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Übrigen nähmen privatrechtlich organisierte kommunale Krankenhäuser, die
in Erfüllung einer Pflichtträgerschaft betrieben werden, ihre Aufgabe auch
nicht freiwillig wahr.432
Überzeugende rechtswissenschaftliche Kritik ändert als solche nicht die durch
Gesetz und verbindliche höchstrichterliche Rechtsprechung geprägte geltende
Rechtslage. Aber auch in deren Rahmen bleibt die Möglichkeit, den karitativen Tendenzschutz eines organisationsprivatisierten Krankenhauses gemäß
§ 118 Abs. 1 BetrVG durch Tarifvertrag, Betriebsvereinbarung oder Gesellschaftsvertrag abzubedingen, weil der Arbeitgeber privatautonom darüber
entscheiden kann, ob er von der ihm gesetzlich eingeräumten Tendenzschutzprivilegierung Gebrauch machen will.433 Nach Sterzel wird von dieser
Möglichkeit in den entsprechenden Gesellschaftsverträgen üblicherweise
Gebrauch gemacht.434
9. Direktive Mitbestimmung der Arbeitnehmer
Zu den umstrittensten Fragen des Rechts der öffentlichen Unternehmen
gehört die Frage, ob und in welchem Umfang eine direktive Mitbestimmung
der Arbeitnehmer in den Unternehmensorganen zulässig ist, eine Mitbestimmung also, die die Beschäftigten nicht nur an den betrieblichen und personellen Einzelentscheidungen (betriebliche Mitbestimmung), sondern an den
eigentlichen unternehmerischen Entscheidungen beteiligt. Die Problematik
einer solchen direktiven Mitbestimmung ergibt sich aus der Notwendigkeit
der demokratischen Legitimation aller dem Staat oder den Gemeinden zurechenbarer Entscheidungen. Doch soll hier nicht diese verfassungsrechtliche
Problematik diskutiert, sondern zunächst nur der gegenwärtige Rechtszustand
dargestellt werden.
Bemerkenswert ist zunächst die große Zurückhaltung der Landesgesetzgeber
gegenüber jeglicher Form direktiver Mitbestimmung beim Kommunalunternehmen. Bayern, Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein schließen
eine Mitgliedschaft von Bediensteten des Kommunalunternehmens im Verwaltungsrat ausdrücklich aus (Art. 90 Abs. 3 Satz 6 Nr. 1 GO; § 114a Abs. 8
Satz 8 Nr. 1 GO NW; § 5 Abs. 2 Satz 5 Nr. 1 KUVO SchlH). Rheinland-Pfalz
und Sachsen-Anhalt räumen den Beschäftigtenvertretern eine beratende Teilnahme an den Sitzungen des Verwaltungsrats ein; sie werden in Rheinland-
432 D. Sterzel, Tendenzschutz (Fußn. 429), S. 297; ebenso M. Löwisch, Tendenzschutz im
Gesundheitswesen, in: R. Anzinger / R. Wank (Hrsg.), Festschrift für O. Wlotzke, 1996, S.
381 ff.
433 Vgl. dazu im Einzelnen D. Sterzel, Tendenzschutz (Fußn. 429), S. 277 ff.
434 D. Sterzel, Tendenzschutz (Fußn. 429), S. 269 f., 281.
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Pfalz direkt und unmittelbar von den Mitarbeitern gewählt, in Sachsen-Anhalt
durch den Gemeinderat bestellt (§ 86b Abs. 3 GO RhPf; § 5 Abs. 4 AnstG
LSA). Nur in Niedersachsen gehören dem Verwaltungsrat von den Beschäftigten gewählte Vertreter als Mitglieder mit allen Rechten und Pflichten an;
ihre Zahl darf ein Drittel aller Mitglieder des Verwaltungsrats nicht übersteigen (§113e Abs. 5 NGO).435
Diese restriktiven Regelungen stehen in auffälligem Gegensatz zu den mitbestimmungsfreundlichen Regelungen im Eigenbetriebsrecht mehrerer Länder436 und vor allem zur Rechtslage bei öffentlichen Unternehmen in Privatrechtsform. Sowohl der Aufsichtsrat einer AG als auch der (obligatorische)
Aufsichtsrat einer GmbH müssen zu einem Drittel aus Arbeitnehmervertretern bestehen, die von der Arbeitnehmerschaft des betreffenden Unternehmens gewählt werden, wenn die AG bzw. die GmbH in der Regel mehr als
500 Arbeitnehmer beschäftigen (§§ 1 Abs. 1 Nr. 1 und 3, 4 Abs. 1, 5 Abs. 2
DrittelbG; »Drittelparität«).437 Bei einer AG und einer GmbH mit in der Regel
mehr als 2.000 Arbeitnehmern muss der Aufsichtsrat sogar paritätisch mit
Vertretern der Anteilseigner und der Arbeitnehmer besetzt werden (§§ 1, 7
MitbestG; »paritätische Mitbestimmung«).
