167
B. Basisversorgung
Unabhängig von der Ergänzung des Umlagesystems durch eine Kapitaldeckung, die
sich auf gesetzlich Rentenversicherte erstreckt, kann darüber nachgedacht werden,
eine generelle Vorsorgepflicht einzuführen für Einkommensgruppen außerhalb der
gesetzlichen Rentenversicherung.
I. Vorsorgepflicht und Ansparphase ab Geburt
So könnte ab einem Stichtag die gesetzliche Verpflichtung zur privaten und kapitalgedeckten Altersvorsorge für alle Einkommensgruppen (Selbständige, Angestellte,
Beamte) eingeführt werden, welche eine Basisrente von 800 ! pro Monat (nach
heutiger Kaufkraft) ab einem Alter von 67 Jahren zum Ziel hat. Für dieses Sicherungsziel wäre ein monatlicher Beitrag festzulegen.642 Dadurch würde die Altersversorgung von Entwicklungen auf dem Sektor der abhängigen Beschäftigung abgekoppelt. Die in den jeweiligen Sektoren existierenden anderen Altersvorsorgesysteme wie Zusatzversorgungssysteme, die berufsständischen Versorgungssysteme,
betriebliche Altersversorgungssysteme müssten nicht umgestaltet werden. Diese
können eine zusätzliche Altersversorgung zur Basisversorgung des Altersrentenvertrages darstellen.
1. Verlängerung der Ansparphase spiegelbildlich zum Anstieg der Lebenserwartung
Bei der Ermittlung des erforderlichen Beitrags zum kapitalgedeckten Altersrentenvertrag könnte ein Beginn der Ansparphase ab Geburt zugrundegelegt werden.643
Anlaß für diese Überlegung ist die Tatsache, dass auf diese Weise die Ansparzeit
zum Aufbau eines Kapitalstocks in der Weise gestreckt wird, dass aufgrund des Zinseszinseffekts nur geringe monatliche Beiträge erforderlich sind, um eine Grundversorgung im Alter zu gewährleisten. Das Konzept reagiert damit auf den Anstieg der
Lebenserwartung nahezu spiegelbildlich: Der gesteigerten Lebenserwartung steht
eine längere Ansparphase gegenüber. Durch die geringen Beiträge erscheint der
Aufbau einer kapitalgedeckten Basisversorgung für alle Einkommensgruppen der
Bevölkerung realisierbar. Um diesen Effekt zu veranschaulichen, kann folgendes
Beispiel dienen:
Bei einer Ansparphase von 67 Jahren kann mit einem monatlichen Beitrag von 26
Euro und einer angenommenen Wertentwicklung von 5 % p.a. und Ausgabeauf-
642 Berechnungen haben gezeigt, dass bei einer angenommenen Verzinsung von 5-6 % p.a. ein
Betrag von 22 !/Monat ab Geburt ausreicht,um dieses Sicherungsziel zu erreichen.
643 Vgl. Schwintowski, Grundstrukturen eines zukünftigen Altersrentenvertrages für die
Bundesrepublik Deutschland, S. 99.
168
schlägen von 5 % nach Erreichen der Auszahlungsphase im Alter von 67 Jahren eine
monatliche Leistung von etwa 800 Euro erbracht werden.644
Weiterer positiver Effekt der langen Ansparphase ist die Abnahme des Risikos
der Kapitalanlage. Schwankungen an den Kapitalmärkten, die sich negativ auf den
Kapitalaufbau auswirken, können über einen langen Zeitraum besser ausgeglichen
werden. Die lange Ansparphase kann das Anlagerisiko vermindern und einen höheren Anteil der Kapitalanlage in Wertpapieren ermöglichen, die risikobehafteter sind
als andere, aber zugleich auch eine höhere Rendite ermöglichen, z. B. Aktien.645
2. Keine Verpflichtung zur Vorsorge ab Geburt
Ob eine Vorsorge ab Geburt verpflichtend eingeführt werden sollte, ist zweifelhaft.
Jedenfalls müssen von Seiten des Gesetzgebers Anreize geschaffen werden, Vorsorgeleistungen zu Gunsten von Kindern ab ihrer Geburt zu erbringen. Die Pflicht zur
Vorsorge im Altersrentenvertrag sollte daran angeknüpft werden, ob ein Einkommen
erzielt wird, unabhängig von der Art der Beschäftigung, mit dem das Einkommen
erzielt wird. Aufgrund des niedrigen Beitrags zum Altersrentenvertrag müssen auch
niedrige Einkommen von der Vorsorgepflicht nicht ausgenommen werden.
