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IV. Die künftige Entwicklung des Umlageverfahrens
Folgende Darstellung verdeutlicht die mögliche Abnahme des Leistungsniveaus des
Umlageverfahrens bei der Beibehaltung des derzeitigen Beitragssatzes49:
Werden die Leistungen auf dem heutigen Niveau beibehalten, so könnte sich das
Beitragssatzniveau folgendermaßen entwickeln:
Die beiden Darstellungen verdeutlichen, dass das Umlagesystem in den nächsten
Jahrzehnten entweder die Leistungen erheblich absenken muss, oder aber, dass die
49 Berechnungen: Alena Mysickova, nestor Forschungsinstitut. Zugrundegelegt wird die
Variante 2-W 1 des Statistischen Bundesamtes; vgl. 11. Koordinierte
Bevölkerungsvorausberechnung, S. 55.
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Beiträge zum System erheblich erhöht werden müssen. Die Annahmen stützen sich
auf Zahlen des statistischen Bundesamtes und repräsentieren eine „mittlere Annahme“ zu Lebenserwartung50, Geburtenhäufigkeit51 und Zuwanderung52.53 Setzt
man einen geringeren Anstieg der Lebenserwartung voraus54, so würden die Annahmen zur Entwicklung des Leistungsniveaus und des Beitragssatzniveaus nur geringfügig besser ausfallen:
50 85,4 Jahre bei Männern bzw. 89,8 Jahre bei Frauen.
51 So wie bisher etwa 1,4 Kinder/Frau.
52 100 000 Personen/Jahr (Wanderungssaldo aus Zu- und Abwanderung).
53 Vgl. 11. Koordinierte Bevölkerungsvorausberechnung, S. 55.
54 83,5 Jahre bei Männern bzw. 88 Jahre bei Frauen.
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Als Ergebnis kann festgehalten werden, dass die Entwicklung des Umlageverfahrens
aufgrund der demographischen Veränderungen zu dramatischen Veränderungen des
Niveaus der Alterssicherung in Deutschland führen kann.
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C. Reformbemühungen
Vor dem Hintergrund des demographischen Wandels und der Finanzierungsprobleme in der gesetzlichen Rentenversicherung hat der Gesetzgeber in den letzten Jahren Anstrengungen unternommen, einerseits innerhalb des Umlagesystems der gesetzlichen Rentenversicherung die genannten Herausforderungen zu bewältigen und
andererseits Anreize zu schaffen, um die Verbreitung der zusätzlichen kapitalgedeckten Vorsorge zu erhöhen.
I. Rentenreform 1992
Eine der ersten großen Reformen war das Rentenreformgesetz von 1992 (RRG).55
Ziel des Gesetzes war es zum einen, das Rentenrecht transparenter zu machen und
zum anderen, auf veränderte Rahmenbedingungen zu reagieren. Schon zu diesem
Zeitpunkt war die demographische Entwicklung in Deutschland als wesentlicher
Faktor erkannt worden, der eine Änderung des Rentenrechts nötig machte.56 Ergebnisse der Reform waren im Wesentlichen der Übergang vom damaligen Bruttolohnzum Nettolohnprinzip, mit dem das Standardrentenniveau bei 70 % gehalten werden
konnte, ohne daß die Beitragssätze erhöht werden mußten. Denn mit der Umstellung
konnte verhindert werden, daß durch die unterschiedliche Belastung mit Steuern und
Beiträgen die Renten stärker stiegen als die Löhne der Beschäftigten. Die vorgezogenen Altersgrenzen von 60 und 63 Jahren sollten ab 2001 stufenweise auf die Regelaltersgrenze von 65 Jahren angehoben werden. Das Rentenreformgesetz 1992
verhinderte nach Schätzungen einen Anstieg des Beitragssatzes zur gesetzlichen
Rentenversicherung auf bis zu 41 %.57
II. Rentenreformgesetz 1999
Eine bedeutendes Element enthielt das von der CDU/CSU und FDP eingebrachte
Rentenreformgesetz 1999, welches 1997 vom Bundestag verabschiedet wurde58: Zur
Bewältigung der demographischen Entwicklung war ein demographischer Faktor
vorgesehen. Durch ihn sollte der durchschnittliche Anstieg der Lebenserwartung der
65-jährigen als Faktor bei der Bestimmung des aktuellen Rentenwerts dienen.59
Diese Konzeption integrierte erstmals die Tatsache des demographischen Wandels
als Faktor zur Bestimmung der Rentenleistung in das Gesetz. Der demographische
Faktor stellte den Hauptkritikpunkt seitens der Opposition an dem Gesetz dar. Nach
55 BGBl. I 1989, S. 2261.
56 Kreikebohm, SGB VI/ Einleitung, Rn 13 ff.
57 Reinhard, Demographischer Wandel und Alterssicherung, S. 30.
58 BGBl. I, S. 2998.
59 Reinhard, Demographischer Wandel und Alterssicherung, S. 33.
Chapter Preview
References
Zusammenfassung
Das Buch thematisiert die Herausforderungen der Alterssicherung in Deutschland unter Berücksichtigung des Europarechts. Der Autor beurteilt das System der gesetzlichen Rentenversicherung aus der Perspektive des Europarechts und kommt zu dem Ergebnis, dass der deutsche Gesetzgeber aufgrund der demografischen Veränderungen das Umlagesystem der gesetzlichen Rentenversicherung in einem größeren Maße als bislang auf ein kapitalgedecktes System umstellen muss. Dabei geht er auch auf die ökonomischen Möglichkeiten einer derartigen Umstellung ein. Er zeigt auf, welche Handlungsspielräume der Gesetzgeber hat und untersucht, welche Anforderungen hinsichtlich einer wettbewerblichen Ausgestaltung die kapitalgedeckte Vorsorge erfüllen muss. Mit seinem Werk gibt der Autor einen Einblick in die Probleme der Alterssicherung in Deutschland und kommt dabei zu neuen rechtlichen Schlussfolgerungen.