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2. Ausgliederung auf verselbständigte Verwaltungseinheiten
Die Ausgliederung auf verselbständigte Verwaltungseinheiten249 ist ein von
den Kommunen seit langem praktiziertes Mittel bei der Durchführung ihrer
Selbstverwaltungsaufgaben und dies sowohl bei wirtschaftlicher als auch bei
nichtwirtschaftlicher Betätigung. Wurden kommunale Unternehmen, insbesondere Versorgungs- und Verkehrsbetriebe, in der zweiten Hälfte des 19.
und im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts im Wesentlichen in der Organisationsform des Regiebetriebs250 und damit im Rahmen der allgemeinen Kommunalverwaltung geführt, so stand den Gemeinden mit dem auf Vorarbeiten
während der Weimarer Zeit beruhenden, durch die Gemeindeordnung von
1935 eingeführten und durch die Eigenbetriebsverordnung von 1938 ausgeformten Eigenbetrieb251 die Rechtsform eines gegenüber der Trägerkörper schaft partiell verselbständigten kommunalen Unternehmens zur Verfügung,
von der vor allem für wirtschaftliche Unternehmen reger Gebrauch gemacht
worden ist. In der Weimarer Zeit nur vereinzelt, seit dem Ende der 50er Jahre
deutlicher zeichnet sich ein Trend zur Wahl privater Rechtsformen (AG und
GmbH) ab. Die Gründe für die Verselbständigung sind durchweg pragmati scher Art.252 Im Vordergrund stehen die Steigerung der Wirtschaftlichkeit
und Effektivität der Leistungserbringung und der Flexibilität der Unternehmensführung. Diese Ziele sollen vor allem durch eine größere Eigenverant wortlichkeit der Unternehmensleitung, durch eine Reduzierung der politischen Einflussnahme und durch eine Ablösung der kameralistischen durch
eine betriebswirtschaftliche Rechnungsführung bewirkt werden.
Schon diese Skizze macht wesentliche Übereinstimmungen der mit dem
Neuen Steuerungsmodell einerseits und mit der Verselbständigung von Verwaltungseinheiten andererseits verfolgten Reformstrategien deutlich. In beiden Fällen geht es der Zielsetzung nach um eine Steigerung der Flexibilität
und Effektivität des Verwaltungshandelns. In beiden Fällen ist Dezentralisie-
249 Vgl. zum Folgenden die Übersicht bei J. Hellermann, Handlungsformen und -instrumentarien wirtschaftlicher Betätigung, in: W. Hoppe / M. Uechtritz (Hrsg.), Handbuch Kommunale Unternehmen, 2004, S. 115 ff.; aus der älteren Literatur die Beiträge von R. Diekmann
und F. Wagener, in: F. Wagener (Hrsg.), Verselbständigung von Verwaltungsträgern, 1976,
S. 19 ff., 31 ff.
250 Zum Regiebetrieb J. Hellermann, in: W. Hoppe / M. Uechtritz (Hrsg.), Handbuch (Fußn.
249), S. 130 Rn. 22 ff., m. Nachw.
251 Zum Eigenbetrieb J. Hellermann, in: W. Hoppe / M. Uechtritz (Hrsg.), Handbuch (Fußn.
249), S. 134 Rn. 31 ff, m. Nachw.
252 Vgl. die Unterscheidung der Kooperations-, Distanzierungs- und Praktibilitätsfunktion der
Verselbständigung von Verwaltungseinheiten bei H. Dreier, Hierarchische Verwaltung
(Fußn. 243), S. 277 ff. Bei der im Text im Vordergrund stehenden kommunalen Daseinsvorsorge geht es vor allem um Praktibilitätsfragen. Umfassendere Kataloge von Verselbständigungsmotiven bei F. Wagener, in: ders. (Hrsg.), Verselbständigung (Fußn. 249), S. 31 ff.,
45 ff.;
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rung das zentrale organisatorische Mittel.253 In beiden Fällen sind – in unterschiedlicher Intensität – auch die Folgen für die Programmierung, Steuerung
und Kontrolle des Verwaltungshandelns die gleichen: Die Programmierung
wird von einer auf unmittelbaren Vollzug gerichteten Programmierung auf
eine die Aufgabenstellung relativ allgemein umschreibende Zweckprogrammierung umgestellt; die Programmerfüllung wird nicht mehr im Wege büro kratisch-hierarchischer Steuerung und Kontrolle, sondern durch indirekter
wirkende Steuerungs- und Kontrollverfahren abgelöst.
