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IX. Zusammenfassung des Gutachtens in Thesen
1. Das Recht, der Regierung Fragen zu stellen, stellt ein grundlegendes Recht des
einzelnen Abgeordneten und damit zugleich des Parlaments dar, das unmittelbar
oder mittelbar im Grundgesetz und den Verfassungen der Bundesländer garantiert
ist. Das Recht findet seine verfassungsrechtliche Grundlage in der Kontrollfunktion
des Parlaments, die für die parlamentarische Demokratie ebenso konstituierend ist
wie die dem Parlament verantwortliche Regierung.
2. Die Ausformungen parlamentarischer Interpellation und damit auch das Fragerecht des einzelnen Abgeordneten, das verfassungsrechtlich als Status- und Teilhaberecht des Abgeordneten ausgestaltet ist, konkretisieren die parlamentarische Kontrollfunktion, die in einem engen Zusammenhang mit der für eine wirksame Kontrolle notwendigen Informationsbeschaffung steht. Ohne hinreichendes Wissen ist
effiziente Kontrolle nicht möglich.
3. In diesem Verständnis ist die parlamentarische Interpellation darauf ausgerichtet,
jedenfalls in bestimmten Grenzen die Offenlegung der Politik der Regierung zu
erzwingen und die öffentliche Aussprache über politische Fragen zu sichern, auf
diese Weise Informationen insbesondere der und jedenfalls durch die Regierung zu
erhalten und ganz wesentlich mit Hilfe dieser von Regierungsseite gewährten Informationen eine wirksame parlamentarische Kontrolle ins Werk zu setzen. Mit Hilfe
dieser Informationsbeschaffung mag in der politischen Praxis der Opposition die
Möglichkeit gewährt werden, eine »politische Alternative« zur amtierenden Regierung aufzuzeigen und durch regierungsseitig gewährte Informationen ggf. die
Chance zur »Profilierung« zu nutzen.
4. Dass das parlamentarische Frage- und Informationsrecht der Abgeordneten Grenzen unterworfen ist, unterworfen sein kann und auch unterworfen sein muss, entspricht bundesdeutschem parlamentsrechtlichem Verständnis. Sowohl im Bund als
auch in den Bundesländern einschließlich des Freistaats Thüringen ist das Informationsrecht der Abgeordneten zahlreichen Einschränkungen sowohl durch das Verfassungsrecht als auch durch das Geschäftsordnungsrecht unterworfen. Diese Einschränkungen finden ihre Rechtfertigung insbesondere im Gedanken der Effizienz
parlamentarischer Arbeit.
5. Ein allgemeiner und auf beliebige Gegenstände bzw. auf Wissensvermittlung jeglicher Art gerichteter Informationsanspruch der Abgeordneten des Thüringer Landtags gegenüber der Exekutive besteht nicht. Die Abgeordneten haben vielmehr
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einen Informationsanspruch, der bezogen ist auf die Erfüllung der ihnen durch ihr
Mandat zukommenden parlamentarischen Aufgaben und Befugnisse. Das Fragerecht der Abgeordneten ist mithin ein »parlamentarisches« und kein allgemeines.
6. Schon im Lichte dieser Erkenntnis ist daher festzuhalten, dass das parlamentarische Fragerecht nicht darauf gerichtet sein kann, den verfassungsrechtlich umzäunten und geschützten Bereich kommunaler Selbstverwaltung auszuforschen. Eine
reine Datenabfrage über kommunale Sachverhalte ist deshalb vom parlamentarischen Fragerecht nicht umfasst, weil einer solchen Abfrage der Zusammenhang zu
den Aufgaben des Parlaments und des einzelnen Abgeordneten fehlen würde. In
Betracht kommen können daher mit Blick auf die Gemeinden als Gegenstand einer
parlamentarischen Anfrage lediglich die Aspekte der Rechtsaufsicht und der Fachaufsicht gegenüber Gemeinden.
