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IV. Ausblick und Resümee
Der gesamte Krankenhaussektor befindet sich in einer grundlegenden
Umbruchphase. Dies macht eine Trendaussage auf der Grundlage der bisherigen Entwicklung unsicher. Anhaltspunkte können insofern größere Untersu chungen von Wirtschaftsprüfungsgesellschaften618 geben, deren Trendaussagen hier mit allen Vorbehalten und nicht ohne Skepsis kurz referiert werden
sollen.619 Nach diesen Untersuchungen, die einen Vorausblick teilweise bis in
das Jahr 2020 wagen,620 ist eine weitere einschneidende Änderung der Krankenhauslandschaft in der Bundesrepublik zu erwarten. So soll die Krankenhaus-Bettenanzahl pro 100.000 Einwohner in der Zeit bis 2020 auf 293 sinken,621 d. h. sich gegenüber dem Wert aus dem Jahr 2004 mehr als halbieren.
Dies wirke sich auch auf die Anzahl der selbständigen Krankenhäuser aus, die
von rund 2.200 im Jahr 2004 bis zum Jahr 2010 um rund 10%,622 bis in das
Jahr 2020 um knapp 25%623 sinken werde. Die übrigen Einrichtungen würden
ihr Geschäft entweder ganz aufgeben oder sich zu größeren, konkurrenzfähigen Netzwerken zusammenschließen.624 Die Hauptlast der Schließung der
Einrichtungen würden nach diesen Untersuchungen die kommunalen öffentli chen Krankenhäuser zu tragen haben. Bereits im Jahr 2010 sei zu erwarten,
dass die Anzahl der Kliniken in öffentlicher und in privater Hand einen
Gleichstand erreiche; beide Formen würden dann gut 30% der Krankenhäuser
ausmachen, während der Anteil der Einrichtungen in freigemeinnütziger Trägerschaft bei rund 40% relativ stabil bleibe.625 Bis in das Jahr 2020 sei jedoch
ein weiteres Absinken des Anteils der Einrichtungen in öffentlich-rechtlicher
Trägerschaft auf dann knapp 14%626 zu erwarten, während der Anteil der privaten Einrichtungen auf knapp 43%627 ansteige. Als Grund für diese vorausgesagte Entwicklung wird der verstärkte Trend zu kleineren Krankenhäusern
mit größeren Abteilungen angegeben. Die Bedingungen auf dem Gesund-
618 Rheinisch-Westfälisches Institut für Wirtschaftsforschung (Hrsg.), Krankenhaus-Rating-
Report 2006 – Wege zu einer nachhaltig finanzierbaren Patientenversorgung ; Entwicklung
der deutschen Krankenhäuser bis 2010, Essen 2005; Sal. Oppenheim Research GmbH
(Hrsg.), Life Science Gesunde Erträge, Köln 2001.
619 Der Autor vermag nicht auszuschließen, dass die Untersuchungen der Wirtschaftsprüfungsgesellschaften durch ein privatwirtschaftlich geprägtes Vorurteil beeinflusst sind.
620 Ernst & Young (Hrsg.), Gesundheitsversorgung 2020 – Konzentriert, marktorientiert,
saniert, Eschborn 2005.
621 Ernst & Young, http://www.ey.com/global/content.nsf/Germany/Presse_-_Pressemitteilungen_2005 -_Deutscher_Gesundheitsmarkt [Stand 23.01.2007].
622 Krankenhaus-Rating-Report 2006 (Fußn. 618), Executive Summary, S. 16.
623 Ernst & Young (Fußn. 621).
624 Ernst & Young (Fußn. 621).
625 Der Spiegel 17/2006, »Heilen am Fließband«, S. 140, 141 f.
626 Ernst & Young (Fußn. 621); Der Spiegel (Fußn. 625), S. 140, 141 f.
627 Das entspricht 675 Einrichtungen; Ernst & Young (Fußn. 621); Der Spiegel (Fußn. 625), S.
140, 141 f.
