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wort der Regierung »von geringerem Umfang, von geringerer Intensität, Tiefe und
Detailliertheit« sein kann.51
Soweit bei lange zurück liegenden Sachverhalten Unterlagen überhaupt nicht
mehr verfügbar sind und der Regierung damit die Möglichkeit genommen ist, eine
parlamentarische Anfrage aus rein tatsächlichen Gründen zu beantworten, ist sie
von ihrer Antwortpflicht sogar vollständig befreit; freilich muss die Regierung die
Gründe hierfür darlegen.52
4. Ansonsten weite Interpretation des parlamentarischen Fragerechts
Indes scheitert das Fragerecht nach Auffassung des ThürVerfGH nicht daran, dass
eine Fragestellung auf den Bereich zielt, für den die Landesregierung Eigenverantwortung in Anspruch nehmen darf,53 was freilich ein Antwortverweigerungsrecht
der Exekutive nicht ausschließt.54
Zudem hat der ThürVerfGH klargestellt, dass auch eine auf Erkundung des Meinungsstandes der Landesregierung angelegte Frage nicht von vornherein und prinzipiell dem Schutzbereich des Art. 53 Abs. 2 ThürVerf entzogen ist. Mit anderen
Worten ist es für die Zulässigkeit einer parlamentarischen Anfrage unerheblich, ob
ein objektivierbarer Sachverhaltskomplex erfragt wird oder ein Meinungsbild.
Nach Auffassung des ThürVerfGH gibt es daher einen Bereich, in dem das parlamentarische Fragerecht in legitimer Weise auf die Erkundung der Bewertung
eines bestimmbaren, begrenzten Sachverhaltskomplexes, aber auch eines gesamten
Politikfeldes im Sinne eines weiten, thematisch verbundenen Sachzusammenhangs
gerichtet sein darf; dies folgt nach Auffassung des ThürVerfGH aus Art. 48 Abs. 2
ThürVerf.55
Zudem kann das Fragerecht nicht auf Tatsachen verkürzt werden, da dies die
Chance der parlamentarischen Minderheiten verkürzen würde, bei künftigen Wahlen die Mehrheit zu erringen,56 nicht zuletzt deshalb, weil nach Auffassung des
ThürVerfGH auch die auf Sachaufklärung gerichteten Fragen und die der Meinungserkundung dienenden sog. Tendenzanfragen nicht mit hinreichender Genauigkeit zu trennen sind,57 was für eine weite Interpretation des parlamentarischen
Fragerechts spricht.
51 So ausdrücklich BayVerfGH, NVwZ 2002, S. 715/717.
52 So ausdrücklich BayVerfGH, NVwZ 2002, S. 715/717.
53 ThürVerfGH, LKV 2003, S. 422/423.
54 Vgl. ThürVerfGH, LKV 2003, S. 422/423.
55 ThürVerfGH, LKV 2003, S. 422/423.
56 ThürVerfGH, LKV 2003, S. 422/423.
57 ThürVerfGH, LKV 2003, S. 422/423.
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5. Der Zusammenhang zwischen Fragerecht und Antwortverpflichtung
Die Ausführungen des ThürVerfGH machen in ihrer Gesamtheit deutlich, dass
innerhalb der vom Gerichtshof gezogenen – weiten – Grenzen des parlamentarischen Fragerechts in der parlamentarischen Praxis wie auch im vorliegenden
Zusammenhang v. a. der Maxime erhebliche Bedeutung zukommt, dass eine
gestellte Frage auf ein Themenfeld zielen muss, zu dem der Befragte »etwas zu
sagen hat« und dass sich die Antwort auf die gestellte Frage aus einem Themenfeld
rekrutiert, »für das die Landesregierung zuständig ist«.58
Diese vom Gerichtshof ausdrücklich als »inhaltliche Grenze« des parlamentarischen Fragerechts qualifizierte Einschränkung59 kann jedenfalls nicht losgelöst von
der Antwortpflicht der Landesregierung begriffen werden. Man wird der Landesregierung keine verfassungsrechtliche Pflicht auferlegen können, eine Frage zu beantworten, zu der die Landesregierung als Befragte »nichts zu sagen hat«. Eine solche
Verpflichtung wird auch nicht anzunehmen sein, wenn sich die Antwort der Landesregierung auf die gestellte Frage aus einem Themenfeld rekrutieren würde oder gar
müsste, für das ihr Zuständigkeit nicht zukommt.
