464
2. Abwägung der Vor- und Nachteile
Vorliegend könnte erwogen werden, dem Geschädigten ein solches Bestimmungsrecht einzuräumen. Jedoch würde dies mit erheblichen Nachteilen für den Verletzten
einhergehen.3530 Schließlich tritt an die Stelle der Ermittlung des günstigsten Rechts
durch das Gericht die Pflicht, das Bestimmungsrecht auszuüben. Dies erfordert
Kenntnis des Optionsrechts, eigenverantwortliche Ermittlung des günstigsten Rechts
und die ordnungsgemäße fristgerechte Ausübung des Wahlrechts durch den Geschädigten.3531 Insgesamt sind keine wesentlichen Vorteile der Einschränkung der alternativen Anknüpfung durch ein Bestimmungsrecht des Geschädigten erkennbar.
Vielmehr überwiegen die Nachteile einer erheblichen einseitigen Belastung des
Geschädigten und der mit der Ausübung einhergehenden praktischen Probleme.
3. Ergebnis
Somit ist die eingeschränkt alternative Anknüpfung nicht in Betracht zu ziehen.
V. Subsidiäre Anknüpfung/Korrektivanknüpfung
1. Einführung
Ferner kommt neben der echten alternativen Anknüpfung die Subsidiarität der zweiten Anknüpfung im Verhältnis zur ersten Anknüpfung in Betracht. Mithin erfolgt die
Anknüpfung an eine zweite Rechtsordnung nur dann hilfsweise, wenn die primäre
Anknüpfung an die erste Rechtsordnung versagt3532 bzw. die gewünschte Rechtsfolge nicht eintreten lässt3533. Teilweise wird innerhalb des Grundtyps der alternativen
Anknüpfung nicht zusätzlich nach den Voraussetzungen der alternativen Anknüpfung differenziert.3534 Für den Fall der materiellrechtlichen Begünstigung verwendet
Kropholler die Bezeichnung der Korrektivanknüpfung 3535. Die Begriffe subsidiäre
Anknüpfung und Korrektivanknüpfung werden ausgehend von dieser Grundlegung
im Folgenden gleichbedeutend verwendet.
Grundsätzlich wird bei dieser Form der Anknüpfung eine zweite Anknüpfung
subsidiär zur Verfügung gestellt.3536 Dadurch wird die Begünstigung im Verhältnis
3530 MünchKomm/Junker, Art. 40 EGBGB Rdnr. 31.
3531 MünchKomm/Junker, Art. 40 EGBGB Rdnr. 31.
3532 Kropholler, § 20 III; v. Bar/Mankowski, § 7 Rdnr. 95; MünchKomm/Sonnenberger, Einl. IPR
Rdnr. 674.
3533 v. Hoffmann/Thorn, § 5 Rdnr. 118; Staudinger/Sturm/Sturm, Einl. zum IPR Rdnr. 157ff.
3534 v. Bar/Mankowski, § 7 Rdnr. 103.
3535 Kropholler, § 20 II 1); siehe auch Kropholler, § 20 I 1) 2) c).
3536 v. Hoffmann/Thorn, § 5 Rdnr. 118.
465
zur alternativen Anknüpfung eingeschränkt.3537 Denn nur dann, wenn die Rechtsfolge nach der primären Anknüpfung völlig wegfällt, kann auf die Hilfsanknüpfung
zurückgegriffen werden. Demgegenüber ist unerheblich, ob die beiden Alternativen
jeweils Ansprüche in verschiedener Höhe gewähren.3538 Als Beispiel wird in der
Regel Art. 18 Abs. 2 EGBGB angeführt3539: Kann der Berechtigte nach dem gemäß Absatz 1 Satz 1 oder 2 anzuwendenden Recht vom Verpflichteten keinen Unterhalt erhalten, so ist deutsches Recht anzuwenden.
