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Kapitel 4: Bundesstaatsdogmatische Aspekte
A. Einleitung
Wie jeder andere Staatsaufbau, muss sich auch der föderale immer wieder von
neuem legitimieren. Die Bundesstaatlichkeit bringt dabei einige Besonderheiten und
Aspekte mit sich, die sie vor allem vom Einheitsstaat unterscheidet. Letztlich geht es
bei aller Beschreibung von Vorzügen auch darum, das Umschriebene von anderen
Gebilden abzuheben und bei den den Föderalismus betreffenden Schriften ist dies in
aller Regel der Einheitsstaat. Diese Legitimationsaspekte geben dem föderalen Gebilde seine Eigenart und können auch als deren Zielsetzungen umschrieben werden.
In diesem Abschnitt soll die Abweichungsgesetzgebung daraufhin untersucht werden, wie sie sich in das bestehende Konzept des deutschen Bundesstaates einfügt.
Unterstützt sie ihn in der Umsetzung der klassischen Vorzüge des föderalen Staatsaufbaus oder stellt sie ein Hemmnis dar? Auch stellt sich die Frage, wie mit ihr externe Einflüsse, wie etwa der fortschreitende Prozess der europäischen Integration,
gemeistert werden können. Zu diesem Zweck werden die Vorzüge, die eine föderale
Kompetenzaufteilung mit sich bringt, dargestellt und sodann mit den Wirkungen der
neuen Unterart der konkurrierenden Gesetzgebung in Verbindung gebracht. Denn
die Untersuchung von Instrumenten zur Förderung föderaler Elemente kann nur
dann wertend und damit sinnvoll durchgeführt werden, wenn die Funktion und Intention des föderalistischen Prinzips an sich geklärt ist.
B. Aspekte des Demokratieprinzips
I. Verhältnis von Bundesstaatlichkeit und Demokratie
1. Zur Verwandtschaft der Prinzipien
Schon aus der Tatsache, dass die allgemeine Bundesstaatstheorie einen engen Zusammenhang zwischen dem Föderalismus und der Freiheit sieht, scheint auch eine
enge Verbindung mit dem Prinzip der Demokratie offenkundig.602 Grundsätzlichere
Verbindungen werden oft in einem gemeinsamen personalistischen Menschenbild603
oder dem Argument der Bürgernähe604 gesehen. Schließlich wird auch oft hervorge-
602 Lerche, föderalistische Verfassungsfragen, S.9; Kimminich, in: Isensee/Kirchhof, HStR I
(1987), § 26, Rn. 46.
603 Wipfelder, VBlBW 1982, 353 (354).
604 Lang, Philosophie des Föderalismus, S. 325; Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, S. 93.
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References
Zusammenfassung
Seit der 2006 in Kraft getretenen „Föderalismusreform I“ ist es den Ländern im Rahmen der Abweichungsgesetzgebung möglich, Regelungen zu erlassen, die Bundesgesetzen widersprechen. Neben den Fragen die durch diese Neuerungen aufgeworfen werden, analysiert der Autor die Möglichkeiten und Grenzen des Modells sowie mit einem Blick ins Ausland ähnliche Konzepte. Er gelangt unter anderem zu dem Ergebnis, dass der bundesdeutschen Kompetenzsystematik durch die erhöhte Bewegungsfreiheit der Länder, Elemente eines lernenden Föderalismus hinzugefügt werden und leistet hiermit einen Beitrag zu der Diskussion um das Abweichungsmodell, die sich bisher noch auf keinen reichhaltigen Erfahrungsschatz beziehen kann.