460
3. Ergebnis
Insgesamt stellt die Ausweitung der Ausweichklausel des Art. 41 EGBGB keine
Lösungsalternative dar.
III. Alternative Anknüpfung
1. Grundlegung
Zusätzlich besteht die Möglichkeit, im Falle von berufsbedingten Rechtsinstituten
der Haftung aus unerlaubter Handlung eine spezielle Kollisionsnorm zu formulieren.
Es könnte eine Kollisionsnorm erwogen werden, die für die berufsbedingte deliktsrechtliche Haftung eine alternative Anknüpfung an das nach den allgemeinen Regeln
des internationalen Deliktsrechts anwendbare Recht oder an das Recht des Gründungsstaates vorsieht.
2. Theoretische Grundlagen der alternativen Anknüpfung
Die kollisionsrechtliche Interessenabwägung begründet nur selten den Zwang zu
einer bestimmten Anknüpfung.3493 Oftmals bestehen in vergleichbarer Weise Bezüge zu zwei Rechtsordnungen, so dass keine der beiden Anknüpfungen zwingend
erscheint.3494 Dann kann das Ordnungsinteresse an einer einheitlichen Regelung den
Impuls zur Wahl einer bestimmten Anknüpfung geben.3495 Andernfalls stehen mindestens zwei gleichwertige Anknüpfungen zur Auswahl und es kommt zu so genannten Mehrfachanknüpfungen.3496
In diesem Fall besteht die Möglichkeit der alternativen Anknüpfung, bei der es
ausreicht, wenn nur ein Recht eine entsprechende Rechtsfolge vorsieht.3497 Folglich
dient die alternative Anknüpfung der Realisierung eines Günstigkeitsprinzips, welches zur Anwendung des Sachrechts führt, das die günstigsten Rechtsfolgen enthält.3498 Beispielsweise ist aufgrund der alternativen Anknüpfung in Art. 11 EGBGB
ein Rechtsgeschäft formgültig, wenn es entweder die Formvorschriften des Ge-
3493 Kegel/Schurig, § 6 IV.
3494 Kropholler, § 20 I; Kegel/Schurig, § 6 IV; MünchKomm/Sonnenberger, Einl. IPR Rdnr. 117.
3495 Kegel/Schurig, § 6 IV.
3496 Kegel/Schurig, § 6 IV.
3497 Kegel/Schurig, § 6 IV.
3498 v. Hoffmann/Thorn, § 5 Rdnr. 117; Kropholler, § 20 II 1); v. Bar/Mankowski, § 7 Rdnr. 103;
Looschelders, Vorb. zu Art. 3-6 EGBGB Rdnr. 21f.; Looschelders, IPRax 1999, 420; Palandt/Heldrich, Einl. v. Art. 3 EGBGB Rdnr. 21; Erman/Hohloch, Einl. Art. 3 EGBGB Rdnr.
29; Staudinger/Sturm/Sturm, Einl. zum IPR Rdnr. 148ff.
461
schäftsrechts oder die des Ortsrechts erfüllt.3499 Dabei hat der Richter von Amts
wegen das günstigere Recht anzuwenden.3500
Die alternative Anknüpfung führt zum Maximal-Ergebnis 3501 und ermöglicht
es, im internationalen Privatrecht materiellrechtliche Tendenzen zu begünstigen.3502
Daher sollte diese Technik nur zurückhaltend zum Zuge kommen.3503
3. Analyse der alternativen Anknüpfung der berufsbedingten Haftung
Im Fall der berufsbedingten deliktsrechtlichen Haftung des Gesellschafters einer
Berufsausübungsgesellschaft ergibt die Analyse der kollisionsrechtlichen Interessenlage, dass weder die Anknüpfung an das Deliktsstatut noch die Anknüpfung an das
Gesellschaftsstatut zwingend ist.3504 Vorliegend besteht nicht nur ein Bezug zum
Deliktsstatut. Denn die Berufsbezogenheit der Haftung des Gesellschafters stellt bei
Tätigwerden für eine Berufsausübungsgesellschaft einen Bezug zum Gesellschaftsstatut her.3505
Auch das Ordnungsinteresse am äußeren Entscheidungseinklang3506 zwingt bei
der unerlaubten Handlung nicht zum Festhalten an der lex loci-Regel, sondern lässt
Raum für die Schaffung differenzierter Kollisionsregeln.3507 Mithin besteht grundsätzlich Raum für eine alternative Anknüpfung.
Ferner wurde oben3508 gezeigt, dass eine Anpassungslage entsteht, wenn die herkömmlichen Kollisionsregeln beibehalten werden. Dies unterstreicht die Bedeutung
des Ordnungsinteresses am inneren Entscheidungseinklang3509.