7. Da die Kontrolle der Exekutive durch das Parlament in der gewaltengeteilten
Demokratie keinen Selbstzweck darstellt, muss ein nachvollziehbarer Zusammenhang zwischen dem Informations- und Kontrollwunsch und der aus dem Kontrollergebnis resultierenden politischen Reaktionsmöglichkeiten bestehen. Dies folgt nicht
zuletzt aus der Tatsache, dass sich mit zunehmendem Zeitablauf die Möglichkeiten
verringern, die durch eine Kontrolle der Exekutive gefundenen Ergebnisse in angemessener Weise politisch umzusetzen. Vor diesem Hintergrund muss im vorliegenden Zusammenhang gefragt werden, ob mit den erbetenen Antworten zu Einzelheiten von Straßenausbaubeitragssatzungen in 652 Thüringer Gemeinden, die faktisch
bis zum Zeitpunkt der Deutschen Wiedervereinigung zurückreichen können, noch
ein hinreichender Zusammenhang zu aktuellen politischen Reaktionsmöglichkeiten
zu bejahen ist. Dies gilt auch im Hinblick auf erfolgte Anzeigen bei den Rechtsaufsichtsbehörden und die Bekanntmachung von Straßenausbaubeitragssatzungen.
8. Das parlamentarische Fragerecht ist auf Erfüllung, mithin auf Beantwortung
angelegt. Da das parlamentarische Fragerecht ohne korrespondierende Antwortpflicht der Regierung weitgehend leer liefe, korreliert das parlamentarische Fragerecht mit einer Antwortpflicht der parlamentarisch verantwortlichen Regierung.
9. Art. 67 ThürVerf gestaltet die Verpflichtung der Landesregierung näher aus, parlamentarische Anfragen zu beantworten. Die Bestimmung verankert mit Blick auf
das sich aus Art. 53 Abs. 2 ThürVerf ergebende parlamentarische Fragerecht eine
grundsätzliche Beantwortungspflicht der Landesregierung und macht damit deutlich, dass das Fragerecht des Art. 53 Abs. 1 ThürVerf mit der Antwortpflicht der
Regierung aus Art. 67 Abs. 1 ThürVerf korrespondiert. Gleichzeitig statuiert die
Bestimmung in ihrem Abs. 3 das Recht der Landesregierung, in bestimmten Fällen
von einer Beantwortung abzusehen.
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10. Bei der Beantwortung parlamentarischer Anfrage durch die Landesregierung ist
diese gehalten, ausgehend vom Fragewortlaut das erkennbare Fragebedürfnis i. S.
eines Wissensdefizits und das Fragethema selbständig zu ermitteln und dieses in seiner vollen Ausdehnung (umfassend) aufzugreifen. Im Hinblick auf das »Wie« der
Beantwortung kommt ihr eine weite, gerichtlich nur begrenzt überprüfbare Einschätzungsprärogative zu.
11. Auch im Freistaat Thüringen unterliegt die Antwortpflicht der Regierung
bestimmten Grenzen, die sich in erster Linie aus der Verfassung und aus verfassungsrechtlichen Grundsätzen ergeben.
12. Art. 67 Abs. 3 ThürVerf kommt keine abschließende Bedeutung zu; die Möglichkeit der Landesregierung, die Antwort auf eine parlamentarische Frage zu verweigern, findet ihre Grundlage nicht nur im geschriebenen, sondern auch im ungeschriebenen Verfassungsrecht. Dies folgt aus verfassungssystematischen Gründen
und aus dem Wortlaut der Bestimmung. Im Übrigen ist auch das Urteil des Thür-
VerfGH vom 4. April 2003 dahingehend zu interpretieren.
13. Mit Blick auf die geschriebenen Grenzen der Antwortverpflichtung der Landesregierung ist davon auszugehen, dass in den Fällen, die Art. 67 Abs. 3 S. 1 ThürVerf
normiert, in aller Regel nicht nur das Recht, sondern sogar die Pflicht des Landesregierung besteht, eine Auskunft jedenfalls nicht öffentlich zu erteilen, da andernfalls in unzulässiger Weise in gegenläufige verfassungsrechtliche Positionen eingegriffen würde.
14. Nach Art. 67 Abs. 3 S. 1 Nr. 2 ThürVerf kann die Landesregierung die Beantwortung von Anfragen und die Erteilung von Auskünften ablehnen, wenn die Funktionsfähigkeit der Landesregierung nicht nur geringfügig beeinträchtigt ist. Die
Bestimmung trägt der Tatsache Rechnung, dass der demokratische Rechtsstaat i. S.
d. Grundgesetzes (Art. 28 Abs. 1 S. 1 GG) wie auch der Verfassung des Freistaats
Thüringen notwendig eine funktionsfähige Regierung voraussetzt. Maßgebliche
Bedeutung kommt in diesem Zusammenhang den Anforderungen der Organadäquanz und der Funktionsgerechtigkeit der Kompetenzordnung zu.