Diese Interdependenz der Reformlinien ist in ihrer Bedeutung für die Entscheidung über eine organisatorische Verselbständigung hervorzuheben.
Gegenüber einer nach dem Neuen Steuerungsmodell arbeitenden Verwaltung
ist die schlichte Berufung auf eine hierarchisch-bürokratische Verkrustung als
Begründung für eine Ausgliederungsentscheidung nicht mehr ausreichend;
vielmehr bedarf eine solche Entscheidung zusätzlicher Argumente. Das ist als
Resümee dieses Abschnitts festzuhalten, wenn nun eine spezifische Form der
Ausgliederung genauer betrachtet wird: die formelle Privatisierung von Verwaltungsaufgaben.
3. Organisationsprivatisierung – ein Trend
Der materiellen Privatisierung sind auf der kommunalen Ebene dadurch
Grenzen gesetzt, dass zumindest die echte Aufgabenprivatisierung bei kommunalen Pflichtaufgaben ausscheidet. Umso stärker wird von den Kommunen
von der Möglichkeit der formellen Privatisierung Gebrauch gemacht, so dass
von einem Trend zur Wahl der privaten Rechtsform gesprochen werden
kann.254
a) Motive für die Wahl einer privatrechtlichen Organisationsform
Die Motive zur Wahl einer privatrechtlichen Organisationsform sind vielfältig und äußerst heterogen. Die am häufigsten für eine Organisationsprivatisierung angeführten Gründe sind die folgenden:
– Die privatrechtlichen Organisationsformen ermöglichten aufgrund ihrer
größeren Flexibilität eine effektivere und vor allem wirtschaftlichere Aufgabenerfüllung.
253 So wird in der Privatwirtschaft die Dezentralisierung innerhalb des Unternehmens als operative Dezentralisierung, die Ausgliederung von betrieblichen Funktionen im Rahmen einer
Holding-Struktur als strategische Dezentralisierung bezeichnet; vgl. K. Schneider, Arbeitspolitik im »Konzern Stadt« (Fußn. 79), S. 50, m. Nachw.
254 So z. B. M. Ganske, Corporate Governance im öffentlichen Unternehmen, 2005, S. 83 ff., m.
w. Nachw.; vgl. auch F. Schoch, DVBl. 1984, 1 ff.
Chapter Preview
References
Zusammenfassung
Die Arbeit problematisiert die gegenwärtige Praxis einer materiellen und formellen Privatisierung weiter Bereiche der kommunalen Daseinsvorsorge. Im Ersten Teil wird als verfassungstheoretisches Problem der materiellen Privatisierung auf die Gefahr einer Erosion des Öffentlichen hingewiesen: auf die Tendenz zur Ausdünnung der demokratischen und sozialstaatlichen Legitimations- und Verantwortungsstrukturen. Im Zweiten Teil wird die These entwickelt, dass es sich bei der Wahl einer privatrechtlichen Organisationsform für öffentliches Handeln (formelle Privatisierung) nicht um eine rein rechtstechnische Frage, sondern um eine verfassungsrelevante Strukturentscheidung handelt, die einer verfassungsrechtlichen Rechtfertigung bedarf. Als eine flexible Handlungsform des öffentlichen Rechts und als geeignete Alternative zu privatrechtlichen Rechtsformen wird im Dritten Teil die Organisationsform des selbständigen Kommunalunternehmens vorgestellt. Die Leistungsfähigkeit dieser neuen öffentlich-rechtlichen Organisationsform wird sodann im Vierten Teil auf der Grundlage eines ausführlichen Rechtsformenvergleichs dargestellt und im Fünften Teil anhand einer rechtstatsächlichen Analyse der bayerischen Krankenhaus-Kommunalunternehmen konkretisiert. Von den rechtspolitischen Vorschlägen ist die Forderung nach einer Einführung einer direktiven Mitbestimmung im Kommunalunternehmen hervorzuheben.