränkte
Haftung der Aktionäre reichen sollte.12 Zum einen war dies darauf zurückzuführen, dass
in den Anfängen der Rechtsform der Anreiz zu groß war, dass die geschäftsführenden
Inhaber der überwiegend kleinen Unternehmen gerade die einzige Kreditwürdigkeit, die
Kapitalausstattung der Gesellschaft, opportunistisch schmälerten.13 Hinzu kamen uneinheitliche Rechnungslegungsstandards und schwach ausgeprägte insolvenzrechtliche
Regelungen, wodurch sich das Vertrauen in die Kreditwürdigkeit einer Gesellschaftsform mit beschränkter Haftung nur spärlich entwickeln konnte.14 Erst als das rechtliche
Rahmenwerk zur Kapitalgesellschaft sich verbesserte und die großen Publikumsgesellschaften entstanden, in denen die passiven Aktionäre keine Möglichkeit mehr
hatten, direkte Kontrolle über die Gesellschaft auszuüben, konnte sich das Prinzip der
beschränkten Haftung immer mehr etablieren.15
Damit ist bereits die wesentliche Rechtfertigung des Haftungsprivilegs angesprochen
worden: die Trennung von Geschäftsführungsmacht und Inhaberschaft.16 Denn das
Risiko der unbeschränkten und persönlichen Haftung sollte ursprünglich die geschäfts-
9 Vgl. dazu Douglas, 38 Yale L.J. 584 (1929); siehe Waugh v. Carver, 2 H.Bl. 235 (1793); Grace v.
Smith, 2 H. Bl. 998 (1775); diesen Entscheidungen folgend: Hesketh v. Blanchard, 4 East 145
(1803); Legett v. Hyde, 58 N.Y. 272, 47 How.Pr. 524, 17 Am.Rep. 244 (1874); Buford v. Lewis, 87
Ark. 412, 112 S.W. 963 (1908); Hackett v. Stanley, 115 N.Y. 625, 22 N. E. 745 (N.Y. 1889);
weitere Nachweise bei Lewis, 65 U.Pa.L.Rev. 715, 719 f. (1917); siehe auch Mendelson, 102
Colum.L.Rev. 1203, 1204–71 (2002), der behauptet, dass die beschränkte Haftung von Aktionären
gesamtwirtschaftlich nachteilig ist. Aus deutscher Sicht siehe Goldschmidt, ZHR 27, S. 80 ff.;
Pisko, GrünhutsZ 37 (1910), 699.
10 Kapitalgesellschaften gab es in den USA bereits seit Mitte des 18. Jahrhunderts, aber diese
Gesellschaften wiesen wie bereits aufgeführt noch nicht die typischen Merkmale der heutigen
Kapitalgesellschaften auf. Vgl. zur Geschichte in den USA und Europa Hansmann/Kraakman, 89
Geo.L.J. 439, 441 (2001); Hurst, S. 15–20; Seavoy, S. 45–49; Rutledge, 51 S.D.L.Rev. 417, 419
(2006).
11 In den USA wurde erst 1820 in New York die beschränkte Haftung der Aktionäre eingeführt.
Siehe dazu Rutledge, 51 S.D.L.Rev. 417, 419 (2006). In Deutschland konnte sich die beschränkte
Haftung erst im Jahre 1892 mit der Einführung der GmbH durchsetzen.
12 Siehe dazu Mendelson, 102 Colum.L.Rev. 1203, 1210 (2002) ("limited corporate liability was far
from being fully established until the early part of the twentieth century"). Vgl. auch Hurst, S. 27–
28; Dodd, S. 391–93.
13 Vgl. Day, 58 U.Miami L.Rev. 525, 555 (2004).
14 Kessler, 32 J.Legal Stud. 511, 530–32 (2003); Hillman, 54 Wash. & Lee L.Rev. 615, 620 (1997).
15 Vgl. dazu aus rechtsvergleichender Sicht Vagts, in Orhnial (Hrsg.), Limited Liability and the
Corporation (1982). Ähnlich Hansmann/Kraakman/Squire, 2005 U.Ill.L.Rev. 5, 8–10 (2005);
Vagts, ZGR 1994, 227, 229.