15. Mit Blick auf ihre politische Rechenschaftspflicht gegenüber dem Parlament
muss die Regierung daher die Bindung von Arbeitskapazität durch die Beantwortung parlamentarischer Anfragen einkalkulieren und sich ggf. auch auf Anfragen in
großer Zahl und mit umfangreicher Thematik einstellen. Führt indes die Inanspruchnahme der Regierung durch eine parlamentarische Anfrage dazu, dass sie – oder
Teile von ihr – ihr obliegende Aufgaben nicht mehr vollständig, nicht mehr ordnungsgemäß, nicht mehr in angemessener Zeit oder sogar nicht mehr dem geltenden
Recht gemäß wahrnehmen kann, so wird in einem solchen Fall eine Beeinträchti-
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gung der Funktionsfähigkeit der Regierung anzunehmen sein, die ggf. sogar in Konflikt mit den Grundsätzen des Vorrangs und des Vorbehalts des Gesetzes geraten
kann. Daher ist die Regierung ihrer Antwortpflicht ganz oder teilweise enthoben,
wenn sie andernfalls ihre sonstigen Aufgaben in unvertretbarem Umfang vernachlässigen müsste oder gar ein Zustand der Funktionsunfähigkeit in diesen Bereichen
zu besorgen wäre.
16. Wann die Beeinträchtigung der Funktionsfähigkeit der Regierung die Grenze
der Geringfügigkeit überschreitet, ist am Maßstab des Üblichen und damit letztlich
der Spürbarkeit zu beurteilen. Bleiben im Falle einer anderweitigen, durch das parlamentarische Fragerecht bedingten Inpflichtnahme Aufgaben eines Ministeriums
liegen, müssen sie auf die »lange Bank« geschoben werden oder kann die Aufgabenerfüllung nur dann sichergestellt werden, wenn weiteres Personal eingestellt
wird, so ist eine nicht nur geringfügige Beeinträchtigung anzunehmen.
17. Insbesondere für den Fall, dass die Handhabung des parlamentarischen Fragerechts erkennbar darauf gerichtet ist, missbräuchlich die Exekutive lahm legen zu
wollen, wird man der Regierung nicht die Verpflichtung auferlegen können, für die
Bereithaltung solcher Anfragen geeignete, insbesondere personelle Kapazitäten
bereit zu halten und diese gar, nur um die Beantwortung erkennbar missbräuchlicher
Fragen ermöglichen zu können, zu vergrößern.
18. Art. 67 Abs. 3 S. 1 Nr. 2 ThürVerf macht als Ausdruck praktischer Konkordanz
deutlich, dass im Konfliktfall die Funktionsfähigkeit der Regierung Vorrang gegen-
über der Beantwortung einer parlamentarischen Anfrage hat.
19. Die Thüringer Landesregierung kann zwar nicht nach eigenem Gutdünken über
das »Ob« und den Umfang der ihr obliegenden Informationspflicht verfügen, sondern nur nach Maßgabe der verfassungsrechtlich gebotenen Abwägung zwischen
ihrer Antwortverpflichtung auf der einen und ihrer Funktionsfähigkeit auf der anderen Seite; indes gewährt ihr das am Maßstab des Kriteriums der Funktionsfähigkeit
ausgerichtete Verfassungsrecht wie auch die Tatsache, dass es sich insoweit um eine
Ermessensentscheidung handelt, die Möglichkeit, bei der Beantwortung parlamentarischer Anfragen differenziert vorzugehen, in letzter Konsequenz aber die Antwort unter Berufung auf die nicht nur geringfügige Beeinträchtigung der Funktionsfähigkeit der Regierung zu verweigern.
20. Mit Art. 67 Abs. 3 S. 1 Nr. 2 Alt. 2 ThürVerf ist verfassungsrechtlich anerkannt,
dass der Regierung ein unantastbarer und uneinsehbarer, vor einer »Ausforschung«
im Wege des parlamentarischen Fragerechts geschützter Eigenbereich zukommt.