Hieran wird deutlich, dass die – weiten – Grenzen, die dem parlamentarischen
Fragerecht im Freistaat Thüringen gezogen sind, jedenfalls auch Fernwirkungen im
Hinblick auf die Antwortpflicht der Regierung entfalten. Sie können deren Verpflichtung zur Beantwortung ggf. einschränken, was nicht zuletzt auch der Thür-
VerfGH klargestellt hat, wenn er mit Blick auf Art. 67 Abs. 1 ThürVerf für die
Beantwortung parlamentarischer Anfragen ausgeführt hat, dass jeder zulässigen
Frage (Hervorhebung durch den Verf.) grundsätzlich auch eine Antwortpflicht der
Landesregierung gegenüber steht.60
Umgekehrt formuliert bedeutet dies mithin, dass die aus Art. 67 Abs. 1 ThürVerf
folgende Verpflichtung der Landesregierung, parlamentarische Anfragen zu beantworten, nur für zulässige parlamentarische Anfragen gilt.61
6. Zwischenfazit
Zusammenfassend ist daher festzuhalten, dass eine parlamentarische Anfrage von
Abgeordneten des Thüringer Landtags inhaltlichen Grenzen unterworfen ist, die
sich aus allgemeinen Erwägungen betreffend den Zusammenhang von Frage und
Antwort sowie aus der Verfassungsfunktion des parlamentarischen Fragerechts
ergeben, Mittel zur Behebung von – aufgabenbezogenen – Informationsdefiziten
auf Seiten des bzw. der Abgeordneten zu sein. Daher muss eine Frage in ihrem
58 ThürVerfGH, LKV 2003, S. 422/422 f.
59 ThürVerfGH, LKV 2003, S. 422.
60 ThürVerfGH, LKV 2003, S. 422/423.
61 Vgl. hierzu auch unten, VII. 3. a.
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References
Zusammenfassung
Der Autor lotet das Verhältnis von parlamentarischem Fragerecht und Antwortverweigerungsrecht der parlamentarisch verantwortlichen Regierung näher aus. Er analysiert die Legitimation wie auch die Grenzen des Fragerechts der Abgeordneten, betont aber zugleich das Recht der Regierung, in bestimmten Fällen, namentlich bei einer missbräuchlichen Handhabung des Fragerechts, die Antwort auf parlamentarische Anfragen verweigern zu können. Das Werk dient zugleich als Leitfaden für die parlamentarische Praxis.
Nach der Einbettung des parlamentarischen Fragerechts in den Kontext des Kontrollfunktion des Parlaments untersucht der Verfasser mit einem ausführlichen Blick auf die Rechtslage im Freistaat Thüringen zunächst die inneren und äußeren Grenzen des parlamentarischen Fragerechts, bevor er die Antwortverpflichtung der Regierung näher konturiert. Anschließend werden die geschriebenen wie auch die ungeschriebenen Grenzen der Antwortpflicht der Regierung ausführlich behandelt, wobei der Aspekt der Funktionsfähigkeit der Regierung eine intensive Beachtung erfährt. Ein besonderes Augenmerk wird auf die Beantwortung der Frage gelegt, wann eine missbräuchliche Inanspruchnahme des parlamentarischen Fragerechts angenommen werden kann. In diesem Zusammenhang wird auch der Grundsatz der Organtreue näher erläutert.