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II. Marktversagen bei unvollständiger Information
Ein Marktversagen kann bei unvollständiger Information der am Markt Beteiligten
vorliegen.660 Zunächst kann eine unvollständige Information hohe Suchkosten bei
den Nachfragern verursachen und dazu führen, dass bei homogener Produktqualität
Preisstreuungen zu beobachten sind.661 Dieser Effekt wird als natürlich angesehen
und ist wettbewerbspolitisch hinzunehmen.662
Unvollständige Information auf Seiten der Nachfrager kann jedoch auch den Effekt haben, dass sich aufgrund adverser Selektion und eines moral-hazard-Verhaltens auf Seiten der Anbieter des Produkts die Qualität aller am Markt gehandelten
Produkte verschlechtert und eine allgemeine Wohlfahrtsminderung zu beobachten
ist. Diese These geht auf den Ökonomen Akerlof zurück und seine Beobachtungen
auf dem amerikanischen Gebrauchtwagenmarkt.663 Hier kann der Nachfrager vor
Vertragsabschluss die Qualität eines Fahrzeugs nicht vollständig beurteilen. Die
Folge ist, dass er sich an der durchschnittlich zu erwartenden Qualität orientiert. Er
wird nur für ein durchschnittliches Produkt zu zahlen bereit sein. Anbieter eines
überdurchschnittlichen Produktes werden keinen höheren Preis erzielen, da der
Nachfrager aufgrund von Unkenntnis der höheren Qualität nicht bereit sein wird,
einen überdurchschnittlichen Preis zu zahlen. Damit entfällt für die Anbieter der Gebrauchtfahrzeuge jeglicher Anreiz, eine überdurchschnittliche Qualität bereitzuhalten, da dieses Verhalten nicht honoriert wird. Im Gegenteil: Es lohnt sich für den
Anbieter eher, eine mindere Qualität anzubieten, was dazu führt, dass sich die
durchschnittliche Qualität aller am Markt angebotenen Fahrzeuge verringert und
auch der Nachfrager immer weniger bereit ist, zu zahlen. Der Markt für die hochwertigen Produkte bricht jedenfalls zusammen, denn die asymmetrische Information
verhindert, dass die Nachfrage nach diesen Produkten bedient wird.
Auf Versicherungsmärkten spielt das Problem der unvollständigen Information
aufgrund von Informationsasymmetrie eine bedeutende Rolle. Die Informationsasymmetrie tritt in zwei Varianten auf. Zunächst kann der Versicherungsnehmer einen Informationsvorsprung haben und ihn zum Nachteil des Versicherungsunternehmens nutzen. Das klassische Beispiel dafür ist, dass der Nachfrager
einer Versicherungsleistung nach Abschluss der Versicherung sein Verhalten ändert.
Da Versicherer mit diesem Verhalten bei einem Teil der Versicherten kalkulieren,
führt dies zu insgesamt höheren Prämien. Das kann dazu führen, dass "gute Risiken", also diejenigen, die ihr Verhalten auch nach Abschluss einer Versicherung
nicht ändern werden, keine Versicherung abschließen, da die Prämien zu hoch
660 Dazu ausführlich Richter/Furubotn, Neue Institutionenökonomik, S. 243 ff.
661 Knieps, Wettbewerbsökonomie, a. a. O.
662 Knieps, Wettbewerbsökonomie, a. a. O.
663 Akerlof, The Market for "Lemons": Uncertainty and the Market Mechanism, Quarterly
Journal of Economics, 84, S. 488 ff.; vgl. auch die anschauliche Darstellung bei Schmidt,
Wettbewerbspolitik und Kartellrecht, S. 39 f.; siehe auch: Fritsch/Wein/Ewers,
Marktversagen und Wirtschaftspolitik, S. 281 ff. (283).