16 Vgl. Vagts, ZGR 1994, 227, 229 m. w. N.
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führenden Gesellschafter dazu anhalten, die Geschäfte der Gesellschaft eingehend und
sorgsam zu kontrollieren und risikoreiche Transaktionen zum Schutze der
Allgemeinheit zu vermeiden.17 Besteht aber wie im Fall der großen Publikumsgesellschaft keine Möglichkeit mehr, auf die Geschäfte der Gesellschaft Einfluss
auszuüben, trifft das Hauptargument der unbeschränkten Haftung der Anteilseigner
nicht mehr zu.18 Deshalb ist die Trennung von Inhaberschaft und Kontrolle über die
Geschäftsführung seit über 150 Jahren prägende Voraussetzung für die beschränkte
Haftung gewesen. Diese strikte Aufteilung war somit auch den neu entstandenen
Kapitalgesellschaften immanent.19
Kleine und mittlere Unternehmen waren hingegen immer noch auf die normale
Handelsgesellschaft oder general partnership angewiesen, in der grundsätzlich ein
unbeschränktes Haftungsregime vorherrschte. Die Gesellschaftsformen waren durch
eine Verbindung von ownership und control geprägt. Der Rechtfertigungsgrund für die
unbeschränkte Haftung fand in diesen Gesellschaftsformen direkte Anwendung.
A. Die traditionelle Zweiteilung der Gesellschaftsformen
Die Personengesellschaften sind seit jeher durch eine formerleichterte, schnelle und
kostengünstige Gründung geprägt. Zudem bestehen zumeist keine weit reichenden
Publizitäts- oder Kapitalerhaltungspflichten. Dazu kam die Möglichkeit, das Innenverhältnis der Gesellschaft flexibel auszugestalten und dadurch direkten Einfluss auf die
Geschäftsführung der Gesellschaft auszuüben. Als Konsequenz einer solchen Einflussnahme in die Geschäftsführung mussten ursprünglich aber alle Gesellschafter
unbeschränkt und persönlich für die Verbindlichkeiten der Gesellschaft aufkommen.
Die persönliche und unbeschränkte Haftung diente der Kreditwürdigkeit der
Gesellschaft und somit dem Gläubigerschutz.
Die moderne Kapitalgesellschaft hingegen bietet von vornherein die Möglichkeit der
beschränkten Haftung (limited liability),20 aber gleichzeitig auch die Trennung zwischen
Inhaberschaft (ownership) und Geschäftsführung (control).21 Die frühen Gesetzeswerke
17 Vgl. Douglas, 38 Yale L.J. 584 (1929); Easterbrook/Fischel, 52 U.Chi.L.Rev. 89, 104, 114
(1985); Ribstein, 37 Emory L.J. 835, 847 (1988).
18 Easterbrook/Fischel, 52 U.Chi.L.Rev. 89, 111 (1985).
19 Zum Grundsatz „separation between ownership and control“ siehe Berle/Means, The Modern
Corporation and Private Property, (1932); siehe auch Grossfeld/Ebke, AG 1977, 57, 58.
20 Der Grundsatz der beschränkten Haftung von Kapitalgesellschaftern wurde in letzter Zeit von
einigen amerikanischen Professoren kritisch in Frage gestellt. Vgl. insbesondere
Hansmann/Kraakman, 100 Yale L.J. 1879 (1991); dagegen Grundfest, 102 Yale L.J. 387 (1992).
Siehe dazu die Reaktion von Hansmann/Kraakman, 102, Yale L.J. 427 (1992); dies., 106
Harv.L.Rev. 446 (1992).
21 Vgl. dazu auch Ebke in: Internationale Unternehmenskontrolle, S. 7–10; aus amerikanischer Sicht
insbesondere Kessler, 32 J.Legal Stud. 511, 524 (2003). Zur Trennungsthese aus
rechtsvergleichender Sicht siehe Großfeld/Ebke, AG 1977, 57, 63–64.
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zur Kapitalgesellschaft sahen es sogar explizit vor, dass vertragliche Absprachen mit der
Geschäftsführung und den Aktionären, die es den Letzteren ermöglichte, Einfluss auf
die Geschäftsführung zu nehmen, grundsätzlich verboten waren.22 Eine flexibel
ausgestaltete Rechtsform, die ohne erheblichen Aufwand gegründet werden konnte, in
der aber trotzdem die Möglichkeit bestand, als Inhaber sowohl Einfluss auf die
Geschäftsführung zu nehmen als auch eine nur beschränkte Haftung zu genießen, gab es
nicht.23
150 Jahre lang konnte sich ein Unternehmer somit im Wesentlichen nur zwischen
zwei Typen von Gesellschaftsformen entscheiden:24 zwischen der typischen Personenund einer Kapitalgesellschaft.25 Eine Verbindung von Inhaberschaft, beschränkter
Haftung und Geschäftsführung in der Form einer personalistischen Kapitalgesellschaft
existierte nicht. Die strikte Trennung zwischen dem Privileg der beschränkten Haftung
und einer persönlichen Kontrolle der Anteilseigner über die Geschäftsführung wurde
zumindest in den USA bis Mitte des 20. Jahrhunderts aufrechterhalten.
