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Vierter Teil:
Kommunale Krankenhäuser als Instrumente
sozialstaatlich-kommunaler Daseinsvorsorge
I. Zur Exemplarietät des Krankenhausbereichs
Im Folgenden sollen die im Ersten, Zweiten Teil und Dritten Teil diskutierten
Probleme der kommunalen Daseinsvorsorge im Spannungsfeld von Sozialstaat und Markt an der Institution des kommunalen Krankenhauses exemplarisch behandelt werden.
– Exemplarisch ist der Krankenhausbereich, weil die stationäre Behandlung
und Versorgung kranker Menschen in Vergangenheit und Gegenwart ein
zentraler Bestandteil der sozialstaatlichen kommunalen Daseinsvorsorge
war und ist (dazu Abschnitt I. 1.).
– Exemplarisch ist der Krankenhausbereich, weil an ihm die durch die Finanznot der Kommunen und durch den systeminternen Kostendruck geförderte primär ökonomisch-betriebswirtschaftliche Rationalisierung öf fentlichen Handelns besonders eindrucksvoll erfahrbar ist (dazu Abschnitt
I. 2.).
– Exemplarisch ist der Krankenhausbereich in der organisatorischen Reaktion: einmal mit der Entwicklung vom Regiebetrieb über den Eigenbetrieb
zur Eigengesellschaft (Organisationsprivatisierung) sowie in der Tendenz
zu einem »Umschlag« in die Aufgabenprivatisierung (dazu Abschnitt I. 3.
und Abschnitte II. und III.).
– Exemplarisch ist der Krankenhausbereich, weil an ihm die Grenzen des
Konzepts des Gewährleistungsstaates erkennbar werden (dazu Abschnitt
I. 4.).
– Exemplarisch ist der Krankenhausbereich, weil an ihm die Notwendigkeit
deutlich wird, das europäische Beihilferecht besser auf die Erfordernisse
der kommunalen Daseinsvorsorge abzustimmen (vgl. dazu Abschnitt I.
5.).
– Exemplarisch ist der Krankenhausbereich, weil an ihm verdeutlicht werden kann, dass Wirtschaftlichkeit der Leistungserbringung kein Privatisierungsgrund ist, sondern eine interne Organisationsmaxime (dazu Abschnitt IV.).
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– Exemplarisch ist der Krankenhausbereich schließlich, weil hier das selbständige Kommunalunternehmen als öffentlich-rechtliche Alternative zur
formellen und materiellen Privatisierung erfolgreich praktiziert wird (dazu
Fünfter Teil).
1. Kommunale Krankenhäuser als Institutionen der kommunalen Daseinsvorsorge
Krankenhausdienstleistungen nehmen im Leistungsgefüge der sozialstaatlichen Daseinsvorsorge einen hohen Rang ein. Es handelt sich bei ihnen um
sog. meritorische Güter,560 die – im Gegensatz zu den öffentlichen Gütern im
engeren Sinne – durchaus über den Markt erbracht werden können, die aber
als so bedeutend angesehen werden, dass sie nicht den Marktkräften überlassen, sondern zur Sicherung der Chancengleichheit und Leistungsgerechtigkeit
der Daseinsvorsorge der öffentlichen Hand unterstellt werden sollen. Welche
Güter in dieser Weise »publifiziert« werden, ist eine Frage politischer Entscheidung. Diese Entscheidung ist in der Bundesrepublik auf Verfassungsund Gesetzesebene getroffen worden. »Die Krankenversorgung stellt ein
überragend wichtiges Gemeinschaftsgut dar, für dessen Schutz der Staat von
Verfassungs wegen (auch im Hinblick auf das Sozialstaatsprinzip des Art. 20
Abs. 1 GG) zu sorgen hat.«561 Der Staat kommt dieser verfassungsrechtlichen
Pflicht durch die Regelung der Krankenhausplanung und Krankenhausfinanzierung auf Bundes- und Länderebene nach. Nach § 1 Abs. 1 des Krankenhausfinanzierungsgesetzes (KHG)562 ist dessen Zweck die wirtschaftliche
Sicherung der Krankenhäuser, um eine bedarfsgerechte Versorgung der
Bevölkerung mit leistungsfähigen, eigenverantwortlich wirtschaftenden
Krankenhäusern zu gewährleisten und zu sozial tragbaren Pflegesätzen beizutragen.
Um diesen Zweck zu erreichen, sieht das KHG eine duale Finanzierung vor:
Die Investitionsfinanzierung soll durch die öffentliche Hand und die Begleichung der Betriebskosten über die Krankenkassen erfolgen (§ 4 KHG). Dieser
Trennung der Finanzierung der Investitions- und Betriebskosten liegt die Idee
zu Grunde, dass für die Errichtung und Modernisierung der Krankenhäuser
560 Vgl. dazu W. W. Lee, Privatisierung (Fußn. 82),, S. 49, m. w. Nachw.; zur Allokation medizinischer Dienstleistungen vgl. auch U. K. Preuß, Probleme der Rationalisierung im
Gesundheitswesen, in: Das Krankenhaus, 1980, S. 5 ff.