Weder dem Parlament noch einem einzelnen Abgeordneten soll das Recht zukom-
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men, das Innenleben der Regierung mit Hilfe des parlamentarischen Fragerechts
auszuforschen.
21. Aus dem dem parlamentarischen Fragerecht von Verfassungs wegen zukommenden Zweck wie auch aufgrund des Zusammenhangs von Frage und Antwort ist
das Fragerecht durch das Erfordernis gekennzeichnet, dass die Frage in ihrem Anliegen inhaltlich bestimmbar sein muss, dass es zu diesem Inhalt eine Antwort gibt und
dass die Frage auf ein Themenfeld zielt, zu dem der Befragte ‘etwas zu sagen hat’.
22. In gleichem Maße, wie das Fragerecht und der Informationsanspruch eines
Abgeordneten an die ungeschriebene Voraussetzung geknüpft sind, dass Fragerecht
und Informationsanspruch bezogen sein müssen auf die Erfüllung der dem Abgeordneten durch sein Mandat zukommenden parlamentarischen Aufgaben und
Befugnisse, ist auch die Antwortpflicht der Regierung an die Voraussetzung
geknüpft, dass diese Verantwortung für den abgefragten Komplex innehat. Mit Verantwortung ist indes stets der Aspekt des Verantworten-Könnens bzw. Verantworten-Müssens verbunden. Verantwortung muss auf der einen Seite – der Regierungsseite – inne gehabt werden und inne gehabt werden können, damit sie von der anderen Seite – der Seite des Abgeordneten bzw. des Parlaments – geltend gemacht und
eingefordert werden kann. Daher können sich das parlamentarische Fragerecht wie
auch die Antwortpflicht der Regierung nur auf den Bereich beziehen, für den die
Regierung unmittelbar oder mittelbar verantwortlich ist. Dies wird auch vom Thür-
VerfGH so gesehen.
23. Auch unter der verwaltungsorganisatorischen Perspektive der Verbands- und
Organkompetenz ergeben sich Grenzen für die Regierung im Hinblick auf die
Pflicht zur Beantwortung parlamentarischer Anfragen.
24. Im Hinblick auf die Rechtsaufsicht des Landes gegenüber den Gemeinden ist die
aufsichtliche Tätigkeit auf die Gewährleistung gesetzmäßigen gemeindlichen Handelns beschränkt. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Aufsicht des Landes gegen-
über den Gemeinden darauf gerichtet ist, die Gemeinden in ihren Rechten zu schützen und die Erfüllung ihrer Pflichten zu sichern. Ziel der Kommunalaufsicht ist es in
Selbstverwaltungsangelegenheiten, sicherzustellen, dass die Gemeinden im Einklang mit den Gesetzen verwaltet werden.
25. Kommunalaufsicht ist als Beobachtung und Beeinflussung einschließlich
Berichtigung des Handelns, Duldens und Unterlassens des Selbstverwaltungsträgers
zum Zwecke der Verhinderung von Rechtsverstößen und zur Sicherstellung eines
rechtmäßigen kommunalen Handelns zu begreifen. Daher muss die Ausübung von
Rechtsaufsicht stets zielorientiert sein und intendiert durch den Kontrollzweck.
Rechtsaufsicht darf mithin keine pauschale Überwachung der Gemeinde darstellen,
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weshalb rein präventive, allgemeine oder pauschale Auskunftsverlangen der Aufsichtsbehörde gegenüber Gemeinden vom Institut der Rechtsaufsicht nicht gedeckt
sind. Einer inquisitorischen, flächendeckenden, ausforschenden oder gar »einmischenden« Aufsicht, die sachlich in die Nähe der Fachaufsicht gerät oder sich gar zu
einer solchen verdichten könnte, können die Gemeinden schon aus verfassungsrechtlichen Gründen nicht unterworfen werden.
26. Dies erschließt sich im Übrigen auch aus §§ 116 ff. ThürKO, wonach die
Rechtsaufsichtsbehörden in Selbstverwaltungsangelegenheiten der Kommunen zur
Informationsbeschaffung nur dann befugt sind, soweit dies der Gewährleistung der
Rechtmäßigkeit der Kommunalverwaltung dient. Diese immanente Einschränkung
aufsichtsrechtlicher Befugnisse stellt letztlich eine Konsequenz der verfassungsrechtlich abgesicherten Eigenverantwortlichkeit der Kommunen dar.