Vorliegend versagen die herkömmlichen Anknüpfungen des internationalen Deliktsrechts nicht, sondern führen möglicherweise, wie im hier zu untersuchenden
Export der Anwalts-LLP, zur Anwendbarkeit des (deutschen) Deliktsrechts, das
keinen Anspruch bereithält. Daher geht es um eine subsidiäre korrigierende Anknüpfung.3540
2. Abwägung der Vor- und Nachteile
Den größtmöglichen Schutz des Mandanten gewährleistet das mit der alternativen
Anknüpfung verbundene Günstigkeitsprinzip.3541 Der Mandant kann bereits dann
von der jeweils anderen Anknüpfung profitieren, wenn diese lediglich den Weg zu
einem höheren Schadensersatzanspruch ebnet. Gleichzeitig wird die Intention des
Gründungsstaates vollumfänglich zur Geltung gebracht. Sieht diese Rechtsordnung,
in der die Wurzeln der Gesellschaft liegen, eine parallele berufsbezogene Haftung
auf deliktischer Basis vor, kann der Geschädigte diesen Schutz alternativ beanspruchen, wenn die erste Anknüpfung weniger vorteilhaft ist.
Der Umstand, dass das Gesellschaftsstatut nur von Amts wegen angewendet wird,
sofern dieses Recht günstigere Rechtsfolgen beinhaltet als das nach der deliktsrechtlichen Kollisionsnorm anwendbare Recht, steht nicht im Widerspruch zu dem vom
Gründungsgesetzgeber beabsichtigten Ergebnis. Schließlich wird das Gesellschaftsstatut als Alternative angeboten. Sofern ein attraktiveres finanzielles Ergebnis durch
die vorrangige Anwendung eines anderen Rechts erreicht wird, werden die Ziele des
Gründungsgesetzgebers nicht nur erreicht, sondern sogar übertroffen. Zudem wird
dem strategischen Export von Auslandsgesellschaften durch die echte Alternativanknüpfung ein Riegel vorgeschoben.3542
Demgegenüber würde die subsidiäre Anknüpfung im Vergleich zur echten alternativen Anknüpfung den Vorteil bieten, dass von den herkömmlichen Anknüpfungsregeln des internationalen Deliktsrechts nur dann abgewichen würde, wenn die
3537 v. Hoffmann/Thorn, § 5 Rdnr. 118.
3538 v. Hoffmann/Thorn, § 5 Rdnr. 118.
3539 v. Hoffmann/Thorn, § 5 Rdnr. 118; Kropholler, § 20 II 1).
3540 Kropholler, § 20 II 1).
3541 Kropholler, § 20 II 1); v. Bar/Mankowski, § 7 Rdnr. 103; Looschelders, Vorb. zu Art. 3-6
EGBGB Rdnr. 21f.; v. Hoffmann/Thorn, § 5 Rdnr. 117.
3542 Siehe oben Teil 4 B III.
466
Verweisung ins Leere geht. Nur für den Fall, dass das nach den allgemeinen Regeln
anwendbare Deliktsrecht einen Anspruch gänzlich versagt, würde die Verweisung
auf das Gesellschaftsstatut zum Zuge kommen. Dadurch wird in geringerem Maße
vom bestehenden Recht abgewichen als im Falle einer echten alternativen Anknüpfung. Dies ist ein erheblicher Vorteil im Hinblick auf die Systemkompatibilität einer
Neuregelung. Zusätzlich würde der Anreiz zur strategischen Auslandsgründung3543
ebenso effektiv bekämpft wie bei der echten Alternativanknüpfung.
Auch scheint eine vollumfängliche Umsetzung des stillschweigend zum Ausdruck gebrachten Regelungskonzepts des Gründungsrechts3544 im Wege der echten
Alternativanknüpfung nicht geboten. Ein Rückgriff auf das Deliktsrecht des Gründungsrechts unter Abweichung von den allgemeinen Regeln des internationalen
Deliktsrechts sollte nur dann erfolgen, wenn der Anspruch völlig versagt wird.
Die Absichten des Gründungsgesetzgebers werden ausreichend berücksichtigt,
wenn ein entsprechender Anspruch aufgrund eines beruflichen Fehlers gewährt
wird. Demgegenüber ist eine zusätzliche Absicherung in Bezug auf die Höhe des
Anspruchs nicht erforderlich.
Zudem ist bei der berufsbezogenen Haftung im Falle der Gesellschaftsgründung
nur dann eine Problemlösung angezeigt, wenn die Verweisung des internationalen
Deliktsrechts gänzlich ins Leere geht. Es erscheint nicht geboten, dem Mandanten
den höchsten Schadensersatzanspruch zu gewähren. Vielmehr ist es ausreichend,
wenn ein entsprechender Anspruch besteht. Denn die Schutzbedürftigkeit ist nur
insoweit gegeben, als es zu einem völligen Leerverweis kommt. Es ist oben3545 bereits ausführlich gezeigt worden, dass die Unbilligkeit gerade in der Verweigerung
einer entsprechenden Rechtsfolge liegt. Mithin würde die alternative Anknüpfung
mit dem Risiko einer exzessiven Verwirklichung der Interessen des Mandanten
einhergehen.