561 So BVerfGE 57, 70, 99; vgl. auch BVerfGE 68, 193, 209; 113, 167, 215.
562 Krankenhausfinanzierungsgesetz vom 29.06.1972 (BGBl. I S. 1009) in der Fassung der
Bekanntmachung vom 10.04.2002 (BGBl. I S. 886) mit den Änderungen des Gesetzes zur
Modernisierung der gesetzlichen Krankenversicherung (GMG) vom 14.11.2003 (BGBl. I S.
2190).
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die öffentliche Hand zuständig ist und nur die Inanspruchnahme durch die
Patienten von deren Krankenversicherung getragen werden soll. Einzelheiten
müssen hier nicht referiert werden. Hervorzuheben ist jedoch, dass der Markt
auf dem stationären Sektor der Gesundheitsdienstleistungen weitgehend
durch eine tiefgreifende und differenzierte staatliche Regulierung ersetzt ist.
Nach § 8 Abs. 1 KHG besitzen (mit wenigen hier nicht relevanten Ausnahmen) nur die Krankenhäuser einen Anspruch auf Förderung, die in den Krankenhausplan des jeweiligen Bundeslandes aufgenommen sind; nur sie haben
einen Anspruch auf Abschluss einer Pflegesatzvereinbarung mit leistungsgerechten Pflegesätzen (§§ 108, 109 Abs. 4 S. 3 SGB V).563 Diese Regelungen,
die dem Staat einen maßgebenden Einfluss auf Qualität und Quantität der stationären Versorgung sichern und Wettbewerbselementen nur innerhalb des
Planrahmens Raum geben, verstoßen weder gegen das Grundgesetz, da sie
durch das besonders wichtige Gemeinschaftsgut der Gesundheitsversorgung
gerechtfertigt sind,564 noch gegen Europäisches Gemeinschaftsrecht, da die
Organisation des Gesundheitswesens und die medizinische Versorgung in
vollem Umfang in der Kompetenz der Mitgliedstaaten liegen (Art. 152 Abs. 5
EGV).
Die Sicherstellung der Krankenhausversorgung ist – wie es in den Krankenhausgesetzen der Länder heißt – eine öffentliche Aufgabe,565 sie ist keine
staatliche Aufgabe im ausschließlichen Sinne, vielmehr »wird auch hier ein
Raum freier gesellschaftlicher Betätigung respektiert«.566 Es handelt sich um
einen Bereich eines gewachsenen und abgestimmten Zusammenwirkens von
gemeinwohlorientiertem kommunalem und gemeinnützigem gesellschaftlichem Handeln, wie es für den »Dritten Sektor« typisch ist (vgl. dazu Erster
Teil Abschnitt IV. 1. b)). Gemeinnützige Krankenhäuser haben einen erheblichen Anteil an der stationären Krankenversorgung.567 Sie haben mit den kommunalen Krankenhäusern die primäre Sachzielorientierung gemeinsam und
beide stehen als »öffentliche« Institutionen den gewinnorientierten Privatkli-
563 Vgl. F. Stollmann, NZS 2004, S. 350 ff.
564 Vgl. BVerfGE 82, 209 (230).
565 Als Beispiel: § 3 Abs. 1 Bremisches Krankenhausfinanzierungsgesetz (BremKHG) vom
30.06.1987 (BremGBl. S. 203) in der Fassung der Bekanntmachung vom 15.07.2003
(BremGBl. S. 342). – Zur Versorgung der Bevölkerung mit leistungsfähigen Krankenhäusern als öffentliche Aufgabe vgl. auch BVerfGE 83, 363, 376 ff.
566 BVerfGE 53, 362, 401 – Nordrhein-westfälisches Krankenhausgesetz.
567 Vgl. dazu in Abschnitt II. 1. die Zahlenangaben in den Abbildungen 2 und 3. Unter den freigemeinnützigen Krankenhäusern nehmen wiederum die konfessionellen Einrichtungen
einen wichtigen Platz ein. Zum Zusammenwirken sozialstaatlicher Gesamtverantwortung
und freier kirchlicher Diakonie als Problem praktischer Konkordanz vgl. A. Rinken, in:
HdbStKirchenR Bd. 2, 1975, S. 345 ff., 365 ff.; dazu die polemische Kritik und Abwertung
der sozialstaatlichen Gesamtverantwortung bei W. Leisner, DÖV 1977, S. 477 f., und J.