3. Einbezogene Jahrgänge
Die Frage besteht, welche Jahrgänge in die Vorsorgepflicht einbezogen werden
sollten. Die Vorsorgepflicht kann alle Einkommensgruppen einbeziehen und einen
niedrigen Beitrag voraussetzen, der einer Ansparphase ab Geburt Rechnung trägt.
Denn aufgrund des niedrigen Beitrags können auch Gruppen mit sehr niedrigem
Einkommen einbezogen werden. Das kann jedoch nur für zukünftige Einkommensgruppen gelten, die auch die Möglichkeit haben, ab Geburt oder zumindest einem
sehr frühen Zeitpunkt vorzusorgen, etwa für die Geburtsjahrgänge 1997 und jünger,
die frühestens im Jahre 2064 das Rentenalter erreichen.
Erstreckt man die Vorsorgepflicht jedoch auf Gruppen, die derzeit ein Einkommen erzielen, würde eine Beitragshöhe, die auf eine Vorsorge ab Geburt ausgerichtet
ist, nicht ausreichen, um eine Basisversorgung zu gewährleisten. Das zeigen folgende Beispiele:
Bei einer Ansparphase von 37 Jahren ab einem Alter von 30, kann mit dem genannten monatlichen Beitrag von 26 Euro und einer angenommenen Wertentwicklung von 5 % p.a. und Ausgabeaufschlägen von 5 % nach Erreichen der Auszah-
644 Dieses Beispiel wurde mit dem DIA-Sparplanschätzer erstellt:www.dia-vorsorge.de; in der
Auszahlungsphase wird eine Verzinsung von 4 % p.a. unterstellt und eine Dauer der
Auszahlung von 25 Jahren und Kapitalverzehr.
645 Spremann, Portfoliomanagement, S. 93 f., 104 f.
169
lungsphase im Alter von 67 Jahren lediglich eine monatliche Leistung von 162 Euro
erbracht werden.646
Erstreckt man die Vorsorgepflicht auf die Gruppe derjenigen, die derzeit ein Einkommen erzielen und soll im Rahmen dieser Pflicht eine Basisversorgung (800
Euro/Monat) möglich sein, müssten damit höhere Beiträge festgesetzt werden: Beginnt die Ansparphase im Alter von 20 Jahren, so müssen monatlich über 47 Jahre
lang etwa 73 Euro einbezahlt werden.647 Bei einem Beginn der Ansparphase ab einem Alter von 25 Jahren müssen schon 97 Euro monatlich einbezahlt werden und
bei einem Beginn der Ansparphase mit 30 Jahren müssen bereits 128 Euro monatlich erbracht werden, ab einem Alter von 35 Jahren etwa 173 Euro, ab einem Alter
von 40 Jahren etwa 239 Euro und ab einem Alter von 50 Jahren müssten 505 Euro
monatlich erbracht werden um das Vorsorgeziel von 800 Euro/Monat im Alter zu
erreichen.648 Diese Beispiele verdeutlichen im Verhältnis zum vorhergehenden die
Bedeutung eines langen Ansparzeitraums für die Höhe der erzielbaren Altersversorgung, zeigen allerdings auch, dass bei einem späteren Beginn mit niedrigen Beiträgen keine Basisversorgung mehr gewährleistet werden kann. Würde man alle Jahrgänge in eine Pflichtvorsorge im Rahmen des Altersrentenvertrages einbeziehen, so
müssten ältere Jahrgänge sehr hohe monatliche Beiträge erbringen, um das
Vorsorgeziel zu erreichen und könnten damit finanziell überfordert werden. Die Einführung einer kapitalgedeckten Pflichtvorsorge für Gruppen außerhalb der gesetzlichen Rentenversicherung muss primär diejenigen einbeziehen, die im Rahmen eines
langen Ansparzeitraums mit verhältnismäßig niedrigen Beiträgen in der Lage sind,
einen Kapitalstock aufzubauen, der eine Basisversorgung im Alter gewährleisten
kann. Bezieht man alle Einkommensgruppen außerhalb der gesetzlich Rentenversicherten im Alter von 35 Jahren und jünger in eine kapitalgedeckte Pflichtvorsorge
ein, so müssten diese höchstens einen Beitrag von 173 Euro monatlich erbringen,
um eine Altersversorgung in Höhe von 800 Euro/Monat ab einem Alter von 67 Jahren erwarten zu können.