Die mitbestimmungsrechtliche Abstinenz des Kommunalunternehmens wird
von einer Reihe von Autoren positiv bewertet. Aus gemeindlicher Sicht sei sie
ein Vorteil gegenüber privatrechtlichen Gesellschaftsformen, da der gemeindliche Wille in den Unternehmensorganen auf diese Weise stärker zur Geltung
kommen könne und die Steuerungsfähigkeit des Unternehmens dadurch
erhöht werde.438 Eine solche Sicht ist zu einseitig, da sie die positiven Wirkungen einer Einbeziehung der Mitarbeiter vernachlässigt und deshalb den
Anforderungen an eine moderne Public Corporate Governance nicht gerecht
wird. Ob und in welchem Umfang eine stärkere Mitbestimmung der Beschäftigten im Verwaltungsrat des Kommunalunternehmens verfassungspolitisch
gefordert und verfassungsrechtlich zulässig ist, wird uns im Rahmen unserer
rechtspolitischen Überlegungen noch ausführlich beschäftigen (vgl. Abschnitt
IV. 2.).
435 Kritisch zur niedersächsischen Regelung M. Hogeweg, Die kommunale Anstalt (Fußn. 321),
S. 84 ff.; Lübbecke, Das Kommunalunternehmen (Fußn. 325), S. 163 f.
436 So sieht § 114 Abs. 3 GO NW die Mitbestimmung in Eigenbetrieben durch Beteiligung von
Arbeitnehmern im Werkausschuss bis hin zur Drittelparität ausdrücklich vor; vgl. auch
§ 103 Abs. 3 GO Bbg. Einen Überblick über die eigenbetrieblichen Regelungen geben
D. Schefold / M. Neumann, Entwicklungstendenzen der Kommunalverfassungen (Fußn.
21), S. 164 ff.
437 Ein Mitbestimmungsrecht im Aufsichtsrat besteht auch in einer AG mit in der Regel weniger als 500 Arbeitnehmern, die vor dem 10.08.1994 eingetragen worden ist und keine Familiengesellschaft ist (§ 1 Abs. 1 Nr. 1 DrittelbG).
438 So M. Arndt / U. Schliesky / M. Ziertmann, Das Kommunalunternehmen (Fußn. 326), S. 56.
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10. Haftungsrisiken der Gemeinde
Als ein wesentlicher Grund für die Wahl einer privatrechtlichen Organisationsform wird die mit dieser Organisationsform verbundene Haftungsbeschränkung auf das Vermögen der Gesellschaft (GmbH, AG) angeführt, so
dass sich das finanzielle Risiko der Gemeinde entsprechend eingrenzen lasse,
während beim Kommunalunternehmen die Trägerkommune im Rahmen ihrer
Gewährträgerhaftung unbeschränkt für dessen Verbindlichkeiten hafte,
soweit nicht Befriedigung aus dessen Vermögen zu erlangen sei. Sieht man
einmal von der europarechtlichen Problematik der Gewährträgerhaftung ab
(vgl. dazu Abschnitt I. 6.) und geht – zumindest bei der Wahrnehmung von
Aufgaben der Daseinsvorsorge – von deren Zulässigkeit aus, so erweisen sich
die Unterschiede zwischen privatrechtlicher und öffentlich-rechtlicher Gesellschaftsform als nicht gravierend.