Isensee, HdbStKirchenR, 2. Aufl., 1995, Bd. 2, S. 665 ff., 699 ff.; differenziert und um einen
Ausgleich von Sozialstaatlichkeit und Kirchenfreiheit bemüht U. Scheuner, in: Essener
Gespräche, 8 (1974), S. 43 ff.; M. Stolleis, ZevKR 18 (1973), S. 376 ff.
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niken gegenüber. Kommunale Krankenhäuser genießen im Zusammenhang
der Krankenhausplanung und -finanzierung keine Vorzugsstellung (§ 1
Abs. 2 KHG), wohl aber tragen die Gemeinden die Gewährleistungsverantwortung, die sie verpflichtet, sicherzustellen, dass die nach dem Krankenhausplan bedarfsgerechten Krankenhäuser errichtet und betrieben werden,
und sie tragen gemeinsam mit den Ländern die Investitionskosten.568 Eine flächendeckende und bürgernahe stationäre Krankenversorgung ist für die Kom munen eine sozialstaatlich besonders wichtige »Angelegenheit der örtlichen
Gemeinschaft« (Art. 28 Abs. 1 S. 1 GG).569 Ein qualitativ hochwertiges
Angebot von Krankenhausdienstleistungen ist ein traditioneller und zentraler
Bestandteil der Daseinsvorsorge der Kommunen (Gemeinden und Landkreise). Kommunale Krankenhäuser bilden in vielen Städten das Grundgerüst
eines leistungsfähigen Krankenhausangebots, das durch freigemeinnützige
und private Krankenhäuser ergänzt wird.
Krankenhausleistungen sind persönliche Dienstleistungen. Die vom Patienten
im Krankenhaus erwartete Heilung oder Besserung seiner Leiden kann nur
unter ganz bestimmten Voraussetzungen gelingen. Die notwendigen ärztlichen und pflegerischen Dienstleistungen werden in einer für den Betroffenen
existentiell herausgehobenen Situation »produziert« und »konsumiert«. Sie
können nur erbracht werden, wenn der Patient anwesend ist; sie werden nicht
in gegenständlicher Form gegeben, sondern in Form einer Tätigkeit, die sich
auf den Patienten selbst bezieht und sind auf die Kooperation von Arzt/Pflegekraft und Patient angewiesen.570 Dieser besondere Charakter der Krankenhausbehandlung wird verkannt, wenn der Patient auf seine ökonomische
Rolle als »Kunde« reduziert wird. Der Kunde als Konstrukt des Mainstreams
der Gesundheitsökonomen beruht – wie Hagen Kühn ausgeführt hat – auf
zwei Annahmen zum Arzt-Patient-Verhältnis, von denen keine zutrifft:
erstens der Reduzierung der Asymmetrie auf Informationsdefizite und zweitens der daraus abgeleiteten Unterstellung, die Patienten seien durch Informationsbeschaffung in der Lage, die Rolle eines Geschäftspartners und kritischen Kunden zu spielen. Was hier nicht vorkomme – so der Autor –, sei die
»brutale Realität des Krankseins« als emotionales Ereignis. Verdrängt werde,
dass Krankheit, zumal bei Patienten im Krankenhaus, eine existenzielle
568 In Nordrhein-Westfalen wird eine kommunale Subsidiarität mit der kommunalen Gewährleistungspflicht verbunden. Nach § 1 Abs. 3 KHG NW sind »Krankenhausträger … in der
Regel freie gemeinnützige, kommunale, private Träger und das Land. Falls sich kein anderer Träger findet, sind Gemeinden und Gemeindeverbände verpflichtet Krankenhäuser zu
errichten …«.
569 Zur Krankenhausversorgung als typisches Aufgabenfeld kommunaler Daseinsvorsorge vgl.
D. Sterzel, in: Th. Blanke / R. Trümner (Hrsg.), Handbuch Privatisierung (Fußn. 22), S.
101 ff. Rn. 346 ff.
570 Vertiefend B. Badura / P. Gross, Sozialpolitische Perspektiven, 1976, S. 66 ff. Die im Text
genannten Merkmale werden mit den Kürzeln Kundenpräsenz, uno-actu-Prinzip und
Kooperation von Produzent und Konsument umschrieben.