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sind.664 Diese Art der Informationsasymmetrie kann im Bereich der Kranken-, der
Unfall-, der Berufsunfähigkeits- und der KfZ-Haftpflichtversicherung auftreten.665
Im Bereich der Altersvorsorge ist diese Art der Informationsasymmetrie
kaum existent, da nach Abschluss einer Altersversorgung der Versicherte sein Verhalten nicht ändern wird. Als einzige Möglichkeit könnte es hier in Betracht kommen, dass der Versicherte nach Abschluss einer Rentenversicherung, die ihm gleichbleibende monatliche Leistungen bis zum Lebensende verspricht, sich entscheidet,
nun sehr gesund zu leben, um so seine Lebenserwartung zu verlängern. Allerdings
sind für die Lebenserwartung viele andere Faktoren verantwortlich als nur eine gesunde Lebensweise, so dass sich diese Entscheidung nur in sehr begrenzter Weise
auf die durchschnittliche Lebenserwartung des Versichertenkollektivs auswirken
wird, welche der Versicherer relativ genau mit Sterbetafeln prognostizieren kann.666
Die zweite Variante der Informationsasymmetrie hat eine weitaus größere Bedeutung im Bereich der Altersvorsorge. Dabei geht es um eine Informationsasymmetrie zu Ungunsten des Versicherungsnehmers und um einen Informationsvorsprung seitens des Versicherers. Dieser Informationsvorsprung bezieht sich im wesentlichen auf die Kostenstruktur und die Eigenschaften des angebotenen Produkts.
Bei der Suche nach einem geeigneten Verhandlungspartner zu einer beabsichtigten
Markttransaktion entstehen Kosten auf Seiten des Nachfragers im Zusammenhang
mit der Sammlung von Informationen über die von verschiedenen Anbietern desselben Gutes verlangten Preise.667 Je komplexer die Kostenstruktur von Produkten ist,
desto teurer ist für den Nachfrager einer Altersversorgung die Suche nach demjenigen Produkt, bei dem das Preis- Leistungs-Verhältnis am besten ist. Da es sich bei
Versicherungsprodukten und anderen Finanzprodukten um abstrakte und komplexe
Produkte handelt, ist es für den Nachfrager mit hohen Kosten verbunden, ein optimales Produkt zu finden. Zudem fehlen Anreize des Anbieters, negative Eigenschaften des Produktes offenzulegen.668 Ist der Nachfrager nicht bereit, hohe
Suchkosten aufzuwenden, z. B. durch die Bezahlung eines unabhängigen Versicherungsberaters, wird er sich für ein Produkt entscheiden, von dem er nicht sicher
weiss, ob es sich um ein optimales handelt. In dieser Situation kommt der Leistungswettbewerb zwischen den Anbietern jedoch zum Erliegen, denn der Anbieter
kann nicht sicher sein, ob sich der Nachfrager nach einer Altersvorsorge aufgrund
von Leistungsmerkmalen für ein bestimmtes Produkt entscheiden wird oder aufgrund anderer Merkmale, wie einem flächendeckenden Vertrieb oder agressiver
Werbung. Es besteht die Gefahr, dass der Anbieter somit verstärkt in diese Merkmale investieren wird, was zu Lasten der Leistung des Produkts gehen kann, sich je-
664 Knieps, Wettbewerbsökonomie, S. 12 f.
665 Vgl. dazu Theis, Die Deutsche Lebensversicherung als Alterssicherungsinstitution, S. 285 ff.
666 Homburg, Theorie der Alterssicherung, S. 12; ebenso Theis, S. 287, die allerdings darauf
hinweist, dass diese Erwägungen nicht unbedingt für das Risiko der Invalidität gelten.