3. Ergebnis
Insgesamt stellen beide Alternativen durchaus vertretbare Lösungswege dar. Allerdings überwiegen die Vorteile der Korrektivanknüpfung. Im Ergebnis ist eine subsidiäre Anknüpfung an das Gesellschaftsstatut für den Fall, dass das nach allgemeinen
Regeln anwendbare Deliktsstatut keine Rechtsfolge gewährt, als sachgerechter Lösungsweg anzusehen.
3543 Siehe hierzu oben Teil 4 A III, B III 3.
3544 Siehe oben Teil 4 A II, III u. Teil 4 B III 3.
3545 Siehe oben Teil 4 A III u. Teil 4 B III 3.
467
VI. Vorläufiger Regelungsvorschlag
1. Grundlegung
Nach den bisherigen Feststellungen könnte für die besondere Konstellation der berufsbedingten Haftung der Gesellschafter einer Berufsausübungsgesellschaft aus
unerlaubter Handlung sowohl eine alternative als auch eine subsidiäre Anknüpfung
in Betracht kommen. Auch wenn nach der hier vertretenen Auffassung die subsidiäre Anknüpfung zu bevorzugen ist, sollen vorläufige Regelungsvorschläge für beide
Varianten formuliert werden.
2. Alternative Anknüpfung
Die folgende Formulierung wird für eine alternative Anknüpfung, die hypothetisch
als Art. 41 a EGBGB einzufügen wäre, vorgeschlagen:
Haben sich Angehörige der freien Berufe zum Zwecke der gemeinsamen Berufsausübung in einer Berufsausübungsgesellschaft zusammengeschlossen, unterliegen die aus einem beruflichen Fehler entstandenen Ansprüche aus unerlaubter
Handlung gegenüber dem für die Gesellschaft verantwortlich tätigen Gesellschafter
entweder dem nach Art. 40, 41 EGBGB geltenden Recht oder dem Recht des Staates,
nach dem die Gesellschaft organisiert ist.
3. Subsidiäre Anknüpfung
Für eine subsidiäre Anknüpfung, die hypothetisch als Art. 41 a EGBGB einzufügen
wäre, wird folgender Regelungsvorschlag formuliert:
Haben sich Angehörige der freien Berufe zum Zwecke der gemeinsamen Berufsausübung in einer Berufsausübungsgesellschaft zusammengeschlossen und
sieht das gemäß Art. 40, 41 EGBGB auf Ansprüche aus unerlaubter Handlung anwendbare Recht keinen Anspruch auf Ersatz eines aus einem beruflichen Fehler
entstandenen Schadens gegenüber dem für die Gesellschaft verantwortlich tätigen
Gesellschafter vor, so unterliegen diese Ansprüche dem Recht des Staates, nach dem
die Gesellschaft organisiert ist.
VII. Kritische Würdigung und Weiterentwicklung der Kollisionsnorm
1. Einführung
Diese beiden allgemein gehaltenen vorläufigen Regelungsvorschläge wurden vorangestellt, um eine kritische Analyse der bisher gewonnenen Ergebnisse zu ermögli-
Chapter Preview
References
Zusammenfassung
Die englische Limited Liability Partnership (LLP) kann für in Deutschland niedergelassene Rechtsanwälte eine attraktive Alternative sein. Die Arbeit untersucht die in der Praxis für solche Anwalts-LLPs relevanten berufs-, haftungs-, gesellschafts- und registerrechtlichen Fragen aus internationalprivatrechtlicher und europarechtlicher Perspektive und vergleicht funktional die LLP mit Partnerschaft und GmbH. Insbesondere erörtert die Autorin die Haftung der LLP-Gesellschafter für Berufsfehler sowie die Frage, welche Normen der BRAO Anwendung finden. Die kollisionsrechtlichen Methoden der Substitution und der Anpassung werden diskutiert. De lege ferenda wird eine Neuregelung für das Kollisionsrecht vorgeschlagen.