Die Haftung einer Kapitalgesellschaft gegenüber ihren Gläubigern ist nach
dem Trennungsprinzip der §§ 1 Abs. 1 Satz 2 AktG, 13 Abs. 2 GmbHG auf
das Gesellschaftsvermögen beschränkt. Eine unmittelbare Haftung des kommunalen Gesellschafters gegenüber Gläubigern der Gesellschaft ist daher
grundsätzlich nur möglich, wenn ein selbständiger Verpflichtungsgrund vorliegt. Allerdings erleidet der Trennungsgrundsatz bei kommunalen Beteiligungsgesellschaften so viele Ausnahmen, dass seine Eigenschaft als Grundsatz zweifelhaft erscheint. So hat die Gemeinde bei kommunalen Pflichtaufgaben die Funktionsfähigkeit des privatrechtlich organisierten öffentlichen
Unternehmens zu erhalten, das sie mit einer ihr obliegenden öffentlichen Aufgabe betraut hat; aus dieser Garantiepflicht ergibt sich auch eine Konkursabwendungspflicht, die allerdings nur im Innenverhältnis zwischen Gemeinde
und Gesellschaft besteht.439 Eine Durchgriffshaftung der Trägerkommune
zugunsten der Gläubiger kann sich jedoch aus dem Gesellschaftsrecht ergeben, sei es, dass sie im faktischen Konzern aus einer Verletzung der allgemeinen Treuepflicht des GmbH-Gesellschafters gegenüber seiner Gesellschaft
abgeleitet wird,440 sei es, dass eine Haftung der Kommune wegen existenzvernichtenden Eingriffs zu bejahen ist.441 Doch dürften die strengen Voraussetzungen der Durchgriffshaftung bei einer Gesellschaft, deren Rechtsträger eine
juristische Person des öffentlichen Rechts ist, selten vorliegen. Allerdings
werden die Kommunen – wie durch die geringe Zahl der Insolvenzen kommunaler Gesellschaften indiziert wird – auch außerhalb des Bereichs der Pflicht-
439 So zutreffend A. Gaß, Umwandlung (Fußn. 334), S. 83 f., m. w. Nachw.
440 Grundlegend BGHZ 65, 15 – ITT-Entscheidung.
441 Grundlegend nach Aufgabe der Rechtsprechung zum qualifizierten faktischen Konzern
BGHZ, NJW 2001, 3622 – Bremer Vulkan, bestätigt in BB 2002, 1012 und BB 2002, 1823.
Zu den Haftungsvoraussetzungen im Konzernrecht vgl. im Einzelnen J. Siegels, Konzernrecht kommunaler Unternehmen, in: W. Hoppe / M. Uechtritz (Hrsg.), Handbuch (Fußn.
249), S. 471 ff.
Chapter Preview
References
Zusammenfassung
Die Arbeit problematisiert die gegenwärtige Praxis einer materiellen und formellen Privatisierung weiter Bereiche der kommunalen Daseinsvorsorge. Im Ersten Teil wird als verfassungstheoretisches Problem der materiellen Privatisierung auf die Gefahr einer Erosion des Öffentlichen hingewiesen: auf die Tendenz zur Ausdünnung der demokratischen und sozialstaatlichen Legitimations- und Verantwortungsstrukturen. Im Zweiten Teil wird die These entwickelt, dass es sich bei der Wahl einer privatrechtlichen Organisationsform für öffentliches Handeln (formelle Privatisierung) nicht um eine rein rechtstechnische Frage, sondern um eine verfassungsrelevante Strukturentscheidung handelt, die einer verfassungsrechtlichen Rechtfertigung bedarf. Als eine flexible Handlungsform des öffentlichen Rechts und als geeignete Alternative zu privatrechtlichen Rechtsformen wird im Dritten Teil die Organisationsform des selbständigen Kommunalunternehmens vorgestellt. Die Leistungsfähigkeit dieser neuen öffentlich-rechtlichen Organisationsform wird sodann im Vierten Teil auf der Grundlage eines ausführlichen Rechtsformenvergleichs dargestellt und im Fünften Teil anhand einer rechtstatsächlichen Analyse der bayerischen Krankenhaus-Kommunalunternehmen konkretisiert. Von den rechtspolitischen Vorschlägen ist die Forderung nach einer Einführung einer direktiven Mitbestimmung im Kommunalunternehmen hervorzuheben.