Die Höhe des Beitrags zum Altersrentenvertrag würde damit in Abhängigkeit
vom Alter des Vorsorgenden festgelegt. Je früher die Ansparphase beginnt, desto
geringer ist der festzulegende Sparbeitrag.
4. Antragslose Förderung
Derzeit muss zu Förderung der Nachfrager eines zertifizierten Altersvorsorgevertrages die Förderung selbst beantragen: Nach § 89 EStG hat der Zulagenberechtigte
den Antrag auf Zulage bis zum Ablauf des zweiten Kalenderjahres, das auf das Bei-
646 Dieses Beispiel wurde mit dem DIA-Sparplanschätzer erstellt:www.dia-vorsorge.de; in der
Auszahlungsphase wird eine Verzinsung von 4 % p.a. unterstellt und eine Dauer der
Auszahlung von 25 Jahren und Kapitalverzehr.
647 Voraussetzungen wie in den vorhergehend genannten Beispielen.
648 Voraussetzungen wie in den vorhergehend genannten Beispielen.
170
tragsjahr folgt, beim Anbieter seines Vertrages einzureichen (Zweijahresfrist). Tut er
dies in dem vorgegebenen Zeitrahmen nicht, ist sein Anspruch auf die Zulage ausgeschlossen.649 Problematisch ist, dass in der Praxis etwa 30 % der zulageberechtigten
Kunden von Anbietern zertifizierter Altersvorsorgeverträge bislang keine Zulage
beantragt haben, was die Rendite dieser Verträge erheblich absenkt.650 Aus diesem
Grund sollte für die Förderung beim Altersrentenvertrag, deren Höhe sich lediglich
am Alter des Vorsorgenden ausrichtet, auf das Erfordernis eines Antrags seitens des
Nachfragers verzichtet werden. Um Fehlentwicklungen wie bei der Riester-Förderung zu vermeiden, muss vorgeschrieben werden, dass die Anbieter des Altersrentenvertrages für den Begünstigten die staatliche Förderung zu beantragen haben.
5. Gezielte Förderung eines frühen Beginns der Vorsorge
Die Frage besteht, inwieweit die Notwendigkeit zur Förderung der Altersvorsorge
weiterhin erforderlich ist. Soweit eine Pflicht zur Vorsorge besteht, erscheint eine
Förderung wie derzeit nach §§ 10a, 83 ff. EStG nicht mehr notwendig, da keine Anreize zur Vorsorge geschaffen werden müssen. Die dadurch eingesparten finanziellen Mittel könnte der Gesetzgeber mit der Zielrichtung eines frühen Beginns der
Vorsorge verbinden. Im Rahmen des Altersrentenvertrages sollten diejenigen gefördert werden, die bereits vor Aufnahme einer Erwerbstätigkeit einen Altersrentenvertrag abschließen. Hier sollte die Förderung gestaffelt nach dem Alter des Nachfragers des Altersrentenvertrages erfolgen: Je früher der Altersrentenvertrag abgeschlossen wird, umso höher muss die Förderung gestaltet sein, wobei ein Beginn des
Sparprozesses mit Geburt möglich ist. Setzt man einen erforderlichen Vorsorgebetrag von 26 Euro/Monat an, kann die Förderung eines frühen Beginns der Ansparphase darin bestehen, dass der Staat bei einem Beginn der Sparphase vor dem 5. Lebensjahr die Hälfte der jährlichen Beiträge bis zum 5. Lebensjahr trägt, was 156
Euro/Jahr entspricht. Wird der Altersrentenvertrag vor dem 10. Lebensjahr abgeschlossen, trägt der Staat ein Drittel der jährlichen Beiträge (104 Euro) und bei einem Abschluss vor dem 18. Lebensjahr ein Viertel (78 Euro). Parallel dazu muss
aus anreiztheoretischer Sicht auch die Entscheidung der Eltern, einen Altersrentenvertrag für ihr Kind abzuschließen, und dazu Beiträge zu entrichten, gefördert werden. Dazu könnten die Beiträge für die Vorsorge des Kindes als Sonderausgaben
nach § 10 EStG für abzugsfähig erklärt werden. Entscheidend für die Förderung
muss jedoch der Grundgedanke sein, dass sie ihrer Höhe nach in Abhängigkeit vom
Alter des Vorsorgenden erfolgt. Der auf diese Weise angesparte Beitrag kann bei
Aufnahme einer Erwerbstätigkeit auf den zu erbringenden Vorsorgebeitrag angerechnet werden. Da sich die Höhe des Vorsorgebeitrags in dem hier vorgestellten
649 Allerdings kann dem Zulagenberechtigten bei Versäumung der Frist eine Wiedereinsetzung
in den vorigen Stand gewährt werden, vgl. Drenseck, in: Schmidt, EStG, § 89 Rn. 1.