B. Die erste hybride Rechtsform – die Kommanditgesellschaft
Vor diesem Hintergrund hat sich in beiden Rechtsordnungen eine börsenunabhängige
Unternehmensform26 entwickelt, die sowohl Elemente einer Kapitalgesellschaft als auch
Elemente einer Personengesellschaft aufweist.27 Die Kommanditgesellschaft, die in den
USA limited partnership heißt, ist in Deutschland dadurch gekennzeichnet, dass die
Kommanditisten nur mit ihrem eingebrachten Kapital an der Gesellschaft beteiligt sind
und auch nur mit ihrer geleisteten Einlage für die Verbindlichkeiten der Gesellschaft
haften. Rechtlich kommt ihre Stellung als Kapitalgeber durch die beschränkte Haftung
und die Tatsache zum Ausdruck, dass sie grundsätzlich von Geschäftsführung und
Vertretung ausgeschlossen sind.
Ein entsprechendes Regelungsmodell findet sich in den USA. Dort haftet der
Kommanditist (limited partner) nur beschränkt mit seiner in der Gründungsurkunde der
22 Vgl. Friedman, History of American Law, S. 511–25 (1985); Hornstein, 18 Law & Contemp.
Probs. 435, 439–48 (1953).
23 Vgl. Rutledge, 51 S.D.L.Rev. 417, 418–420 (2006). Siehe dazu auch die klassische Schrift von
Berle und Means, "The Modern Corporation and Private Property", in der die beiden
amerikanischen Autoren die grundlegende These von der Trennung von Eigentum und Herrschaft
in der modernen Kapitalgesellschaft aufgestellt hatten. Vgl. Berle/Means, The Modern
Corporation and Private Property, 1932; siehe dazu insbesondere Ebke in: Internationale
Unternehmenskontrolle, S. 7–10.
24 Siehe Friedman, 38 Creighton L.Rev. 35 (2004); Hazen/Markham, Corporations, S. 1–4 (2003).
25 Friedman, 38 Creighton L.Rev. 35 (2003); Kessler, 32 J.Legal Stud. 511, 530 (2003).
26 Vgl. zu Begriff auch Kulms, ZVglRWiss 102 (2003), 272.
27 Vgl. Callison, 26 J.Corp.L. 97, 100–02 (2000); Hansmann/Kraakman, 2005 U.Ill.L.Rev. 5 (2005);
Rickard, 40 Willamette L.Rev. 739, 758 (2004).
Chapter Preview
References
Zusammenfassung
Die Einheit von Herrschaft und Haftung beherrschte in Deutschland wie in den USA lange Zeit die Diskussion über den Sinn und Unsinn der beschränkten Haftung im Gesellschaftsrecht. Um opportunistischem Handeln von herrschenden Gesellschaftern entgegenzuwirken, wurde die beschränkte Haftung nur gegen einen Verlust von Mitwirkungsbefugnissen in der Gesellschaft gewährt. Eine Trennung von Herrschaft und Haftung war nicht möglich. In Deutschland wurde dieses Dogma durch die atypische KG bereits frühzeitig durchbrochen. In den USA trat eine solche Entwicklung erst vollständig in den letzten Jahrzehnten ein. In jüngster Zeit entstand in den europäischen Rechtsordnungen ein neuer Reformprozess, der maßgeblich durch die Bestrebungen geprägt war eine mindestkapitallose Gesellschaftsform mit beschränkter Haftung zu kreieren, in der die Gesellschafter die Kontrolle über die Gesellschaft ausüben können.
Das Werk zeigt die die Ursachen für diese Entwicklung sowie die rechtlichen und ökonomischen Konsequenzen einer Durchbrechung des Grundsatzes einer Einheit von Herrschaft und Haftung im Gesellschaftsrecht auf und hinterfragt diese im Hinblick auf den weltweiten Markt der Gesellschaftsrechte.