27. Im Zusammenhang mit der Verpflichtung der Landesregierung zur Beantwortung parlamentarischer Anfragen ist mit Blick auf die gegenüber den Gemeinden
bestehende Rechtsaufsicht zu berücksichtigen, ob diese Anfragen darauf gerichtet
sind, zu klären, ob im Hinblick auf eine konkrete Gemeinde Anhaltspunkte für ein
gesetzeswidriges Verhalten bestehen, ob gesetzliche Pflichten nicht oder nicht hinreichend erfüllt wurden oder gesetzliche Vorschriften nicht eingehalten wurden. Da
die Rechtsaufsicht stets gerichtet ist auf, aber auch beschränkt ist durch die Maxime,
gesetzmäßiges Verhalten der Gemeinde sicherzustellen, kann weder die Aufsicht
der Rechtsaufsichtsbehörde und damit des Staates noch eine parlamentarische
Anfrage und die sie beantwortende Regierungsantwort über diese immanente
Grenze der Rechtsaufsicht hinausgehen. Ein inquisitorisches, sämtliche Aspekte
kommunaler Tätigkeit umschließendes Ausforschungsrecht kommt dem Staat auch
gegenüber den Gemeinden nicht zu, sondern nur ein Informationsrecht im Hinblick
auf die Rechtmäßigkeit kommunalen Handelns. Bestehen indes keine Anhaltspunkte für ein rechtswidriges Handeln der Gemeinden, so kann auch die Rechtsaufsicht hierzu nicht herangezogen werden. Das Informationsrecht reicht den Aufsichtsbehörden nicht die Hand dazu, ohne konkreten Anlass 652 Thüringer Gemeinden flächendeckend mit Informationsverlangen zu überziehen.
28. Im Zusammenhang mit der Rechtsaufsicht gegenüber den Gemeinden in allgemeiner Weise abgefragten Daten, Statistiken, Bewertungen u. ä. fehlt, soweit sich
diese nicht auf Rechtsfragen beziehen, generell ein kommunalaufsichtlicher Bezug,
der indes zwingende Voraussetzung für das Bestehen der Antwortpflicht der Regierung wäre.
29. Eingedenk dessen könnte die Handhabung von Beitragsbelangen durch einzelne
Gemeinden allenfalls dann Gegenstand des parlamentarischen Fragerechts sein,
wenn im jeweiligen konkreten Fall Anhaltspunkte dafür vorhanden wären, dass der
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rechtsaufsichtliche Verantwortungsbereich der Regierung durch das Verhalten einzelner Gemeinden im Zusammenhang mit der jeweiligen Satzung berührt sein
könnte. Dies ist indes im vorliegend interessierenden Zusammenhang nicht dargetan; Gesichtspunkte, die in jedem einzelnen der 652 Fälle für eine rechtsaufsichtliche Relevanz sprechen, sind seitens der Fragesteller nicht vorgetragen worden, weshalb eine Verpflichtung der Landesregierung zur Beantwortung sämtlicher parlamentarischer Anfragen nicht besteht.
30. Zudem ist in diesem Zusammenhang von Bedeutung, dass die 652 Anfragen
nicht auf die Kontrolle der Exekutive abzielen, sondern Informationen aus der
Sphäre mehrerer hundert Gemeinden im Freistaat Thüringen begehren; nicht
ersichtlich, geschweige denn dargetan ist in diesem Zusammenhang der verfassungsrechtlich insoweit jedoch geforderte nachvollziehbare Zusammenhang zwischen dem Informations- und Kontrollwunsch auf der einen und der aus dem Kontrollergebnis resultierenden politischen Reaktionsmöglichkeit der Regierung auf der
anderen Seite; diesen darzutun ist aber bereits deshalb erforderlich, weil die Kontrolle der Exekutive durch das Parlament kein Selbstzweck ist.
31. Eine weitere Grenze der Antwortverpflichtung der Regierung wird dadurch
gezogen, dass insoweit der Informationsstand der Ministerialverwaltung maßgeblich ist. Die Landesregierung ist im Hinblick auf ihre Antwort gehalten, aufgrund
ihres Kenntnisstandes das Wissensdefizit des Anfragenden zu beheben. Etwas anderes folgt auch nicht aus den Bestimmungen zur Amtshilfe.