Zusätzlich sprechen die im Wesentlichen oben3510 herausgearbeiteten Erwägungen für eine alternative Anknüpfung. Nachstehend sind die entwickelten Argumente
zu skizzieren, um die Berücksichtigung materiellrechtlicher Tendenzen zu rechtfertigen.
Zunächst ist zu berücksichtigen, dass dem Beruf des Rechtsanwalts und den freien Berufen im Allgemeinen eine hervorgehobene Bedeutung zukommt.3511 Der
Mandant ist in besonderer Weise auf die Sachkunde des Berufsträgers angewiesen,
3499 Auf dieses Beispiel wird allgemein verwiesen, siehe Kegel/Schurig, § 6 IV; Kropholler, § 20
II 2); v. Hoffmann/Thorn, § 5 Rdnr. 117.
3500 v. Bar/Mankowski, § 7 Rdnr. 106.
3501 Kegel/Schurig, § 6 IV.
3502 Kegel/Schurig, § 2 III, § 6 IV; Kropholler, § 20 II 1); MünchKomm/Sonnenberger, Einl. IPR,
Rdnr. 673, 117.
3503 Kegel/Schurig, § 6 IV; kritisch v. Hoffmann/Thorn, § 5 Rdnr. 117; Kropholler, § 20 II 3).
3504 Siehe oben Teil 4 A II u. Teil 4 B I 1 g).
3505 Siehe oben Teil 4 A II u. Teil 4 B I 1 g).
3506 Kegel/Schurig, § 2 II 3) a); Kropholler, § 6.
3507 Kropholler, § 6 II 2).
3508 Siehe oben Teil 3 D IV VIII.
3509 Kegel/Schurig, § 2 II 3) b).
3510 Siehe insbesondere oben Teil 4 A II.
3511 Siehe oben Teil 3 D VII 2 d).
462
welcher eine Vertrauensstellung einnimmt.3512 Daher werden nicht nur in Deutschland der Zugang zum Anwaltsberuf und die Berufausübung reglementiert.3513 Der
Umstand, dass der Anwaltsberuf mit einer Vertrauensstellung einhergeht3514, trägt
dazu bei, dass z. B. in England und in den USA3515 das Bestehen einer allgemeinen
Berufshaftung für bloße Vermögensschäden anerkannt wird.3516
Es kann vorkommen, dass eine neue Gesellschaftsform, wie die LLP, in das bestehende Regelungssystem unter der stillschweigenden Voraussetzung eingefügt
wird, dass die lückenhafte gesellschaftsrechtliche Regel in Bezug auf die Haftung
des Gesellschafters durch die Fortgeltung der allgemeinen Grundsätze der professional negligence ergänzt wird.3517 Bei der Betrachtung dieser besonderen Konstellation kristallisiert sich heraus, dass die herkömmlichen Kollisionsregeln keine ausreichende Erfassung der berufsbezogenen Haftung ermöglichen.3518 Denn sie gestatten
den Import der Anwalts-LLP unter Ausschluss des in England gegebenen Kontextes
der professional negligence3519.
Dies ist unter Wertungsgesichtspunkten schlechthin unerträglich. Es darf angesichts der besonderen Bedeutung des Anwaltsberufes keine Kappung der implizierten Berufshaftung erfolgen.3520 Andernfalls könnten sich Rechtsanwälte durch die
Auslandsgründung im Inland einer Rechtsform bedienen, die in dieser Form im
Gründungsstaat für Rechtsanwälte nicht existiert.3521 Dadurch würde der Mandantenschutz völlig vernachlässigt. Der Rechtsanwalt könnte durch die Auslandsgründung internationale Schlupflöcher nutzen, um ungerechtfertigte Haftungsvorteile zu
erlangen.3522
Daher sollte das Kollisionsrecht soweit wie möglich gewährleisten, dass sofern
die Gründung einer Gesellschaft nach dem Recht des Gründungsstaates nicht zum
Ausschluss einer deliktischen Berufshaftung führt, der Export dieser Gesellschaft
nicht unter Ausschluss jedweder Berufshaftung erfolgt.3523 Überdies wird die Wertung des Gründungsstaates als Gestaltgeber der Auslandsgesellschaft nur dann ausreichend berücksichtigt, wenn die stillschweigende inhaltliche Verknüpfung mit
einer berufsbezogenen Haftungsregel nicht aufgrund der Existenz eines toten Winkels bzw. eines blinden Flecks im inländischen Kollisionsrecht übergangen wird.3524