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Bedrohung in sich berge. Wenn der Blick der Experten fast ausschließlich auf
die Ebene von Tausch, Geld und Vertrag gerichtet sei und die Besonderheiten
der »Produktion« der medizinisch-pflegerischen Dienstleistung ignoriere,
müsse auch die Situation des Patienten unbekannt bleiben.571
Es ist die Eigenart der Krankenhausdienstleistungen als persönliche Dienstleistungen der Grund für den besonderen Rang der stationären Krankenversorgung unter den von der Kommune ihren Bürgern gemachten Leistungsangeboten. Die Gemeinde erscheint in ihrer Sorge um die Gesundheitsversorgung
ihrer Mitglieder nicht als anonymer Teil eines abstrakten »Staates«, sondern
als eine von den Bürgern als »ihre Sache« erlebbare »Kommunalrepublik«.572
Es ist kein Zufall, dass Krankenhäuser in Deutschland zu den historisch frühen Gemeindeeinrichtungen gehören573 und dass sie auch in der Gegenwart
von den Bürgern als verteidigenswerte Bürgerinstitutionen angesehen wer den.574
2. Kommunale Krankenhäuser unter Rationalisierungsdruck
Die kommunalen Krankenhäuser sind in neuerer Zeit durch mehrere sich
negativ kumulierende Entwicklungen in eine geradezu dramatische Finanznot
geraten. Diese beruht darauf, dass einerseits die stationären Behandlungskosten deutlich steigen und andererseits die Kostendeckung im Rahmen der dualen Finanzierung ebenso deutlich abnimmt. Die Steigerung der Behandlungskosten575 hat ihren Grund vor allem darin, dass der medizinische Fortschritt
immer neue und kostspieligere Behandlungsmöglichkeiten eröffnet und dass
sich durch den demografischen Wandel das Krankheitsspektrum zu besonders
behandlungs- und zeitintensiven Formen hin entwickelt. Die defizitäre
Kostendeckung wird durch einen starken und sozialstaatlich nicht mehr vertretbaren Rückzug der Länder aus der staatlichen Investitionskostenförderung
mitverursacht. Seit dem Jahr 1991 sind die bereinigten Kosten der Krankenhäuser nominal um rund 52% gestiegen, während die Länder die öffentliche
571 H. Kühn, Die Ökonomisierungstendenzen in der medizinischen Versorgung, in: G. Elsner /
Th. Gerlinger / K. Stegmüller (Hrsg.), Markt versus Solidarität, 2004, S. 25 ff.
572 Zu diesem Begriff und seinen Hintergründen vgl. A. Bovenschulte, Gemeindeverbände als
Organisationsformen (Fußn. 157), S. 495 f., m. w. Nachw.
573 Vgl. dazu D. Jetter, Das Krankenhaus des 19. Jahrhunderts, bauliche Entwicklung und
gesellschaftliche Funktion, in: W. Artelt / W. Rüegg (Hrsg.), Der Arzt und der Kranke in der
Gesellschaft des 19. Jahrhunderts, 1967, S. 70 ff.
574 Als Beispiel kann auf den Volksentscheid in Hamburg vom 29.02.2004 hingewiesen werden, bei dem sich 76,8% der Abstimmenden dagegen aussprachen, Hamburgs Krankenhäuser vollständig zu privatisieren.
575 Die Ausgaben für stationäre Behandlung in der GKV betrugen in Euro 1970 3,07 Mrd.,
1990 22,80 Mrd., 1995 (einschließlich der neuen Bundesländer) 40,74 Mrd. und 2004 47,59
Mrd. Angaben nach R. Rosenbrock / Th. Gerlinger, Gesundheitspolitik, 2. Aufl., 2006,
S. 160.
Chapter Preview
References
Zusammenfassung
Die Arbeit problematisiert die gegenwärtige Praxis einer materiellen und formellen Privatisierung weiter Bereiche der kommunalen Daseinsvorsorge. Im Ersten Teil wird als verfassungstheoretisches Problem der materiellen Privatisierung auf die Gefahr einer Erosion des Öffentlichen hingewiesen: auf die Tendenz zur Ausdünnung der demokratischen und sozialstaatlichen Legitimations- und Verantwortungsstrukturen. Im Zweiten Teil wird die These entwickelt, dass es sich bei der Wahl einer privatrechtlichen Organisationsform für öffentliches Handeln (formelle Privatisierung) nicht um eine rein rechtstechnische Frage, sondern um eine verfassungsrelevante Strukturentscheidung handelt, die einer verfassungsrechtlichen Rechtfertigung bedarf. Als eine flexible Handlungsform des öffentlichen Rechts und als geeignete Alternative zu privatrechtlichen Rechtsformen wird im Dritten Teil die Organisationsform des selbständigen Kommunalunternehmens vorgestellt. Die Leistungsfähigkeit dieser neuen öffentlich-rechtlichen Organisationsform wird sodann im Vierten Teil auf der Grundlage eines ausführlichen Rechtsformenvergleichs dargestellt und im Fünften Teil anhand einer rechtstatsächlichen Analyse der bayerischen Krankenhaus-Kommunalunternehmen konkretisiert. Von den rechtspolitischen Vorschlägen ist die Forderung nach einer Einführung einer direktiven Mitbestimmung im Kommunalunternehmen hervorzuheben.