32. Besondere Bedeutung im Hinblick auf der Antwortverpflichtung der Regierung
gezogene Grenzen kommt dem Grundsatz der Organtreue zu. Auch im Freistaat
Thüringen geht die aus Art. 48 Abs. 2 ThürVerf abzuleitende Verpflichtung der
Verfassungsorgane dahin, aus ihrer jeweils eigenständigen Aufgabe heraus zum
Wohl der rechtlich verfassten Gemeinschaft zusammenzuarbeiten.
33. In die gleiche Richtung zielt der Grundsatz der gegenseitigen Rücksichtnahme,
zu dessen Wahrung sämtliche Verfassungsorgane und ihre Gliederungen verpflichtet sind. Diese Rücksichtnahme gebietet, dass alle Verfassungsorgane bei der Aus-
übung ihrer Befugnisse und Aufgaben den Funktionsbereich des anderen Organs
respektieren, da nur auf diese Weise »ein sinnvolles Zusammenwirken mehrerer
prinzipiell gleich geordneter Staatsorgane im Interesse bestmöglicher Verwirklichung des Gemeinwohls« zu erreichen ist. Wird dieses Verfassungsgebot missachtet und übt ein Abgeordneter seine Mitwirkungsbefugnisse ohne solche Rücksichtnahme aus, so besteht keine Antwortpflicht der Regierung.
34. Rechtsmissbrauch stellt eine dem parlamentarischen Fragerecht immanente
Grenze dar, so dass missbräuchliche Fragen nicht beantwortet zu werden brauchen.
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Dabei ist die Grenze des Missbrauchs dann erreicht, wenn ein Recht oder eine
Rechtsposition in funktionswidriger, Treu und Glauben widersprechender Art und
Weise ausgenutzt werden. Mit anderen Worten bezeichnet nach überkommener
Auffassung Rechtsmissbrauch den Tatbestand der missbilligten, treuwidrigen oder
unzulässigen Inanspruchnahme eines Rechts. Die Rechtsfolge des Rechtsmissbrauchs besteht darin, dass einer Partei der Rechtsvorteil, der aus bestimmten
Umständen bzw. den an sie anknüpfenden Rechtsnormen eigentlich resultieren
müsste, im konkreten Fall nicht zuerkannt wird.
35. Wird unter Berufung auf das parlamentarische Fragerecht versucht, die Landesregierung ohne berechtigte eigene Belange zu Zwecken zu instrumentalisieren, die
von der Rechtsaufsicht gegenüber den Gemeinden nicht gedeckt sind, so stellt dies
ebenso einen Rechtsmissbrauch dar wie die Handhabung des Fragerechts in einer
Art und Weise, die den Eindruck nahe legt, dass die Landesregierung über Gebühr –
insbesondere in personeller Hinsicht – in Anspruch genommen werden soll.
Chapter Preview
References
Zusammenfassung
Der Autor lotet das Verhältnis von parlamentarischem Fragerecht und Antwortverweigerungsrecht der parlamentarisch verantwortlichen Regierung näher aus. Er analysiert die Legitimation wie auch die Grenzen des Fragerechts der Abgeordneten, betont aber zugleich das Recht der Regierung, in bestimmten Fällen, namentlich bei einer missbräuchlichen Handhabung des Fragerechts, die Antwort auf parlamentarische Anfragen verweigern zu können. Das Werk dient zugleich als Leitfaden für die parlamentarische Praxis.
Nach der Einbettung des parlamentarischen Fragerechts in den Kontext des Kontrollfunktion des Parlaments untersucht der Verfasser mit einem ausführlichen Blick auf die Rechtslage im Freistaat Thüringen zunächst die inneren und äußeren Grenzen des parlamentarischen Fragerechts, bevor er die Antwortverpflichtung der Regierung näher konturiert. Anschließend werden die geschriebenen wie auch die ungeschriebenen Grenzen der Antwortpflicht der Regierung ausführlich behandelt, wobei der Aspekt der Funktionsfähigkeit der Regierung eine intensive Beachtung erfährt. Ein besonderes Augenmerk wird auf die Beantwortung der Frage gelegt, wann eine missbräuchliche Inanspruchnahme des parlamentarischen Fragerechts angenommen werden kann. In diesem Zusammenhang wird auch der Grundsatz der Organtreue näher erläutert.