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heitsmarkt machten es erforderlich, dass die Verweildauer der Patienten künftig erheblich sinke. Nach diesen Einschätzungen werden selbst Kliniken der
Schwerpunkt- und Maximalversorgung zukünftig in aller Regel nicht mehr als
700 Betten benötigen.
Abbildung 39 – Quelle: ADMED/RWI Essen, Das Krankenhaus, Basel II
und der Investitionsstau. Schaubild 17; Ernst & Young-Studie (Pressemitteilung). Berechnungen und Grafik: O. Kellmer.
Trend der selbstständigen Krankenhäuser bis 2020
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Trend der selbständigen Krankenhäuser bis 2020
Nach Auffassung des Sachverständigenrats ist aufgrund der verstärkten
Reformbemühungen und Anstrengungen seitens der öffentlichen und freige meinnützigen Krankenhausträger nicht zu erwarten, dass die Zunahme privater Krankenhausträger zu einer vollständigen Privatisierung der deutschen
Krankenhauslandschaft führen wird. Vielmehr legten die internationalen
Erfahrungen, insbesondere die Entwicklung in den USA, den Schluss nahe,
dass freigemeinnützige und öffentliche K liniken auch weiterhin eine zentrale
Rolle in der stationären Versorgung spielen werden und dass private Träger
bzw. Klinikketten letztlich auch über begrenzte Expansionspotentiale verfügen. Jenseits des sich gerade in den letzten Jahren beschleunigenden Wandels
der deutschen Krankenhauslandschaft sei die Trägerpluralität, die in § 1
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Abs. 2 KHG ihre gesetzliche Verankerung finde, gesellschaftspolitisch wünschenswert und sollte daher bestehen bleiben.628
Mit dieser Forderung nach Aufrechterhaltung der Trägerpluralität formuliert
der Sachverständigenrat ein Postulat, das als Resümee der in dieser Untersuchung vorgetragenen Überlegungen aufgegriffen werden soll. Kommunale
Krankenhäuser sind ein wesentliches, ein identitätsstiftendes Element der
kommunalen Daseinsvorsorge und ein unverzichtbares Instrument einer
sozialstaatlichen Gesundheits-, Sozial- und Infrastrukturpolitik. Dieses sozialstaatliche Instrument sollten die Kommunen weder durch Aufgabenprivatisierung substantiell noch durch Organisationsprivatisierung formell aus der
Hand geben. Die Antwort auf den im Krankenhausbereich besonders intensiven Rationalisierungsdruck sollte nicht Privatisierung lauten, sondern
Steigerung von Qualität und Wirtschaftlichkeit der kommunalen Krankenhäuser.629
Die damit formulierte Forderung ist normativ banal und zugleich faktisch voraussetzungsreich. Banal ist sie, weil sie nur die Gesetzeslage rekapituliert.
Nach der für das Kommunalrecht repräsentativen Bestimmung des Art. 95
Abs. 1 GO Bay sind Eigenbetriebe und Kommunalunternehmen unter Beachtung betriebswirtschaftlicher Grundsätze und des Grundsatzes der Sparsamkeit und Wirtschaftlichkeit so zu führen, dass der öffentliche Zweck erfüllt
wird. Entsprechendes gilt – hier wird die nur vermittelte Einflussmöglichkeit
der Gemeinde deutlich – für die Steuerung und Überwachung von Unternehmen in Privatrechtsform, an denen die Gemeinde mit mehr als 50% beteiligt
ist; bei einer geringeren Beteiligung soll die Gemeinde darauf hinwirken. Faktisch voraussetzungsvoll ist das Qualitäts- und Wirtschaftlichkeitspostulat,
weil es von den kommunalen Krankenhäusern Mut zur internen Rationalisierung und Phantasie für innovative Lösungen verlangt. Die kommunalen Kli niken müssen sich den Herausforderungen stellen, die ihnen der Wettbewerb
stellt: der Wettbewerb um Preise und Qualität, der Wettbewerb um Patienten,
der Wettbewerb mit dem ambulanten Sektor und der Wettbewerb in der
Region. Das wird nur gelingen, wenn alle Möglichkeiten für höhere Effizienz
und Produktivität ausgeschöpft werden. Hervorzuheben sind hier ein Management auf der Höhe der Zeit, ein effektives Qualitätsmanagement, eine moderate Spezialisierung ohne Vernachlässigung der flächendeckenden wohnortnahen Grundversorgung, die neue Vertragsform der integrierten Versorgung
