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5. Kommunale Krankenhäuser im europäischen Beihilferecht
Kommunale Krankenhäuser leisten als integrale Elemente der kommunalen
sozialen Infrastrukturpolitik über die Krankenhausdienstleistungen im engeren Sinne hinaus wichtige Beiträge zur Wahrung von Gemeinwohlbelangen.
Da sie aus diesem Grunde die ihnen übertragenen Aufgaben häufig nicht
kostendeckend erfüllen können, sind sie auf Ausgleichsleistungen ihrer kom munalen Träger angewiesen und geraten auf diese Weise unter die Beobachtungsperspektive des europäischen Wettbewerbs- und Beihilferechts.604 Die
Gründe für Ausgleichszahlungen an kommunale Krankenhäuser sind sehr
unterschiedlicher Art. Einer unter dem Aspekt des Beihilferechts eher unproblematischen Fallgruppe stehen andere beihilferechtlich problematischere
Fallkonstellationen gegenüber. Als Beispiele der ersten Fallgruppe seien
genannt die Ausbildung und Forschung in Universitätskrankenhäusern, die
Vorhaltung von Reservekapazitäten für den Katastrophenfall oder die Vorhaltung technischer Einrichtungen im ländlichen Raum, die dort auf Grund geringer Nachfrage nicht kostendeckend zu betreiben sind, etwa für eine hochwertige medizinische Erstversorgung bei Schlaganfällen und Herzinfarkten. Die
Besonderheit der zweiten Fallgruppe sei an drei Fallbeispielen erläutert:
In einer Großstadt sind vier kommunale Großkliniken über das Stadtgebiet verteilt.
Für die von der Gemeinde geplante Umstrukturierung empfiehlt das Gutachten
einer renommierten Wirtschaftsberatungsgesellschaft die Schließung von zwei
Kliniken und die Konzentration der Krankenhausdienstleistungen auf zwei in
ihrem Leistungsangebot aufeinander abgestimmte Klinikzentren. Die Gemeinde
beschließt, durch eine Umstrukturierung zwar Doppelangebote zu vermindern und
so die Effizienz zu steigern, aus strukturpolitischen und sozialen Gründen aber keinen Klinikstandort aufzugeben.
Einem auf Rentabilitätsberechnungen beruhenden Vorschlag, die Kinderkliniken
in den einzelnen Stadtteilen zu schließen und die stationäre pädiatrische Versorgung in der Stadtmitte zu konzentrieren, folgt die Gemeinde aus Gründen der notwendigen Bürgernähe bei Krankenhausaufenthalten von Kindern nicht.
Eine städtische Klinik bildet jenseits gesetzlicher Pflicht oder betriebswirtschaftlicher Rationalität aus politischer Motivation verstärkt Pflegepersonal aus.
Der Problemgehalt dieser zweiten Fallgruppe wird von dem auf die Segmentierung der Einzelleistung abstellenden Beihilferecht nur unzureichend aufgenommen.605 Die Kommission hat diese weite Teile der kommunalen Daseinsvorsorge betreffende Problematik für den Krankenhausbereich erkannt und
anerkannt und in ihrer »Entscheidung über die Anwendung von Art. 86 Abs. 2
EG-Vertrag auf staatliche Beihilfen«606 Krankenhäuser unabhängig von der
604 Vgl. dazu die ausführliche Darstellung im Ersten Teil, Abschnitte II.2. und IV. 4.
605 Zum Segmentierungsgebot vgl. oben bei Fußn. 64.
606 Vgl. dazu Fußn. 71.
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Höhe des Umsatzes oder der Ausgleichszahlungen von der Notifizierungspflicht ausgenommen, wenn sie bestimmte Voraussetzungen erfüllen.607 Die
Kommission begründet dies damit, dass Krankenhäuser Besonderheiten aufwiesen, die bei der Freistellung von der Anmeldepflicht zu berücksichtigen
seien. So stehe im Krankenhausbereich »im jetzigen Entwicklungsstadium
des Binnenmarktes die Wettbewerbsverfälschung ... nicht zwangsläufig in
einem direkten Verhältnis zum Umsatz und zur Höhe der Ausgleichszahlungen«.