3512 Siehe oben Teil 3 D VII 2 d).
3513 Zum englischen Berufsrecht siehe oben Teil 1 C; für einen Länderüberblick siehe Henssler/Nerlich.
3514 Siehe oben Teil 3 B III.
3515 Weller/Kienle, DStR 2005, 1102, 1106.
3516 Siehe oben Teil 3 B III.
3517 Siehe oben Teil 3 B III.
3518 Siehe oben Teil 4 A II.
3519 Siehe auch die Diskussion oben Teil 3 D VII 2 c), d), e), f), g) aa), h), Teil 4 A II.
3520 Siehe auch die Diskussion oben Teil 3 D VII 2 c), d), e), f), g) aa), h).
3521 Siehe oben Teil 4 A III.
3522 Siehe oben Teil 4 A III.
3523 Siehe auch Henssler/Mansel, Festschr. f. Horn, S. 403, S. 418 im Rahmen der Diskussion der
Anpassung bei der Anwalts-LLP.
3524 Siehe oben Teil 3 D IX 3 b) cc) (2) u. Teil 4 A III.
463
Die Einbettung einer Berufsausübungsgesellschaft in die gewachsenen Strukturen
der berufsbezogenen Haftung im Gründungsstaat darf nicht leichtfertig missachtet
werden. Etwas anderes könnte nur dann gelten, wenn im Sitzstaat ein Anspruch
gegenüber dem Gesellschafter besteht, da insoweit der Intention des Gründungsstaates in Bezug auf die Gewährleistung der Haftung entsprochen wird.3525
Überdies illustriert die vorliegende Anpassungslage3526, dass bei einem bewussten
gesetzgeberischen Unterlassen auch im Verhältnis zu anderen Rechtsordnungen
keine sachgerechte kollisionsrechtliche Erfassung erreicht werden kann. Dieses
Beispiel illustriert, dass die herkömmlichen Kollisionsnormen eine Lücke aufweisen.
Vor diesem Hintergrund erscheint es sachgerecht, eine Anknüpfung der berufsbedingten außervertraglichen Schuldverhältnisse aus unerlaubter Handlung sowohl an
das Delikts- als auch an das Gesellschaftsstatut zu ermöglichen. Für die Zukunft
kann diese Möglichkeit der Anknüpfung an die beiden Statuten Rechtssicherheit und
gerechte Ergebnisse gewährleisten.
4. Ergebnis
Insgesamt sollte grundsätzlich eine Anknüpfung an beide Statuten ermöglicht werden. Doch ist nicht abschließend geklärt, ob die alternative Anknüpfung einen sachgerechten Lösungsweg darstellt. Neben der echten alternativen Anknüpfung kommen weitere Lösungsmöglichkeiten in Betracht, die nachstehend zu prüfen sind.
IV. Eingeschränkt alternative Anknüpfung
1. Theoretische Grundlagen
Neben einem echten Alternativverhältnis kommt auch die Abhängigkeit der alternativen Anknüpfung von der Ausübung eines Wahlrechts, welches einem der Beteiligten gewährt wird, in Betracht. Beispielsweise wird in Art. 40 Abs. 1 S. 2 und S. 3
EGBGB dem Verletzten das Recht eingeräumt, statt der Anwendung des Rechts am
Handlungsort die Anwendung des Rechts am Erfolgsort zu verlangen. Dieses Wahlrecht muss innerhalb einer gesetzlich vorgeschriebenen Frist ausgeübt werden.3527
Dadurch tritt an die Stelle des Günstigkeitsprinzips die Gewährung eines Bestimmungsrechts.3528 Dies wird auch als eingeschränkt alternative Anknüpfung 3529
bezeichnet.
3525 Siehe auch unten Teil 4 B V.
3526 Siehe oben Teil 3 D VIII.
3527 Siehe hierzu auch Kegel/Schurig, § 6 IV.
3528 MünchKomm/Junker, Art. 40 EGBGB Rdnr. 29.
3529 MünchKomm/Sonnenberger, Einl. IPR Rdnr. 673.
Chapter Preview
References
Zusammenfassung
Die englische Limited Liability Partnership (LLP) kann für in Deutschland niedergelassene Rechtsanwälte eine attraktive Alternative sein. Die Arbeit untersucht die in der Praxis für solche Anwalts-LLPs relevanten berufs-, haftungs-, gesellschafts- und registerrechtlichen Fragen aus internationalprivatrechtlicher und europarechtlicher Perspektive und vergleicht funktional die LLP mit Partnerschaft und GmbH. Insbesondere erörtert die Autorin die Haftung der LLP-Gesellschafter für Berufsfehler sowie die Frage, welche Normen der BRAO Anwendung finden. Die kollisionsrechtlichen Methoden der Substitution und der Anpassung werden diskutiert. De lege ferenda wird eine Neuregelung für das Kollisionsrecht vorgeschlagen.