667 Richter/Furubotn, Neue Institutionenökonomik, S. 59 ff. (60).
668 Tiffe, S. 89.
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doch nicht negativ auf die Marktstellung des Anbieters auswirken muss. Das Ergebnis ist ein Marktversagen.669 Die Informationsasymmetrie kann jedoch nicht lediglich durch zusätzliche Informationen ausgeglichen werden. Denn der durchschnittliche Nachfrager hat nur eine begrenzte Informationsverarbeitungskapazität und stößt
bei der Verarbeitung umfangreicher Informationen an Grenzen (information overload).670 Deshalb müssen die wichtigsten Informationen auf einen entscheidenen
Kern reduziert werden und verständlich vermittelt werden, um Informationsasymmetrien zu verhindern. Um ein Marktversagen zu vermeiden, ist es damit erforderlich, Regelungen zu treffen, die das Entstehen von Informationsasymmetrien verhindern ohne den Nachfrager zu überfordern.
III. Weitere Ursachen für Marktversagen
Auch wenn die zenrale Ursache für die fehlende Konsumentensouveränität des
Nachfragers eines Altersvorsorgeprodukts in der Informationsasymmetrie zwischen
Anbieter und Nachfrager eines Altersvorsorgeprodukts begründet ist, so gibt es
weitere wesentliche Ursachen.
1. Interessenkonflikte zwischen Vermittler und Nachfrager
Ein weiterer Grund für Marktversagen kann in Interessenkonflikten der am Abschluss eines Altersvorsorgevertrages beteiligten Akteure liegen, insbesondere zwischen dem Vermittler eines Vorsorgeprodukts und dem Nachfrager, die sich
nachteilig auf den Nachfrager auswirken können.671 Denn der Vermittler verfolgt in
der Regel das Interesse, ein für ihn profitables Produkt zu verkaufen, z. B den Abschluss einer Kapitallebensversicherung über eine hohe Summe zu erreichen. Dieses
Interesse muss jedoch mit dem des Nachfragers nicht identisch sein.672 Dies ist dann
der Fall, wenn die das Produkt anbietende Versicherungsgesellschaft im Vergleich
zu anderen Versicherungsgesellschaften weniger leistungsfähig ist. Ein Grund dafür
kann sein, dass sie mit hohen Verwaltungskosten arbeitet. Desweiteren kann das
Produkt auch selbst ungeeignet sein, weil die Versicherungsprämie für den Nachfrager in der Weise zu hoch ist, dass es absehbar ist, dass er die Versicherung nicht bis
zum Ende der Ablaufzeit durchhalten wird. Oder aber der Nachfrager einer Kapitallebensversicherung ist gar nicht an einer Risikoabsicherung interessiert, sondern lediglich an einer Kapitalanlage, aber trotzdem wird ihm lediglich eine gemischte Kapitallebensversicherung angeboten, ohne ihn auf Alternativen hinzuweisen, z. B.
dass es für ihn günstiger sein könnte, eine Altersvorsorge im Rahmen eines Bank-
669 Vgl. Rehberg, Der Versicherungsabschluss als Informationsproblem, S. 79.
670 Rehberg, WM 2005, S. 1011 ff. (1012); Tiffe, S. 88.
671 Vgl. Rehberg, Der Versicherungsabschluss als Informationsproblem, S. 259 f.
672 Vgl. Theis, S. 120.
Chapter Preview
References
Zusammenfassung
Das Buch thematisiert die Herausforderungen der Alterssicherung in Deutschland unter Berücksichtigung des Europarechts. Der Autor beurteilt das System der gesetzlichen Rentenversicherung aus der Perspektive des Europarechts und kommt zu dem Ergebnis, dass der deutsche Gesetzgeber aufgrund der demografischen Veränderungen das Umlagesystem der gesetzlichen Rentenversicherung in einem größeren Maße als bislang auf ein kapitalgedecktes System umstellen muss. Dabei geht er auch auf die ökonomischen Möglichkeiten einer derartigen Umstellung ein. Er zeigt auf, welche Handlungsspielräume der Gesetzgeber hat und untersucht, welche Anforderungen hinsichtlich einer wettbewerblichen Ausgestaltung die kapitalgedeckte Vorsorge erfüllen muss. Mit seinem Werk gibt der Autor einen Einblick in die Probleme der Alterssicherung in Deutschland und kommt dabei zu neuen rechtlichen Schlussfolgerungen.