II. Aufgabenprivatisierung im Krankenhausbereich
Über Privatisierungen wird im Krankenhausbereich nicht nur diskutiert, Aufgabenprivatisierungen von Krankenhäusern werden vielmehr mit steigender
Tendenz praktiziert. Bevor die aktuelle Situation dargestellt wird (dazu 2.),
soll zum besseren Verständnis dieser Situation ein Überblick über die
Gesamtentwicklung gegeben werden (dazu 1.).608 Auf die Entwicklung in
Bayern wird sodann genauer eingegangen (dazu 3.)
1. Die Entwicklungen im Krankenhausbereich vor 1990
a) Bundesrepublik
Der Krankenhaussektor in der Bundesrepublik Deutschland ist seit Jahrzehnten erheblichen, im Laufe der Jahre intensivierten Veränderungen ausgesetzt.
Zwar sind die Zahlen, die für die Zeit vor der Wiedervereinigung vorliegen,
auf Grund der durch die Krankenhausstatistik-Verordnung (KHStatV) vom
10. April 1990 (BGBl. I S. 730) veränderten Systematik nicht eins zu eins mit
den Zahlen nach der Wiedervereinigung zu vergleichen, jedoch werden
Trends deutlich.
Bis in die 1980er Jahre hinein ist eine deutliche Reduzierung der Zahl der
Krankenhäuser feststellbar. In diesem Zeitraum verringerte sich deren Anzahl
insgesamt um gut 10%, wobei die öffentlich-rechtlichen und freigemeinnützi gen Einrichtungen mit gut 14% und 16% überproportional verloren. Allerdings stieg die Zahl der Betten in dem selben Zeitraum um gut 21%; diese
Zahl fiel bis 1989 nur leicht wieder zurück, um jedoch immer noch knapp
607 Zu den Voraussetzungen im Einzelnen vgl. Erster Teil Abschnitt II. 2. am Ende.
608 Vgl. dazu auch H. R. Buse, Geeignete Rechtsformen (Fußn. 357), S. 5 ff.
Chapter Preview
References
Zusammenfassung
Die Arbeit problematisiert die gegenwärtige Praxis einer materiellen und formellen Privatisierung weiter Bereiche der kommunalen Daseinsvorsorge. Im Ersten Teil wird als verfassungstheoretisches Problem der materiellen Privatisierung auf die Gefahr einer Erosion des Öffentlichen hingewiesen: auf die Tendenz zur Ausdünnung der demokratischen und sozialstaatlichen Legitimations- und Verantwortungsstrukturen. Im Zweiten Teil wird die These entwickelt, dass es sich bei der Wahl einer privatrechtlichen Organisationsform für öffentliches Handeln (formelle Privatisierung) nicht um eine rein rechtstechnische Frage, sondern um eine verfassungsrelevante Strukturentscheidung handelt, die einer verfassungsrechtlichen Rechtfertigung bedarf. Als eine flexible Handlungsform des öffentlichen Rechts und als geeignete Alternative zu privatrechtlichen Rechtsformen wird im Dritten Teil die Organisationsform des selbständigen Kommunalunternehmens vorgestellt. Die Leistungsfähigkeit dieser neuen öffentlich-rechtlichen Organisationsform wird sodann im Vierten Teil auf der Grundlage eines ausführlichen Rechtsformenvergleichs dargestellt und im Fünften Teil anhand einer rechtstatsächlichen Analyse der bayerischen Krankenhaus-Kommunalunternehmen konkretisiert. Von den rechtspolitischen Vorschlägen ist die Forderung nach einer Einführung einer direktiven Mitbestimmung im Kommunalunternehmen hervorzuheben.