650 Jahberg, „Millionenausfälle bei Riester“, Der Tagsspiegel vom 29.4.2007, S. 23 (Ressort
Wirtschaft).
171
Modell danach richtet, wie eine Basisversorgung in Höhe von 800 Euro erreicht
werden kann, würden sich für diejenigen, zu deren Gunsten in der Vergangenheit
Sparbeiträge erbracht wurden, geringere monatliche Pflichtbeiträge ergeben. Im Ergebnis können dadurch zukünftige Geburtsjahrgänge mit einem Beitrag von 26
Euro/Monat, der konstant in den Altersrentenvertrag ab Geburt investiert wird, eine
Basisversorgung im Alter von 800 Euro/Monat erreichen.651
6. Verwendung des Kindergeldes zum frühen Beginn der Ansparphase
Idealerweise sollte der Altersrentenvertrag zu Gunsten des Kindes bei Geburt abgeschlossen werden, um Zins- und Zinseszinseffekte optimal zu nutzen. Um den Eltern
den Abschluss eines Altersrentenvertrages für Ihr Kind zu erleichtern, sollte der
Staat bei der Gewährung des Kindergeldes anbieten, im Falle des Abschlusses eines
Altersrentenvertrages für das Kind, denjenigen Teil des Kindergeldes, welcher der
Höhe des Beitrags zum Altersrentenvertrag entspricht, selbst an den Anbieter abzuführen, den die Eltern ausgewählt haben. Diese Regelung könnte die Verbreitung
der Vorsorge ab Geburt beträchtlich erhöhen. Denn dadurch würde zum einen sichergestellt, dass alle Eltern tatsächlich Kenntnis erhalten von der Möglichkeit, für
ihr Kind ab Geburt vorzusorgen und zum anderen würde die gedankliche Hürde, zusätzliche Aufwendungen für das weit in der Ferne liegende Ziel der Altersversorgung des Kindes zu tätigen, gesenkt. Denn die "Belastung" durch Vorsorgeaufwendungen würde nicht das selbst erwirtschaftete Einkommen beeinträchtigen, sondern
aus einer staatlichen Transferzahlung erbracht.
II. Ausblick
Nachfolgende Generationen, die ab Geburt in den Altersrentenvertrag eingezahlt haben, können allein durch diesen eine Grundsicherung erwarten, deren Höhe über der
heutigen durchschnittlichen Umlagerente liegt.
651 Der Beitrag von 26 Euro muss, um einen Betrag zu erreichen, der der heutigen Kaufkraft von
800 Euro entspricht, entsprechend dynamisisiert werden.
Chapter Preview
References
Zusammenfassung
Das Buch thematisiert die Herausforderungen der Alterssicherung in Deutschland unter Berücksichtigung des Europarechts. Der Autor beurteilt das System der gesetzlichen Rentenversicherung aus der Perspektive des Europarechts und kommt zu dem Ergebnis, dass der deutsche Gesetzgeber aufgrund der demografischen Veränderungen das Umlagesystem der gesetzlichen Rentenversicherung in einem größeren Maße als bislang auf ein kapitalgedecktes System umstellen muss. Dabei geht er auch auf die ökonomischen Möglichkeiten einer derartigen Umstellung ein. Er zeigt auf, welche Handlungsspielräume der Gesetzgeber hat und untersucht, welche Anforderungen hinsichtlich einer wettbewerblichen Ausgestaltung die kapitalgedeckte Vorsorge erfüllen muss. Mit seinem Werk gibt der Autor einen Einblick in die Probleme der Alterssicherung in Deutschland und kommt dabei zu neuen rechtlichen Schlussfolgerungen.