sowie Kooperations- und Verbundstrukturen, mit deren Hilfe auch kleinere
Häuser in eine abgestimmtes Gesamtkonzept eingebunden werden können.630
628 Sachverständigenrat, Gutachten 2007 (Fußn. 576), Ziff. 473.
629 Vgl. dazu M. Dietrich, Qualität, Wirtschaftlichkeit und Erfolg von Krankenhäusern, 2005.
630 Vgl. dazu Damkowski / Meyer-Pannwitz / Precht, Das Krankenhaus im Wandel, 2000, S. 64
ff.; vgl. auch die nicht nur für Privatkliniken informativen Vorschläge von R. Salfeld, Perspektiven der Krankenhausversorgung in Deutschland, 2006.
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In ein solches Gesamtkonzept können dann auch Elemente von Outsourcing
und Public Private Partnership eingebunden werden.631 Die Trägerpluralität
sollte von den kommunalen Krankenhäusern nicht als Bedrohung, sondern als
Chance für einen Benchmarking- und Lernprozess zwischen den Krankenhäusern in öffentlicher und freigemeinnütziger Trägerschaft und den privat
getragenen Häusern genutzt werden.
Dass dieser Leistungswettbewerb von den Kommunen schon positiv aufgenommen wird und dass wirtschaftlich effizienten Strukturen auch in kommunalen Krankenhäusern und dies gerade auch in der öffentlich-rechtlichen
Form des selbständigen Kommunalunternehmens verwirklicht werden können, wird Gegenstand der Darstellung des Fünften Teils sein.
631 Erhebliche Zweifel bestehen allerdings gegenüber dem Vorschlag, die öffentlichen Krankenhäuser sollten den von den Privaten bereits vollzogenen Paradigmenwechsel in der
Organisation der Krankenhausarbeit vornehmen, von einer quasi manufakturmäßig organisierten Arbeit zum »Fließprinzip« industrieller Arbeit; so M. Wendl, in: Ver.di, Infodienst
Krankenhäuser Nr. 39, 2007, S. 9 ff. Damit wird nicht nur auf ein inzwischen weitgehend
überholtes Modell industrieller Arbeit abgestellt, sondern vor allem der oben in Abschnitt I.
1. beschriebene spezifisch persönliche Charakter der Krankenhausdienstleistungen verkannt.
Chapter Preview
References
Zusammenfassung
Die Arbeit problematisiert die gegenwärtige Praxis einer materiellen und formellen Privatisierung weiter Bereiche der kommunalen Daseinsvorsorge. Im Ersten Teil wird als verfassungstheoretisches Problem der materiellen Privatisierung auf die Gefahr einer Erosion des Öffentlichen hingewiesen: auf die Tendenz zur Ausdünnung der demokratischen und sozialstaatlichen Legitimations- und Verantwortungsstrukturen. Im Zweiten Teil wird die These entwickelt, dass es sich bei der Wahl einer privatrechtlichen Organisationsform für öffentliches Handeln (formelle Privatisierung) nicht um eine rein rechtstechnische Frage, sondern um eine verfassungsrelevante Strukturentscheidung handelt, die einer verfassungsrechtlichen Rechtfertigung bedarf. Als eine flexible Handlungsform des öffentlichen Rechts und als geeignete Alternative zu privatrechtlichen Rechtsformen wird im Dritten Teil die Organisationsform des selbständigen Kommunalunternehmens vorgestellt. Die Leistungsfähigkeit dieser neuen öffentlich-rechtlichen Organisationsform wird sodann im Vierten Teil auf der Grundlage eines ausführlichen Rechtsformenvergleichs dargestellt und im Fünften Teil anhand einer rechtstatsächlichen Analyse der bayerischen Krankenhaus-Kommunalunternehmen konkretisiert. Von den rechtspolitischen Vorschlägen ist die Forderung nach einer Einführung einer direktiven Mitbestimmung im Kommunalunternehmen hervorzuheben.